Besessen?
Kein Überbleibsel des Mittelalters: Exorzismus in der Schweiz. Seite 22
Dating-Apps
Wird die Gesellschaft immer oberflächlicher in Sachen Beziehungen? Seite 19
Gespaltene Zunge Sprache ist Identität. Sprache ist umstritten. Und Sprache muss man lernen. Seite 6
Ausgabe Nr. 14 | 1 / 2014 | CHF 6.00 (Schweiz) | CHF 9.00 (Ausland)
Wo Journalismus beginnt
«Unsere Schülerinnen und Schüler gestalten die Zukunft»
Lehrerin und Lehrer werden – Pädagogische Hochschule FHNW www.fhnw.ch/ph
Impressum Herausgeber
Tink.ch Sandstrasse 5 CH-3302 Moosseedorf Tel +41 31 850 10 91 Fax +41 31 850 10 21 info@tink.ch www.tink.ch Redaktion
Michael Scheurer (Chefredaktor) Kaspar Rechsteiner (Stv. Chefredaktor) Katharina Good (Bildredaktion) Sina Kloter Matthias Strasser
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Texte
Ursina Ghilardi Tatjana Pürro Benjamin Schlegel Daniel Barnbeck Stefanie Wunderlin Tamara Keller Yara Gut Jürg Kissling Jeannine Bossard Korrektorat
André Müller
Titelbild
Daniel Barnbeck Michelle Stirnimann Gestaltung
Daniel Barnbeck Katharina Good Oliver Hochstrasser Manuela Paganini Verlagsleitung
Daniel Barnbeck
Ausgabe
Nr. 14/Februar 2014
Auflage
1000 Exemplare
Abo und Inserate
Tink.ch Printabo Sandstrasse 5 CH-3302 Moosseedorf magazin@tink.ch www.tink.ch/print
Editorial Liebe Leserinnen und Leser, Die Schaufel für den Archäologen ist so etwas wie die Recherche für den Journalisten: Das Werkzeug, um verborgene Geschichten auszugraben. Und das braucht Zeit, viel Zeit. Das wahre Ausmass des Verborgenen offenbart sich nämlich erst ab einer bestimmten Tiefe. Sorgfältig muss jeder Spatenstich gesetzt werden, damit die ganze Geschichte erhalten bleibt. So manche Redaktion kann es sich heute allerdings nicht mehr leisten, Journalisten auf Ausgrabung zu schicken. Nur noch kleine Spatenstiche sind möglich. Mit etwas Glück kommt dabei ein verrosteter Computer des SECO zum Vorschein. Lieber aber werden die alten Knochen aus dem Museum besprochen, wieder und wieder. Und wenn die Schaufel gerade den Kopf einer Leiche zu Tage brächte, sitzt dem Journalisten mit Sicherheit der Chefredaktor im Nacken: «Die Story geht heute in Druck.» Also dann: Schaufel abgeben, zurück ins Büro, Bericht verfassen. Die ersten Recherchetage von Tink.ch haben einen Kontrapunkt gesetzt. Jungjournalistinnen und -journalisten lernten während vier intensiven Tagen in Bern, mit den Werkzeugen ihres Berufes umzugehen. Das vorliegende Magazin ist Resultat von hartnäckiger Recherche und Feldarbeit. Wir haben für euch die Ärmel hochgekrempelt und gegraben. Und gefunden. Michael Scheurer Kaspar Rechsteiner Chefredaktion Tink.ch Deutschschweiz
Danke!
Die Recherchetage 2014 wurden unterstützt durch Junge Journalisten Schweiz, Passepartout Moosseedorf, Migros Genossenschaft Aare
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Inhalt
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2014
11 22 Eindrücklich oder eindrucksvoll? 6 Wer kennt das Gefühl nicht, soeben über einen Helvetismus gestolpert zu sein?
«Me het jedä Tag e Tubel z guät» 8
Das Interview mit der Berner Slam-Poetin Michèle Friedli oder warum Dialekt Kulturgut ist.
11 Sprachzensur
Zwei Autorinnen diskutieren über den Einfluss der Sprache im Alltag und wo die Grenze zur Diskriminierung verläuft.
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Schlecht übersetzt
Warum die Qualität maschineller Übersetzungen trotz Super-Computer immer noch zu wünschen übrig lässt
14 Winterschlaf im Zirkus?
Was macht eigentlich ein Zirkus während der Wintermonate? Ein Fotoessay.
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26 14 8 18
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Kann Journalismus die Welt retten? Roland Jeanneret berichtet aus 40 Jahren Journalismus.
19 Dating-Apps
Dank moderner Technologie wird Flirten immer einfacher. Was sind die Konsequenzen für die Gesellschaft?
22 Befreiungsdienste
Auf der ganzen Welt nehmen sogenannt Besessene die Dienste von Exorzisten in Anspruch, um sich von Dämonen befreien zu lassen.
24 Welcher Hipster bist du? 26 Reto Stalder Mach den Test und finde es heraus!
Der Jungschauspieler ist ein Arbeitsmensch. Zwischen den Drehblöcken denkt er über die ETH als Beschäftigungstherapie nach.
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Büechli
schaffä
schtriiche
Chlapf
Amthuus
Gool
lafere
foppä
holä
umegigle
uslääre
Taminomau
iibräche insuspitau
wöuä
Schaafsekku
ig
gruupe
möögä noimä
velofahre
nzli
Osch tä
Eggä
riglä
Euterä
schleglä
umenang
deutsch ist umstritten. Die Sprachwissen-
aaper
Kopie aus Deutschland? Das Schweizer Hoch-
Jöggu
Schüfeli
emau
Maargge
Acher
malä
Es ist nett gemeint. «Ich versteh ja Schweizerdeutsch!», jubelt meine neue Bekanntschaft aus Hamburg ganz entzückt. Auch ich lächle. Aber ich bin nicht sonderlich entzückt. Was ich gerade von mir gegeben habe, ist nämlich keinesfalls «Schwyzerdütsch», sondern die Reinform meines Standarddeutschs, Hochdeutschs, Schriftdeutschs - wie immer man es nennen will: Die Sprache eben, die in der Deutschschweiz gesprochen wird, wenn Dialekt unangebracht ist. Fast jeder Schweizer, der sich schon mal in den Norden des grossen Kantons gewagt hat, dürfte die Erfahrung gemacht haben, dass dort sein Sonntags-Hochdeutsch für Mundart gehalten wird. Offensichtlich haben Schweizer und Norddeutsche nicht die gleiche Vorstellung davon, wie Hochdeutsch klingt, oder tönt – wie man in der Schweiz auch sagt. Für ihre Ohren ist unsere Satzmelodie ungewöhnlich. Es fällt ihnen auf, dass wir Vokale anders aussprechen und «Finken» statt «Hausschuhe» oder «eindrücklich» statt «eindrucksvoll» sagen. Die Schlussfolgerung, dass wir Schweizer demnach Dialekt sprechen, ist aus Norddeutscher Sicht durchaus nachvollziehbar - muss man fairerweise zugeben. Vom Fegfür zum Fegefeuer Es ist erstaunlich, dass ich die gleiche Standardsprache benutze, wie eine in 683 Kilometern Entfernung und vor allem in einem anderen Land aufgewachsene Hamburgerin. Um dies verstehen zu können, müssen wir rund 700 Jahre zurückspulen. Damals begann sich in der Schweiz eine eigene Schreibsprache herauszubilden. «fegfür», «us» und «fry» haben die Beamten damals geschrieben. Doch die eigene Schreibweise währte nur 200 Jahre. Dann haben die Schweizer die Schreibsprache des übrigen deutschsprachigen Gebiets übernommen und fortan «Fegefeuer», «aus» und «frei» geschrieben. Grund für diese Übernahme war unter anderem
au
gröölä
schaft hat möglicherweise eine Erklärung dafür. Text: Ursina Ghilardi
jassä
Miuch
jammeri Gumfi
oberhaub
in
wagä
zickä
Ein Stück Identität oder eine minderwertige
6
orgelä
umschlaa
einisch
lifere
Leinä
Liebi plagä
Gopf
fu ip G enang
e n e t l a p s e g Die Näggi
Ä
pfu
die weit verbreitete Bibelübersetzung von Luther. Seither schreiben und sprechen wir offiziell – Letzteres zumindest in der Theorie – wie in Deutschland. Alles ausser Hochdeutsch Wobei, «wie in Deutschland» trifft es natürlich nicht ganz. «Deutschland» spricht nicht überall gleich, regionale Farbtupfer in der Sprache finden sich auch hier. Baden-Württemberg hat dies humorvoll aufgenommen. «Wir können alles. Außer Hochdeutsch», lautet der Slogan des südlichen Bundeslandes. Das reinste Hochdeutsch, so eine weitverbreitete Ansicht, wird im Norden des Landes gesprochen. Diese Haltung wird auch in der Schweiz landauf, landab vertreten.
Offensichtlich haben Schweizer und Norddeutsche nicht die gleiche Vorstellung davon, wie Hochdeutsch klingt – oder tönt. Da wir noch südlicher als die Baden-Württemberger leben und unter uns nur noch Italien liegt, müssten wir folglich das schlechteste Hochdeutsch dieser Welt sprechen. Und tatsächlich ist dieser Glaube weit verbreitete unter Schweizern. Die Kompetenz, richtig Hochdeutsch zu sprechen, liege bei den Deutschen, lautet die gängige Meinung. Die drei Formen des Hochdeutschs Diese Einschätzung geht sogar soweit, dass Hochdeutsch von den Deutschschweizern immer wieder als Fremdsprache betitelt wird. Wie diese Bezeichnung offenlegt, erscheint die Sprache vielen fremd, von aussen importiert, von aussen bestimmt. Allerdings, das soll an dieser Stelle nicht vergessen werden, ist Hochdeutsch als Schreib- und Lesesprache weithin akzeptiert, die Ablehnung betrifft hauptsäch-
Eierbächer
döösä
losä
Schoppä
krachä
Rafflä
niä
Gaggelaar inne
B
Chaschte
tüpflet
rundumä
jodlä
Gritibänz
dä ne
ue
hingä
liislig
Müetti
Rappä
niemer
mängisch
Zunge Telifon
Chlättzaeargee
Ängu
uusä
lich die Mündlichkeit. Oder um es in der Sprache der Olympischen Winterspiele auszudrücken: Dialekt holt aus Sicht der Deutschschweizer Gold, das schriftliche Hochdeutsch Silber und das mündliche Hochdeutsch Bronze. Doch bei der Siegerehrung geht ein Raunen durch die Menge und die Preisrichter bekommen rote Köpfe. Als «das mündliche Hochdeutsch» aufgerufen wird, erheben sich drei Parteien: Das deutsche Hochdeutsch (Vertreten durch Angela Merkel), das schweizerische Hochdeutsch (Vertreten durch Simonetta Sommaruga) und das österreichische Hochdeutsch (Vertreten durch Werner Faymann). Wer soll nun die letzte Medaille erhalten? Nicht besser, nur anders Nur zu, geneigte Lesende, führe dir auf Youtube ein paar Ausschnitte aus Reden dieser drei Politikerinnen und Politiker zu Gemüte. Der Unterschied ist unüberhörbar – in der Sprachwissenschaft wird die Situation im deutschen Sprachraum deshalb gerne mit dem Englischen verglichen. Wie beim amerikanischen, britischen oder australischen Englisch gebe es auch beim Deutschen verschiedene nationale Zentren, die zwar alle ein und dieselbe Sprache sprächen, allerdings mit gewissen Unterschieden in der Aussprache, Grammatik, Rechtschreibung und im Gebrauch der Sprache. Die Wissenschaft nennt dies eine «plurizentrische Sprache». «Auch wenn es fünfzehnmal mehr Deutsche als Deutschschweizer gibt, ist das deutschländische Deutsch keineswegs hochwertiger oder besser als das Schweizerhochdeutsche, sondern nur anders», erklärt Linguist Prof. Dr. Hans Bickel von der Universität Basel gegenüber Tink.ch. Die Theaterbühne im Norden Anders als beim Englischen ist die «Plurizentrik» der deutschen Sprache jedoch nicht in den Köpfen der Menschen angekommen. Während es im Englischen eine Frage der persönlichen Vorliebe ist, ob man nun das britische oder amerikanische Englisch bevorzugt, werden die unterschiedlichen Formen des Hochdeutschs klar bewertet: Norden gut, Süden schlecht. Als «Zentrum des besten Hochdeutschs» gilt gemeinhin die norddeutsche Stadt Hannover. Dort wurde einst Plattdeutsch gesprochen. Die Kinder dieser Gegend mussten
die deutsche Standardsprache in der Schule wie eine Fremdsprache lernen – und zwar nach den offiziellen Ausspracheregeln. Der regionale Dialekt verschwand zunehmend, und das Deutsch aus der Schule wurde zur Alltagssprache. So kommt es, dass es in Deutschlands Norden scheinbar wie auf einer Theaterbühne klingt. Denn die Schauspielerinnen und Schauspieler üben ihre Aussprache nach ähnlichen Regeln. Bühnendeutsch und Ressentiment Einer, der dieses «Bühnendeutsch» ebenfalls beherrscht, ist Remo Vitelli, Redaktor bei SRF 2 Kultur. «Beim Schweizer Radio gehört das Bühnendeutsch zur Grundausbildung», erzählt er Tink.ch. Persönlich erhalte er vor allem positive Rückmeldungen. Dass ein zu sau-
«Der Schweizer Touch kann Glaubwürdigkeit verleihen.» Remo Vitelli, SRF 2 Kultur beres Deutsch aber auch auf Ablehnung stossen kann, zeigt das Beispiel von Katja Stauber. Die Tagesschaumoderatorin von SRF wurde immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, «zu deutsch» zu sprechen. Seither verabschiedet sie sich von ihren Zuschauerinnen und Zuschauer mit einem freundlichen «Uf Wiederluege». Die Reklamationen gingen schlagartig zurück. «Der Schweizer Touch kann Glaubwürdigkeit verleihen, wenn zum Beispiel über Schweizer Innenpolitik berichtet wird. Trotzdem spüre ich aus diesen Reaktionen auch ein Ressentiment gegen die Deutschen heraus», meint Vitelli. Wir wissen nicht, was wir wollen Zurück zur Medaillenzeremonie: Wer soll nun die Bronzemedaille erhalten – das Schweizerhochdeutsch von Simonetta Sommaruga oder das perfekte Deutsch von Frau Merkel? Die Schweizer Preisrichter sind hinund hergerissen. «Die Schweizer sehen zwar das Hochdeutsch aus dem Norden als perfekt an, gleichzeitig wollen sie, dass man bei Sprecherinnen und Sprechern am Radio und Fernsehen hört, dass sie aus der Region kommen», beschreibt Hans Bickel im Interview mit Tink den Zwiespalt, in dem sich die Deutschschweizer befinden. Die Diskussion über das richtige Hochdeutsch gebe es allerdings seit dem 19. Jahrhundert. «Es ist durchaus möglich, dass wir noch in 100 Jahren darüber diskutieren werden.»
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«Wir Frauen sind Kämpferinnen!» Eine Kunstform der Sprache zwischen Poesie und Komödie: Slam-Poetry. Vorbereitete Texte werden auf lebendige Art vorgetragen. Jedes Thema ist erlaubt. Viel Kreativität ist gefragt. Und davon bringt Michèle Friedli eine Menge mit: Ihre Texte sind auf Berndeutsch verfasst und bestechen mit treffenden und doch eigentümlichen Beschreibungen. Text: Tatjana Pürro Fotos: Oliver Hochstrasser
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Tink.ch: Deinen ersten Text hast du auf der Frauentoilette geschrieben. Das musst du uns erklären.
Wieso hast du dich dafür entschieden, deine Texte in Berndeutsch zu schreiben?
Michèle Friedli: Das geschah damals kurz vor einer Sitzung mit meinem Chef, mit dem ich mich nicht sonderlich gut verstand. Auch sonst gab es zu diesem Zeitpunkt viel zu verarbeiten in meinem Leben. Ich verschwand vor der Sitzung auf die Toilette und als ich dort sass, mit meinem Notizblock in der Hand, hatte ich plötzlich den Impuls, zu schreiben.
Anfangs habe ich meine Texte auf Hochdeutsch verfasst. Aber für uns Schweizer ist Hochdeutsch eine Fremdsprache. Wir denken und sprechen nicht hochdeutsch. Meine ersten Texte hatten Potential, aber ich musste meinen Schreibstil weiterentwickeln. Dies verdeutlichten mir die mittelmässigen Bewertungen bei Wettbewerben. Zu Beginn habe ich diese Kritik an meiner Kunst persönlich genommen. Ich habe sogar daran gedacht, aufzuhören, weil ich vergessen hatte, dass Poetry-Slam in erster Linie Freude an der Sprache ist.
Geht das so einfach? Der Text war nicht fertig, als ich die Toilette verliess. Es waren einfach Gedanken. Aber ich habe gespürt, dass es mir gut tut, wenn ich mir eine Auszeit nehme und Dinge, die mich beschäftigen, aufschreibe und so sortiere. Deswegen bin ich bis heute beim Schreiben geblieben. Es ist für mich ein Ventil, um mich selbst auszudrücken.
Aber du hast den Bettel nicht hingeschmissen. Warum?
Publikum übertragen. Das positive Feedback bestätigte mich. Viele SchweizerInnen nehmen den Dialekt als Kulturgut wahr und gerade wir Berner sind stolz auf unser «Bärndütsch». Wo siehst du die Vorteile am Schreiben in Mundart? Es gibt viele eigentümliche DialektWörter, die man nur schwer ins Hochdeutsche übersetzten kann. Ich habe mir ein Dialekt-Wörter-
Poetry-Slam ist in erster Linie Freude an der Sprache.
buch gekauft und wenn ich darin ein besonderes Wort entdecke, verwende ich es in einem Text. Ich will das Berndeutsch auch deswegen pflegen, weil man in der Schule nicht Mundart sprechen und schon gar nicht schreiben darf. Unsere Dialekte gehören aber zu unserer Kultur, das darf man nicht vergessen.
Eine Weile lang bin ich nicht mehr aufgetreten, sondern habe an Poetry-Slams nur zugehört. Aber die Bühne hat mir gefehlt. Ich kann nicht genau sagen, woher der Impuls kam, auf Berndeutsch zu schreiben. Aber ich entdeckte, dass es mir viel mehr Freude bereitet. Es wirkt für mich echter, Gibt es auch Nachteile? authentischer - das bin wirklich ich. Mein Spass daran hat sich aufs Ein Nachteil ist sicher, dass ich nicht im Ausland auftreten kann. Ausser ich würde meine Texte übersetzen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das machen möchte. Es wäre nicht mehr meine freche
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Klappe und die Texte würden an Charme einbüssen. Aber im Ausland durchzustarten wäre doch verlockend? Wenn mich die Leute nur hier verstehen, ist das für mich in Ordnung. Ich arbeite 80 Prozent beim Pharmazeutischen Kontrolllabor in Bern. Wir sind an grossen Partys zuständig für die Drogentests. Deswegen fehlt mir die Zeit, im Ausland herumzureisen. Du behauptest von dir, nie etwas vortragen zu können, was du nicht bist. Gerade wirkst du auf mich aber nicht so rau, wie du auf der Bühne auftrittst. Wieso hast du dich dafür entschieden, deine Texte auf diese etwas grobe Art zu präsentieren? Ich schreibe Texte meistens, wenn mich etwas emotional berührt oder wütend macht. Die Bühnenfigur ist nur ein Teil von mir. Eine kleine Rebellin mit grosser Stimme, die zu ihren Schwächen steht. Sie präsentiert eine andere Seite der Weiblichkeit. Ich will zeigen, dass wir Frauen Kämpferinnen sind. Da ist noch viel, wofür es sich einzustehen lohnt. Wir müssen uns nur trauen, hinzustehen und uns Gehör zu verschaffen. Wie läuft bei dir der Schreibprozess ab? Viele glauben, du kannst dich einfach hinsetzten, loskritzeln und dann steht ein fertiger Text am Ende. Das stimmt nicht ganz. Ich habe zum Glück keine Abgabetermine und kann meine Gedanken lange wälzen, mit Ideen spielen und mir eine unterhaltende Geschichte ausdenken. Texte zu schreiben ist für mich, wie das Zusammenfügen von Mosaiksteinen aus Erlebtem, Gedanken und Bildern. Egal wo ich bin, halte ich die Ohren und Augen offen und betrachte die Welt. Der kreative Prozess steht dadurch nie still.
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Die Bernerin Michèle Friedli (33) steht regelmässig als SlamPoetin auf Bühnen der ganzen Schweiz. Unter anderem war die ausgebildete Chemielaborantin zu Besuch bei Giaccobo/Müller. Mit Texten aus ihrer Reihe «Me het jedä Tag e Tubel z guät» feierte sie den dritten Rang an Schweizer Meisterschaften 2012.
Humor oder Hohn? Kommentar von Yara Gut
Sprache ist fähig, die Gesellschaft zu beeinflussen, und muss somit kontrolliert werden, damit sie nicht menschenverachtend missbraucht wird. Begriffe, deren Geschichte eng verknüpft ist mit Diskriminierung und Hass, sind bis heute fähig, die Würde betroffener Menschen herabzusetzen, und wurden daher zu Recht verboten. Neben diesen strafrechtlich relevanten Aussagen treten zudem scheinbar harmlose Floskeln, deren Gefahr oft verkannt wird. Aber wenn früh ins Bett gehen «voll schwul» ist und Meinungen als «einfach behindert» abgetan werden, wird eine gefährliche Verknüpfung zwischen Anders-Sein und Schlecht-Sein vermittelt. Und das ist nicht nur unzeitgemäss, sondern hochgradig diskriminierend. Insbesondere ist bei der Gratwanderung zwischen Humor und Hohn erhöhte Vorsicht geboten. Denn wer mit Diskriminierung allzu locker umgeht, kommt einer Verharmlosung bedrohlich nahe. Und lustig ist es höchstens für diejenigen, die nicht betroffen sind. All diesen Äusserungen ist gemein, dass sie bestimmte Menschen abwerten – dabei ist nebensächlich, ob dies bewusst geschieht oder nicht. Und deshalb muss der Herabsetzung durch Sprache mit Aufklärung und Prävention entgegengewirkt werden.
Problemfall Neger?! Kommentar von Stefanie Wunderlin
Die Anklagen gegen verschiedene Satirikerinnen und Satiriker haben eine neue Debatte über die freie Meinungsäusserung losgetreten. Dabei wird die Rolle der Satire missverstanden, denn die Bühne ist nicht gleich Politparkett. Der Komiker oder die Komikerin darf scharfe Worte wählen, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Die Einstellung des Satirikers gegenüber Völkergruppen ist daher nicht an seiner Wortwahl zu messen. Denn sein Werkzeug sind gerade die plakativen, stereotypen Darstellungen. Die vermeintlich diskriminierenden Aussagen schockieren deshalb so stark, weil sie bisher lieber tabuisiert statt diskutiert wurden. Darf Marco Rima nun nicht mehr «Neger» sagen, wird eine Thematisierung unterbunden. Das Wort mag durch ein Verbot zwar verschwinden, die Vorurteile jedoch werden bleiben. Maulkörbe sind der falsche Weg, um gegen Fremdenfeindlichkeit vorzugehen. Ein Verbot bedeutet letztlich nichts anderes als eine Symptombehandlung zugunsten einer heuchlerischen, politisch korrekten Sprache.
Illustrationen: Katharina Good
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Fehlerhafte Übersetzung trotz Supercomputer Hochkomplexe Algorithmen und leistungsstarke Superrechner sorgen dafür, dass beliebige Sprachen in andere übersetzt werden können. Alleine Google Translate beherrscht 73 verschiedene Sprachen. Dennoch kommt die Technik heute nicht an die gewünschte Qualität heran. Text: Benjamin Schlegel
«Nimmer diesen Monitor legen, wo der Schnur von Personen darauf spazierengehen grausam behandelt wird.» Das erhält, wer einem Übersetzungsprogramm blindlings vertraut. Wertlose Technik, könnte man meinen. Dennoch werden Übersetzungsprogramme heute milliardenfach genutzt und sind aus dem Alltag kaum mehr wegzudenken. Wie aber ist die maschinelle Übersetzung überhaupt entstanden und was bringt die Zukunft? Der Grundstein für die maschinelle Übersetzung legten die Briten während dem Zweiten Weltkrieg. Alan Turing gelang es mit seinem Team, den Code der Deutschen mittels statistischer Methoden zu knacken, eine mathematische Sensation. Turing berechnete die Wahrscheinlichkeit von Wortkombinationen, um die wahrscheinlichste zu bestimmen. Diese Art der Entschlüsselung von deutschen Geheimnachrichten trug massgeblich zum Ende des Kriegs bei. Manche Autoren meinen, dass der Krieg dank Turing rund zwei Jahre früher endete. Nach diesem Erfolg schrieb der US-amerikanische Mathematiker Warren Weaver in einem Brief: «Ein in Chinesisch geschriebenes Buch ist einfach ein auf Englisch geschriebenes Buch, welches in den Chinesischen Code codiert wurde.»
Mit dem Ausbruch des Kalten Krieges investierte der Westen Unsummen in die Entwicklung von Übersetzungssystemen vom Russischen ins Englische. Da man die statistischen Methoden der Entschlüsselung von Code aus Komplexitätsgründen mittlerweile als ungeeignet erachtete, verfolgten die Wissenschaftler den regelbasierten Ansatz. Dieser wurde bereits im 17. Jahrhundert theoretisch beschrieben und umfasst riesige Wörterbücher und Regeln, um einen Text aus einer Sprache in eine andere zu übersetzten. In den 60er-Jahren stoppte ein Report, der von der US-Regierung, der CIA und der National Science Foundation in Auftrag gegeben wurde, den Entwicklungsboom. Der Bericht sah die maschinelle Übersetzung als zu teuer, unnütz und langfristig chancenlos an. Nur noch wenige praxisorientierte Forschungsgruppen versuchten, die maschinelle Übersetzung voranzutreiben. Ihr Ende schien besiegelt.
Fernsehuntertitel werden automatisch übersetzt Mit leistungsstärkeren Computern und zweisprachigen Textsammlungen kam in den 80er-Jahren der statistische Ansatz zur Übersetzung natürlicher Sprachen erneut auf, der im zweiten Weltkrieg von Turing entwickelt wurde. Mittlerweile war es möglich, maschinelle Übersetzungs-Tools mit wenigen Tagen Maschineller Übersetzungsboom Rechenzeit zu bauen - eine Revolution im Vergleich Die Erfolgswelle der maschinellen Übersetzung er- zu den Jahren Arbeit für vergleichbare regelbasierhielt nur wenige Jahre später zusätzliche Energie. te Systeme. Für die neuen Übersetzungssysteme wer-
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den heute noch zweisprachige Textsammlungen mit mindestens 10 Millionen Wörtern benötigt. Je mehr Wörter eine Textsammlung hat und je verwandter die beiden Sprachen sind, desto präziser wird die Übersetzung. Zudem spielt es eine Rolle, was für eine Art Textsammlung dem System zugrunde liegt. So ist es nicht erstaunlich, dass ein mit Gesetzesartikeln aufgebautes Übersetzungssystem juristische Texte besser übersetzt als Liebesgedichte. In der Zwischenzeit hat die maschinelle Übersetzung weitere Fortschritte erzielt. In Dänemark etwa werden Fernsehuntertitel aus dem Schwedischen automatisch ins Dänische übersetzt und erst in einem zweiten Schritt von Übersetzern kontrolliert. Damit wird etwa 30 Prozent Zeit eingespart. Google Translate kann mittlerweile über 70 Sprachen mehr oder weniger genau übersetzen. Viele zweisprachige Textsammlungen stehen heute frei zur Verfügung im Internet. Einige davon werden von der Europäischen Union unterhalten, die quasi beiläufig Unmengen an Texten und Gesetzesartikel in alle Sprachen der Union übersetzt hat.
schritt wird voraussichtlich bei der Interaktion zwischen gesprochener und geschriebener Sprache erfolgen.» Prognosen bis zum Jahre 2050 seien zurzeit reine Spekulation. Volk geht jedoch davon aus, dass mehrsprachige Systeme dank mobilen Endgeräten überall verfügbar sein werden. Zudem sollen bis dahin die 100 meistgesprochenen Sprachen maschinell übersetzt werden können. Volk meint aber: «Gleichzeitig wird es jedoch weniger Sprachen auf der Erde geben. Mit dem Fortschritt der maschinellen Übersetzung wird die Motivation zum Lernen von Sprachen zusätzlich abnehmen.» Die meisten Menschen werden nur noch Englisch lernen. Laut Volk wird es in den nächsten Jahrzehnten sicher nicht möglich sein, beispielsweise poetische Literatur maschinell zu übersetzen. Hingegen bestünde die Möglichkeit, dass Maschinen technische Texte übersetzen, bei denen eine linguistisch perfekte Übersetzung nicht nötig ist.
Sprachen verschwinden Laut Martin Volk, Professor für Computerlinguistik an der Universität Zürich, wird es in den nächsten zehn Jahren nur kleine Verbesserungen bei der maschinellen Übersetzung geben. «Der grösste Fort-
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Paolo Finardi arbeitet mit Hengst Zeino an der neuen Nummer.
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Franziska Nock führt zusammen mit ihren beiden Schwestern Alexandra und Verena junior den ältesten Zirkus der Schweiz.
Winterschlaf im Zirkus ? Noch ist es ruhig im beschaulichen Oeschgen (AG). Doch hinter den unscheinbaren Kulissen der Circusstrasse 22 herrscht emsiges Treiben. In wenigen Wochen geht der Circus Nock zum 154. Mal auf Tournee. Letzte Trainings werden absolviert und Verhandlungen mit Spielorten geführt. Das Programm erhält den Feinschliff. Rund 80 Mitarbeitende stehen bald wieder Tag und Nacht für den Circus Nock im Einsatz. Text / Bilder: Daniel Barnbeck
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Francesco Nock trainiert zusammen mit Freundin Simona für die kommende Tournee.
Brian, einer der jüngsten Sprösslinge der Zirkusfamilie, demonstriert sein Können auf dem Trampolin.
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Kann Journalismus die Welt bewegen? Wenn jemand 40 Jahre lang im Journalismus tätig ist, drängt sich die Frage auf: Was hast du bewirkt? Hat das permanente Bemühen um gute Berichterstattung etwas zum besseren Verstehen unserer Welt beigetragen? Gastbeitrag: Roland Jeanneret
Ich hatte das Privileg, einen Teil meiner Arbeit der Glückskette zu widmen, jenem Sammelsystem der Schweizer Medien, das aktiv wird, wenn grosse Katastrophen Menschen heimsuchen. Ich habe meinen Einsatz für humanitäre Hilfe oft als die vierte Dimension des Journalismus’ verstanden: Nach Bericht, Einordnung und Kommentar lassen wir die die Medienkonsumenten oft ohnmächtig vor dem Bildschirm allein. Ab und zu allerdings kann solche Hilflosigkeit in Solidarität umgewandelt werden. Und dies ist vielleicht die edelste Dimension, in der Medienschaffende einen Beitrag leisten können. Die Wirkung der humanitären Hilfe könnte man zwar rein an Zahlen messen: Zwischen 1983 und 2003 hat die Glückskette Spendengelder in der Höhe von 1,2 Milliarden (!) Franken gesammelt. Nach dem Tsunami wurden über 21’000 Häuser wieder aufgebaut und 70’300 traumatisierte Kinder psychologisch betreut und wieder in einen normalen Alltag begleitet. Statistiken reichen mir nicht als Gradmesser. Mich interessiert die Nachhaltigkeit: Gelang es, aus der Katastrophe für die Betroffenen neue Chancen zu schaffen? Ja! Schulen für einen höheren Bildungsstand. Und somit auch Hilfe zur Selbsthilfe. Überleben für Bauernfamilien dank Kleinkrediten und Kleinbetriebe für mehr Selbständigkeit. Diese Bilanz zählt für mich und gibt mir die Genugtuung: Journalismus kann – wenn auch in kleinen Schritten – echt Lebenssituationen verbessern. Roland Jeanneret war Journalist beim Radio und Fernsehen, Dozent an der Schweizer Journalistenschule MAZ, während über 20 Jahren Leiter Kommunikation bei der Glückskette und arbeitet heute als Autor mehrer Bücher, Medientrainer und Moderator.
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«Knall» deine Freunde Manche suchen die große Liebe. Andere einen kurzen Flirt oder ein Abenteuer. Doch wie findet sich der passende Partner? Im 21. Jahrhundert ist die einfache Lösung in sämtlichen App-Stores nur einen Klick entfernt: Dating-Apps. Text: Tamara Keller / Illustration: Manuela Paganini
Steigende Nutzerzahlen belegen die zunehmende Beliebtheit von Dating-Apps. Alleine in Deutschland, Österreich und der Schweiz werden pro Monat rund eine Million Dating-Apps heruntergeladen. Auf den Profilen sind nur wenige persönliche Angaben vorhanden und ein vorteilhaftes Profilfoto steht im Mittelpunkt. Zudem scheint das Hauptziel nur das Eine zu sein. Wird die Gesellschaft immer oberflächlicher in Sachen Beziehungen? Der neueste Renner Eine neue App dieser Art ermöglicht es beispielsweise, mit den eigenen Facebook-Freunden in der Kiste zu landen. Diese App nennt sich «Down». Zuvor kursierte sie unter dem Namen «Bang With Friends», aber aus Jugendschutzgründen wurde sie aus dem sittsamen App-Store verwiesen. Das Vorgehen ist simpel: Man wählt den Freund oder die Freundin aus der Facebook-Kontaktliste aus. Der oder die Auserwählte erfährt jedoch nur von den Präferenzen des Anderen, wenn das Interesse auf Gegenseitigkeit beruht. Durch eine Benachrichtigung wird eine Verbindung hergestellt und der Rest liegt in der Hand der Beteiligten selbst. Alles hat seinen Anfang Die Ursprungsidee für solche Applikationen stammt aus der Gay-Szene. Dort verzeichnete die Dating-App «Grindr» erste Erfolge, größtenteils durch Mundpropaganda, wie eine Mobile-Dating-Marktstudie von Metaflake aus dem Jahr 2013 zeigt. Seit März 2009 ist sie im Apple-Store erhältlich und mit über vier Millionen Nutzern in 192 Ländern die weltweit erfolgreichste Applikation aus dieser Sparte. Einige Beziehungen sind diesem System zwar entsprungen. Aber wie eine Umfrage bei Nutzern des Studenten Tim Hunziker zeigt, soll vor allem zu spontanen Sex-Treffs verholfen werden: «Sollte sich auf Grindr jemand nach einer Beziehung, Liebe, nach etwas Ernsthaftem umsehen, hat er eine schlechte Erfolgsquote», lautete die Antwort einer befragten Person in Hunzikers Interview. Der Vermittler Im Gegensatz dazu steht die Aussage von Ivo*, der vor einiger Zeit von «Grindr» Gebrauch machte und eine
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Stimme für viele andere sein dürfte: «Viele User sind primitiv. Das war mir unangenehm und hat mich gestört.» Er habe diese App hauptsächlich genutzt, um gezielt Homosexuelle kennenzulernen und längerfristige Kontakte zu knüpfen. «Ich sah Grindr als eine Art Vermittler und nicht als Mittel für eine schnelle Nummer.» Dreimal habe sich daraus gar eine feste Beziehung ergeben. Apps vs. Online-Dating Die großen Vorteile der Apps gegenüber Online-Plattformen bestehen unter anderem aus der Standortbestimmung von Dating-Partnern im näheren Umkreis. Laut einer Mobile-Dating-Marktstudie von metaflake gibt es zwei große Unterschiede zwischen dem Online- und dem Mobile-Dating: Die Webseiten werden vor allem genutzt um den «perfekten Partner für das Leben zu finden» während die App beim Flirten, Verabreden oder dem berüchtigte Casual-Date helfen soll. Zudem verändern laut Studie diese Just-in-time-Möglichkeiten das Dating-Verhalten der Gesellschaft: Man geht viel spontaner an die ganze Sache ran und es entstehen neue zwischenmenschliche Verhaltensweisen.
lich hilft uns Facebook zwar über das Netz Kontakte zu pflegen, aber unsere sozialen Beziehungen pflegen wir auch weiterhin in der Realität. Neue Wege Und die Gefahr, dass unsere Gesellschaft zukünftig dank Dating-Apps zur Oberflächlichkeit tendiert? Auch das verneint Vanessa Kleinschnittger: «Qualitativ verändert hat sich beim Online-Dating primär der Weg zur Beziehung, nicht aber die Beziehung selbst.» Doch manche Wege widersprechen den Verhaltensregeln der Gesellschaft. Schließlich gibt es nur wenige, die es wagen, in der Öffentlichkeit jemanden auf einen One-Night-Stand einzuladen: Es entspricht einfach einem Tabu. Dies scheinen auch die Nutzer zu wissen. Enttarnte «Down-User» von dem Bewertungsportal für Dating-Apps zu-zweit.de rechtfertigten sich mit der dürftigen Ausrede: «Ich dachte Bang your friends heißt: Knall deinen Freunden eine.» - Logisch, wer möchte den heutzutage nicht seine Freunde durch eine App schlagen?
Tippen statt sprechen *Name geändert Tatsächlich erleichtern die Apps einiges in der Offline-Welt. Die Überwindung, den ersten Schritt zu wagen, scheint über das Smartphone einfacher von der Hand zu gehen. Aber wieso fällt es so schwer, jemanden, der einem zufällig über den Weg läuft und gefällt, einfach direkt auf der Straße anzusprechen? Vanessa Kleinschnittger, wissenschaftliche Assistentin am Seminar für Medienwissenschaft der Uni Basel, erklärt dieses Phänomen: «Auf einer Dating-Plattform oder -App sind wichtige Fragen, die wir uns in solchen Momenten über unser Gegenüber stellen, schon im vorneherein geklärt.» Laut ihr ist man bei diesen Diensten nur aktiv, wenn man wirklich auf der Suche ist. Hinzu kommt die schriftliche Kommunikation als vereinfachender Faktor. Die zusätzliche Zeit, um seine Äußerungen abzuwägen, sei ein Vorteil gegenüber der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht. Doch wirkt für uns die schriftliche Variante im Chat oft stumpf und leer. Schließlich gehen sämtliche unmittelbare Reaktionen wie Mimik und Gestik des Gegenübers verloren. «Es handelt sich um eine andere Art von Kommunikation und somit auch um eine andere Art des Flirtens.», erklärt Vanessa Kleinschnittger. Die mögliche zukünftige Entwicklung, dass wir bald nur noch über das Handy via App flirten, schließt sie aus. Schließß-
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Ehrliche Tipps Buch Dennis Lehane «A Drink Before The War» (dt. Streng vertraulich), Harcourt, 1994 Als Taschenbuch sieht es so müllig aus wie Flughafen-Erotica, aber «A Drink Before the War» paart geschickt Soziopathie mit Humor, ist schmerzhaft authentisch und spannend wie zehn Klimmzüge. Und wem’s gefällt, der darf sich auf fünf weitere Bände voll menschlicher Abgründe und crime noir freuen. Film In Bruges (dt. Brügge sehen... und sterben?), Focus Features, 2008 «Shithole» als Name für das pittoreske Städtchen Brügge gehört in «In Bruges» zu den eher zärtlich-liebevollen Bezeichnungen. Hier lernt man Fluchen auf höchstem Niveau: Ralph Fiennes ist Meister kreativer Beleidigungen und bringt sogar den Aggro-Rapper Sido zum Erröten. Dieser Film verdient sein eigenes Trinkspiel: A curse, a shot!
Song «You’re the Best» von Joe Esposito, 1984 Hier kommt das wahre Red Bull für die Seele! Dieses Lied vermittelt das Gefühl, dass man Bäume nicht bloss ausreissen, sondern sie dann auch gleich eigenhändig zu prunkvollen Barockmöbeln verarbeiten kann. Und wenn’s grad keine Bäume hat, dann bleibt immer noch die Möglichkeit einer Tom Cruise-Imitation samt Hemd und Socken.
Yara Gut ist 23 Jahre alt und studiert an der Universität Basel die (denkbar brotlose) Fächerkombination Geschichte und Rechtswissenschaften. In ihrer Freizeit sammelt sie Redewendungen und vertuscht Bildungslücken mit South Park-Zitaten. Illustration: Manuela Paganini
Lämpe Text: Stefanie Wunderlin
Dätsch. Es hat gerumst. Der eine heepät dem andern zu, er sei ein Tubel, ein Schafseckel, ein dummer Siech. Der andere täubelet zurück, Gopfertori! Der Cheib soll nicht so wäffelen, er habe ämel nicht dem gschnigletten Ürbsi nachgeschaut. Einen sautüüren Chlapf unter dem Füdli und dann wie ein Halbschuh durch die Gegend blochen. Heb de Latz, du Löli! Einem söttigen Totsch sei er noch selten begegnet. Halooderi! Dumme Chog! Fertige Lappi!
Der Plagöri solle aufs Maul hocken, es reiche! Zuerst dieser Gumslä nachgaffen und dann gääggen wie verrückt, wenn er den Göppel schrotte. Er könne so viel lafären wie er wolle, er liesse sich nicht verseklen von so einem Gaggalööri. Sterneföifi, jetzt jage es ihm dann den Nuggi raus. Ja, blas mir id Schueh! Chum, fahr ab!
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Der Satan in dir Du gehst nicht zur Kirche? Siehst du maskenhafte Fratzen? Noch schlimmer: Du hast eine Abneigung gegenüber Gebeten und heiligen Gegenstände? Dann bist du besessen und gehörst in die Therapie eines Exorzisten. Text: Jürg Kissling / Bilder: Daniel Barnbeck
Die Stola um den Hals, das Kruzifix, ein Stück vom Kreuze Jesu, ein Medizinfläschen Weihwasser und das Buch der Exorzisten, mehr bracht es nicht.
170 Stellenprozente aufgewendet, um dem Bösen den Kampf anzusagen. Auch im Bistum Chur sind Priester im Befreiungsdienst tätig. Auf Anfrage von Tink.ch stehen dem Bistum Chur mehr als fünf Geistliche zur Verfügung, die den Betroffenen helfen sollen, die teuflischen Geister loszuwerden. Exorzismus, ein religiöses Ritu- Neben den katholischen Diensten al, um Dämonen auszutreiben, ist gibt es weitere Anbieter wie etwa kein Überbleibsel des Mittelalters die Heilsarmee. sondern wird gegenwärtig auch in der Schweiz ausgeübt. Vollzogen International vernetzt werden die Rituale von Exorzisten. Der ranghöchste Exorzist findet Sie verstehen sich als Austreiber sich im Vatikan. Pater Gabriele dämonischer Geister. Ihre Dienste Amorth ist offizieller Chef-Exordürfen katholische Exorzisten nur zist und Gründer der internatiomit Erlaubnis eines katholischen nalen Vereinigung katholischer Exorzisten. Diese Vereinigung Ortsbischofs ausführen. zählt heute mehrere Hundert MitDie Schweiz als Exorzisglieder und hat die weltweite Stärmus-Hochburg? kung des Exorzismus zum Ziel. Amorth erlangte mehrere uniAnbieter sogenannter Befreiungsdienste gibt es viele in der Schweiz. versitäre Abschlüsse, bevor er sich Alleine im Bistum Lausanne, Genf hauptberuflich dem Exorzismus und Freiburg werden insgesamt verschrieb.
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Wie das Portal der katholischen Kirche kath.net berichtet, bezeichnet Amorth «es als grössten Erfolg Satans, den Menschen glauben zu machen, dass er nicht existiere.» Ein konstruierter Teufel also, der sich selbst in den Schwanz beisst. Zahlen aus Deutschland scheinen der von Amorths gegründeten Vereinigung Recht zu geben. Wie Die Welt berichtet, werden in Deutschland beinahe täglich Exorzismen vollzogen. Die meisten davon aber inoffiziell und ohne Zustimmung der Kirche. Oft wird der Anstieg an «Behandlungen» mit der Zunahme von Menschen aus fremden Kulturen erklärt. Mehr Frauen Für die Schweiz sind keine Zahlen bekannt. Der Theologe und Philosoph Christoph Casetti, bestätigt gegenüber Tink.ch, «dass Menschen aus anderen Kulturen schneller an den Einfluss böser Mächte denken. Aber auch
Widerspricht vielen Klischees: Der Exorzist des Bistums Chur, Monsignor Casetti.
in unserer kulturellen Tradition gibt es magische Praktiken, Verwünschungen und Verfluchungen». Was für Menschen aber suchen einen Exorzisten auf? Die Gründe dafür seien vielfältig, meint Casetti. Ein unmoralischer Lebenswandel oder Kontakt zu spiritistischen Kreisen seien genauso Gründe wie Verwünschungen oder Verfluchungen. Aber auch dramatische Erlebnisse aus der Kindheit sollen eine Prädisposition für dämonische Einwirkungen zur Folge haben können. Auf Anfrage dementiert der Churer Domherr, dass es sich um eine bestimmte Bevölkerungsgruppe handle. Allerdings nähmen mehr Frauen als Männer seine Dienste in Anspruch. Die besessenen Personen erwartet nach einer medizinischen Abklärung ein Ritual aus Psalmen, Bibeltexten und Gebeten. Dazu kommen Befehle an die bösen Geister, im Namen Jesu die
bedrängte Person zu verlassen. Denn die Dämonen hätten Besitz des Körpers der betroffenen Person ergriffen, so die Vorstellung. Dunkle Mächte würden für die Besessenen sprechen, denken und handeln. Gerade die starke Ablehnung gegenüber heiligen Gegenständen und Gebeten ist für Casetti denn auch ein typisches Symptom für Besessenheit. Medizinisch umstritten Aus medizinischer Sicht erhalten die Anbieter von Befreiungsdiensten keine Unterstützung. «Das Phänomen der Besessenheit kommt am häufigsten bei Patienten mit schizophrenen Störungen vor», weiss Psychiater Wolfgang Fleischhacker von der universitären Klinik für biologische Psychiatrie Innsbruck. Einig sind sich Psychiater und Exorzisten nur darin, dass Menschen mit psychischen Störungen geholfen werden muss. Die Mei-
nungen über die Therapieform von Betroffenen klaffen jedoch weit auseinander. Umstritten ist deshalb auch die zwingende medizinische Voruntersuchung. Casetti hat dafür eine einfache Formel: «Wirken Gebete, liegt eine dämonische Einwirkung vor. Wirken Medikamente, liegt eine psychiatrische Erkrankung vor.» Der 70-jährige Casetti scheint nicht müde, seine Tätigkeit mit vollem Engagement weiterzuführen und erklärt: «Wer von der Voraussetzung ausgeht, dass es weder den Teufel noch Dämonen gibt, der muss versuchen, alle aussergewöhnlichen, paranormalen Phänomene naturwissenschaftlich zu erklären. Manchmal sind Gebete aber wirksamer und geistliche Erklärungen plausibler als eine medizinische Behandlung.» Das ist für Casetti Grund genug, sich auch über das Pensionsalter hinaus der umstrittenen Austreibung von Dämonen zu widmen.
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NEIN
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JA, weil Soziologie toll ist.
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NEIN, warum auch?
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Rauchst du?
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Weisst du was ein Hugo/ Lillet ist?
Ich habe einen alten Knochen.
JA, ich will irgendwas mit Medien machen.
Studierst du? Und wenn ja, warum?
NEIN JA
NEIN Aber ein anderes Smartphone.
Hast du ein iPhone?
Liest du ein MODEBLOG?
Brauchst du sie wirklich?
JA
Besitzt du eine Hornbrille?
Bist du Vegetarier?
NEIN
Benutzt du
NEIN Instagram?
Text: Jeannine Bosshard Illustration: Katharina Good
NEIN
JA
NEIN
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F채hrst du ein Rennvelo?
Strickst oder h채kelst du?
Welcher Hipster bist du?
NEIN
Hast du einen fjällräven Rucksack?
Mit BioSoja-Milch
Du bist ein Öko-Hipster. Dir liegt unser Planet am Herzen. Oder vielleicht doch nur dein Image? Es ist dir wichtig, dass du gesund lebst und versuchst, die Umwelt zu schützen. Darum lebst du auch vegan und kaufst bloss Bio, findest, dass Soja eh besser schmeckt als Fleisch und wer nicht so lebt wie du, ein schlechter Mensch ist. Du lässt keine Gelegenheit aus, das all deinen Freunden zu sagen - besonders den Mode-Hipstern, diesen Mördern, die es wagen, Pelz zu tragen. Dass deine eigenen Schuhe aus Leder sind, spielt dabei keine Rolle. Du liebst es, bewundert und als Vorbild angesehen zu werden. Das schönste Kompliment, dass man dir machen kann ist: «Wow, Vegan? Das könnte ich nie.» Insgeheim würdest du aber gerne mal wieder einen Burger oder ein normales Joghurteis essen. Vielleicht tust du es auch, vielleicht sogar in diesem Augenblick. Kein Grund sich schlecht zu fühlen, vermutet haben wir es schon lange.
Öko-Hipster
JA
Lebst du vegan?
Lüg nicht!
NEIN
NEIN
JA
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Du hast zwar von jedem der anderen Typen ein paar Eigenschaften, genau einordnen kann man dich aber nicht. Du bist dir nicht sicher, ob du den Planeten retten sollst, oder dir lieber eine Schreibmaschine zulegen willst. Das mit der Kleidung kriegst du ganz gut hin. Vielleicht kannst du ja sogar stricken oder so (sehr beliebt bei Mode-Hipstern). Du willst dazu gehören. Das ist verständlich. Vielleicht machst du dieses Hipster-Ding einfach noch zu wenige lange? Wenn du fleissig weiter übst und dich für eine Richtung entscheiden kannst, dann wirst du eines Tages ein grossartiger Hipster sein.
Undefinierbarer Hipster
Gehst du in Second Hand Läden einkaufen?
* Hinweis: Dies ist ein sarkastisches Format. Wir haben uns für diesen Test an Klischees und Vorurteilen orientiert, wir wollen damit niemanden verletzen.
Du bist ein Journi-Hipster, wie er im Buche steht. Zigaretten und literweise schwarzer Kaffe, mehr brauchst du nicht zum Überleben. Du träumst von einer alten Schreibmaschine und der ganz grossen Story. Besonders dann, wenn du wieder einmal für das Lokalblättchen an ein Jahreskonzert der Blasmusik antanzen musst und dich danach fragst, wie man aus so wenig einen Artikel schreiben soll. Nur ein Kommafehler bringt dich ganz durcheinander und dein Chefredaktor muss dich trösten, weil du ja professionell wirken wolltest und deinen Artikel doch von allen gelesen wird (glaub mir, den Fehler wird niemand bemerken). Deine grösste Angst ist es, bei dem Lokalblättchen auf ewig arbeiten zu müssen. Nur Mut mein Freund, deine Zeit wird kommen.
Journi-Hipster
Bitte was?
Die orangen.
LIEST DU RECLAM BÜCHER? Ja, die gelben.
Schwarz natürlich.
Du bist ein Mode-Hipster. Bei dir dreht sich alles um das Äussere. H&M boykottierst du schon lange. Dein grösster Albtraum ist es, dass jemand das Gleiche tragen könnte wie du. In der Brocki kennen dich inzwischen alle beim Vornamen. Du willst anders aussehen als der Rest der Welt. Bloss gibt es inzwischen so furchtbar viele deiner Sorte. Darüber ärgerst du dich selbstverständlich ausgiebig. Die vielen Modeblogs liesst du bloss zur Inspiration. An die Fashion-Weeks gehst du nicht, mein Gott, wie Mainstream. Du tummelst dich lieber zwei Strassen weiter herum und hoffst darauf, dass irgendein Streetstyle-Fotograf auf dich aufmerksam wird. Dein Leben hätte ansonsten keinen Sinn mehr. Wozu zieht man sich denn sonst an, wenn niemand im Internet es sieht. Deshalb postest du vorsichtshalber noch gleich 100 Bilder auf Instagram, bloss zur Sicherheit.
Mode-Hipster
JA
Trägst du manchmal violette Socken?
JA
Ich trinke nur organisch angebauten grünen Tee.
Wie trinkst du deinen Kaffe?
Löwenzahn, nicht Geranien In der erfolgreichen Schweizer Krimiserie «Der Bestatter» spielt Reto Stalder (27) den Praktikanten und «Grufti» Fabio Testi. Tink.ch hat den Berner Jungschauspieler getroffen und mit ihm über den einzigen Eishockey-Match seines Lebens gesprochen. Und darüber, was Kitsch ist und was nicht. Text: Yara Gut / Bild: Katharina Good
«Meine Eltern hatten nie viel mit Theater zu tun», sagt Reto Stalder und erinnert sich an den Moment, als er zuhause erklären musste, dass aus dem Studium an der ETH nichts werde. Wir sitzen in einem kleinen Café in Bern und die Visitenkarte, die ich dem 27-jährigen Berner gegeben habe, dreht sich in seinen Händen. Nach der abgeschlossenen Lehre zum Konstrukteur und der nachgeholten Matura schien der
«Wir hatten früher keinen Fernseher und ich habe jetzt auch keinen.» ETH nichts mehr im Weg zu stehen. «Sie konnten das am Anfang nicht ganz verstehen», fährt er fort. Aber zwischen Lehrabschluss und vermeintlichem Studienbeginn hatte Reto in Produktionen des Berner Schlachthaus Theaters mitgewirkt. Und es sich anders überlegt. Als die Eltern dann in die Skiferien fuhren, meldete er sich klammheimlich für die Aufnahmeprüfungen der Hochschule für Künste in Bern an. Keine grossen Feste Obwohl seine Ausbildung zum Schauspieler vergleichsweise spät anfing, hat sich Reto bereits im frühen Kindesalter für das Künstlerische, das Spielerische interessiert. Er erzählt von dem einen Mal, als er seinen Vater an ein Eishockey-Spiel begleitete: «Es war schrecklich. Zum Glück gab’s Guggenmusik!» Auch während der Lehre habe er Theater lieber gemocht, als die Dinge, die seine Kollegen damals beschäftigten («Sport, Frauen, Autos und so»). Inzwischen seien die Eltern aber sehr stolz. Das können sie auch wirklich sein: Zwei Stunden bevor ich Reto treffe, wird offiziell die Produktion einer dritten Staffel von «Der Bestatter» angekündigt. Für den Abend sind dennoch keine grossen Feste geplant, schliesslich lebt der Rest des Teams in Zürich und er sei «halt hier in Bern.» Rückzug statt Wegzug Ein Umzug nach Zürich würde sich nicht nur allein wegen den Partys lohnen: Während den Dreharbeiten muss Reto morgens auf den ersten Zug und kommt am Abend erst spät nach Hause. Dennoch ist es für ihn derzeit keine Option, von Bern wegzuziehen. Irgendwie komme er immer gerne wieder zurück. Und bis im Sommer gibt es für «Der Bestatter» sowie-
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so wenig zu tun; meistens kommen die Drehbücher knapp zwei Wochen vor Drehbeginn. Bis dahin hat Reto mehrere kleine Projekte geplant. Aber eigentlich kann er nie so recht wissen, was als nächstes kommt. Manchmal würde sich ganz spontan etwas ergeben. Und dann ist von heute auf morgen wieder etwas los. Das mag spannend sein, hat aber einen grossen Nachteil: «Ferien lange im Voraus buchen, liegt nicht drin.» Auch die Wahl des Ferienziels ist vorläufig begrenzt. Denn Reto muss für seine Rolle als «Grufti» Fabio Testi seinen hellen Teint behalten. Autogramme auf Unterarme Und wie vertreibt sich ein Jungschauspieler sonst die Drehpausen? Reto verdeckt mit der Hand die Augen, als er gesteht, dass er vor allem punkto Filme noch ein bisschen nachzuholen habe. «Wir hatten früher keinen Fernseher und ich habe jetzt auch keinen», sagt mir der Schauspieler, den ich gestern auf SRF1 gesehen habe. Hier offenbart sich etwas, was nur noch selten zu sehen ist: Reto Stalder spielt Fabio Testi in erster Linie, weil es ihm Spass macht. Und nicht etwa darum, weil er im Fernsehen sein will. Der Begriff «Shootingstar» ist ihm speziell zuwider: «Ich weiss gar nicht, was ich mit so einer Bezeichnung anfangen soll. Da komme ich in eine Schublade rein, da wird mir
Er lacht und meint, dass das immer ein bisschen missverstanden werde. einfach etwas übergestülpt.» Generell scheint ihm das erhöhte Interesse an seiner Person eher unangenehm zu sein. Die Visitenkarte wirbelt inzwischen wild in seinen Händen, als er mir erzählt, dass er an den Solothurner Filmtagen Autogramme auf Unterarme schreiben musste. Die Vorstellung, dass ihn jemand irgendwie irgendwo auf der Strasse erkennen könnte, fällt mir in diesem Moment schwer. Denn ganz im Gegensatz zum düster gekleideten Fabio Testi lacht und lächelt Reto. Und zwar viel. Klischees und Kitsch Das Treffen mit Reto ist eine Überraschung. Nicht nur die Presse, sondern auch er selbst hat sich zuvor als zurückhaltend und scheu beschrieben. Davon merkt man wenig bis nichts: Er erzählt viel und gerne und
Im Gegensatz zu seiner Rolle in «Der Bestatter» ist Reto Stalder ein Mensch, der viel lacht.
wenn auch hin und wieder die Hand über die Augen huscht, so ist er dennoch nie um eine Antwort verlegen. Auf seine angebliche Vorliebe für Rosamunde Pilcher-Filme angesprochen lacht er und meint, dass das immer ein bisschen missverstanden werde. «Es ist doch einfach absurd. Schöne Menschen sprechen schöne Dialoge vor schönen Kulissen. Das ist so grottig, dass es fast schon wieder gut ist.» Sein Interesse sei viel eher ein künstlerisches: Vielleicht 150 Rosamunde Pilcher Filme in 90 Minuten inszenieren. Auch seinen viel zitierten Hang zum Kitsch möchte er gerne relativieren. Er habe keine Kitschblumen wie Geranien auf dem Balkon, sondern Löwenzahn und ein Bienenhotel. Und die sind quasi Retos Protest gegen die Baustelle vor dem Haus. Von wegen Kitsch – das ist Guerilla. Nach dem Gespräch ist klar, Reto Stalder ist kein Shootingstar. Ganz einfach deshalb, weil er es gar nicht sein will. Und wenn er über Theater spricht, dann liegt die Visitenkarte still vor ihm auf dem Tisch.
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Noch mehr Einblicke aus den Recherchetagen Alle weiteren Beiträge aus den ersten Recherchetagen erscheinen in der täglichen Publikation auf www.tink.ch. Wir wünschen viel Spass beim Sehen, Hören und Lesen!
Kurzlink: bit.ly/1ecpySS
Reportage
«Isch alles guet?» Der Deutsche Daniel hat die richtigen Werkzeuge zum aktiven Schweizerdeutsch-Sprachgebrauch in den Händen, kann sie aber nur auf der Baustelle unbeschwert benutzen. Text: Stephanie Bos / Bild: Adrian Mangold Kurzlink: bit.ly/1h7qPLz
Videointerview
Der Parteimeinung zum Trotz Am 9. Februar stimmte der Kanton Bern verschärften Massnahmen gegen Gewalt an Sportanlässen zu. Für das Hooligan-Konkordat plädierten konservative Politiker auf breiter Linie. Nicht so der Berner SVP-Grossrat Thomas Fuchs. Im Interview mit Sandro Brotz bezieht der Politiker Stellung.
Moderation: Sandro Brotz (SRF) Kamera: Kaspar Rechsteiner und Katharina Good Schnitt: Kaspar Rechsteiner Redaktion: Michael Scheurer
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