Tink.ch-Magazin 30: shnit 2011

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Das Magazin zum

FESTIVAL

2011

International Shortfilmfestival


«Mir gefällt, dass Kurzfilme meist verstörend sind. Im Gegensatz zu einem Spielfilm enden sie oft abrupt. Man sitzt in einem Saal und hat keine Ahnung, ob der Film nun 40 oder zwei Minuten dauern wird.» Jürgen Haschenz, 37, Pflegefachmann

«Die Zuschauer werden innerhalb von wenigen Minuten in eine Geschichte geholt und wieder hinausbegleitet.» Daniel Friedrich, 55, Verlagsmitarbeiter

«Hollywood benötigt hunderte Millionen Dollar und zweieinhalb Stunden Zeit, um eine Geschichte zu erzählen. Kurzfilmmacher präsentieren ihre Ideen in wenigen Minuten, wobei sie dafür oft nur wenig ‹Schtutz› zur Verfügung haben. Das begeistert mich!» Alexander Tschäppät, 59, Berner Stadtpräsident

Mit dieser Frage konfrontierten wir am Eröffnungsabend des Shnit das Festivalpublikum. Fazit: Kurze Filme bringen es auf den Punkt.

«Was fasziniert an Kurzfilmen?»

Aufgepasst, es besteht hohe Ansteckungsgefahr! Dein Tink.ch-Team

Endlich, da sind sie wieder: die pinken Velos, die ersten Symptome für den ShnitVirus. Seit neun Jahren schon überfällt er Bern im Oktober und zieht seine Opfer in den Bann der Kurzfilme. Mittlerweile hat er sich auf sechs Städte ausgebreitet und auch wir von Tink.ch sind ihm verfallen. Deshalb widmen wir dem Shnit dieses Jahr ein ganzes Magazin, in welchem wir ihm tiefer auf den Grund gehen.

Editorial

«It is challenging to create an emotional and intellectual effect with a story that you tell in a short period of time. If you can manage that, it’s amazing!» Dalia Schlesinger, 32, from Israel, wrote, produced and directed the short film «Bubbles»

«Kurzfilme stellen zu einem spezifischen Thema ganz kurz und pointiert eine Geschichte dar.» Thea, 21, Studentin Jura

«Die allermeisten Filmemacher fangen mit Kurzfilmen an. Deshalb reicht das Spektrum von absoluten Amateurproduktionen bis hin zu professionell gemachten Filmen. Dazu kommt, dass so gut wie jedes Themengebiet von Kurzfilmen abgedeckt wird.» Yannick Mosimann, 22, fasst am Shnit die Geschehnisse in Bern in filmischen «Reports» für die anderen «Playgrounds» (Städte) zusammen

Bild auf der Titelseite: Matthias Käser und Manuel Lopez


Olivier van der Hoeven, einer der Gründer des Shnit, im Interview mit Tink.ch. Tobias Häberli Was waren eure Ziele und Träume, als ihr vor neun Jahren das Kurzfilmfestival Shnit zum ersten Mal organisiert habt? Shnit war die ersten zwei Jahre nur ein Kurzfilmabend. Geplant war eine Plattform für den regionalen Kurzfilm und kein Festival. Es war die Zeit vor YouTube, als es für Kurzfilme noch fast keine Plattformen gab. Durch den Anerkennungspreis der Burgergemeinde, den wir später erhielten, wurde es uns möglich, ein richtiges Filmfestival zu entwickeln mit einer Jury, einem Pokal und Preisgeldern. Aber Shnit blieb bis dahin national… Wir hatten schon einige wenige internationale Kurzfilme im Programm, aber es fand immer noch nur in der Schweiz statt. Wir waren zwar interessiert an einem internationalen Festival und hatten auch Kontaktpersonen in Spanien und Holland, aber das Ganze war uns noch nicht knackig genug. Wir bauten also das Festival vorerst in Bern aus. Bis dann 2008 Moritz Sachs, ein guter Freund von mir, in der Shnit-Jury sass. Er ermöglichte es, in seiner Heimatstadt Köln das Shnit zu lancieren. Dabei hatten wir grosses Glück, denn in diesem Jahr wurde das Kurzfilmfestival in Köln aufgelöst und wir konnten das Shnit in der entstandenen Lücke platzieren. Nach dieser ersten internationalen Erfahrung kamen dann schnell weitere Städte auf der ganzen Welt dazu. In diesem Jahr wurden 4000 Filme eingereicht, davon werden 300 Filme am Shnit ausgestrahlt. Wie schafft ihr es, euch so viele Filme anzusehen, und welches sind die Auswahlkriterien? Wir, von der künstlerischen Leitung (Reta Guetg und Olivier van der Hoeven) und eine Person, welche uns bei der Visionierung half, schauten uns je rund 1300 Filme an und bestimmten 400 bis 500 Empfehlungen. Aus diesen Filmen haben wir dann zu dritt die Endauswahl getroffen. Jeder Film wurde dabei anhand eines Filmstills ausdiskutiert. Ein Schlüsselkriterium bei solchen Entscheidungen ist die Balance zwischen der Länge des Filmes und dessen Inhalt. Als Beispiel, wenn ich den gleichen Witz in 20 Sekunden, einer Minute oder in einer halben

Stunde erzähle, ist er nicht immer gleich witzig. Und so verhält es sich auch bei einem Kurzfilm. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Originalität eines Filmes. Wenn der Film Altbekanntes aufnimmt, hat er weniger Chancen als einer, der Neuland betritt. Um Filme beurteilen zu können, ist viel Vorwissen und Erfahrung nötig. Shnit wird immer internationaler. Wie versucht ihr, das Festival nicht zu entwurzeln? Das Festival wird durch drei Ebenen strukturiert. Es gibt den internationalen Wettbewerb, den nationalen Wettbewerb, stellvertretend für die jeweiligen Austragungsländer, und dann noch die lokale Filmszene, welche nach einem typischen regionalen Gericht benannt ist. Es gibt die «Berner Platte», «Hummus» und das «Wienerschnitzel». Es ist für uns sehr wichtig, die Connection zu unserem Ursprung nicht zu verlieren. Wie viele Personen arbeiten für das Shnit und wie viel davon ist Freiwilligenarbeit? Weltweit ist dies schwierig zu sagen, aber in Bern arbeiten ungefähr 140 Helfer, 30 Personen im Organisationskomitee und der Festivalleitung für das Shnit. Davon arbeiten fast alle ausschliesslich ehrenamtlich. Nur der Festivalleiter, der Produktionsleiter und die künstlerische Leitung arbeiten beruflich für das Shnit. 2009 sagten Sie: «Als nächstes streben wir Barcelona, Kopenhagen und St. Petersburg an.» Was strebten Sie für 2012 an? Das ist gerade das Spannende: Shnit wird sehr spontan erweitert. Wir haben viele Beziehungen im Ausland, können uns aber nie ganz sicher sein, was sich daraus ergeben wird. Momentan verheissen Oakland und San Francisco, neue und sehr schöne Shnit-Locations zu werden.

In Bern fing alles an. Bild: Patrick Hofer

«Einer, der Neuland betritt»

hinterGrund


Bewegtes Bild

rePortaGe In Zürich haben sie zusammen studiert, nun treten sie in einem Filmwettstreit gegeneinander an: drei Schweizer Nachwuchstalente messen sich in der Realtime Competition. Ihre filmische Interpretation eines Paul-Klee-Bildes wird am Sonntag am Shnit präsentiert. Matthias Käser

wendet wird. Über den Boden verstreut sind Kleider und Teile von Kamerazubehör. Joachim Schwegler ist kaum wiederzuerkennen. Der Hauptakteur trägt nun Lidschatten, Lippenstift und hat die Haare nach hinten gekämmt. In rotem Kleid und Strapsen wirkt der schlanke Mann tatsächlich ziemlich weiblich.

Der erste Eindruck am Filmset der Crew um Lesja Kordonets (28), Studentin an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK), ist professionell. Die Schauspieler sind gerade in der Maske: Joachim Schwegler, der männliche Hauptdarsteller, bekommt ein Air-Brush-Tattoo verpasst, während sich Anne Florence Tiedemann ein Nachthemd überzieht. Wir befinden uns im dritten Stock des Kulturzentrums Progr in Bern. In einer Ecke steht ein Bett mit weissem Laken im Scheinwerferlicht. An der Wand lehnt ein Bild von Paul Klee. Abgebildet ist eine nackte Frau mit Babybauch. Über ihrem Kopf schwebt, wie in einem Comic, eine Gedankenblase, darin ist ein Kind zu sehen. Das Bild entstand 1937 und trägt den Namen «Gedanken an Nachkommenschaft». Lesja Kordonets ist eine von drei Kunstschaffenden, die das Werk im Realtime-Wettbewerb filmisch umsetzen sollen.

Die Schauspieler, die am gestrigen Drehtag noch ruhig wirkten, sind jetzt auf 180. In einer Szene an der Haustür fallen einige Schimpfwörter, natürlich nur laut Drehbuch: «Hi Lilly, das ist nicht dein Ernst, mit einer Tunte? Was soll das, du Schlampe?», schimpft ein Mann. Dann unterbricht Natascha Beller die Szene und gibt genaue sprachliche Anweisungen. Die professionelle Filmemacherin hat bereits diverse Werbespots gedreht und wurde letztes Jahr nach Cannes zum Filmfestival eingeladen. Dieses Jahr hat sie einen Drehbuchkurs in Amerika belegt. Das Drehbuch des Kurzfilms für den Realtime-Wettbewerb habe sie innert ungefähr zweieinhalb Stunden geschrieben, sagt sie, «nachdem ich ein Leitmotiv gefunden hatte». Auf die Frage, was ihr Film beim Publikum auslösen soll, entgegnet sie: «Die Leute sollen lachen, es ist schliesslich eine Komödie.»

Der Aufwand ist gross für die knapp fünf Minuten Filmlänge. Im Progr sind zehn Leute am Set, darunter ein Kameramann, ein Tontechniker, ein Lichtgestalter, eine Kostümbildnerin, eine Maskenbildnerin und eine Szenenbildnerin. Die Regisseurin wird von einem Assistenten unterstützt, nicht zu vergessen sind der Schauspieler und die Schauspielerin. Der Dreh hat um sieben Uhr morgens begonnen und dauert bis am Abend. Das Team hat gerade mal eine halbe Stunde Mittagspause. Nach dem Dreh macht sich Erschöpfung breit, aber zufrieden wird das Set geräumt.

Kunst im Alltag Luca Zuberbühler (25) ist der Regisseur der dritten Filmcrew. Eigentlich hätte er seinen Film im Paul Klee Zentrum bereits am Donnerstag und Freitag drehen sollen. Doch es wurde Samstag. Im ZPK hängt Klees Originalbild, welches für die Kurzfilme als Inspiration dient. Zuberbühlers Beitrag handelt von Leuten, die das Bild betrachten und darüber diskutieren. Der Film ist aus der Perspektive des Bildes gedreht. Das Drehbuch hat Zuberbühler zusammen mit einer Kollegin aus der Zürcher Hochschule der Künste geschrieben. Die Vorbereitungen vom Zusammenstellen der Crew bis zum Schreiben dauerten nur drei Tage. Für Zuberbühler sei der Wettbewerb, der hinter dem Filmdreh steht, nicht das Wichtigste, sagt er: «Ich mag alle meine Konkurrenten und würde ihnen den Sieg sehr gönnen.» An der ZHDK haben er und Lesja Kordonets bereits ein gemeinsames Filmprojekt realisiert. Das Thema Kunst be-

Verwandlung über Nacht Die Regisseurin Natascha Beller (29) trifft ihre Crew erst am Drehtag. Sie dreht ihren Kurzfilm in der WG einer Freundin. Überall stehen Stative mit Lampen. Auf dem Tisch liegt neben Schminkutensilien ein scharfes Fleischermesser, welches für den Dreh ver-


rePortaGe schäftigt Zuberbühler auch in seinem Alltag. Er sagt: «Kunst ist wunderschön, ich liebe sie, ich nehme meine ganze Umwelt als Kunst wahr.» Er fügt an, Kunst sei jedoch nicht immer ernst zu nehmen. «Es gibt Kunst, die total nichtssagend ist, in die man zu viel hineininterpretiert», meint Zuberbühler. «Mit meinem Film versuche ich, das Publikum zum Nachdenken zu bewegen darüber, wie sie das Thema Kunst bewerten in ihrem Leben.» Er findet, man müsse kindlich denken, um einen Film zu realisieren. Das komme beim Publikum gut an.

Am Filmset der Crew um die Regisseurin Lesja Kordonets im Progr. Bild: Matthias Käser

info Realtime Competition Drei Teams um die Regisseure Lesja Kordonets, Natascha

Konkurrenten. Ihr Ziel: das Bild «Gedanken an Nachkom-

Beller und Luca Zuberbühler treten im Realtime-Wettstreit

menschaft» von Paul Klee filmisch umsetzen. Alle drei ha-

gegeneinander an. Ein Team vom Nachwuchsfilmfestival

ben dasselbe Material und dieselben Schauspieler zur Ver-

Talentscreen hat die Finalisten ausgewählt. Wie es der

fügung; Anne Florence Tiedemann aus Deutschland und

Zufall will, kennen sich die drei Finalisten bereits von der

den Schweizer Joachim Schwegler. Gedreht wird jeweils

Zürcher Hochschule der Künste. Nun sind sie für einmal

an zwei Tagen, die Postproduktion dauert einenhalb Tage.

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Der Dokfilm ist eine Illusion

thema Eigentlich gibt es keine dokumentarischen Filme. Und doch werden am Kurzfilmfestival Shnit in Bern 16 kurze Dokumentarfilme gezeigt. So unterschiedlich diese auch sind, eines haben sie gemeinsam: Sie wollen wahre Geschichten erzählen. Auf der Suche nach den Methoden, Eindrücke der Realität zu vermitteln. Katharina Good Dokumentarfilme dürfen anders als Spielfilme die Welt nicht neu erfinden. Fern gelegene Orte werden uns nähergebracht, und aussergewöhnlichen, meist benachteiligten Menschen wird eine Stimme gegeben. Dokumentarfilme müssen aber nicht zwingend von den schlechten Lebensverhältnissen in Drittweltländern berichten. Manchmal kann auch die Geschichte von normalen Menschen viel aussagen. Wie die des zwölfjährigen Mädchens Azza im nach ihr benannten Kurzfilm von Saskia Gubbels (2010). Während in vielen europäischen Ländern heftig darüber diskutiert wird, ob sich muslimische Frauen ohne Kopftuchpflicht besser emanzipieren könnten, bemüht sich die niederländische Filmemacherin Saskia Gubbels um den Dialog mit betroffenen Mädchen. Azza und ihre Freundin leben in traditionell religiösen Familien und besuchten bis vor Kurzem eine muslimische Privatschule in Amsterdam. Nun wurden sie ins öffentliche Gymnasium aufgenommen und fallen durch ihr Kopftuch plötzlich auf. Sie haben das Gefühl, beinahe als Ausserirdische gemustert zu werden. «Dabei ist es doch nur ein Tuch», verteidigt sich Azza in einer Interview-Szene. «Ich bin ein normales Mädchen wie alle anderen.» Wollen die Schülerinnen die strengen islamischen Bekleidungsvorschriften weiterhin befolgen?

se, wie ein Leben mit dem muslimischen Glauben, müssen strukturiert und gestaltet werden, damit der Zuschauer ihre Bedeutung in kurzer Zeit versteht. Wie sieht die Realität aus? Wie kann man also, wenn alle Filme bewusst gestaltet werden, sichergehen, Dokumentarfilme nicht mit fiktiven zu verwechseln? Dank den Regeln der alten Schule kann man dokumentarische Filme erkennen und diesen vertrauen: Das Bildmaterial darf etwa nicht nachträglich bearbeitet werden – oder allenfalls so präzise, dass es der Zuschauer nicht merkt. Die Farbgebung wird möglichst ‹natürlich› eingestellt und schlechte Bildqualität lässt das Thema viel authentischer wirken. Wenn aber nur der sogenannt authentische Stil der alten Schule verwendet werden muss, um einen glaubhaften Dokumentarfilm zu drehen, dann kann man schnell von Spielfilmen getäuscht werden. Doku-Soaps zum Beispiel geben vor, das intime Leben von Menschen zu erzählen. Inzwischen wissen wir aber, dass im Skript klare Rollen verteilt werden. Letztlich sind auch Dokumentarfilme ein Stück weit fiktiv, denn die sich ständig verändernde Realität lässt sich in kein Format zwängen. Die Kurzfilme am Shnit versuchen dies auch gar nicht. Die gezeigten Situationen sind noch lange keine Lügen, nur weil sie in leuchtenden Farben oder Schwarzweiss aufgenommen oder durch mitreissende Musik unterstützt werden. Und wer sagt denn, dass der Besuch eines kleinen Jungen beim Schularzt im Dok «De Volgende» (2010) unwahr ist, nur weil er als Animationsfilm erzählt wird?

Eine Frage der Einstellung Azza zweifelt am Sinn des Kopftuches und mit viel Willen kann sie sogar ihren Vater überreden, das Tuch ablegen zu dürfen. Ihre Freundinnen hingegen verteidigen die muslimische Tradition vor der Kamera. Die Art der Filmgestaltung verstärkt den Eindruck ihrer Unselbstständigkeit, denn ausser Azza werden die jungen Frauen fast immer in Anwesenheit ihrer Eltern befragt. Jeder Film, auch ein Dokumentarfilm wie «Azza», wird durch die persönliche Einstellung der Regisseurin und die technische Einstellung der Filmkamera geprägt. Abstrakte Verhältnis-

«Ich bin ein Mädchen wie alle anderen», sagt Azza, die Protagonistin des gleichnamigen Dokfilms. Bild: zvg


Am Donnerstagabend lud die Filmreihe «Hummus» ein, in die vielfältige Kultur Israels und Palästinas einzutauchen. Louisa Nelle Hummus, ein Themenblock am Shnit-Festival, in dessen Rahmen Filme aus Israel und Palästina gezeigt werden. Hummus (arabisch ,  hebräisch , deutsch Kichererbse), eine Vorspeise, die über politische und historische Grenzen hinweg, im gesamtem Nahen Osten verbreitet ist. Sie wird kalt, meist zu Fladenbrot serviert. Zur Herstellung werden Kichererbsen eingeweicht und gekocht, bis sie sich zu einem Brei pürieren lassen. Dieser wird mit Tahina (SesamMus), Olivenöl und Zitronensaft verdünnt. Gewürzt wird mit zerstossenem Knoblauch, Kreuzkümmel, Pfeffer und Salz. Wie zufällig besteht eine Analogie zum Wort Humus, mit einem «m», der obersten fruchtbaren Erdschicht des Bodens. Die Frage um das Recht nach Boden ist heute umstrittener denn je im Israel-Palästina-Konflikt. Wohl dieser Aktualität wegen haben Filme von israelischen und palästinensischen Regisseurinnen und Regisseuren am Shnit einen eigenen Themenblock erhalten. Nach der Vorstellung des Filmblocks Hummus treffe ich Dalia Schlesinger aus Israel, Regisseurin des Films «Bubbles» (2010), und Karin Ironi, Regisseurin des Films «Hachof Hanifrad» (2010), ebenfalls aus Israel. Da beide anschliessend noch weiterreisen wollen, bleibt uns nur wenig Zeit für ein Gespräch. Genug jedoch, um einen kritischen Austausch über das künstlerische Schaffen in Israel anzuregen. Auf die Frage hin, wie die politische Situation ihr filmisches Arbeiten beeinflusst, werfen sich die beiden Frauen lachend einen Blick zu und Karin Ironi sagt: «Immer steht nur der Konflikt im Mittelpunkt. Mein Film handelt nicht davon. Aber natürlich beeinflusst uns der Krieg in allem, was wir tun, er ist allgegenwärtig. So werden die Spuren des Krieges in unseren Filmen immer zu sehen sein. Genauso, wie man die sich im Wind bewegenden Blätter betrachtet, den Wind an sich aber nicht sieht.»

«Ja, wir haben es satt, dass sich alle nur auf diese eine Sache fokussieren», stimmt Dalia Schlesinger zu. «Mir sind in meinen Filmen die Details sehr wichtig, die Ästhetik, die Farben, die Stimmung. Aber weil wir aus Israel kommen, interessiert die technische und künstlerische Umsetzung unserer Filme nicht. Es ist sogar so, dass wir meist nur finanziell unterstützt werden, wenn unsere Filme von Politik handeln. Dadurch sind wir kreativ sehr eingeschränkt.»

Shira, die Protagonistin in «Bubbles», an einem Wendepunkt in ihrem Leben. Bild: zvg

Karin Ironi sieht den Film als Möglichkeit das Schwarzweiss-Denken zu durchbrechen. Nicht zufällig wurden heute, im Eingang des Kornhausforums, Flyer an die Shnit-Besucher verteilt, die dazu aufrufen, Kultur aus Israel zu boykottieren. «Doch wir sind alle Spielfiguren der Politiker, ob Israelis oder Palästinenser, alle sitzen wir im selben Boot. Mit dem Film können wir auf die Farbenvielfalt aufmerksam machen, damit meine ich die Vielfalt an Blickwinkeln, Kulturen und Lebenswelten.» Sie fügt an, dass es auch ein komisches Gefühl sei, zu einem Festival eingeladen zu werden, an dem der eigene Film in einem separaten Block gezeigt wird. Das verursache in ihr ein Gefühl von Stigmatisierung. «Das ist, als würden Schweizer Filme in einem anderem Land, unter dem Titel ‹Toblerone› gezeigt werden.» Nachdem ich mich etwas überstürzt verabschiedet habe, diskutieren wir, die Redaktion, über die vielen Fragen, die dieses Gespräch aufgeworfen hat. Wir finden, dass eine öffentliche Diskussion zwischen Zuschauern und Regisseuren beider Herkunft sicher sehr spannend gewesen wäre.

Hummus mit Toblerone

thema


interview

«Alles können»

Zusammen mit zwei Freunden hat der Berner Aron Nick (27) den Kurzfilm „Was ich kann“ realisiert. Yves Progin (53) spielt darin eine Schlüsselrolle. Vor der Weltpremiere im Rahmen des shnit-Festivals hat sich Tink.ch mit den beiden unterhalten. Christian Häderli Was fasziniert Sie an Kurzfilmen? Aron Nick: Der Kurzfilm kann auf eine einzige Pointe abzielen. Man kann in Kürze etwas erzählen, und das steht dann für sich. Yves Progin: Für einen Kurzfilm braucht es einen kurzen Ausschnitt aus einem Gedanken. Das reicht schon. Wie sind Sie zum Filmemachen gekommen? Aron Nick: Ich habe mit zwei Freunden als Jugendlicher angefangen, Filme zu drehen. Zuerst haben wir Snowboardfilme gemacht. Nach und nach fanden wir das Filmen spannender als das Snowboarden. Wir haben dann unseren ersten eigenen Film gemacht. Nachdem wir alle auch in Praktika Erfahrungen gesammelt hatten, gründeten wir unsere eigene Produktionsfirma „Trinipix“. Nun können wir vom Filmemachen leben. Yves Progin: Auch ich habe als Jugendlicher mit Freunden Filme gedreht. Dabei habe ich das Schauspielern für mich entdeckt. Seitdem habe ich in mehreren Spielfilmen Rollen übernommen. Von der Schauspielerei leben kann ich aber nicht, ich bin Lehrer. Wie sollten Jugendliche vorgehen, die gerne in die Filmerei einsteigen möchten? Aron Nick: Heute ist es einfacher, Filme zu drehen und diese dank dem Internet trotz wenig Geld einem grossen Publikum zugänglich zu machen. Eine gute Idee und eine gute Geschichte sind das Wichtigste und kosten nichts. Kameras und Schnittprogramme sind günstiger geworden. Darum mein Tipp an Einsteiger: einfach drauflosfilmen! In eurem Film «Was ich kann» geht es um Tim, für den keine Handlung Konsequenzen hat, weil er immer wieder zurück kann. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen? Aron Nick: Die Idee kommt aus dem Filmen selber. Mit einem einfachen Schnitt kann man zuvor Gedrehtes neu überspielen. Dies haben wir auf Tims Leben übertragen.

Aron Nick: «Man kann nicht immer wieder von vorne beginnen.» Bild: Patrick Hofer

Was soll der Film aussagen? Aron Nick: Es wird ein zentrales Thema für unsere Generation angesprochen. Wir haben nicht zuletzt wegen des Internets das Gefühl, alles zu können. Unsere Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt. Genau dies überfordert viele junge Leute. Tim hat genau dieses Problem: Nichts, was er macht, zieht Konsequenzen nach sich. Er muss keine Verantwortung übernehmen. Dies ist eine Haltung, die problematisch sein kann. Wichtig ist, dass man sich aus all den Möglichkeiten einen bestimmten Weg aussucht und diesen auch bereit ist in Angriff zu nehmen. Dasselbe gilt auch bei Beziehungen. Es geht darum, gemeinsam an einer Beziehung zu bauen. Man kann nicht immer wieder von vorne beginnen. Was würden Sie machen, wenn Sie noch einmal zurück könnten? Yves Progin: Ganz spontan würde ich am liebsten zurück nach Griechenland in die Ferien (lacht). Aron Nick: Ich würde es ähnlich machen wie Tim und etwas Danebenes anstellen, das ich mich sonst nicht trauen würde zu tun. Was ist das Schönste daran, den Film an der Premiere der Öffentlichkeit vorzustellen? Aron Nick: Ich bin gespannt darauf zu erfahren, wie das Publikum reagiert. Auch die Crew sieht den fertigen Film an der Premiere zum ersten Mal. Löst der Film etwas aus? Verstehen die Leute die Aussagen des Films? Das sind alles Fragen, die beantwortet werden. Yves Progin: Ich freue mich in erster Linie darauf, den fertigen Film sehen zu können.


Verwirrungen eines Regisseurs: «Catharsis» (2010), der Kurzfilm des französischen Dramatikers Cédric Prévost, handelt vom liebenswürdigen Psycho-Wrack Alex, der seine Ehe zu retten versucht. Die Komödie lief am Shnit im zweiten Block des internationalen Wettbewerbs. Melissa Bieri Alex erwacht mitten in der Nacht und – oh Schreck! – eine Kamera filmt ihn von der Decke aus. Der steigert sich doch wieder einmal in seine Filmwelt rein, seufzt seine Frau Émeline (Émeline Bayart) und ignoriert ihn. Aber es geht nicht mehr weg, dieses Gefühl, beobachtet zu werden. Man ist nicht alleine, nichts mehr scheint real zu sein; das eigene Leben als Film. Gedanklich ist es da nicht weit zum Spielfilm «The Truman Show», in dem Jim Carrey feststellen muss, dass er in einer Realitysendung lebt. Mit Witz und Glaubwürdigkeit spielt der 35-jährige Alexandre Steiger in «Catharsis» einen erfolglosen Regisseur, dessen Ehrgeiz ihm zum Verhängnis wird. Aus seiner Leidenschaft zum Film entwickelt Alex

eine Besessenheit, die ihn nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden lässt. Ähnlich wie die Tänzerin im Psychothriller «Black Swan» sieht der Betroffene dieses fiktive Symbol seiner Besessenheit, was ihn immer mehr in den Wahnsinn treibt. Das Symbol ist der schwarze Schwan als Natalie Portmans dunkle Seite, oder eben bei Prévost die Kamera, die nicht aufhört zu filmen. Um seine Ehe zu retten, fasst Alex einen verrückten Entschluss. Aber will er wirklich einen Schlussstrich unter seine Obsession ziehen oder ist es nur eine weitere Filmidee? Die Frau des Regisseurs ist misstrauisch. Zur Katharsis, worauf der Filmtitel anspielt, gibt es eine psychologische Hypothese über die Befreiung von inneren Konflikten. Alex versucht, sich durch einen letzten selbst gedrehten Film zu therapieren. Ein Versuch, die Besessenheit vom Filmedrehen noch einmal auszuleben – dann soll die Kamera endgültig aus seinem Leben verschwinden. Die Katharsis-Theorie wurde längst widerlegt. Cédric Prévost zeigt

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in seinem Film entsprechend die mässige Wirkung: Der Protagonist scheint bis zum Ende nicht aus dem Film im Film ausbrechen zu können, bis er «Cut» sagt und die Kamera kurzerhand ausschaltet. Humorvoller Irrgarten Eine andere widerlegte literarische Hypothese der Katharsis geht davon aus, dass das Publikum mit dem Helden mitleidet und so von den eigenen inneren Ungereimtheiten gereinigt wird. Der Protagonist übernimmt in «Catharsis» quasi die Bild: zvg Aufgabe des Therapeuten. Das Spiel mit der Kamera verfehlt seine Wirkung nicht, fühlt man sich doch, als befände man sich selbst im Filmstudio. Der Kinosaal als Therapiezimmer? Oder doch nur ein witziAnzeige

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ger Kurzfilm über einen liebenswürdigen Mann im Ringkampf um seine Beziehung? Der Film ist nämlich voller Humor. Das Publikum nimmt «Catharsis» eher als oberflächliche Beziehungskomödie wahr, während das kritische Betrachten verworfen wird. Am Ende geht es aber auch darum, das Leben selbst in die Hand zu nehmen. Nebst der paranoiden Vorstellung, ständig gefilmt zu werden. Verknüpft man hier also die Tragikomödie mit dem psychoanalytischen Standpunkt, entsteht ein richtiger Irrgarten, dessen Wege in verschiedene Richtungen führen. Ungewiss bleibt, ob der Zuschauer den Ausweg findet. Trotzdem gelingt es dem französischen Kurzfilmregisseur, Romanautor und Drama-Professor Cédric Prévost von Anfang an, das Publikum in den Bann zu ziehen und durchgehend gut zu unterhalten. Zudem lässt «Catharsis» genug Raum für Interpretationen und liefert nach der Vorstellung interessanten Gesprächsstoff. Was wäre zum Beispiel, wenn wir einfach einmal sagen könnten: «Cut»?


Martin Klöckener macht keine Liebesfilme. Den Valiant Junior Contest gewann der junge Regisseur mit seinem kritischen Film «Plus quam perfekt - Mehr als Vergangenheit». Am Donnerstag um Mitternacht endete das Online-Voting. Rahel Schaad «Das wäre doch etwas für dich!», meinte eine Kollegin kurz vor den Sommerferien zu Martin Klöckener, als sie das Inserat vom Valiant Jugendfilmpreis entdeckte. Sein Entschluss zum Mitmachen war schnell gefasst. Das Problem war nur, dass er in zwei Wochen nach Deutschland in die Ferien fahren würde. Aber dadurch liess er sich nicht beirren. Wenn er nur zwei Wochen Zeit hatte, um einen Film zu drehen, dann drehte er eben einen Film in zwei Wochen. In anderthalb Wochen überlegte er sich die Idee, entwickelte sie, plante sie und fragte einen älteren Bekannten und einen Schulkollegen als Schauspieler an. Für den Dreh brauchte er zwei Tage, und dies, obwohl die Kamera verrückt spielte und sie zwölf Mal zwischen Drehort und Zuhause hin und her fahren mussten. Mit dem Filmmaterial auf dem Laptop fuhr er nach Deutschland. «Wenn ich vier Minuten Zeit hatte, nahm ich meinen Laptop und schnitt den Film.» Dass die Valiant den Einsendeschluss um ein paar Tage nach hinten verschob, kam ihm gelegen. So konnte er den Film gerade noch fertig machen.

chen. «Ich denke, ältere Menschen wären teilweise zu mehr in der Lage, als sie sich zutrauen», so Martin Klöckener. Auf die Frage, ob es denn nicht komisch gewesen sei, einem älteren Mann Anweisungen zu geben, antwortet er begeistert: «Nein, der war total cool drauf! Er hatte keine Ahnung vom Drehbuch, er kam einfach hin und sagte, er mache das.» Als Martin Klöckener vor zwei Jahren einen Kurzfilm als Maturaarbeit drehte, entdeckte er sein Interesse am Filmemachen. Das Schwierigste daran sei die Ideensuche. Eine richtig gute Idee auszutüfteln, bedeute für ihn ein längerer Prozess mit Brainstorming und Mindmaps. «Mein Ziel ist es, kritische Filme zu machen, die etwas aussagen und zum Nachdenken anregen. Keine Liebesfilme.» Zu Beginn war das Filmemachen einfach ein weiteres Hobby neben dem Klavierspielen, Bogenschiessen, Fotografieren, Fussballspielen und seinem Interesse an Kunst. Doch diesen Sommer hat sich Martin Klöckener das Filmemachen zum Beruf gemacht. Beim deutschen Fernsehsender «Offener Kanal» absolviert er zurzeit ein fünfmonatiges Praktikum und produziert News- und Dokumentarsendungen. Für die Shnit Awards Night am Samstag wird Martin Klöckener aber extra aus Deutschland anreisen, um sein Preisgeld abzuholen. Was er damit mache? «In neue Kurzfilmproduktionen investieren natürlich!», antwortet er ganz selbstverständlich. Herzliche Gratulation!

Ein älterer Herr blättert in einem Fotoalbum und erinnert sich an einen Ort, den er als junger Mann bereist hat. Die schönen Erinnerungen veranlassen ihn dazu, sich noch einmal auf den Weg dorthin zu machen. Der mit 4000 Franken preisgekrönte Gewinnerfilm mit dem Titel «Plus quam perfekt – mehr als Vergangenheit», ist eine Ermutigung an die Zuschauer, dass es nie zu spät ist, noch einmal aufzubre-

Martin Klöckener (19) wurde beim Valiant Junior Contest auf den ersten Platz gewählt. Bild: zvg

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