Tink.ch-Magazin 27: X-Days 2011

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Ein Motivationsrezept mit Zukunft 150 Mitarbeitende, 150 Kilogramm Farbe, 80 Kubikmeter Holz und ein Ziel: vier Tage Bieler Jugendkulturtage X-Days vom 11. bis 14. Auguat 2011. Text: Natanja Zürcher, Oliver Dürr und Jana Kilchenmann | Bild: Torvioll Jashari Ein junger Mann verziert hellblau grundierte Wände. Im Hintergrund lärmt ein Gabelstapler. Schaufeln, bohren, sägen: Aus 1000 Arbeitsschritten entsteht auf dem Robert-Walser-Platz das Gelände der Jugendkulturtage X-Days. Am jährlichen Anlass in Biel bieten verschiedene Jugendszenen ein Programm aus Konzerten, Breakdance und Sport. Intensive Planung vereint hunderte Ideen. Auch der Spass kommt nicht zu kurz: Bei der Arbeit entsteht eine kleine Sandschlacht, es wird geplaudert und gelacht. Der Ursprung der X-Days liegt in einem Sportturnier. Damals, im Jahr 2007, spielten ein paar Teams auf

zwei Sägemehlfeldern Beachvolley. Seither ist der Anlass stetig gewachsen. Die rund 150 freiwilligen Mitarbeiter stammen aus diversen Bieler Jugendorganisationen. Einer von ihnen ist Joscha Kunz. «Mein Freundeskreis ist auch dabei – so macht das richtig Spass», sagt er, der jedes Jahr beim Aufbau hilft. Was wie eine Traumvorstellung vieler Eltern klingt, ist an den X-Days Realität. Doch wie bringt man Jugendliche dazu, mit einer solchen Freude mitzuarbeiten, unbezahlt, und erst noch in der Freizeit? «Mir gibt das Mitmachen an den Jugendkulturtagen auch sonst im Leben Motivation, etwas anzugehen»,

sagt der 21-jährige Lysser Joscha Kunz. Für Hauptorganisator Andreas Steingruber ist klar, man müsse das Potential der jungen Leute erkennen. «Wir bieten ihnen eine in Biel einzigartige Plattform», sagt er. «So können sie ihre Talente entdecken und einsetzen. Dieses Gefühl, dabei zu sein und gebraucht zu werden, spornt an.» Ein Motivationsrezept mit Zukunft? Ja, keine Frage. Beweis sind die X-Days, die zahlreichen Besucher anziehen. Am Mittag sitzen die fleissigen Jugendlichen verschwitzt im Schatten. Bald sind 180 Sandwichs verschlungen. Nach der Pause packen alle wieder mit an.


Katrin Schneider, 17, Verantwortliche für die Verpflegung des Aufbauteams «Die hungrigen Helfer haben seit Anfang Woche verschlungen: 32 kg Teigwaren, 80 Tafeln Schokolade, 10 kg Couscous, über 100 Tomaten, mehr als 200 Flaschen Getränke und 300 Glacen.»

Andreas Steingruber, 27, Hauptorganisator der X-Days «Wenn die Eröffnung über die Bühne ist, haben wir schon viel geschafft. Aber dann muss ich schon wieder an den Abbau denken... Wenn auch der fertig ist, bin ich dann wohl endgültig entspannt.»

Jan Stouthandel, 17, Gymnasiast aus Thun «Es ist cool, ein Teil von etwas so Grossem zu sein und mithelfen zu dürfen.»

kommentar

Glaube oder Nicht-Glaube ist Privatsache Es ist kein Geheimnis, dass viele der Jugendlichen, die an den X-Days mitwirken, einen christlichen Glauben haben. Es steht nur nirgends geschrieben. Von den Organisatoren selbst kommen mehrere aus kirchlichen Kreisen. Davon wissen die Partner und Sponsoren. Aber sie wissen auch, dass im OK noch andere junge Leute sind, die mit Religion nichts am Hut haben. Gemeinsam hat man denn auch 2009, um eine klare Abgrenzung zur Kirche zu schaffen, den konfessionell und

politisch neutralen Verein «X-Days» gegründet. Die Bieler Jugendkulturtage sind damit ein offener Anlass für verschiedene Szenen. Die XDays dürfen in keinerlei Hinsicht für missionarische Zwecke genutzt werden.Werden sie auch nicht, sagt Marcel Meier, Leiter Jugend und Freizeit Biel. Er hat ein Auge drauf, man spricht darüber an Sitzungen. Man weiss auf beiden Seiten: Es verträgt keinen Ausrutscher. Die Stadt unterstützt mit öffentlichen Geldern einen Anlass, an dem Jugendliche

ihre Kultur präsentieren können. Glaube oder Nicht-Glaube ist Privatsache und muss zurückstehen. Dass es dieses Bewusstsein gibt, ist wichtig und sollte kommuniziert werden, ebenso wie der Hintergrund aller OK-Mitglieder. Die Gefahr, dass ansonsten auf Umwegen Gerüchte oder ungute Emotionen auf Basis von Vorurteilen entstehen, ist einfach zu gross. Es stünde den Organisatoren gut an, entsprechend auf ihrer Internetseite zu informieren. Janosch Szabo

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Portrait

Pirat auf dem Brett Cedric Romanens (27) ist einer der Skater-Cracks an den XDays. Speaker ausserdem und Host des Skatecontests – ein umtriebiger junger Mann mit Bieler Wurzeln. Cedi, wie ihn seine «Homies» nennen, kennt die Szene, er lebt mittendrin. Text: Christoph Mersmann Bild: Raphael Moser Das kurze Lachen verschmilzt mit einem Aufschrei. Arme und Beine fliegen in die Luft, wie die Plastikglieder einer Crash-Test-Dummy-Puppe beim Aufprall mit einem Auto. Dann freier Fall. Tunnelblick. Aufprall. Der hölzerne Untergrund bietet keine Dämpfung für den 1,85 Meter grossen Körper. Voller Bodenkontakt. Die Zeit steht still. In den Gesichtern der Zuschauer ein Ausdruck von Mitleid. Cedric Romanens springt auf, lacht schallend, amüsiert über die geschockten Zuschauer. Ungläubigkeit geht in Bewunderung über. Der 27-Jährige schnappt sich sein Skateboard, rennt die 1,4 Meter hohe Rampe hinauf und stürzt sich erneut mit seinem Brett in die Halfpipe. Beim 101. Versuch Wichtig sei vor allem, dass man jeden Trick immer wieder probiere, auch wenn man hundert Mal «auf die Fresse» fliege, sagt Romanens. Beim 101. Versuch klappe es bestimmt. Das ist der Freestyle, den er verinnerlicht hat, lebt, und weitergeben will. Aufgewachsen in Nidau kennt er das nahe Biel mit all seinen Ecken und Kanten, die er gerne auch als Rampen oder Schanzen sieht. «Für üs isch das New York gsi», sagt er träumerisch und nicht ohne Stolz, wenn er an seine Kindheit zurückdenkt. Mit 12 Jahren stand er das erste Mal auf einem Skateboard. Verwaschenes T-Shirt, Röh-

renjeans, ein einfacher Stoffbändel als Gurt, braun getönte Sonnenbrille, ein Oberlippenschnauz und seine unverkennbaren Wuschelhaare machen ihn zu dem Cedi, den heute fast jeder in Biel kennt. Ab in die grossen Städte Zu Hause ist er aber in Laax, da sei es «einfach grün, ruhig und schön». Er arbeitet dort bei sozialen Kinderund Jugendprojekten mit. Heisst: «die Kiddies zämebringe und öbbis mitnäh undernäh». Im Winter ist er Snowboardlehrer, zwischendurch bietet er Breakdance-Workshops an. Immer temporär. Eine Festanstellung kommt für ihn nicht in Frage. Lieber gibt er 120 Prozent, in den paar Monaten, die er arbeitet, um dann wieder sein Skateboard an den Rucksack zu schnallen und auf Reisen zu gehen. In die grossen Städte wie Berlin zieht es ihn und seine «Homies» dann. Eingepackt oder geplant wird nicht viel: Ein Ticket für hin und zurück, ein Skateboard und ein paar Klamotten.

Wo er schlafen wird, sieht er dann vor Ort. Da gebe es immer jemanden, der eine «vermoderte Couch» rumstehen habe. Geben und nehmen. Das ist der Kodex. «Wenn halt mal deine Schuhe kaputt gehen, hilft dir ein ‹Homie› aus, und du gibst ihm dafür ein neues Brett, wenn er mal eines ‹gekillt› hat. So einfach ist das.» Skaten ist… Zurück in der Schweiz widmet sich Cedi wieder seinen Projekten und lässt die Schrammen ausheilen. «Skate cha di töte», sagt er und schaut etwas verträumt zur Rampe rüber. Aber wenn man das Brett unter den Füssen spüre, wenn man dieses Gefühl einmal kenne, dann rückten Prellungen weit in den Hintergrund. Skaten ist eine Lebenseinstellung, ein Hobby, ein Beruf, ein

Sport, ein Markenzeichen der Szene. «Mir si Pirate», sagt Cedi und spricht dabei von seiner Lebensweise als Freestyler. Der gewöhnliche Alltag geht ihm gegen den Strich. Das Arbeiten für persönlichen Reichtum findet er überflüssig. «Man braucht nur so viel, wie man braucht, um über die Runden zu kommen – mehr bringt nur Unglück.» Ein Fuss auf dem Brett, den anderen bereit zum Absprung. Volle Konzentration. Tunnelblick. Dann geht es los. Auf der einen Seite hinunter, auf der anderen hinauf, und möglichst irgendwo einen Trick einbauen – Skaten ist wie das Leben.


bericht «Im Battle bist du Schauspieler»

imPressum

16 Breakdancer lieferten sich an den X-Days Biel ein erbittertes Battle um den Titel des «King of BNC» (König von Bienne City). Im Zweikampf traten sie gegeneinander an und wurden von einer dreiköpfigen Jury bewertet. Text: Jeannette Frey und Jana Kilchenmann | Bild: Raphael Moser

Tink.ch Sandstrasse 5 3302 Moosseedorf Tel +41 31 850 10 91 info@tink.ch www.tink.ch

«Make some Noise», heizte Cedi dem Publikum ein. Dieses antwortete mit lauten Zurufen. Der DJ trat an sein Pult und die ersten B-Boys, wie die Tänzer sich nennen, begannen zu batteln. Doch wie ernst ist dieser Kampf wirklich? «Im Battle bist du ein Schauspieler. Der Kampf ist fürs Publikum, wir selber haben einen riesen Spass dabei», sagt Marc Ugolini (23), der Organisator der Bieler Capsule Corporation. Ugolini ist seit der Gründung Anfang 2003 dabei; damals setzte sich die Corporation aus drei Tänzern und einem DJ zusammen. «Wir sind eine Familie» Heute sind alle Elemente des Hip-Hop vertreten: Sprayer, Breakdancer, Beatboxer und DJs. Insgesamt sind es etwa 30 Mitglieder. «Eine exakte Zahl kann ich nicht nennen, wir führen keine Mitgliederliste, sondern sind eine Familie. Wenn das Feeling da ist, gehörst du dazu», so

Marc weiter. Auch Mitgliederbeiträge würden keine einkassiert. «Geld steht bei uns an letzter Stelle.» Um den Nachwuchs zu fördern, wurde die Capsule Academy gegründet, wo zwei Mal pro Woche Breakdance-Unterricht für Kinder, Jugendliche und Erwachsene stattfindet.

 Capsule ist weitaus mehr als eine Crew: Der Name verbindet viele Leute, Interessen und Gruppierungen im Umfeld der einzelnen Mitglieder. Gerade deshalb sei es schwierig, alle Meinungen unter einen Hut zu bringen, sagt Ugolini. Doch Streit gebe es selten. Man diskutiere so lange, bis ein Kompromiss gefunden werde. «Neue Ideen werden aber nicht unter den Tisch gekehrt, sondern es wird auf ihnen aufgebaut.» Ziel sei es, mit dieser Gruppierung an Battles und Shows gemeinsam aufzutreten. Wie an den X- Days.

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Redaktion Céline Graf (Leitung) Janosch Szabo (Leitung) Christoph Mersmann Diana Berdnik Jana Kilchenmann Jeannette Frey Natanja Zürcher Nicolas Matter Oliver Dürr Tanja Bänziger Bilder Fabian Bloch Raphael Moser Torvioll Jashari Timo Mägli Layout Manuel Dürr Druck Passepartout-ch Sandstrasse 5 3302 Moosseedorf Ausgabe Nummer 27 13. August 2011 Auflage 1000 Exemplare Partner Der Druck wurde ermöglicht durch die Valiant Bank.

mitmachen Wir sind da, wo Jugendkultur lebt. Wo bist du? Das Online-Magazin Tink.ch sucht Schreib­talente zwischen 16 und 30 Jahren. Jung, kritisch, frech, schnell und hungrig? www.tink.ch/mitmachen

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