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Ganz oben mit dabei
Schweizer Wissenschaftler
waren am Bau des Weltraumteleskops beteiligt, das die Tiefen des Universums beobachten wird
Die Schweiz spielt in der obersten Liga
Der Professor und Forscher Maurizio Falanga leitet seit August 2021 das International Space Science Institute in Bern. Im Interview zieht er Bilanz über die Rolle unseres Landes in der Weltraumforschung.
INTERVIEW PASCALE STEHLIN
Was genau sind die Aufgaben des International Space Science Institute? Maurizio Falanga: Das International Space Science Institute (ISSI) ist eine Einrichtung, das den verschiedenen Gemeinschaften der Weltraumwissenschaften als internationale und multidisziplinäre Plattform dienen soll. Wissenschaftler aus der ganzen Welt können ihre Daten aus Weltraummissionen gemeinsam analysieren, vergleichen und interpretieren. Theoretiker, Modellentwickler, Beobachter am Boden und Laborforscher kommen am ISSI zusammen, um interdisziplinäre Interpretationen von experimentellen Daten und Beobachtungen zu formulieren. Sie werden dazu aufgefordert, ihre Ergebnisse zusammenzutragen. Die in mehreren Zeitschriften veröffentlichten Erkenntnisse aus diesen Aktivitäten sollen offene wissenschaftliche Fragen beantworten oder dabei helfen, die Anforderungen an künftige Projekte der Weltraumforschung zu definieren. Das ISSI steht allen Disziplinen der Weltraumwissenschaften und allen Nationalitäten offen, vorausgesetzt, die Wissenschaft steht an erster Stelle und die Qualität ist hervorragend. Das hilft uns, die Neutralität des ISSI zu wahren, sowie unsere Fähigkeit, herausragende Wissenschaftler aus verschiedenen Institutionen – zum Beispiel der NASA, der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und der japanischen Raumfahrtbehörde (JAXA) – wie auch aus verschiedenen Ländern, etwa Russland und China, zusammenzubringen.
Welche Rolle spielt unser Land in der Weltraumforschung? Die Schweizer Wissenschaftler sind an verschiedenen Phasen der Weltraummissionen beteiligt, von den Planungsund Konstruktionsphasen bis hin zur Sammlung und Auswertung der Daten. Dies geschieht meist in Zusammenarbeit mit der ESA oder im Rahmen erfolgreicher internationaler Kooperationen, etwa mit der NASA oder anderen internationalen Weltraumorganisationen. Dank ihrer Forscher ist die Schweiz immer noch an fast allen europäischen Weltraummissionen beteiligt. Somit ist die Mehrheit der Schweizer Weltraumforschungsaktivitäten mit den Missionen der ESA verknüpft. Das Wissenschaftsprogramm dieser europäischen Organisation ist für die Schweizer Wissenschaftsgemeinschaft also äusserst wichtig.
An welchen aktuellen Missionen ist die Schweiz beteiligt? Die bedeutendste Schweizer Entdeckung betraf meiner Meinung nach den ersten Exoplaneten: ein Planet ausserhalb unseres Sonnensystems, der einen anderen Stern als unsere Sonne umkreist. Die Schweizer Professoren Michel Mayor und Didier Queloz erhielten 2019 den Nobelpreis in Physik für die Entdeckung des ersten Exoplaneten im Jahr 1995. Wir dürfen sehr stolz auf unsere Preisträger sein, denn diese Entdeckung hat die moderne Astronomie revolutioniert. Sie führte zur ersten von der Schweiz geleiteten, im Dezember 2019 gestarteten Weltraummission der ESA namens «CHEOPS» (CHaracterising ExOPlanet Satellite). Die Universität Bern leitet dabei ein Konsortium von elf an dieser Mission mitwirkenden ESAMitgliedsstaaten. Das Weltraum teleskop «CHEOPS» beobachtet helle Sterne, von denen bereits bekannt ist, dass sie Planeten haben. Es misst die winzigen Helligkeitsänderungen, die auftreten, wenn ein Planet vor seinem Mutterstern vorbeizieht. Ziel ist es, genaue Daten über die Planetengrösse zu erhalten, um ihre Strukturen besser zu verstehen.
Letzten Dezember wurde das «James Webb»-Weltraumteleskop mit Schweizer Technologie an Bord ins All geschossen. Was ist seine Aufgabe? Das Teleskop ersetzt das berühmte «Hubble»Weltraumteleskop, das seit 1990 im Weltraum unterwegs ist. Das «Webb» bietet eine erheblich verbesserte Empfindlichkeit, es ist hundertmal schärfer als das «Hubble». Eines der Hauptziele dieser Mission ist, die gesamte Geschichte des Universums vom Urknall bis heute zu beobachten. Das heisst, das Teleskop wird im Weltraum besser beobachten können, wann die ersten Sterne und Galaxien entstanden sind. Es wurde von der NASA in Zusammenarbeit mit der ESA und der kanadischen Weltraumorganisation entwickelt. Schweizer Wissenschaftler der ETH Zürich waren eng in das Projekt eingebunden, und Schweizer Technologie ist mit an Bord. Astrophysiker Adrian Glauser von der ETH Zürich hat einen Mechanismus entwickelt, der das MIRI (MidInfrared Instrument), ein Messinstrument, vor Verschmutzung schützt. Zusammen mit anderen hat er auch spezielle Kabel entwickelt, die dünner als ein Haar sind.
Stehen bald weitere Projekte mit Schweizer Beteiligung an? Eine der interessantesten Beteiligungen der Schweiz an künftigen Missionen wird im Rahmen des Rovers «ExoMars» stattfinden. Dieser Rover ist ein Landfahrzeugprojekt der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Er wird auf der Marsoberfläche nach Spuren →
Das «James Webb»Teleskop wurde letzten Dezember ins Weltall geschossen
vergangenen Lebens suchen. Das Gefährt soll 2022 mit einer russischen Rakete der Raumfahrtorganisation Roskosmos ins All gebracht werden. Die Schweiz baute mit an der leistungsstarken, hochauflösenden Farbkamera, die für Nahbeobachtungen entwickelt wurde, um ähnliche visuelle Daten zu gewinnen, wie Geologen dies tun. Das Fahrzeug wird die geochemische Umgebung der obersten Schichten des Marsuntergrunds erforschen, vor allem auf Wasser hin. Es wird auch nach Gasen suchen, die in der Marsatmosphäre in Spuren vorliegen. So will man die Marsumgebung besser verstehen.
Hebt sich unser relativ kleines Land mit den im Vergleich zu den anderen beteiligten Grossmächten bescheideneren Mitteln in diesen Bereichen durch sein Fachwissen ab? Ja, die Schweiz ist überall in der Weltraumforschung dabei. Das Land hat sich mit Innovationsfähigkeit einen Platz im All erobert. So stellt Ruag Space die Nasenkappen der Trägerrakete «Ariane 5» her. Die Unternehmen APCO Technologies in Aigle und Clemessy in Basel sind an der RoverMission «ExoMars» beteiligt. Mission «ExoMars» beteiligt. Auch der grosse Elan an den Eidgenössischen Technischen Hochschulen, den Schweizer Universitäten und verschiedenen Instituten haben dazu beigetragen. So kommt der erste Müllwagen im Weltraum aus der Schweiz. Das Projekt «Clean Space» der ETH Lausanne wurde von der ESA unter mehreren Kandidaten ausgewählt, um den Schrott im Orbit zu beseitigen. Der Satellit wird 2025 auf einer europäischen Rakete abheben. Das Engagement im Weltall fordert den Erfindungsgeist in Forschung und Industrie ständig heraus. Und die Weltraumforschung trägt erWeltraumforschung trägt er heblich zu unserem Wohlstand bei. Sie umfasst Aktivitäten mit hoher Wertschöpfung, die auch künftigen Generationen zugutekommen. gutekommen. raumforschung, 180 Millionen davon in Form von Beiträgen an die ESA, der sie seit deren Gründung angehört.
Was erweckte Ihr Interesse an der Astrophysik? Die Sterne und das Universum faszinierten mich schon von klein auf. Wenn wir den Kosmos jenseits unseres eigenen Planeten erforschen, können wir verstehen, woher wir kommen, wohin wir gehen und wie die Physik unter nicht auf der Erde reproduzierbaren Bedingungen funktioniert.
Träumen Sie als Wissenschaftler davon, andere Planeten zu bereisen? Als Kind träumte ich davon, auf den Mond zu fliegen und Astronaut zu werden. Doch mit den Jahren hat sich das geändert. Ich sehe mehr die Schönheit unserer eigenen Welt, den Wald, die Berge, das Wasser oder die verschiedenen Pflanzen. Heute geniesse ich lieber unsere Erde, die einzigartig ist.
Wie hoch ist das Budget der Schweiz für die Weltraumforschung? Die Schweiz investiert jährlich rund 200 Millionen Franken in die Welt
«Die Schweiz ist überall in der Weltraumforschung dabei.» Prof. Maurizio Falanga, Direktor ISSI Bern Was sind die nächsten Schritte bei der Weltraumeroberung? Und welche Entdeckungen erwarten uns in den kommenden Jahren? Die Rückkehr zum Mond wird der erste Schritt der bemannten Raumfahrt sein, gefolgt vom Bau eines Labors zur Erforschung des Mondes. Danach werden wir die Erkundung des Mars mit einer bemannten Mission fortsetzen. Der Weltraumtourismus dürfte immer attraktiver werden, allerdings nur für einige sehr privilegierte Menschen. Jedoch ist er ein Mittel zur Erzielung von Einkünften, um private Weltraumeinrichtungen zu unterstützen und weitere Weltraumtechnologien zu entwickeln. Warum fasziniert das Weltall so? Ich glaube, es sind die grössten Geheimnisse des Universums, welche die Astrophysik so spannend machen. Es gibt noch so vieles zu entdecken. Zahlreiche Fragen bleiben offen. Sind wir allein im Universum? Woher kommen wir? Diese ungelösten Rätsel fesseln uns alle. •
FOTO: ZVG
Zur Person
Maurizio Falanga wurde in Basel geboren und studierte Physik an der Universität der Stadt am Rhein. Anschliessend erlangte er an der Universität Rom seinen Doktortitel in Astrophysik. Er hatte mehrere Forschungspositionen in Abteilungen der Astrophysik in Europa und den USA inne. Falanga spezialisierte sich in astrophysikalischer Hochenergie, die sich hauptsächlich mit der Erforschung sogenannter kompakter Objekte befasst: Weisse Zwerge, Neutronensterne und Schwarze Löcher. Er ist Autor und CoAutor zahlreicher auf diesen Forschungsgebieten publizierter Artikel. Von 2009 bis 2021 leitete er das wissenschaftliche Programm des ISSI, von 2013 bis 2019 war er als Teilzeitdirektor am ISSIBeijing in China tätig. Seit 2021 ist er Direktor des ISSI Bern und Professor an der Universität Bern.
Mehr Informationen zum International Space Science Institute: issibern.ch