Geheimarmeen in Europa

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11 Der geheime Krieg in den Niederlanden Ebenso wie im benachbarten Belgien hat die geheime Stay-behind-Armee der Nieder­ lande ihren Ursprung in den Erfahrungen der Besatzung während des Zweiten Weltkrie­ ges. Die Niederlande, so beklagten holländische Strategen später, hatten wegen Geld­ mangels vor dem Krieg, wegen fehlenden Vorstellungsvermögens und im Kontext der Neutralität des Landes keine Stay-behind-Armee eingerichtet. Dann wurden die Nieder­ lande im Mai 1940 von der deutschen Wehrmacht besetzt und die niederländische Re­ gierung sowie das niederländische Königshaus, und privilegierte Personen des politi­ schen, militärischen und wirtschaftlichen Bereichs mußten übereilt und chaotisch das Land nach Großbritannien verlassen. GS III, die Abteilung Geheimdienst des holländi­ schen Generalstabs, hatte zu spät vor dem deutschen Angriff gewarnt und so bitterlich in dem Bereich versagt, der ihre wichtigste Aufgabe war. Wegen des hastigen Rückzugs gab es in verschiedenen Bereichen logistische Notlagen, und die holländischen Minister, die 1940 in London ankamen, konnten ihre Aufgaben kaum noch wahrnehmen, weil ih­ nen die wichtigsten Dokumente fehlten. Vielen im militärischen Dienst und im Sicher­ heitsbereich war klar, daß eine derartig chaotische Flucht nie wieder vorkommen sollte und daß nach dem Krieg Vorbereitungen gegen eine künftig mögliche Invasion sehr ernst genommen werden müßten. Nach der chaotischen Flucht der Regierung im Mai 1940 war das Heimatland fast fünf traumatische Jahre hindurch von den Deutschen besetzt. Die holländische Regierung in London, die fast überhaupt keine verläßlichen Informationen über das besetzte Heimat­ land hatte, schickte Agenten in die Niederlande mit der Aufgabe, Informationen zu sam­ meln, Widerstand zu organisieren und sich in kleinem Rahmen an verdeckten Operatio­ nen zu beteiligen. Wie in Belgien wurden die holländischen Operationen in enger Zu­ sammenarbeit mit den Briten durchgeführt, vor allem jedoch mit der neu gegründeten British Special Operations Executive (SOE). Doch die Deutschen infiltrierten mit ver­ hängnisvoller Wirkung die hastig zusammengestellten Einheiten. In einem der größten Desaster für die SOE, dem sogenannten Englandspiel, wurde der holländische Teil der SOE von den Deutschen heimlich infiltriert, die danach die Sender kontrollierten und die Kommunikation mitlesen konnten. Dutzende von Agenten fielen dem Feind in die Hände und kehrten deshalb nie zurück. Während des Krieges etablierten die Holländer und Briten enge Bindungen, und London riet den Holländern, ihren zerstörten und chaotischen Geheimdienstapparat neu zu orga­ nisieren. Entsprechend dem Rat der Briten wurden in den ersten 40er Jahren während des Londoner Exils zwei neue Dienste geschaffen. Das Bureau Inlichtingen (BI) wurde im November 1942 eingerichtet und hatte die Aufgabe, geheimdienstliche Informatio­ nen zu sammeln. Das Bureau Bijzondere Opdrachten (BBO) wurde mit der Aufgabe ge­ gründet, spezielle Operationen durchzuführen. Zusammen mit den Spezialeinheiten der britischen SOE sprangen BBO-Agenten über dem besetzten Land mit Fallschirmen ab. Als der Krieg vorüber war, wurden das BI und das BBO aufgelöst. Doch in den folgen­ den Jahren wurde ein großer Teil des Personals dieser Geheimdienste direkt am Aufbau der holländischen Stay-behind beteiligt. C. L. W. Fock, ein Mitglied des BI, bestand während des Kriegs darauf, daß die Nieder­ lande besser vorbereitet sein müssen, und in Friedenszeiten sollte eine Stay-behind im Land eingerichtet werden. Auch sein Vorgesetzter, J. M. Somer, Chef des BI in London, war überzeugt, daß nach dem Ende der deutschen Besatzung in den Niederlanden eine Stay-behind eingerichtet werden müsse. »Ich erinnere mich, wie Somer, Charles van Houten (Verbindungsoffizier zwischen dem BI und der holländischen Königin Wilhel­ mina) und ich schon 1944 darin übereinstimmten, daß so etwas nie wieder geschehen darf«, erinnerte sich Fock im Alter von 87 Jahren 1992 im Rahmen eines Interviews

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Articles inside

Chronologie

9min
pages 251-255

17 Der geheime Krieg in der Türkei

53min
pages 225-245

Nachwort von Prof. Dr. Albert A. Stahel

2min
page 250

Schlußfolgerung

10min
pages 246-249

15 Der geheime Krieg in Deutschland

58min
pages 189-212

16 Der geheime Krieg in Griechenland

31min
pages 213-224

14 Der geheime Krieg in Norwegen

32min
pages 176-188

13 Der geheime Krieg in Dänemark

18min
pages 168-175

12 Der geheime Krieg in Luxemburg

6min
pages 165-167

10 Der geheime Krieg in Belgien

59min
pages 127-149

11 Der geheime Krieg in den Niederlanden

42min
pages 150-164

09 Der geheime Krieg in Portugal

25min
pages 117-126

07 Der geheime Krieg in Frankreich

47min
pages 89-106

08 Der geheime Krieg in Spanien

28min
pages 107-116

06 Der geheime Krieg in Italien

53min
pages 69-88

05 Der geheime Krieg in den Vereinigten Staaten von Amerika

29min
pages 58-68

04 Der geheime Krieg in Großbritannien

33min
pages 46-57

02 Ein Skandal schockiert Westeuropa

22min
pages 25-33

03 Das Schweigen der NATO, der CIA und des MI6

32min
pages 34-45

Einführung

3min
pages 12-13

01 Ein Terroranschlag in Italien

31min
pages 14-24

Abkürzungen

2min
pages 9-11

Inhaltsverzeichnis Vorwort von Prof. Georg Kreis

2min
page 4

Danksagung

9min
pages 5-8
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