Geheimarmeen in Europa

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12 Der geheime Krieg in Luxemburg Von allen drei Beneluxstaaten ist Luxemburg bei weitem der kleinste Staat. Genau wie Belgien und die Niederlanden wurde auch dieses Land während des Zweiten Weltkriegs von der deutschen Wehrmacht eingenommen und besetzt. Doch anders als Belgien, wo eine Kommission des Senats die Geheimarmee untersucht hatte, oder anders als die Nie­ derlande, wo Historiker das Netzwerk recherchiert hatten, wurden in Luxemburg bisher nur in sehr begrenztem Umfang Informationen über die nationale Stay-behind verfügbar gemacht.1 Wie Premierminister Jacques Santer am 14. November 1990 in seiner Antwort auf einen Dringlichkeitsantrag des Parlamentariers Charles Goerens von der Demokratischen Par­ tei vor seinem Parlament betonte, wurden auch kleine Länder in das kontinentale Netz­ werk der geheimen Stay-behind-Armeen einbezogen. Wie in Belgien und in den Nieder­ landen wurde die Idee aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs geboren, als in Lu­ xemburg ähnliche Netzwerke existiert hatten. Doch sie kämpften mit nur begrenztem Erfolg gegen die deutschen Besatzungstruppen. Luxemburg trat der NATO schon bei der Gründung im Jahr 1949 bei, und seither wurden die geheimen Netzwerke von der militärischen Allianz koordiniert. Den erstaunten Parlamentariern erklärte der Premier­ minister die Terminologie der Geheimarmee: Das Wort Gladio ist ein Begriff, der für die italienische Struktur verwendet wur­ de. Der Begriff, der international und innerhalb der NATO verwendet wird, ist Stay-behind. Dieser Begriff stellt das Konzept einer Organisation dar, die so ge­ plant ist, daß sie hinter den Fronten eines militärischen Konflikts aktiv wird, also im Fall einer feindlichen Besetzung des Territoriums. Dieses Konzept wurde von der NATO entworfen. Die Idee selbst stammt aus den Erfahrungen des Zwei­ ten Weltkriegs, währenddessen zu Besatzungszeiten ähnliche Netzwerke einge­ richtet wurden, also in einem besonders schwierigen Umfeld und unter feindli­ cher Kontrolle.

Nie wieder, so präsentierte der Premierminister das Grundprinzip des geheimen Netz­ werks, sollte ein Land so schlecht auf einen Krieg und eine mögliche Besetzung vorbe­ reitet sein: Um in Zukunft die gleiche Vorbereitungslücke zu vermeiden, wurde entschieden, die Grundlagen einer derartigen Organisation bereits in Friedenszeiten vorzube­ reiten.

Während bestimmte Mitglieder des Parlaments dachten, daß die von der NATO geführ­ te Armee die Souveränität europäischer Staaten verletzt hatte, behauptete Premierminis­ ter Santer, der später als Präsident der EU-Kommission diente, daß dies nicht der Fall gewesen sei: Alle NATO-Staaten in Mitteleuropa haben an diesen Vorbereitungen teilgenom­ men, und Luxemburg konnte sich dieser internationalen Solidarität nicht verwei­ gern. Jeder Mitgliedsstaat konnte seine eigenen Strukturen definieren. Deshalb, obwohl die NATO der Initiator und Koordinator des Stay-behind-Netzwerks war, blieb jedes Land der Leiter seines eigenen nationalen Beitrags.

Als Folge wurde auch das Stay-behind-Netzwerk von Luxemburg von der NATO koor­ diniert und nahm somit an den geheimen Konferenzen des ACC und des CPC teil, auch an der Konferenz am 23. und 24. Oktober 1990 unter dem Vorsitz des belgischen Gene­ rals Van Calster. Weder die Namen noch die Anzahl der Agenten, die der geheimen Stay-behind-Armee in Luxemburg angehörten, wurden aufgedeckt, und der Premiermi­

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Articles inside

Chronologie

9min
pages 251-255

17 Der geheime Krieg in der Türkei

53min
pages 225-245

Nachwort von Prof. Dr. Albert A. Stahel

2min
page 250

Schlußfolgerung

10min
pages 246-249

15 Der geheime Krieg in Deutschland

58min
pages 189-212

16 Der geheime Krieg in Griechenland

31min
pages 213-224

14 Der geheime Krieg in Norwegen

32min
pages 176-188

13 Der geheime Krieg in Dänemark

18min
pages 168-175

12 Der geheime Krieg in Luxemburg

6min
pages 165-167

10 Der geheime Krieg in Belgien

59min
pages 127-149

11 Der geheime Krieg in den Niederlanden

42min
pages 150-164

09 Der geheime Krieg in Portugal

25min
pages 117-126

07 Der geheime Krieg in Frankreich

47min
pages 89-106

08 Der geheime Krieg in Spanien

28min
pages 107-116

06 Der geheime Krieg in Italien

53min
pages 69-88

05 Der geheime Krieg in den Vereinigten Staaten von Amerika

29min
pages 58-68

04 Der geheime Krieg in Großbritannien

33min
pages 46-57

02 Ein Skandal schockiert Westeuropa

22min
pages 25-33

03 Das Schweigen der NATO, der CIA und des MI6

32min
pages 34-45

Einführung

3min
pages 12-13

01 Ein Terroranschlag in Italien

31min
pages 14-24

Abkürzungen

2min
pages 9-11

Inhaltsverzeichnis Vorwort von Prof. Georg Kreis

2min
page 4

Danksagung

9min
pages 5-8
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