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Apulien Ein Reiseverf端hrer von Ulrich van Stipriaan

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Inhalt

Apulische Augenblicke Fotostrecke mit 14 ganzseitigen Bildern

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… und drei einführenden Geschichten Apulische Augenblicke Im rüden Süden Südländische Freundlichkeit

Seite 14 Seite 16 Seite 17

Carovigno Kleine Stadt mit wenig Tourismus – aber natürlich mit Castello und sehenswerter Altstadt. Seite 20

Im Zipfelmützenland Wanderung von Locorotondo nach Martina Franca – durch das Land der Trulli Seite 34

Ostuni Die „Weiße Stadt“ – mit Hochzeit und Restaurantbesuch Seite 26

Eine Runde Monopoli Kirchen, Paläste aus dem 12. Jahrhundert und ein pittoresker Hafen: Monopoli hat alles. Außerdem ist es nicht weit Oria nach Polignano a Mare...  Besuch der alten Damen – Seite 44 ­Begegnungen in Oria  Seite 50

Impressum STIPvisiten von Ulrich van Stipriaan (Texte und Bilder) – Band 2: Apulien Die Reisenotizen und Fotos vom 2. bis 21. Mai 2008 erschienen zuerst bei Ipernity: http://stip.ipernity.com http://stipvisiten.de | uvs@stipvisiten.de 2

Torre Guaceto Über 1.000 ha großes Naturschutzgebiet mit traumhaften Badegelegenheiten Seite 56 Die Bucht der verlorenen Schuhe Wo mögen sie herkommen? Schuh-Einzelschicksale formen sich zu einer fantastischen Geschichte Seite 61


Apulien | Puglia Alberobello Eine Stadt voller Trulli – mit einem eher touristischen und einem eher beschaulichen Viertel. Seit 1996 sind die Trulli von ­Alberobello Teil des UNESCO Welterbes. Seite 62

Altamura Besuch in der Stadt des Hartweizen­brotes und der Kathedrale, die Friedrich der ­Staufer der Stadt beschert hat Seite 76

Massafra Links und rechts der Schlucht Gravina di San Marco: Höhlen im Kalk, wunderbare Motive des Verfalls und ein nettes Erlebnis in der Osteria „Il Basilico“  Seite 68

Gravina in Puglia Die Gassen sind eng, die Schluchten ­beeindruckend – und die Grottenkirche ­hatte geschlossen. Ein erlebnisreicher Besuch war es dennoch   Seite 78 Vieste Haupt-Stadt des Gargano mit schönem Strand und malerischer Altstadt Seite 80 ...und Durchfahrt des Giro d‘Italia auf seiner 6. Etappe. Es machte SSSsssssssttt Seite 92 Von Sandbaronen und Erdbeeren im Wein Pèschici hat auch im Regen Charme. Die Stadt auf dem Sporn bietet natürlich ein Castello und Meer rund um den Fels. Aber dann auch noch verfallene Häuser, Illusionsmalerei, lustige Getränke­kombinationen in der Bar und andere Über­raschungen! Seite 96 Außerdem: Rodi Garganico · Vico del Gargano Monte S. Angelo Von Surfern und Bierhäusern Die kleine Grottentour

Seite 100 Seite 106 Seite 116 Seite 118

Im Land der Trabucchi Taue, Masten, Netze: An der Küste des G ­ argano stehen ­viele merkwürdige Fischfanggeräte Seite 94

Wandern im Wald Im Foreste Umbra gibt es mehr Wanderwege als auf der Karte für das Gebiet, was zu l­ustigen Erlebnissen führt  Seite 110 3


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Apulische Augenblicke „Wie war denn der Urlaub?“ „Ach“, sagt das Hemd, „aus meiner Sicht sehr spannend!“. Dabei blickt es stramm auf die sich von innen nähernde Wölbung. Das Essen war also, wen wundert‘s?, offensichtlich gut. „Und das Wetter?“ „Sieh uns doch mal an!“ sagen die Füße. Merkwürdig: Streifenweise sind sie braun, dazwischen eher blass. War das Wetter also eher durchwachsen? „Quatsch!“ sagen die Füße und verweisen auf die Sandalen, an denen sie so hängen. „Eine Frage noch: Apulien – wo liegt das eigentlich?“ Süditalien. Wer sich Italien als Stiefel vorstellt (und wer tut das nicht?), findet Apulien da, wo die Wade ist, wenn der Stiefel ausgezogen ist. Und wenn er wieder angezogen ist, dann hat so ein Stiefel gerne einen Sporn (im Reiter- oder Soldatenleben gerne mit gezacktem Rädchen): Das ist das Gargano. „Das Klima bietet milde Winter und heiße Sommer“, lese ich in der Wikipedia und bin geneigt zu ergänzen: Der Mai kann erstaunlich kühl und durchwachsen sein, was den in Apulien lebenden Menschen mehr bekannt zu sein scheint als den Urlaubern: Letztere erkennt man an kurzen, weißen Hosen / Röcken / Kleidern und kurzärmligen Hemdchen, die Einheimischen an Daunenjacken und durchweg eher dunkler Kleidung, die rein jahreszeitlich an den Übergang vom Herbst zum Winter erinnerte. Ich habe es dann aber nicht in den Wikipedia-Beitrag geschrieben (vielleicht will das ja jemand machen, eine Quelle könnte er (oder sie) hiermit ja angeben. 14


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Im rüden Süden „...und rufen Sie Familie M. ruhig an – sie sprechen beide deutsch!“ hatte uns die Ferienwohnungsvermittlerin geschrieben. Also riefen wir an, nachdem wir in Bari gelandet waren und den Mietwagen übernommen hatten. Während das Telefon klingelt und keiner rangeht außer der nicht deutsch sprechenden (natürlich nicht! Warum auch?) vollautomatischen italienischen Telekomdame, bleibt also Zeit, ein wenig abzuschweifen. Bari ist die Hauptstadt Apuliens, und Apulien ist die Wade des italienischen Stiefels. So, nun weiß jeder wo wir sind: Im Mezzogiorno, am Flughafen, bei der Autovermietung. Und über die wollte ich ein wenig abschweifen, so zur Einstimmung, während das Telefon klingelt und keiner rangeht außer der italienischen Telekomdame. Wir hatten den Wagen laut Protokoll „ohne Altschaden“ übernommen und fanden ihn – mit drei Stellen von Kratzern, Lackabschürfungen und Beulen. Banda rumurosa Die Firma hatte schon jemand auf dem Platz, der, soweit ich das verstehen konnte, als Ausgleich für den mangelnden Service vor Übernahme des Wagens durch den Kunden die Bestandsaufnahme nur bei Beschwerden durchführte. Das aber nett und verbindlich sowie, natürlich, nur auf italienisch. So, nun klingelt das Telefon wieder – und diesmal geht einer ran! Wenn der Italiener ans Telefon geht, begrüßt er sein Gegenüber mit „pronto!“ – und man kann sich aussuchen, ob er nun bereit ist oder schnell fertig sein möchte. Signore M. sprach kaum deutsch und war auch gleich wieder weg: Funkloch. Aber er rief, dem Loch nur ein bisschen entwichen, zurück, und wir teilten ihm mit, nun Bari zu verlassen. Wir verabredeten uns an einer Tankstelle – er meinte: in einer halben Stunde. Kurz danach fuhr ich an einem Schild vorbei und las, dass es bis zur Tankstelle etwa 82 Kilometer seien. Wie mag er, angesichts der vielen Polizisten mit Tempolimitüberschreitungsgeldbörsen, das schaffen? Gar nicht. Wir hatten uns nur missverstanden, wie seine nun wirklich 16

deutsch sprechende Frau uns mitteilte. Die beiden lotsten uns zum Haus, das direkt an der Straße in einem riesigen Grundstück liegt. Die Straße beliebt kurz hinter dem Haus in eine Kurve zu münden, weswegen so genannte „liegende Polizisten“ oder, wie man in Italien sagt, eine banda rumurosa den rasenden und vielleicht müden Fahrer wecken und erschrecken sollen. Sie sind, auch 50 Meter weiter landeinwärts auf der Terrasse des Hauses, gut wwwwwwrrrrrrrrrrrrrrmmmmmmmm zu ­w wwrrrrrrrrrrrmmmmm hören wrrrrrrrrmm. Auch sonst ist es hier sehr ruhig, die Züge auf der nahe gelegenen Strecke halten letztmals abends um elf mit tuut und pingpingping am nahe gelegenen Bahnhof (der, aus Sicht der Reisenden, mitten in der Pampa liegt, auch wenn er Carovigno heißt. So, das war der Frust des ersten Abends – und da man ja jede Geschichte bekanntlich auf mindestens zweierlei Art erzählen kann, folgt gleich Version zwei.


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Südländische Freundlichkeit Wir landen am Flughafen Bari. Wir rufen den Vermieter an, der nicht ans Telefon geht – aber (Rufnummernübertragung!) sofort zurück ruft. Wir verabreden uns an der Tankstelle im 82 Kilometer entfernten Carovigno – und werden dort von der Tankstellenpächterin freundlich begrüßt: Unser Gastgeber sei gleich da! Während ich noch überlege, wie sie uns erkannt hat, kommt auch schon der Vermieter mit seiner gut deutsch sprechenden Frau. Sie fahren mit uns zum Haus – es steht auf mindestens 2.000 Quadratmetern süditalienischem Garten, mit Olivenbäumen und Blumen! Unser Domizil ist riesig! Das fängt ja richtig gut an – und so geht’s auch weiter. Zum ersten Abendessen fahren wir ans Meer (das man, wenn man dem Haus aufs Flachdach klettert, vom Feriendomizil aus sehen kann). In Torre Santa Sabina warten drei Restaurants auf Gäste – es ist halb acht, für italienische Verhältnisse noch recht früh. Egal: Wir wählen das Beste - natürlich. Frag‘ keine(r), wie wir das machen, aber offensichtlich ist es ein Urinstinkt: Um halb acht waren alle drei Restaurants gleich leer (und irgendwie auch gleich charmant, also nicht so heimelig wie bei uns. Aber das ist ein gutes Zeichen, wenn die Lampen hell und die Tische eher rustikal sind). Als wir gingen, war nur eins voll: Das, aus dem wir kamen. Noch Fragen? Ach ja, sicher die: Was gab es denn? Wir hatten die Antipasti della Casa bestellt – den Vorspeisenteller des Hauses. Einmal für uns beide, weil wir nicht so viel Hunger hatten und danach ja noch einen Hauptgang zu uns nehmen wollten. Der recht rüde wirkende Kellner (er knallte jedem im Restaurant, das sich langsam füllte, die Wasserflasche und den Wein geräuschvoll

auf den Tisch und wirkte irgendwie lustlos) kam mit vier kleinen Tellern verschiedener Vorspeisen, die er schwungvoll auf den Tisch stellte. Dann ging er – um sofort wieder zu kommen mit noch einmal drei Tellern. Er wünschte uns „Buon appetito!“, ging – und kam noch einmal mit vier Tellern. Wir mussten die Fensterbank als Abstellfläche missbrauchen, probierten alles und fühlten uns am richtigen Platz: Käse, hausgemachte Pasteten, Meeresfrüchte, Tintenfisch, Salat – alles bestens. Und der Fisch sowie die Pizza danach waren eigentlich überflüssig (aber auch so gut, dass sie gegessen werden wollten!) An den Kellner hatten wir uns mittlerweile gewohnt – es war gar nicht so übel und missgelaunt, sondern schnell, freundlich, nett. Und er beeindruckte uns nachhaltig, als er alle Teller auf einmal abräumte und fortschaffte...

Ferienhaus mit Heiligenschutz 17


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Carovigno (1) Eigentlich sollte es einem zu denken geben, wenn der Reiseführer Carovigno gar nicht erwähnt. Wo dort doch nahezu jede Milchkanne Erwähnung findet! Und findet man mal was über Carovigno, dann ist es auch nicht sehr hilfreich – so wie bei Theodor Mommsen in seinem 1850 erschienen Buch über „Die unteritalischen Dialekte“: „Wenden wir uns endlich noch zu den grossen Inschriften, so sind die von Monopoli und Carovigno so schlecht copirt, dass nichts damit anzufangen ist.“ Mist! Dazu passt dann auch, dass die örtliche Touristeninformation „Pro Loco“ beim ersten Besuch geschlossen ist und beim zweiten nur zwei im Dunklen miteinander parlierende Damen präsentierte, die außer ihrer Muttersprache keine andere beherrschten. Freundlich zeigte die eine auf einen Stapel mit Broschüren, von denen eine (natürlich auch italienisch, wir sind schließlich in Italien) auf 28 Seiten ausführlich Auskunft über die Perle Apuliens gibt (Carovigno – perla di Puglia). Also mit den Touristen aus aller Herren Länder wird‘s so nichts, aber vielleicht hat‘s uns ja auch deswegen so gut gefallen. Wir gehörten schnell zu einem Teil der Lebensgemeinschaft dieser Kleinstadt mit etwas über 15.000 Einwohnern, und das kam so: Jeden Morgen fuhren wir von unserem etwas außerhalb der Stadt gelegenen Domizil in die „Bar Jolly“, in der wir schon am zweiten Tag als Stammgäste betrachtet wurden. Ähnlich nett begrüßte man uns beim Gemüsehändler (Stichwort frisch gepresster Orangensaft!) und im Kaufladen für Brötchen, Wurst und Käse.

Carovigno liegt, wie die meisten Städte in der Gegend, auf einem Hügel. Glücklicherweise gibt es genug Hügel in der Gegend, so dass man sich von Berglein zu Berglein zuwinken kann. Die Vorliebe für Anhöhen hat natürlich was mit der nicht immer ungeteilten Freundschaft der Menschen zueinander zu tun: Von oben herab ließ es sich besser verteidigen, und wenn der Feind erstmal durch die Hitze den Berg ansteigen musste, mochte er die Burg gar nicht mehr erobern. Eine Burg, ein Castello, gehört im Apulischen zum guten Ton: Jede Stadt hat eine! Carovignos Schloss ist 1163 erstmals urkundlich erwähnt, seitdem hat es viel Fehden, Meuchlereien, Piratenangriffe und andere unschöne Dinge gesehen. Wenn die Steine (die heute wunderbar restauriert goldgelb in der Sonne reflektieren) erzählen könnten, gäbe es nette Geschichten von Baronen, die ihren Verpflichtungen als Feudalherren nicht nachkamen (also nicht so viel zahlten wie sie sollten). Die Liste der Besitzer und Bewohner des Schlosses über die Jahrhunderte ist ein nettes Who is Who in Puglia; wer mag, kann es ja nachlesen – mit großem Amusement auch in der automatischen Übersetzung durch Google. Auf dem Weg zum Schloss standen wir vor einer Kirche und suchten, wie so oft, mit der Kamera nach einem außergewöhnlichen Motiv. Da kam ein älterer Herr des Wegs und deutete uns freundlich an, ihm zu folgen. Er bog links ab in eine unspektakuläre Gasse und dann rechts in eine noch nichtssagendere. Einige Schritte noch ging er, dann hielt er, drehte sich um – und uns stand der Mund offen. Das Rosettenfenster der Kathedrale aus dem 14. Jahrhundert. Das hätten wir hier nicht vermutet: Rosettenfenster gehören über den Eingang der Kirche und nicht versteckt um die Ecke herum! Gar nicht so schlecht gedacht, denn unter dem Rosettenfenster war einmal der Eingang – man hatte ihn später lediglich verlegt. Vor dem jetzigen Eingang ist ein Platz (wie sich das für eine Kathedrale gehört), vor dem alten enges Gassengewirr, so dass – hätte uns der freundliche Insider nicht mitgenommen – wir das tolle Fenster vielleicht gar nicht entdeckt hätten. Mille grazie, signore! Bild links: Mit Seil gesichertes Gesims in Carovigno

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Carovigno (2) Italienische Städte haben eigentlich alle irgendetwas unterm Namen stehen. So nach dem Muster: Kleinkleckersdorf – die Stadt der großen Maler. Carovigno begrüßte uns bei der täglichen Einfahrt auf dem Weg zum Morgen-Espresso mit dem Hinweis, sie sei die Città della Nzegna. Nzwasbitte? Mein kleines italienisches Handwörterbuch versagte, doch ein Blick in den Touristen-Prospekt verriet es: Die Nzegna ist ein Wettkampf der Fahnenschwenker, der zu Ehren der Heiligen Maria ausgetragen wird. Nur an drei Tagen im Jahr – dann aber heftig: Am Ostermontag und -dienstag sowie am Samstag nach Ostern vor den Toren der Stadt bei der Wallfahrtskirche von Belvedere aus dem 8. Jahrhundert. Die ansonsten eher beschauliche kleine Stadt quillt dann über von Zuschauern, alles ist auf den Beinen, um zuzusehen, wie bunte Fahnen an langen Stöcken kunstvoll in die Luft geworfen und dann – wenn‘s klappt: Jubel und Applaus! – auch wieder aufgefangen werden. Zu Trommeln und Pfeifen (man kennt das von Mittelaltermärkten) mühen sich jeweils zwei Männer auf dem Platz ab, ziehen die Fahne samt Stange zwischen den Beinen hindurch, umschmeicheln die Fahne, tätscheln den Stock mit dem Fuß – ach, es ist so wie in den 50er Jahren beim Rock‘n‘Roll, nur dass die Jungs damals statt der Fahnen mit Mädchen tanzten, was irgendwie graziler aussah. Aber wir haben es ja hier nicht mit irgendeinem Tanz zu tun, sondern mit Tradition. Das ganze Spektakel macht einen sehr karnevalistischen Eindruck, inklusive dem nötigen Ernst und dem unvermeidlich eintönigen Trommeln und Pfeifen. Wir waren aber nicht zu Ostern da, sondern in ruhigeren Zeiten. ­Carovigno bietet dann typischen italienischen Alltag, mit Männergrüppchen hier und da und auch dort – es ist erstaunlich, was die alltäglich zu bereden haben. Frauen sieht man sehr gerne, wenn sie die Wäsche aufhängen oder einkaufen. Sie schwatzen auch miteinander, aber nicht so offensichtlich wie die Männer. Was uns auffiel: Wir haben keinen ordentlichen Bäcker gefunden. Zwei, drei Läden hätten es der Aufschrift nach sein können, aber sie hatten geschlossen. Brot und Brötchen gab es im Supermarkt – zwar in ordentlicher Qualität, aber eben nicht aus der eigenen Backstube. Auch die Zahl der 24

mobilen Händler (Fisch-Ape, Gemüse-Ape) tendierte gegen Null: Das war andernorts vielfältiger. Aber ansonsten gibt Carovigno schon einen guten Einblick in das italienische Einkaufsgefüge einer Kleinstadt. Due caffé Die Bar ist eine wunderbare italienische Institution: Man kommt rein – und wenn man dort bekannt ist, stehen schon schwupps schwupps zwei Untertassen auf der Theke. Von einer monumentalen Kaffeemaschine nimmt der Barmann (ganz ganz selten: die Barfrau – aber wenn es eine ist, dann ist sie meistens supergut!) zwei Espressotassen, die schön heiß sind, und stellt sie unter die Maschine. Ins Kaffeesieb kommt das Pulver, der Siebträger in die Maschine über die Tassen – und heraus läuft gaaaaanz langsam eine schwarze Brühe, die alsbald schaumig und bräunlich wird. Dann macht der Chef die Maschine aus, stellt die Tassen auf die Unter­ teller und holt zwei Gläser, die er mit Wasser füllt. Wenn man neu ist, fragt er, ob das Wasser sprudeln soll oder nicht; am zweiten Tag erübrigt sich die Frage natürlich. Man kennt sich! Nebenan stehen Bauarbeiter, Rechtsanwälte, wasweißich, jedoch selten mal eine Frau. Wie heißt es in der Sendung mit der Maus: Das klingt komisch, ist aber so. Andererseits musst du als Frau auch keine Angst haben, besonders blöd angeguckt zu werden, nur weil du einen Espresso willst. Manchmal trinken die Anwesenden – auch frühmorgens – nicht nur ihren Caffè, sondern auch härtere Sachen. Meistens passiert das alles im Stehen – aus gutem Grund: Da kostet‘s nicht so viel. Wir haben durchschnittlich 90 Cent pro Tasse Espresso bezahlt (nie mehr als 1 Euro, einmal nur 70 Cent, und das war nicht der schlechteste!). Ab dem dritten Tag war der Caffé schon in der Mache, wenn wir rein kamen – der Chef hatte sich unser Auto gemerkt! Irgendwann irritierte ihn offenbar, dass wir so lange in Carovigno blieben: Ob das unser letzter Tag sei, wollte er wissen. Es war der vorletzte, und natürlich waren wir auch am letzten dort, mit bereits gepackten Koffern im Auto. Soviel Abschied muss sein! Frutta e verdura Die zweite Station des Tages war fast immer der kleine Gemüseladen. Ein Familienbetrieb, wie so oft in den kleineren Städten Italiens: Er brachte


Apulien | Puglia das Gemüse an und wuchtete Kisten, Sie kassierte und beriet, packte auch mit ein, wenn nichts los war. Hinzu kam ein erwachsener Junge, der ein wenig deutsch konnte – aber er war nicht immer da, so dass ich nicht mehr dazu gekommen bin ihn zu fragen, wo er das her hat. Es war offensichtlich mehr, als für eine rein touristische Kommunikation nötig ist. Egal. Von der Frau lernten wir das italienische Wort für Kirsche (ciliega) und sie von uns das deutsche Wort für ciliega (Kirsche). Das ging problemlos, weil wir einfach drauf zeigten, und es hat beiden Seiten viel Spaß gemacht! Zur angenehmen Seite dieser Einkaufskultur gehört sehr viel: Offensichtlich gab es dort wirklich Marktpreise – die (natürlich handgeschriebenen) Preisauszeichnungen variierten von Tag zu Tag. Und wenn man (weil es Fisch gibt) nur eine Zitrone kaufen will, geht das nicht: Man bekommt sie geschenkt. Auch werden Preise gerne abgerundet (jawohl: ab!). Derlei Kundenbindung gefällt mir besser als jede Kundenkarte, denn sie kommt wirklich dem Kunden zu Gute und dient nicht dem Sammeln von Daten und anderen Erkenntnissen.

einen (meistens hinter gar nicht so schlecht bestückten Fleisch- und Käsetheken) nett bedienen. An der Kasse gibt es selten Schlangen, weil so viele Leute da nicht reinkommen und notfalls eben der Chef an die Kasse nebenan geht. Wenn nicht viel los ist, kommt jemand und hilft beim Einpacken – was unsere amerikanischen Freunde ja auch kennen – aber wir in Deutschland eben nicht (ich mag es ja gar nicht schreiben: Ausgerechnet ein Azubi und ausgerechnet beim örtlichen Lidl hilft auch regelmäßig, die Tüten zu füllen und ist auch ansonsten ganz der Dienstleister. Aber er ist leider die Ausnahme). An der Bedientheke macht es immer großen Spaß, sich nur eine oder zwei oder vier Scheiben von diesem und jenem geben zu lassen: Das geht problemlos, keiner meckert – und man hat die Sachen wirklich frisch.

Supermercato Die Supermärkte in den Kleinstädten haben noch einen Hauch von Tante Emma: Sie sind übersichtlich, es laufen dort richtige Menschen herum, die

Verpasst haben wir auch was – die Osteria gia Sotto l‘Arco. Sie gilt als das beste Restaurant Apuliens, liegt mitten in der Stadt. Gesehen haben wir sie, bei unserem ersten Stadtbummel, aber dass es sich gelohnt hätte, da auch hinein zu gehen, das habe ich erst nach dem Urlaub gelesen. In der Osteria kocht die Autodidaktin Teresa Buongiorno, und ihr Mann Teodosio hat sich als Sommelier einen Namen gemacht. Wir müssen nochmal da hin!

Balkon in Carovigno

Italienische Männer haben sich jeden Tag viel zu erzählen... 25


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Ostuni Die Hauptattraktion von Ostuni ist – Ostuni. Die Stadt ist die Sehenswürdigkeit, nicht irgendein Haus, eine Kirche (obwohl es auch da was zu sehen gibt), ein Palazzo... Bevor wir uns der Stadt nähern (am besten von der Küste im Abendlicht, was für eine Erstbesichtigung zwar ein ungünstiger Zeitpunkt ist, aber den besten Lichteindruck bietet!), ein Wort zum Namen: Die Stadt ist keineswegs eine Hochschule im Osten – also nicht Ost-Uni, sondern Os-tuni sagen! Ostuni nennt sich „Città Bianca“, also die weiße Stadt. Zwar könnten die meisten der apulischen Städte mit dieser Bezeichnung antreten, denn weiße Häuser sind in der Mehrzahl – aber erstens nirgends so proper wie im historischen Zentrum von Ostuni, und zweitens haben die anderen irgendwelche anderen Alleinstellungsmerkmale, die sie sich aufs Orts­ eingangsschild schreiben können. Die Altstadt von Ostuni ist auf drei Hügeln erbaut (zur Erinnerung: Um Hauptstadt zu werden, braucht man sieben Hügel) – nur dieser Teil ist ansehenswert. Der Rest ist belanglose moderne Architektur, die den Charme realsozialistischen Wohnungsbaus hat (vielleicht doch: Ost-Uni?). Wer mit dem Auto kommt, wird auf der Durchfahrt kräftig durch die neueren ­Viertel gelotst. Anhalten würde man hier nicht, außer vielleicht um einen Caffé zu trinken. Die Altstadt aber, das Centro storico, ist bezaubernd. Das wissen die Leute von Ostuni auch, Tourismus ist eine der Haupt­ einnahmequellen der Stadt. Es gibt im Zentrum viele Läden, die den touristenüblichen Kitsch anbieten, aber es gibt auch noch ganz normalen Alltag hier. Wir hatten das große Vergnügen, in eine Hochzeit zu geraten. Die beiden vom Brautpaar engagierten Fotografen äugten schon komisch zu uns herüber, weil wir kräftig in Hochzeitsbildern übten – die Braut sah weniger skeptisch, sondern lächelte professionell freundlich auch in unsere beiden Kameras. Es war eine fröhliche und ungezwungene Hochzeitsgesellschaft, die in der Kathedrale aus dem 14. Jahrhundert zum Feiern zusammen gekommen war. International ging es auch zu: Italienisch, englisch und französisch klang es auf dem Vorplatz – schön! Braut und Bräutigam fuhren im Fiat 500 vor und düsten damit auch ab – irgendwie kultig! Nervös wurde die 26

Braut nur, als alle da waren – außer ihren Eltern. Aber es gibt ja cellulare, und kurz nach dem Telefonat kamen die beiden dann auch locker um die Ecke marschiert. Alles wird gut, die Trauung kann beginnen... ...und wir haben Zeit, uns die Kathedrale von außen etwas näher anzusehen. Sie steht, wie es sich gehört, auf dem höchsten der drei Hügel. So ist sie zwar dem Himmel am nächsten, aber auf majestätischen Platz muss sie verzichten: Die Piazza vor ihr ist gerade groß genug, die kleine Hochzeitsgesellschaft zu fassen. Natürlich müssen auf dem kleinen Platz auch noch Autos parken, außerdem stehen die Stühle einer Eisdiele einladend herum – insgesamt ist es sehr kuschelig. Die Kathedrale ist ein munteres Treffen verschiedener Stile: Spätromanik, Gotik und Renaissance sieht man da. Die Front schwingt sich konvex und


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konkav in die Höhe, die beiden Seitenflügel geben dabei die Schulterpartie und das Mittelstück den sich nach oben verjüngenden Hals. Das sieht lustig aus und ist ein echter Hingucker. Wenn man dann schon mal hinsieht, sollte der Blick an der großen Rosette über dem Eingangsportal ein wenig hängen bleiben. Eine Figur steht im Mittelpunkt (ich lese im vergnüglich-informativ geschriebenen „Apulien“ von Ekkehart Rotter und Christin Löchel, es sei „Christus im kniefreien Gewand“), drumherum ein Kreis, der von zwölf kleinen dicken – nein, nicht Jüngern, sondern von so einer Art Kapitellen getragen wird. Das nächste Rund bilden 24 ausgeformte Säulen, und ganz außen ein mit Pflanzenwerk verziertes Einfassungsband. Ich zitiere noch mal meine Schlaumacher: „In dieses sind ringsum die zwölf Apostel geradezu versponnen.“ Das ist doch nett formuliert – und es stimmt! Also, mit einem Glas kühlen Weißwein in der einen und dem schlauen Buch in der anderen Hand könnte ich mir diese

Fensterrose elendig lange ansehen und immer wieder was entdecken! Aber es gab keinen Wein, statt dessen Schlenderei. Die Gassen von Ostuni sind ein regelrechtes Wirrwarr, aber ein geordnetes. Das Schlendern macht viehisch Spaß, denn man sieht im ewigen Auf und Ab (drei Hügel!) der verwinkelten Gassen schnuckelige weiß getünchte Häuser mit veritablen alten Sandsteinfassaden, man trifft schwatzende oder einfach nur auf kühlem Stein ausruhende Leute, man geht durch Torbögen und wird plötzlich geblendet, wenn sich die eher dunklen Gassen öffnen und den Blick zum Meer frei geben. Man könnte es ganz einfach formulieren: Es ist sehr, sehr schön in Ostuni! Am Rande der Altstadt steht eine Säule. Obendrauf ein mir bis dahin unbekannter Heiliger, der es aber immerhin zum Schutzpatron von Ostuni 27


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Apulien | Puglia gebracht hat: Der Heilige Sankt Orontius (Sant‘Oronzo) errettete 1657 die Stadt vor der Pest – und was hat er nun davon? Er steht 21 hoch auf einer spätbarocken Säule und schaut sich das Treiben auf der Piazza Libertà an – ein stiller Teilhaber, sozusagen. Dabei geht unter ihm die Post ab: An den Ausgrabungsstellen treffen sich die alten Männer zum Reflektieren der tagespolitischen Ereignisse, nebenan in der Szenekneipe die jungen Mädels zum Gedankenaustausch über das Schöne, im Caffé sehen sich alle – ein Kommen und Gehen. Taverna della Gelosia Bei der Bummelei in der Altstadt von Ostuni kann man sich nicht wirklich verlaufen, denn „La Terra“ (wie dieser Teil der Stadt auch genannt wird) ist nahezu kreisförmig angelegt. Sehr angenehm. Auch angenehm ist die Vielfalt offensichtlich guter Restaurants. Wir konnten zwei testen: ein einfaches am Mittag und anderntags eins der besseren am Abend. Die „Taverna della Gelosia“ nennt sich schlicht eine Antipasteria, aber hinter diesem Wort steckt ein verführerisches Konzept. Die Chefin läuft ein

wenig wie eine Diva herum und man denkt, sie sei der Impressario (die Impressaria?) eines Theaters. Aber: Es ist sehr geschmackvoll eingerichtet drinnen wie draußen im romantischen Hof zwischen zwei Höhenlinien des Ostuni-Gassensystems. Es schmeckte nicht exorbitant, aber gut: Vorspeisen (15 EU/Person, erst ab zwei Personen, also 30 EU Mindestumsatz). In Erinnerung bleibt das Soufflee mit Trüffel, frittierte Spinat-Käse-Kugeln, frittierte Zucchini. Später gab‘s schwarze Orichietti (die Tinte!), grüne Spaghetti (Spinat und Kräuter!), beides sehr ordentlich. Der Service agierte etwas über-engagiert, wir fühlten uns beobachtet, und leere Teller wurden immer sofort unter der noch schwebenden Gabel weggeräumt. Keine italienischen Gäste, sondern nur Urlauber – aber wir haben den Ex der Chefin kennen gelernt! Paolo kommt aus Norditalien und spricht (außer natürlich italienisch) deutsch, französisch, spanisch, englisch. Er hat im Norden ein wenig Geld gemacht und engagiert sich jetzt im Süden, indem er sein Geld in Immobilien anlegt. Wenn er sie alle so geschmackvoll restaurieren lässt wie die „Taverna“, dann soll er bitte weitermachen!

Bild links: Der Heilige Sankt Orontius (Sant‘Oronzo). Bilder oben: Taverna della Gelosia. 29


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Im Zipfelmützen-Land Eine Trulla ist, ich schreibe es offen und gerne unter Anweisung einer Zahlung von fünf Euro in die Chauvi-Kasse, eine dumme Kuh (Protest der Vereinigung Allgäuer Milchkuhzüchter, Abscheu und Entsetzen bei der Interessengemeinschaft „Emmanze e.V.“). Ein Trullo wäre demnach, wenn man es in Analogie von „ciao bella“ zu „ciao bello“ nimmt, ein Dämlack (Rücküberweisung der fünf Euro aus der Chauvi-Kasse wegen teuflischer Ausgewogenheit, kein Protest von niemand). Gut ausgedacht, aber leider falsch (und daher keine Rücküberweisung der Chauvi-Taler): Ein Trullo ist ein Haus, das einer Zipfelmütze ähnlich sieht und das man in nennenswerter Anhäufung wundersamerweise nur im ­Valle d'Itria sieht. Rund 5.000 Trulli – so die Mehrzahl – soll es noch geben, davon über 1.000 allein in Alberobello. Die Trulli sind oben rum so rund, dass die meisten Autoren sich zum Begriff „kreisrund“ hinreißen lassen, was natürlich dumm ist, denn quadratrund geht ja nun mal gar nicht. Unten sind zumindest die neueren Trulli nach gelungener Quadratur des Kreises rechteckig, so dass man sie mit eckigem Mobiliar von IKEA und so bequemer einrichten kann. Durch das Trulliland zu wandern, ist ein optisches Vergnügen, denn die kegelförmigen Dächer mit meist weißem Anstrich an der Spitze bieten einen ungewohnt heiteren Anblick. Es gibt auch alte, unsanierte steingraue Trulli – auch die sind als quasi-historische Reminiszenz ansehenswert. Locorotondo Eine erste intensivere Trulli-Begegnung fand ihren Start in Locorotondo. Der "runde Ort", beeilen sich meine Reiseführer zu erklären, sei tatsächlich rund. Da freuen wir uns aber und machen uns, nachdem das Auto mühsam einen Parkplatz gefunden hat, zu Fuß auf den Weg. Locorotondo liegt, das kennen wir ja schon, auf einem Hügel – also geht's etwas bergan. Die Häuser sind fast alle weiß, auch das ist nichts Neues. Die "runde Stadt" hat allerdings eine spitze Spezialität: Die Dächer haben recht steile Giebel – in dieser Gegend eher die Ausnahme als die Regel. Dennoch heißt ­Locorotondo weder "weiße Stadt" noch "die mit den Giebeln pranzt": ­Locorotondo nennt sich aus gutem Grund „Città del vino bianco“, die Stadt des Weißweins. 1929 wurde hier die erste Winzergenossenschaft Apuliens gegründet, und in der Cantina entstehen heute noch süffige Weißweine. 34

An der ersten Kirche herrscht großer Auftrieb – der Gottesdienst ist gerade vorbei, und die Menschen stehen auf dem Platz davor und schnattern wie wild herum. Gleich neben der Kirche ein Stadttor, dahinter "Pro Loco", die Touristeninformation – natürlich zu, als wir kamen! Den Bummel durch die Gassen kann man aber auch ohne Führer riskieren, und die Hauptkirche des Ortes, San Giorgio Martire, kann man eh nicht übersehen. Sie wurde zwischen 1790 und 1825 errichtet und ist nicht weiß. Man kann sie, sandsteinig wie sie die weißen Giebel überragt, auch von weitem hervorragend erkennen. Früher, als die Leute kein GPS und kein Navi hatten, kannten sie alle die Formen der Kirchen und wussten, wo es lang geht. Irgendwie sympathisch!


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Zu Fuß nach Martina Franca Mit dem Wandern haben es die Puglier nicht so. Man fährt Auto oder allenfalls Vespa, manchmal auch die Ape. Aber es gibt natürlich Wege – wenn man sie findet, sind sie gut zu laufen. Von Locorotondo nach ­Martina Franca ist der Wanderweg eine kaum befahrene Nebenstraße.

Feldweg entlang. Weit kommen wir nicht, denn ein Blumenfeld in mohnblumenroter und weißnichtwasfüreinegelber Pracht will unter die Linse genommen werden. Und wenn man da erst einmal reinstapft, zeigt sich auch die Stadt Locorotondo mit den Spitzgiebeln in immer wieder neuer Schönheit. Umsichtig laufen wir voran und finden es bezaubernd.

Den Einstieg findet man am Belvedere – das ist der Balkon Locorotondos, von dem aus man in der Ferne bereits das Ziel sieht: Auf dem nächsten Hügel steht Martina Franca. Das Land hier hat so viele Städte wie es Hügel gibt, was sehr praktisch ist, denn man sieht sie immer schon von weitem. Wir also erst mal runter, zuerst über eine schöne Treppe, dann einen

Natürlich ist außer uns keiner da. Keiner? Natürlich: Es gibt Hunde. Von überall kläffen sie uns entgegegen, die meisten sind aber angekettet (was sie daran hindert, mit uns spielen zu wollen) oder hinterm Zaun. Und das muss man den Süditalienern lassen: Ihre Zäune haben sie gut in Schuss, da kommt so schnell kein Hund raus! Fabelhaft! 35


Apulien | Puglia Aus dem Feldweg wird eine Fahrstraße – aber kaum ein Auto kommt uns entgegen oder fährt an uns vorbei – die Hauptverbindungsstraße nebenan ist bequemer und schneller! Links und rechts gibt es immer wieder Trullis, und da wir diesen eigenartigen Bauten erstmals in nennenswerter Menge und akzeptabler Nähe begegnen, läuft die Kamera heiß. Trullis, das muss man bis hierhin nicht unbedingt gewusst haben, sind aus fetten Feldsteinen in Trockenbauweise errichtete Häuser – ursprünglich ganz einfach, ursprünglich mit nahezu quadratischem Grundriss und eben jenem Zipfelmützendach. Zur Dachspitze gibt es auch noch etwas zu sagen, aber das spare ich für Alberobello auf, wo wir gut tausend Trulli auf einen Schlag sehen werden. Die modernen Trulli sind natürlich ganz anders: Sie gleichen oft mehr und mehr Villen, verstecken sich hinter alarmgesicherten Zäunen und protzen so vor sich hin. Man gönnt den Leuten ja den Fortschritt, und ohne Fenster oder WC muss man ja im 21. Jahrhundert nicht mehr leben – aber wenn es eine Villa sein soll, kann man vielleicht auch auf die Disneylanddächer verzichten, die in diesem Kontext unangemessen erscheinen und kitschig wirken. Die Gegend wellt sich zwischen den beiden bestädteten Hügeln aufs Angenehmste dahin, sie ist grün von Bäumen und Wiesen mit bunten Tupfern von Blumen und Blüten. Steinmauern begrenzen die Parzellen - offensichtlich ist das hier eine steinreiche Gegend! Zwischen den Baumwipfeln lugen immer wieder Trulli hervor, wir sind entzückt ob so viel Lieblichkeit. Irgendwann drehen wir uns nicht mehr um: Locorotondo hinter uns verliert sich in der Ferne, statt dessen taucht vorne Martina Franca auf. Wie so oft in der Gegend: Weiße Häuser und alles überragend eine mächtige Kirche aus braunem Stein. Das ist gut, dass man sie sieht, so verläuft man sich nicht: Wir also den Hügel „nach Gefühl“ hoch, die ersten Gassen von Martina Franca links (knips!) – rechts (knips!) – rechts (knips!) – links (knips!) entlang und schwupps öffnen sich die ansonsten eng an eng stehenden Häuser zum großzügigen hellen Platz, und der Dom San Martino grüßt zur Linken...

Bild links: Alter Einzeltrullo auf dem Weg nach Martina Franca Bild rechts: Kurz vor Martina Franca 36


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Apulien | Puglia Martina Franca Wenn man aus einer Stadt kommt, die am liebsten im Barock verweilen würde bis in alle Ewigkeit, dann ist der Besuch einer Barockstadt natürlich eine Herausforderung. Martina Franca ist überall ein wenig barock – aber mit Dresden kein Vergleich! Ist das gut so? Ja, ist es: Martina Franca ist bürgerlicher Barock. Manchmal erinnern nur die opulenten Portale der ansonsten nach außen schlicht wirkenden weißen Häuser an barocke Baukunst, manchmal komplette Palazzi. Unser inoffizieller Wanderweg brachte uns nach einem Aufstieg entlang eines wenig attraktiven Pfades durch einige Gassen direkt zur Hauptkirche des Ortes, dem Dom S.Martino an der Piazza Plebiscito. Barock, natürlich, und nach all den Trullis mal was anderes! Vier Heilige stehen in den Nischen, und überm Portal sieht man den Heiligen Martin auf dem Pferd, wie er gerade seinen Mantel teilt. Dreht man sich um und wendet der Kirche den Rücken zu, öffnet sich der großartige Platz Piazza Maria Immacolata mit prächtigen Kolonaden im halbrund. Schöne Restaurants gibt‘s da – aber für uns in Wanderklamotten erschienen sie nicht angemessen. Wir trauten uns in die Osteria Piazetta Garribaldi – alte Steingewölbe, weißes Tischtuch, Gerberasträuße in Keramikkrügen auf den

Tischen. Angesichts der leicht vorgeschrittenen Zeit und unserer rustikalen Kleidung in Verbindung mit nebenan sitzenden vornehmeren Herrschaften fragten wir, ob wir auch nur eine Kleinigkeit zu essen bekommen könnten. Aber sicher doch! Wie so oft bestellten wir die Antipasti und wurden nicht enttäuscht. Alles sehr einfach, aber alles sehr lecker – und nicht enden wollender Nachschub. Sowohl der Chef des Hauses als auch die Chefin brachten uns – wie die sorgenden Vogel-Eltern ihren piepsenden Jungen – immer wieder einen Teller mit dem Hinweis, das sei echt gut und wir sollten nur probieren. Wenn wir nicht irgendwann abgewunken hätten, hätte man uns nach Locorotondo zurück rollen können. Aber wir wollten doch laufen! Zuerst durch die Stadt und ihre verwinkelten nahezu menschenleeren Gassen (später Sonntag Nachmittag!) – was einerseits auch wunderbar geklappt hat, andererseits aber so ganz ohne Plan und Führer doch nicht alles offenbarte, was man hätte sehen können. Wir sahen also nicht den prächtigen Palazzo Ducale, erlebten dafür aber die verschiedenen Phasen einer Fernsehaufzeichnung des offenbar wichtigen Bestattungsunternehmers Basile: Arte Funebre, die Kunst des

Bilder oben: Herzlich aufgenommen trotz Wanderkluft: Osteria Piazetta Garribaldia. 38

Bilder rechts: Eindrücke aus Martina Franca.


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Apulien | Puglia Sterbens, im Interview mit einem kleinen knorrigen Typen – die Sendung hätte ich gerne gesehen. Den Weg zum hiesigen Belvedere, von dem man ins Valle d‘Itria und zum Start- wie Zielort Locorotondo sehen kann, haben wir gefunden. Den Blick hingegen, den schönen, fanden wir nicht: Wenn unterhalb der Terrasse gleich alles bebaut und mit Sat-Antennen zugepflastert ist, lohnt es sich nicht! ...Trulling home Lang windet sich die Straße hinunter ins Land, den Barock lassen wir hinter uns und weitere Trullis des Itra-Tals liegen vor uns. Die Wegebeschreibung unserer Wahl war mal wieder befremdlich und passte an entscheidenden Stellen nicht – wir wählten daher die Variante, den Kirchturm des Zielortes anzusteuern und kamen auch tatsächlich an. Der Weg zurück nach Locorotondo war länger als der Hinweg (weil nicht so gradlinig), aber er war auch liebreizender: Palmen, Olivenbäume, allerlei

Bild oben: Dom S.Martino an der Piazza Plebiscito. 40

anderes Grün, Wein, Mohnblumen, Gerstenfelder, Gräser. Und Trullis, Trullis, Trullis. Vereinzelte und als Dorfansammlung, moderne und zerfallene: Die Kamera war schier besoffen von Zipfelmützen. Locorotondo rückt näher, die Häuser bekommen Konturen, ihr Weiß changiert im Abendlicht ins Rötliche. Dennoch gibt es keinen Kitschalarm, was man der Landschaft ganz schön hoch anrechnen muss. Einzig der Aufstieg zur runden Stadt beginnt etwas merkwürdig: Man muss ganz mutig die Straße verlassen und auf einem Trampelpfad – natürlich an bellenden Hunden vorbei! – einen finsteren Tunnel ansteuern, der unter der Umgehungsstraße lang geht. Hat man das geschafft, ist die Welt aber sofort wieder in Ordnung: Eine lange Treppe führt zur Stadt hoch, vorbei an einer kleinen Kapelle und einem alten Steintor. Oben angekommen sind wir wieder am Belvedere und genießen im Abendlicht den Blick ins Land. Links der Straße unser Hinweg, hinten am Horizont Martina Franca, rechts die Landschaft des späten Nachmittags. Kein ausgezeichneter Wanderweg, aber – passt schon!

Bild rechts: Landschaft zwischen Martina Franca und Locorotondo.


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In Martina Franca. 42

Trulli-Siedlung vor Martina Franca.


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San Giorgio Martire in Locorotondo. 43


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Auf dem Weg nach Torre Canne kommen wir an einem gigantischen Mohnblumenfeld mit alten Olivenbäumen vorbei. Anhalten und über die Mauer klettern! Mohnblumen machen süchtig, sagt Sylke, und meint es rein fototechnisch. Steine liegen auf dem Feld und vereinzelt stehen uralte Olivenbäume herum. Das sieht so unorganisiert, so uneffizient aus – und doch (oder deswegen?) so schön!

Nach dem ausgiebigen Stopp geht es weiter nach Torre Canne. Der Ort erinnert an öde englische Küstenbadeorte. Die unermüdliche Quelle fröhlichen Recherchierens, die Suchmaschine von Google, scheint das ähnlich zu sehen und bietet kaum Wissenswertes zum Ort. Lediglich die Wikipedia vermeldet, dass sich hier ein vom rechten Weg abgekommener deutscher Polizeiobermeister im Herbst 1985 selbst richtete – die ganze Geschichte kann man ja nachlesen. Wir wussten davon nichts, liefen straßauf und -ab, lichteten den Namen gebenden Turm ab und tranken einen leidlich guten Weißwein in einem Restaurant über dem Meer, das zur Hochsaison sicher nicht erträglich ist, weil es dann dort von öligen Leibern nur so strotzt. So waren wir aber vorsaisonal fast allein, und die am Nebentisch Zeitung lesenden Italiener empfanden wir eher als sehr angenehm.

Mohn und Oliven.

Der Leuchtturm von Torre Canne.

Eine Runde Monopoli Schöne Städtenamen haben sie in Apulien: Über Ostuni haben wir ja schon sinniert, ob es nach einer Uni im Osten benannt sei, dann gibt es dort noch ein Torre Canne und ein Monopoli: Da wollen wir hin!

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Die Kraft der zwei Brillen. 45


Apulien | Puglia Die Strandstraße nach Monopoli führt am Ort Savelletri vorbei, wo man überraschend gut die Mittagspause verbringen kann: im Ristorante „la risacca“ gab es Meeresfrüchtesalat, Antipasti italienische Art und Weißwein für drei Euro den halben Liter. Der Wirt empfahl nachdrücklich, abends noch einmal vorbei zu kommen, weil seine Pizza wahrscheinlich die beste der Welt, aber auf jeden Fall wenigstens die beste im Umkreis von zehn Metern sei. Okay, er hat es anders formuliert, aber es klang sehr begeistert. Mit aufziehenden Wolken erreichten wir Monopoli: Viele alte Häuser und Kirchen haben sie da, wobei sich manchmal der Eindruck aufdrängte, dass es mehr Kirchen als Häuser gab – aber das täuschte. Der alte Hafen ist pittoresk, aber der aktive Teil mit dem Fischfang sah nicht so überzeugend aus – ob wegen oder trotz der Tatsache, dass die abendliche Versteigerung die größte Fischauktion der Costa di Bari ist, vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht waren ja auch nur zu falschen Zeit da – wer weiß? Die Steine der Häuser und Kirchen und Paläste in Monopoli haben schon viel gesehen, sie stammen teilweise aus dem 12. Jahrhundert. Der Name ist griechischen Ursprungs und beinhaltet so etwas wie einen Alleinvertretungsanspruch: ΜΟΝΟΠΟΛΗ, mono polis, die einzige Stadt – das war einmal. Mit knapp unter 50.000 Einwohnern ist Monopoli nicht mehr wirklich die einzige, wenn auch eine durchstreifenswerte Stadt in Apulien. Also streifen wir, planlos und es einfach nur schön findend, von Gasse zu Gasse, von Kirche zu Kirche, vom Hafen zur alten Kanone am Rande des Castello, die jetzt nur noch zwei sich Liebenden als Schmuserückhalt dient und ihr grafitti-verziertes Rohr glücklicherweise sinnentleert auf einen einlaufenden Kutter richtet. Polignano a Mare Über Grotten liegt, etwa 25 Meter über dem Meer, die hübsch zurecht gemachte Stadt Polignano, in der ein spektakulärer Anblick (bzw. Ausblick)den nächsten jagt. In der Weinbar haben wir für ein Glas mehr gezahlt als anderswo für einen halben Liter (nämlich 3 Euro 50) – aber die Qualität rechtfertigte das! Die nicht bestellten, aber von der Wirtin dazu gestellten und von uns nicht ungern gegessenen Oliven kosteten einen Euro, die Häppchen (ebenfalls nicht bestellt und ebenfalls auch gegessen) 4,50. Macht zusammen 12.50 – und das ist in der Summe zu viel, denn die Neppgrenze in der Gegend liegt bei 10 Euro ;-) Was aber schlimmer war: Dem Himmel graute es ebenfalls, Wolken zogen auf – und wir ab... 46

Im Ristorante „la risacca“ (oben) und am Strand von Savelletri (unten).


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Detail einer Kircht端r in Monopoli. 47


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Impressionen vom Hafen in Monopoli 48


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Polignano a Mare 49


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Oria

Apulien-Rundreise (mit entsprechend vielen netten Geschichten) wert wäre. Mal sehen, vielleicht in einem der nächsten Jahre...

Um frischen Fisch zu bekommen, fährt man am besten ans Meer. In Villanova, dem Strandort von Ostuni, gibt es vier bis sechs (ich habe sie nicht gezählt) Fischläden – und alle hatten keinen Fisch. Als wir einmal abends da waren, fand ich das gut: Abends muss Fisch entweder noch ungefangen im Meer schwimmen (vom Fisch bevorzugte Variante) oder auf dem Herd stehen (meine Vorzugsversion). Aber jetzt, am Morgen? Wir wollten doch Pesce Spada kaufen, den von uns so geliebten Schwertfisch!

Wir sind also in Oria. Es ist die alte Königsstadt der Ur-Apulier, der Messapier – die Geschichte reicht also weit zurück. Zwei Stadttore sind gut erhalten, wir begannen unseren Rundgang bei der Porta Ebra, dem „Jüdischen Tor“. Dahinter liegt – was dann nicht weiter verwundert – das ehemalige jüdische Viertel. Sehr heimelige Gassen und Häuser, viele Fotomotive! Wer durchs andere Tor kommt, der Porta Manfredi, landet hingegen mitten im Trubel des Hauptplatzes, der Piazza Manfredi. Tor wie Platz haben, wie bereits eingangs erwähnt, ihren Namen nach Manfred, König von Sizilien und Sohn von Friedrich II. Laut Wikipedia lebte Manfred 1231 – 1266, laut Straßenschlaumachschild in Oria 1232 – 1266. Auf jeden Fall war er aus der Liaison mit Bianca Lancia der Jüngeren hervorgegangen. Der tolle Friedrich und die schöne Bianca hatten drei Kinder gemeinsam. Geheiratet hat der Kaiser seine Geliebte aber erst, als sie schon im Sterbebett lag – so konnte er Sohn Manfred für legitim erklären. Die wahren Geschichten von Friedrich II und seinen insgesamt 19 Kindern, davon die meisten außerhalb der offiziellen Ehe gezeugt und geboren, sind sicher auch spannend!

Wir hätten vor Ort in Carovigno suchen sollen: dort entdeckten wir – ­eigentlich schon auf dem Weg zu unserem Tagesziel – eine Pesceria, und sie hatten dort alles, auch Schwertfisch. Mama sagte den Preis an (22 Euro/Kilo) und verzog sich dann zu einem Schwatz mit anderen Kunden, Sohnemann wetzte die Messer und ging dem Prachtkerl an die Kiemen. Genüsslich schnitt er den Kopf ab, legte ihn (Johannes der Täufer lässt grüßen) wieder in die Theke, kümmerte sich ausgiebig-liebevoll um die blutigen Innereien und grinste uns an: ob wir kotzen wollten? Eine derbe Ansprache für einen Fischhändler seinen Kunden gegenüber, aber wir wollten nicht. Wir wollten den Schwertfisch! Je nach Durchmesser ein, zwei oder drei Tranchen – da sind wir seit unserem Erlebnis auf den Liparischen Inseln vorsichtig geworden! Drei Tranchen sind es geworden, 600 Gramm – gerade richtig für zwei Schwertfischliebhaber! Oria Unterwegs nach Oria. Ein veritables Gewitter mit senkrecht niedergehendem Blitz und blitzartig (haha!) folgendem Donner. Es gab helle Stellen am Himmel, aber da fuhren wir nicht hin. Wir fuhren nach Oria, hielten vor dem Tor zum jüdischen Viertel, gingen zur Piazza Manfredi – ein sizilianischer König, dieser Manfred, Sohn von Friedrich II. Über den könnte man Bücher schreiben, man könnte auch viele über ihn bereits geschriebene lesen. Der Schwabe aus Sizilien hatte jedenfalls einen Narren gefressen an Apulien und dem Land vor 800 Jahren gut getan. Viele Städte berufen sich heute auf ihn, die schönsten Friedrich-Orte haben wir aber gar nicht gesehen (und müssen also noch mal hin, auf den Spuren des ganz alten Fritz, sozusagen). Oria verdankt seine Burg jenem „stupor mundi“ (dem „Staunen der Welt“ – ein netterer Beiname als des zuvor über Apulien gekommenen Robert Guiscard, den man „terror mundi“, Schrecken der Welt nannte). Friedrich II. war ein bemerkenswerter Mann, der eine eigene 50

Antica Trattoria Luce 1898 Am oberen Ende der Piazza fällt ein schmales Haus auf – das ehemalige Gerichtsgebäude, in dem heute die Polizia Urbana beheimatet ist. Interessanter erschien uns aber ein äußerlich unauffälliger Bau am unteren Ende des Platzes, in Tornähe: Dort befindet sich die „Antica Trattoria Luce 1898“, ein eher schlichtes Restaurant. Sylke sah durchs Fenster rein, es war offensichtlich geschlossen – um halb drei ist das ja auch okay. Aber nichts da: Eine Signorina kam raus und bat uns rein. Sie ist nicht mehr die Jüngste, irgendwo zwischen 68 und 86. Ihre ältere und zumindest klappriger wirkende Schwester verzog sich gerade in die hinteren Gemächer. Die beiden haben die schönen Vornamen Chichina und Titina – aber ich habe versäumt zu fragen, wer denn nun wer sei! Das Restaurant ist am besten mit dem Adjektiv „urig“ zu beschreiben, was sich vor allem auf die liebenswürdig diktatorischen Züge der allein regierenden Chefin bezieht. Ob wir essen wollten? Eigentlich nicht, wir waren nur neugierig, also sagte ich „Ja, natürlich!“ Auch trinken? Na klar: Wasser und Wein. Das reichte als Generalbestellung, und wir bekamen – sozusagen par ordre de mufti – Pasta al Forno. Normalerweise verbrennt


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Apulien | Puglia man sich daran die Zunge, diese waren handwarm. Aber lecker: Makkaroni, Tomaten, Eier, vielleicht auch Käse. Dann kam ein Salat (extra-saurer Essig) mit frischem Brot, dann folgten Polpette – Hackfleischbällchen in Tomatensauce. Wir tranken Rotwein aus einer unetikettierten Flasche und zogen einen Limoncello den als Dolce offerierten Bananen vor. Fotografieren war – ich habe gefragt! – ausdrücklich erlaubt. Nachdem sie aufgeräumt war, wurde ich sogar in die Küche gebeten (und zwei Stunden später, als wir draußen zufällig wieder vorbei gingen, erneut herein gerufen: Ich sollte doch zusehen und fotografieren, wie sie Makkaroni macht). Ob 30 Euro für das Gastmahl recht seien, fragte sie uns nach dem Essen – wir bejahten, das war es wert! Durch Oria zu bummeln macht Spaß: Jede Menge Heilige grüßen aus Wandnischen, die Kathedrale (Spätbarock, falls das jemanden interessiert) bietet eine grün-gelb-violett bunt geflieste Kuppel und – sozusagen am anderen Ende, nämlich unten in der Gruft – 15 aufrechte Mumien. Letztere sind allerdings nur auf Anfrage zu besichtigen, was wir uns verkniffen haben. Ganz weltlich: Beim Weg zum Castello trifft man hier auf eine Filiale der Deutschen Bank, gut bewacht von einem Mann mit schwarzer Sonnenbrille – obwohl es gerade mal wieder regnete.

Castello in Oria. 52

Das Kastell, an dem nicht nur Friedrich II gebaut hat, sondern alle jeweils aktuellen Herrscher, kann man besichtigen, wenn man will. Wir wollten nicht, weil es schon später Nachmittag war und es uns nach Natur gelüstete und nicht nach Mauern. Also verließen wir Oria, um auf dem Heimweg im heimeligen Abendlicht schon mal die Küste zu inspizieren: „Torre Guaceto“ heißt das liebreizende Naturschutzgebiet, das sich vom Wasser bis ins Landesinnere erstreckt. Wir erklärten es zum Halbtagesausflugsziel: Später also mehr darüber! Pesce Spada Abends zu Hause erwarteten uns drei Tranchen Pesce Spada, die wir kalt auswuschen, trockneten, salzten und pfefferten. Dann haben wir sie in wenig Öl in der Pfanne angebraten, gewendet und auch von der anderen Seite kräftig angebraten. Ein Stück Butter begab sich in die Pfanne, gefolgt von einer geschnittenen Zwiebel und etwas gehacktem Knoblauch (ich glaub‘, es waren drei Zehen für uns zwei). Der Saft einer Zitrone, über den Fisch geträufelt, löschte alles ab. Ein Schluck Weißwein (der, den wir auch tranken!) kam hinzu, eine Hand voll klein gehackter glatter Petersilie ebenfalls. Dazu gab es Blattspinat (mit Zwiebel und Knoblauch in Butter gedünstet).


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Cattedrale di Santa Maria Assunta mit bunt gefliester Kuppel. 53


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J체disches Tor in Oria. 54

Polizia Urbana im ehemaligen Gerichtsgeb채ude.


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Arkadenterrasse am Parco Montalbano. 55


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Torre Guaceto Türme gibt es an der apulischen Küste wie Sand am Meer. Torre hier, Torre da - sie sind nicht zufällig in Sichtweite zueinander aufgestellt, denn sie bildeten eine Verteidigungslinie gegen (damals: türkische) Angreifer. Mit Rauch (tagsüber) und Feuer (nächtens) wurden die Signale im 16. Jahrhundert gegeben - Mobiltelefone waren damals einfach zu teuer! Einer der Türme ist der von Guaceto. Es ist insofern ein besonderer Turm, weil er Namensgeber für ein komplettes Naturschutzgebiet ist. Die 1.000 oder 1.200 ha große Riserva Naturale dello Stato di Torre Guaceto hat rund acht Kilometer Küstenlinie - ideal für eine Strandwanderung! Das Gebiet ist gut erschlossen: Die Staatsstraße 379 von Bari nach Brindisi führt mitten hindurch. Nördlich der Straße ist der schmalere Landstreifen, in dem es viel mediterrane Macchia gibt, aber auch (dünn) besiedeltes Gebiet. Südlich herrschen Olivenplantagen vor und Landwirtschaft. Das Informationszentrum liegt touristisch etwas abseits im Südwesten. Der Weg zum Centro visite Torre Guaceto lohnt nicht wirklich, es sei denn, man möchte sich Fahrräder mieten, um das Gebiet zu durchradeln. Es gibt dort ansonsten: Hunde vor der Tür (die beißen nicht, sie wollen nur pennen), eine minimalistische Bildertafel-Ausstellung, zwei leidlich englisch sprechende Auskunftsdamen und eine nahezu nutzlose Karte mit der schematischen Darstellung der verschiedenen Zonen des Naturschutzgebietes. Die Damen empfahlen den offiziellen Parkplatz an der S.S. 379, den aber kaum jemand nutzt, so lange es direkt am Meer an der Punta Penna Grossa ausreichend verbotenen Parkraum gibt. Wir hatten diese Stelle bereits auf dem Rückweg von Oria nach Carovigno kennen gelernt und wussten: Hier steht man gut, wenn man weiter gehen will! Das Wasser nördlich der Bucht gehört zur so genannten „Zone B“ - was heißt: Hier darf man baden. Eine gute Entscheidung, denn der Sandstrand ist von der Art „Bilderbuch“ mit feinem Sand und steinfreiem Zugang zum Wasser, das zu allem vergnüglichen Überfluss auch noch schön blau den Himmel reflektiert. Wer sich zuvor für die Variante „Fahrradtour“ entschieden hat, merkt jetzt: Dumm gelaufen - denn hier kann man nicht radeln. Schuhe aus und barfuß durch den Sand gewandert ist es aber höchst 56

genussvoll! Das Wasser zur Linken gibt sich viel Mühe, nicht so langweilig Adria-blau zu sein, sondern immer mal wieder karibisches Türkis vorzugaukeln. Rechter Hand gibt es Ansätze von (und einmal sogar richtige) Dünen. Kleine Pfade führen hinein in die Macchia, die verführerisch riecht - und wenn man zur richtigen Jahreszeit dort ist, kommen Blütenfotografinnen voll auf ihre Kosten. Der ersten weitläufigen Badebucht folgen mehrere kleine, die etwas wilder sind. Jede hat ihren eigenen Charakter, so dass es nicht langweilig wird. Am spannendsten war die unangekündigt sich auftuende Bucht der verlorenen Schuhe, am lustigsten der Wegweiser nach „Kosovo, Croazia, Albania“. Leider macht sich, wer den Schildern folgt, strafbar: Wir befinden uns bereits in Zone A des Naturschutzgebietes, und da ist schwimmen verboten. Wie also soll man da rüber machen? Den Torre Guaceto hat man nahezu den ganzen Weg lang gesehen, er wurde - wie sich das gehört, wenn man einem Gegenstand näher kommt immer größer. Und plötzlich stand er vor uns: Eindrucksvoll ungemütlich, wie es sich für einen Turm mit dieser Aufgabe gehört - aber von einsichtigen Mitdenkern mit einer Bank zum Pausieren ausgestattet. Ehrensache, einmal den Turm zu umrunden, in die Ferne (nach Kroatien?) zu sehen, zurück zum Punta Penna Grossa zu blicken und auf die nächste Bucht - in der, zu meiner Freude, zwei Inseln liegen. Mitten in Zone A - also kann man nicht hinschwimmen (als Mensch - Tiere dürfen!). Landeinwärts steht viel Schilf, die Sumpfzone des Reservats lässt grüßen. Zurück zu unserem Ausgangspukt wählen wir die Route etwas landeinwärts - und sind erneut entzückt: Bäume, Blumen, Blüten! Und Dünen mit verschlungenen Wegen! Zwei Radfahrer überholten uns - hier geht‘s also!

Bild rechts: Torre Guaceto


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Die Bucht der verlorenen Schuhe Plötzlich lag sie vor mir, einsam, verlassen, getrennt vom Partner, der ihn Zeit ihres Lebens in guten wie in schlechten Zeiten begleitet hatte: eine doppelt geschnallte Sandale mit Halteriemen an der Ferse. Gleißendes Licht umspielte die Verlassene, die aufrecht im Sand lag. Ich bedauerte die Sandale, versuchte sie zu trösten („weißt du, beim letzten Waschgang fand ich auch eine verlorene Socke - so was kommt vor!“) und ging weiter. Nach nur wenigen Minuten traf ich auf zwei weitere Alleingelassene, die sich offenbar gerade getroffen hatten: Ein schwarzer Flipflop aus „Itale“, die Richtung Westen geht, begegnet steuerbord eine blaue Flopflip mit blassblauem Plastikschmetterling vorne, der ostwärts steht. Die Blaue scheint etwas zu haben: Sand in den Schuhen und ein unwirscher Blechdraht deuten darauf hin, dass irgend etwas nicht stimmt. Ich gehe weiter, nachdenklich. Das waren nun in kürzester Zeit schon drei einsame Schuhe - ein linker und zwei rechte. Hatte das etwas zu bedeuten? Ich konnte nicht lange nachdenken, denn ich traf Fila, eine blaue alte Dame mit zermürbtem Leder - und voller Sand! Und nicht nur das - beim zweiten Blick musste ich erkennen, dass hier nun wirklich alles zu spät war: Das Vorderblatt begann sich bereits aufzulösen, der Reißverschluss zwischen Quartier und Zunge steht schlapp offen. Wenig weiter nur stolpere ich beinahe über eine Sandalette. Auch sie hatte ihr eigentliches Leben deutlich hinter sich gelassen. Ein

Stoffstriemen hing nur noch an einem zerrottetem Faden, die lila Blüten, einst als Schmuck gedacht und eine Zierde des schlanken Fußes der Trägerin (sie war hübsch! das sieht man der Sandalette jetzt noch an!) - die lila Blüten verblassen. Ich ging weiter - und das jämmerliche Bild wollte gar kein Ende nehmen, Schuhsohle um Schuhsohle, ohne Rücksicht auf Material und Herkunft, alle lagen sie im Sand, alle allein, alle verlassen. Kein rechter Schuh fand sich für die linken verlassenen, kein linkes Stück findet den rechten Anhang. Nacheinander fand ich schwarzes Gummi, mit der Oberseite nach unten, eine Holzsohle mit Blümchenplastikriemen, ein schwarzes Plastikgestell, das wie ein Hummer gebeugt über dem Sand steht, ein bis auf Naht und Sohle zerfallener Mokassin, eine schwarze Sandale mit starker Profilsohle, eine weitere schwarze Sandale mit rostigen Schnallen (nein, kein Paar: beides rechte Füße!), eine einfache „37“, ein kleiner Schuh in bleue, ein frottierter mit bedruckter Sohle. Wer hat diese Schuhe hier in der Bucht ausgesetzt? Wer hat sie, vielleicht nach turbulentem Liebesspiel in der Einsamkeit des Naturschutzgebietes, einfach vergessen? Und was ist mit den anderen, hier nicht liegenden, aber genau so einsamen Schuhen, die ihren Partner verloren haben? Vielleicht ist es aber auch alles ganz anders. Vielleicht hat sich hier ja der Club der Einbeinigen getroffen und sich demonstrativ von den künstlichen Gliedmaßen getrennt, sie als Opfer der Adria übergeben - natürlich so, wie der Orthopäde sie geschaffen hatte. Für die Schuhe war dann keine Verwendung mehr, sie wurden der Freiheit dieses schönen Reservats überlassen... 61


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Alberobello An die drolligen Trullis mit ihrer lustigen Zipfelmützenoptik hatten wir uns in der Landschaft des Itria-Tals und dessen Ausläufern ja schon gewöhnt. Nun also auf nach Alberobello, wo die Trullis sich zur Stadt zusammengefunden haben. Da stellt man sich natürlich die Frage: Was machen die eher schlichten Häuser, die ohne Mörtel nur durch geschicktes Steinauflegen gebaut werden, in der Stadt? Sie passen prima in die Olivenhaine, sie bezaubern am Horizont von Wiesen mit roter Mohnblumenpracht und wogendem Getreide. Aber in der Stadt, mit Nachbarn links und rechts? Die Erklärung ist einfach und hat (wenn sie nicht nur gut erfunden, sondern wirklich wahr ist) einen Hauch von sympathischer Schlitzohrigkeit. Graf Giangirolamo II. Acquaviva d‘Aragona fand nämlich eine Lücke in der Steuergesetzgebung und nutzte sie aus. Besteuert wurde der Grundbesitz seinerzeit nach der Zahl der dort stehenden Häuser – und Trullis waren doch nichts anderes als Steinhaufen, oder? Also zumindest wenn Inspektoren und Steuereintreiber kamen, waren sie das tatsächlich: Die losen Steine ließen sich (relativ) schnell tatsächlich zu Steinhaufen zusammenbrechen – und wenn die Herrschaften dann fort waren, wieder zum Trullo aufbauen. Wann das war? Unsere Reiseliteratur (Michael Machatschek, Apulien, Michael Müller Verlag) und die Wikipedia behaupten: Im 17. Jahrhundert. Im Fernsehen wissen sie es besser und behaupten, Ende des 15. Jahrhunderts, wissen es im Filmtext sogar ganz genau: „Er siedelte 1.481 Bauern auf seinen Gütern im Itria-Tal und ließ die Trulli-Stadt Alberobello errichten.“ Ist ja auch egal, es ist lange her. Heute gibt es in Alberobello Trullis en masse – 1.430 in den beiden Vierteln Monti und Aia Piccola. Monti hat das größere touristische Potential – will heißen: Da wohnt kaum noch jemand Normales, weil Kneipen und Souvenirläden mehr Rendite bringen. Gegenüber ist es ohne Schnulli in den Trulli schöner. Erstens kann man da auf Hunderte von Zipfelmützen sehen, zweitens stören einen kaum (andere) Touris. Ihren Reiz aber haben beide Viertel. Der Vorteil der touristischen Anbieter ist, dass sie die Leute in die Läden locken – man kann also in die Trulli gehen und manchmal lohnende Ausblicke von den Terrassen erheischen. Es gibt immer mal wieder Sensationelles – behaupten jedenfalls die Schil62

der an solchen Häusern. Nicht sensationell, aber sehenswert: Die Kirche San Antonio, die 1927 gebaut wurde und in 20 Metern Höhe – Trullidächer simuliert. Einerseits passt das zu Monti, andererseits ist ein Trullo nicht wirklich 20 Meter hoch, so dass diese Kirche auch gut in Disneyland stehen könnte, wo man auch nicht alles so ernst nehmen sollte. Schon zweistöckige Trulli sind ja eine Sensation, denn normalerweise breiteten sich die Häuser nämlich eindimensional aus: Wurde es zu eng, baute man ein Trullo neben das vorhandene und verband sie miteinander. Auf diese Weise entstanden die Trulli-Drubbel, die man immer wieder sieht. So richtig in die Höhe geht der Trullo Sovrano, der mit zwölf der konischen Kuppeln bis zu 14 Metern hoch ist, aber irgendwie gar nicht romantisch (und eigentlich auch nicht mal imposant) aussieht. Das Haus steht auf der anderen Seite von Alberobello neben der Kirche Santi Medici Cosma e Damiano, der Wallfahrtskirche der Medici. Die ist ehrlicherweise nicht als Trullo getarnt, sondern empfängt den bergan steigenden Besucher mit einer neoklassizistischen Fassade aus dem Jahr 1885. Die Kirche selbst ist älter: Seit 1635 wurde an ihr gebaut, und Spuren der Renaissance entdeckt man vor allem in ihrem Innern. An den beiden Türmen gibt es eine Sonnenuhr und eine analoge normale Uhr, die sehr unterschiedliche Zeiten anzeigen. Man kann hier sozusagen auch pünktlich kommen, wenn man zu spät ist. Auf dem Weg dahin kommt man durch eher ursprüngliches Trulligebiet. Keine Häkelwarengeschäfte, kein Touristennepp – wunderbar. Das Museo del Territorio klärt viele Fragen rund um die Trulli. Es besteht aus etwa 20 Trulli, in denen man auch erfährt, was die großen weißen Zeichen auf den Schindeln der Dächer bedeuten, und wie vielfältig die Abschlusssteine der Dächer, die Pinnacoli, gestaltet sind. Die Trulli von Alberobello gehören seit 1996 zum UNESCO Welterbe – und auch wenn sie kommerzialisiert werden, kommt dort kein Mensch auf die Idee, das Gesamtbild durch irgendwelche Baumaßnahmen zu zerstören. So dumm sind nämlich nur die Dresdner, die kräftig weiter an ihrer Waldschlösschenbrücke bauen und daher den Titel zu verloren und in die Welterbe-Geschichte eingingen als Ignoranten und Arroganten.


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Massafra Apuliens Küste ist lang. Der italienische Stiefel ist aber kein Stöckelschuh, und so hat auch der apulische Hacken stattliche Ausmaße. Der größte Teil des Landes grenzt an die Adria, doch am Innenteil der Hacke ist es das Ionische Meer, das die Strände bespült. Io war übrigens eine Geliebte des Zeus, und Segler lieben das Meer wegen seiner steten ruhigen Winde – ob es da Zusammenhänge gibt, weiß ich nicht, weil ich Io zu wenig kenne. Massafra liegt etwas oberhalb des Ionischen Meers, nicht weit von der Hafenstadt Tarent, an zwei Schluchten: Der größte Teil Massafras ist links und rechts der Gravina di San Marco erbaut, am Ortsausgang beginnt die vier Kilometer lange Gravina Principale, die 40 m tief und 30 bis 50 m breit ist. Na und? Genau, nur Stadt an einer gravina, einer Schlucht zu sein, kann imposant sein, aber wo bleibt das Besondere? Hier kommt‘s: Die Hochebene von Apulien, die Murgia, besteht aus Kalk – und der ist bekanntlich relativ leicht wasserlöslich. Ideale Voraussetzungen für eine Karstlandschaft mit Grotten und Schluchten! In Massafra haben wir beides: in den Wänden der Schluchten jede Menge Höhlen, davon rund 50 als Kirche genutzt. In diesen Höhlen lebten nicht nur die üblichen Verdächtigen (Hirten, Einsiedler), sondern auch Mönche auf der Flucht sowie Piraten und Invasoren (wahrscheinlich war auch ihr Beweggrund nicht der Reiz der Landschaft). Die Mönche waren Flüchtlinge aus Kleinasien und dem Balkan, denen man dort die Ikonenmalerei verboten hatte. In den Höhlen von Massafra jedoch durften sie malen – und sie taten es! Sie malten die zu Grotten­ kirchen ausgebauten Höhlenkirchen aus – vergrößerte Ikonenmalerei sozusagen. Man kann die Höhlen besichtigen, allerdings nur bei Führungen. Die wiederum gibt es nur nach telefonischer Voranmeldung (die Initiative, die sich so vorbildlich um die durch Witterung und Vandalismus zerstörten Höhlen kümmert, erreicht man im Touristenbüro) – nichts für Halbtagsspontanbesucher also. Es lohnt sich allerdings auch die Bummelei durch die Altstadt mit ihren Gassen und teils morbiden Häusern. Wie es sich für eine bedeutende Stadt in Apulien gehört, gibt es auch in Massafra ein Castello, und natür68

lich ist es ein normannisches. Es ist restauriert und wird genutzt: vom (als wir da waren geschlossenen) landwirtschaftlichen Museo dell‘olivio e del vino und von der Stadtbibliothek. Bevor wir dazu kamen, uns über besucherfeindliche Öffnungszeiten von Museen zu ärgern, erschien ein Mann am anderen Ende der Treppe und winkte uns heran. Er war offensichtlich der Bibliothekar, der uns alle Räume seines Bereichs aufschloss, damit wir von dort aus Fotos machen konnten! Das war mal wieder Balsam für unsere Seelen, denn derlei Freundlichkeit und (pardon für dieses banale Wortspiel) Aufgeschlossenheit hat man selten. Dabei kostet es nichts und bringt viel: Wir haben das Castello von Massafra in bester Erinnerung! La ringrazio, signor Bibliotecario! Auf dem Rückweg zum Auto, das wir am Stadtrand geparkt hatten, stolperten wir auf der Suche nach einem Absacker zum Abschied von der Stadt in ein Viertel, das wir ohne diesen dringenden Wunsch verpasst hätten. Il Quartiere dei Santi Medici di Massafra, dem die heimische Kaufmannschaft noch das Attribut magico hinzufügt – irgendwie zu Recht. Während man im übrigen Massafra wunderbare Motive des Verfalls sehen kann, ist dieses Viertel komplett saniert: weiße Häuser, verwinkelte Treppen und Gassen – und eine Osteria! Die Türen zum „Il Basilico“ standen offen – wir also hinein. Da war aber keiner, aber man weiß sich ja bemerkbar zu machen. Es erschien: der Koch. Eigentlich sei ja geschlossen... Und uneigentlich? Ob wir jeder ein Glas Wein bekommen könnten? Der Koch guckte, als ob er sich selbst fragen würde – und er entschied: Natürlich! Roten oder weißen? Noch bevor wir, angesichts der Temperatur, bianco sagen konnten, kam il patrone um die Ecke und sagte: Den Roten! Auf jeden Fall den Roten! Den nahmen wir dann auch. Zwei Euro wollte er haben, zusammen – so unverschämt wenig wie noch nie für einen wirklich sehr annehmbaren Nachmittagswein! Der Chef erklärte uns dann noch die Gewölbe im Felsen: Harter Felsen und Tuff bildeten das Gemäuer. Hier hätten wir gerne etwas gegessen (es gibt dort Antipasti, Pizza und die üblichen Primi und Secondi) – aber die offizielle Öffnungszeit ist 20.30 Uhr, und so lange wollten wir nicht warten (Via SS Medici, Tel. 328 0059116).


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Im Castello von Massafra Ăźber den KarsthĂśhlen sind ein Museum und die Stadtbibliothek untergebracht. 69


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Archiv in der Stadtbibliothek. 70


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Vor dem Museo dell‘olivio e del vino. 71


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Massafras Höhlen lohnen einen Besuch – der ist aber nur nach Voranmeldung und geführt möglich. 74


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Das renovierte Quartiere dei Santi Medici di Massafra nennt die heimische Kaufmannschaft werbewirksam magico. 75


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Der Urlaub in Apulien war zweigeteilt: Nach dem Aufenthalt im eher unbekannten Carovigno mit reichlich Abstechern in die Umgebung folgte der Gargano mit der eher für touristischen Rummel bekannten Stadt Vieste. Den Weg vom einen zum anderen Quartier verbanden wir mit einem kleinen Umweg, um uns Altamura und Gravina in Puglia anzusehen.

Gelegenheit, dem bunten Treiben links und rechts der Straße zuzuschauen. Irgendwo scheint ein Markt zu sein – die Leute kommen gut bepackt aus dem Quartier zur Rechten. Wenn du die Stadt nicht kennst: Immer den größten Kirchturm im Auge haben und dahin, wo die Menschen her kommen!

Altamura

Geklappt: Da ist tatsächlich ein Markt! Und dahinter lugen zwei Glockentürme hervor! Zwei Parksuche-Runden später sind wir mittendrin. Altamura, hatten wir gelesen, sei für sein Brot aus Hartweizen bekannt: außen kross und innen fluffig, und obendrein EU-geschützt. Quasi eine Art Dresdner Stollen, aber eben aus Brot und nicht in Dresden in Sachsen, sondern in Altamura in Apulien hergestellt. Wir haben es nicht probiert, weil die Chance auf einen Fehlgriff sicher hoch ist, wenn man sich nicht genau auskennt.

Eine gute Idee, samstags um die Mittagszeit in eine 65.000-EinwohnerStadt hinein zu fahren. So gut, dass andere sie auch hatten: Wir stehen im Stau. Doch, das finde ich gut – gibt es doch auch dem Fahrer die

Dafür waren wir in der Kathedrale, die „Der Staufer“ der Stadt beschert hat. Er musste mal was tun, um die katholische Kirche zu beruhigen, namentlich dem Papst zeigen, dass er (Federico di Svevia) noch nicht vom rechten Glauben abgefallen sei. Und da Altamura noch keine große schöne Kirche hatte, ließ er eine bauen – es sollte seine einzige bleiben. Aber immerhin: mit prächtigem Löwentor und sowieso ganz schön gewaltig. 1232 wurde der Bau begonnen – das heißt also: was man heute dort an barocker Pracht sieht, kam später hinzu (aber das kennt man ja von Kirchen und Schlössern, dass sie nie fertig sind). Nach seiner noblen Geste, der Stadt eine Kathedrale zu schenken, war der Staufer dann wieder ganz er selbst: 1248 sorgte Frederick dafür, dass Papst Innozenz IV. die Kathedrale aus der Gerichtsbarkeit des Bischofs von Bari löste – sie wurde als „Pfalz-Kirche“ so eine Art Palastkapelle...

Straßenszene in Altamura. 76

Natürlich gibt‘s noch mehr in Altamura: In der Kathedrale eine Hochzeit, eine nette Schlendermeile (Corso Federico II di Svevo), eine Kirche der ehemaligen griechischen Gemeinde (San Nicola dei Greci), einen veritablen Palast (Palazzo Viti de Angelis) aus dem 15. Jahrhundert sowie ein ­Museum, das rund um den Skelettfund des Uomo di Altamura, des Mannes von Altamura belehrt. Außerdem gab es eine Riesenbaustelle, die uns bei der Weiterfahrt ein wenig narrte und noch 30 zusätzliche Minuten Besichtigung uninteressanter Vorortstraßen ohne Wegweiser bescherte. Aber da Sylke manchmal auch nach hinten sah, fand sie doch noch ein wegweisendes Schild und wir konnten raus aus der Stadt Richtung ­Gravina in Puglia.


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Die einzige Kathedrale des Staufers Federico di Svevo steht in Altamura. 77


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Gravina in Puglia Die Schluchtenstadt über Grotten und Höhlen empfing uns mit einem Abenteuer und einem ungewollt besinnlichen Moment. Das Abenteuer bestand darin, mit einem zwei Meter breiten Auto durch einsachtzig breite Gassen zu fahren. Okay, ich flunkere: das Auto war 1.687 mm und die Gasse 1.688 mm breit, aber aufregend war es vor allem, weil spätestens nach der zwölften rechtwinkligen Kurve nicht absehbar, ob die Gassen sich noch weiter verjüngen wollten oder uns irgendwann auf einen Platz ausspucken würden. Es war dann die Platz-Variante, aber lustig wurde

es da nicht – ein beeindruckend langer Beerdigungszug bewegte sich langsam durch die Stadt. Die eher typische süditalienische Hektik wich, Vespafahrer stiegen ab, Männer nahmen sich den Hut vom Kopf, Automotoren wurden abgestellt. Später, beim Rundgang durch die Stadt, sah ich an der Katherale, dass sie den elfjährigen Giuseppe an diesem Tag zu Grabe trugen. Vor dem Rundgang (und also auch bevor einem bildlich gesprochen der Kloß im Hals stecken bleiben konnte) sind wir unserer Lieblingsbeschäftigung nachgegangen: Wir haben ein Restaurant gesucht, das einen leidlich untouristischen Eindruck machte. Die Trattoria zia Rosa war in unserem Reiseführer als Tipp empfohlen – wir können das Urteil bestätigen! Die Antipasti waren einfach und gut, und natürlich konnten wir auf hausgemachte Nudeln mit Rucola und Käse sowie Kaffee und Keks nicht verzichten. Das Gedeck, das in Italien obligatorisch ist, bestand hier übrigens nicht aus unattraktivem Brot, sondern war mit Wasser und zwei Vorspeisentellern mehr als ein Appetithappen. Bezahlt haben wir für all das und den ebenfalls obligaten Hauswein zusammen 35 Euro – da kann man nicht meckern. Gravina, das kennen wir vom Besuch in Massafra, heißt Schlucht (und Puglia ist Apulien). Also führt der Verdauungsspaziergang an den Rand der Schlucht – wo es den in diesem Fall berechtigterweise so genannten „spektakulären Blick“ wo-auch-immer-hin gibt, zum Beispiel auf die Höhlen am Rande der Schlucht. Die Grottenkirche San Michele ist, Vandalismus sei Dank, abgesperrt, einen Tür öffnenden Menschen soll es im Museo capitolare arte sacra neben der Kathedrale geben; wir haben es nicht geprüft, weil dies ja nur ein Zwischenstopp sein sollte.

Zentraler Platz in Gravina in Puglia. 78

Die Kathedrale liegt an einem beeindruckend großen Platz. An diesem Samstag war er zugeparkt: Wir hatten den Eindruck, dass halb Gravina zur Beerdigung gekommen war. Eine Besichtigung der Kathedrale verbot sich unter diesen Umständen – aber schon von außen ist der im Kern über 900 Jahre alte Bau imposant. Eine Kuriosität entdeckt man übrigens an einer viel kleineren Kirche, die ebenfalls an der Piazza Cattedrale liegt: Die Familie Orsini gönnte sich dort 1644 die Privatkirche Chiesa del Purgatorio Santa Maria dei Morti, über deren Portal zwei Skelette nicht gerade einladend wirken.


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Nebeneingang zur Kathedrale.

Oben: Blick auf Gravina in Puglia. Unten: Trattoria zia Rosa 79


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Vieste „Just a curiosity: on your arrival date: 10/05 in Vieste will be holy day, in fact on 09/05 is holy day for Santa Maria di Merino (Vieste‘ patron Saint). So do not scare yourself because on about 12.00 in the night will hear fireworks !!!!“ Schrieb mir Anna vom Reisebüro, das die Anlaufadresse für unsere Ferienwohnung war, im Februar. Als wir am 10. Mai in Vieste ankamen und die Vermieterin des Hauses anriefen, damit sie uns den Weg zeigen konnte, war sofort klar: Das muss ein wichtiges Fest sein, denn Signora und ihr Mann waren schon festlich gekleidet. Ihr Ziel war, gleich nach der Ankunft, auch unser Ziel: Das historische Zentrum von Vieste, dort die passegiata auf dem Corso Lorenzo Fazzini – das Schaulaufen der lokalen Schönheiten und der (im Mai noch nicht so zahlreichen) Touristengockel. Wenn Italiener ein Kirchenfest oder einen Heiligen (respektive Maria als kirchliche Quotenfrau) feiern, gibt es ein ganz bestimmtes Setting: Ein paar Tage zuvor kommt ein Lastwagen mit drei, vier wohlgelaunten jungen Männern vorbei, die dann bunte Lichterbögen aufbauen. Also streng genommen sind es weiße Bögen, an denen bunte Lampen hängen. Nächtens sieht das wunderbar kitschig aus, aber für eine festliche Promenade unterm Lichterbogen muss das so sein. Die Promenierenden machen sich hübsch, dass es nur so eine Art hat: Stöckelschuhe (die Frauen) und die edlen Braunen (die Männer), feinen

Zwirn, frische Frisur, güldene Handtäschchen (Ladies only) – schlampert läuft man da besser nicht rum! Die Eisdielen (davon gibt es reichlich!) haben zusätzliche Stühle herausgestellt und Schülerinnen als Aushilfskräfte engagiert, die munter giggelnd ihre Nachbarn, Lehrer und zukünftigen Lover bedienen. Freundlicherweise gibt es in den Eisdielen auch Wein und, wenn man mehr als ein Glas bestellt, etwas zu knabbern. Gleich nebenan kann man Pizza zum Mitnehmen erstehen, der Laden ist höchstens zehn Quadratmeter groß. Über dem Kühlschrank mit nur alkoholfreien Getränken lächelt Padre Pio milde auf den Trubel herunter, neben ihm kämpft einer vom Pferd aus mit irgendeiner Unbill, wahrscheinlich ein Drachen (das war damals so). Aber wer sieht da schon hin und kümmert sich um die jungen und alten Heiligen? Hier sind alle, trotz der Enge, gut drauf, und der Chef weist darauf hin, dass man doch bitte gerne die Stühle und Tische draußen nutzen könne. Die stehen (schließlich ist das kein Restaurant) nur während der Feierlichkeiten hier, werden aber gerne genommen. Nebenan spielt eine Band den üblichen Italoschmalz, der die Herzen bewegt und die Füße klammheimlich mitwippen lässt. Auf dem Weg zur Felsspitze wird es ruhiger, an einem Tisch sitzen alte Männer am Straßenrand und plaudern, ohne auch nur ein Getränk vor sich zu haben, Es sind die Zuständigen des Komitees für das nächste Fest. Die Altstadt, die sich auf dem Felssporn ins Meer streckt, ist an diesem Abend ruhig: Heute wird rund um den Corso gefeiert! Um Mitternacht, hatte Anna geschrieben, soll es ein Feuer­ werk geben! Das wollten wir von unserer Unterkunft aus ansehen, die bergan mit Blick auf Hafen und Altstadt praktischerweise mit einem begehbaren Flachdach ausgestattet war. Nahezu pünktlich um Mitternacht Londoner Zeit ging es dann auch los – ein wenig unspektakulär im Bereich des neuen Hafens, also nicht vor der klassisch-schönen Kulisse. Nach und nach steigerte sich das Feuerwerk zu einem ganz ansehnlichen pfffft und rmmmmms in rot und grün und gelb und weiß und manchmal auch in blau. Ach, dachte ich und hob genießend das Glas, eigentlich könnte man doch als ankommender Tourist immer so begrüßt werden!

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Apulien | Puglia Vieste hat etwa 13.500 Einwohner. Aber im Gargano ist es die größte Stadt mit dem meisten Trubel und den umfangreichsten touristischen Angeboten. Das kann schlimm sein, aber die Italiener kriegen das meistens so hin, dass es erträglich ist und eventuell sogar Spaß macht. Wir waren im Mai dort – und es war Vorsaison mit einem Hang zur anlaufenden Hauptsaison: ein idealer Zeitpunkt. Die Gaststätten haben bereits geöffnet, die Bedienungen und Köche sind nervlich noch nicht abgewrackt, auf dem Markt überwiegt die Zahl der Einheimischen, am Strand kann schon mal was los sein – aber wie die Sardinen muss man hier noch nicht liegen. Vieste liegt – wie viele andere Städte hier – auf einem Felssporn. Das macht die Städte besonders pittoresk, und zwar von nahezu jedem Standpunkt. Nähert man sich dem Ort auf der schmalen Küstenstraße, sieht man es immer wieder mal: Die Küste ist keineswegs begradigt, also ist es die Straße auch nicht. Mit etwas Wetterglück gibt das ein schönes abwechslungsreiches Lichterspiel zwischen blauem Himmel, der türkissmaragd-blauen Reflexion im Wasser, den weißen Wolken und den weißen Schaumkrönchen auf den Wellen einerseits und dem satten Grün des Waldes und dem gelben Sand des Strandes andererseits. Ach ja, das Paradies hat viele Namen... Wenn man – wie wir – sich Vieste an der Ostküste des Gargano nähert, also über Manfredonia und Mattinata kommt, mäandert die Straße gewaltig durch die Berge, bevor man bei Testa del Gargano wieder an die Küste kommt. Auch wenn‘s kurz vorm Ziel ist: Hier muss zwischengestoppt werden! Denn es erwartet den müden Reisenden (natürlich auch die hellwache Reisende!) der Arco San Felice – das berühmte Postkartenmotiv mit dem Felsentor. Zugegeben: Wir sind, weil beide müde und recht spät dran,

erst mal dran vorbeigefahren und haben es mit idealem Licht auch erst bei der Abreise im Morgenlicht richtig schön vor die Linse bekommen. Aber dort am Tor herumzustapfen ist auch ohne Fotolicht schön – und am aufregendsten ist es, wenn man eine Grottentour unternimmt und mit einem Touri-Schiff sich dem Bogen von der Wasserseite nähert. Jede Wette: Das machen wir später noch! Den Felssporn mit der Altstadt von Vieste kann man sich täglich vornehmen und abends noch einmal: es gibt immer was zu entdecken! Die Gassen sind, wie es sich für süditalienische Städte gehört, eng und schattig. Die Ausblicke aufs Meer sind immer wieder überraschend und nicht selten atemberaubend schön. Die Gaststätten im Quartier sind auf Touristen ausgelegt – aber meistens gut bis sehr gut. Wir sind, eher zufällig, bei unserem ersten Stadtspaziergang auf der Terrasse von Ristorante e Pizzeria Saporo di Mare direkt über dem Meer hängen geblieben – und dort so herzlich bedient worden, dass wir dann noch zweimal da waren im Laufe der Woche. Da galten wir dann schon als Stammgäste, und das hat doch was! Die Kultur in diesem Teil der Stadt könnte sein: Das Castello der Staufer (Friedrich II. – von wem denn auch sonst?) – aber das ist fest in Händen des Militärs und darf nur von außen angeguckt werden. Oder die Konventskirche San Francesco direkt an der Spitze des Felssporns – aber die wurde gerade renoviert und hatte geschlossen. Oder die Kathedrale Santa Maria Oreta, die man von weitem immer sieht, weil ihr Turm alles überragt. Was soll ich sagen: Zu war sie, aber wenn ich den schnatternden Führer einer Bildungsgruppe richtig verstanden habe, war das nicht weiter schlimm, denn so arg viel ist vom ursprünglich romanischen Innern aus dem 11. Jahrhundert nicht mehr erhalten. Halten wir es also mit der Alltagskultur und erfreuen uns an spektakulär Unspektakulärem, an den liebevollen Details an den Häusern, den kleinen Gärten mit Zitronenbäumen und der Wäsche auf den Leinen vor den Fenstern. Erfreuen wir uns an den herumstehenden und miteinander redenden Alten, und ja – natürlich – an den Stühlen auf der Straße vor den kleinen Cafés und Bars. Und am Meer, das uns so romantisch erscheint. Obwohl es in Wirklichkeit ein gemeiner Typ ist, der dem Sporn immer wieder etwas vom Kalkfels klaut, was für die dort Wohnenden nicht wirklich lustig ist. Aber irgendwie scheinen die Menschen sich dort mit den Naturgewalten zu arrangieren. Gibt‘s halt einen Balkon mehr, wenn das Erdgeschoss weggespült wird...

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Einkaufen in Vieste. 86


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Feiern in Vieste. 87


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SSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSssssssttttttttttttttttttttttt Strandtag in Vieste – eigentlich eine eher ruhige Angelegenheit. Der Strand ist lang, die Zahl der Touristen und Einheimischen hält sich in Grenzen. So ein Ausruhtag ohne besondere Ereignisse muss auch mal sein! Linker Hand sieht man den Felssporn, auf dem das alte Vieste erbaut ist. So ganz beruhigt können die Anwohner der Häuser an der Felskante nicht schlafen, denn das Meer knabbert immer noch am Felsen. Sagen wir so: Es ist extrem unsicher dort – aber schön! Das Wasser ist klar und blau, der Strand hat reichlich vom gelben Sand: ohne die Sommertouristen ist das richtig schön – und nicht mal gefährlich. Sylke nimmt ein Bad, ich sehe einem Angestellten zu, wie er Landesflaggen hisst. Er macht das nicht ohne Grund: Heute ist für Vieste nämlich ein großer Tag, der Giro d‘Italia kommt auf seiner 6. Etappe von Potenza nach Pèschici hier durch. Es ist die längste Tour des Giro, und sie wurde (nach Protesten der Fahrer) schon um 33 Kilometer verkürzt. Geblieben sind aber immer noch 232 Kilometer – nicht schlecht, Herr Specht! Die Stadt hat ein Halteverbot ausgesprochen und ist ab Mittag für den Verkehr komplett gesperrt. Es regt sich aber keiner drüber auf; man ist

wohl eher ein wenig stolz, dass das sportliche Großereignis Vieste berührt. Viele gaaaanz wichtige Menschen laufen herum, darunter gehetzt wirkende Hilfspolizisten, die Absperrflatterbänder entlang Einfahrten und Einmündungen von Nebenstraßen spannten: Straße frei für die Radler! Doch bevor die kommen, inspizierten erst einmal fette Polizisten auf gemütlichen Motorrädern mit Blaulicht den Weg. Wir hatten es uns, angesteckt von der Betriebsamkeit, im Garten des Restaurants oberhalb des Strandplatzes bei einem Glas Wein gemütlich gemacht. Nebenan äugte ein Paar aus Bayern immer mal wieder auf die Straße. Nichts passierte. Doch dann plötzlich: „Sie kommen! Sie kommen!“ Mit „Sie“ waren aber keineswegs die Radfahrer gemeint, sondern die viel wichtigeren Sponsoren in ihren schnellen Autos, die sich – wozu ist schließlich jeglicher anderer Verkehr gesperrt? – im Autobahntempo auf die Stadt zu bewegten. Jede Menge Promotionswagen bieten irgendwas für drei und noch etwas mehr für zehn Euro an – ich habe nicht verstanden was, aber sie rauschten alle vorbei und waren ganz bestimmt wichtig. Dann erst einmal wieder nichts. Zeit für ein Gespräch mit den Bayern. Sie wohnen – aus unserer Sicht – hinter Vieste im Wohnwagen auf einem der zahlreichen Campingplatz und sind – sehr stilsicher an so einem Tag! – mit dem Rad zum Strand gekommen. Außerdem trinken sie auch gerne Wein und haben einen Geheimtipp, nämlich einen Hersteller mit gutem und günstigen Wein. „Sie kommen! Sie kommen!“ Dieses Mal sind sie es wirklich. Man erkennt die Spitzengruppe des Giro am Hubschrauber dicht über der Straße, aus dem heraus gefilmt wird. Oben geht es also hubschrabschrabschrabschrab und unten macht es SSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSssssssttttttttttttttttttttttt. Und dann sind sie vorbei. Wieder nichts, dann wieder wichtige schnelle Autos, Blaulicht, nichts und dann das Hauptfeld. Und das war‘s. Die neuen Bekannten schwingen sich aufs Rad und machen gemächlich los gen Feriendomizil. Ohne Blaulicht vorweg und ohne ssssttt. Aber mit der Gewissheit, dass zu Hause ein nettes Glas Rotwein wartet.

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Im Land der Trabucchi Da schlenderst du mit nur dem einen Ziel, kein Ziel zu haben, die Küstenpromenade von Vieste entlang – und plötzlich steht da so ein Holzding vor dir. Einer gigantischen Spinne gleich stakst das Etwas ins Wasser, und du fragst dich: Wat is denn ditte? Det is ein Trabucco! Ein Trabucco ist ein Pfahlbau (die Spinnenbeine!) zum Fischfang, der Dank einer ausgeklügelten Technik das Fangen „zufällig vorbei schwimmender Fische“ (Wikipedia) ermöglicht. Trabucchi (so die Mehrzahl) gibt es an der Adria schon lange – und was muss ich da lesen? Das erste Teil haben im 14. Jahrhundert in San Vito Chietino ein Franzose und ein Deutscher gebaut! Warum diese Bauten so filigran im Meer herumstehen, hat Franco Laner, Professor für Technologie in der Architektur am „iuav“ Venedig, in einem feinen Beitrag aufgeschrieben. Ich fasse mal sinngemäß kurz zusammen (obwohl der Originalartikel lesbar wie verständlich ist): Um den gewaltigen Kräften von Wind und Wasser zu trotzen, sind die Trabucchi so schlank und beweglich wie möglich gebaut. Nägel (und damit feste Verbindungen) kommen nicht vor: Seile halten die zierlichen Holzstangen zusammen. Insgesamt eine elastische Angelegenheit, was den Professor den schönen Satz schreiben ließ: Der Trabucco „widersetzt sich den Kräften nicht, sondern biegt sich, verformt sich, beugt sich, um seine ursprüngliche Gestalt anzunehmen, wenn sich das Meer wieder beruhigt hat.“

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Sowohl die Wikipedia als auch Prof. Laner nennen nur die AbruzzenKüste in ihren Trabucco-Beiträgen – es gibt sie jedoch auch im Gargano. 16 Trabucchi sind auf der Tafel verzeichnet, die an der Punta S. Croce in Vieste angebracht ist. Es scheint sich um eine Art Aufforstung zu handeln: der Nationalpark des Gargano hat ein Projekt finanziert, Trabucchi neu entstehen zu lassen – als Denkmal oder zur Nutzung. Und während sich Prof. Laner (wahrscheinlich völlig zu Recht) darüber mokiert, dass einige Trabucchi an der Abruzzen-Küste im Rahmen der touristischen Erschließung offensichtlich sehr blauäugig restauriert wurden, scheint man sich im Gargano mehr Mühe zu geben: Sogar beim offensichtlich kommerziell genutzten Trabucco am Monte Pucci beobachteten wir zum Beispiel die gewünschten Verbindungen mit Seilen. Hier, weil es so schön ist, das Zitat aus Laners Beitrag über die „Fischermaschinen an der adriatischen Küste“: „Um Sicherheitsstandards einzuhalten, wurden ... ungeeignete Sekundärstrukturen aufgesetzt, die sie ihrer ursprünglichen Natur beraubt haben, was den Schluss zulässt, dass Restaurierungen nur dann vorgenommen werden sollen, wenn man das Wesen und die Idee einer Struktur verstanden hat. Was den Trabucco so einzigartig macht, ist eben nicht nur das Erscheinungsbild, sondern das inhaltliche Konzept, das Zusammenspiel von Beobachtungen und Gedanken, die sukzessive in ihrer Materialisierung Realität wurden und zu höchster funktioneller und architektonischer Ausdruckskraft führten.“


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Von Sandbaronen und Erdbeeren im Wein Auf dem Wege nach Pèschici die Erkenntnis: Der Adria-Strand gehört den Sandbaronen, die Campingplätze direkt am Meer anlegen, sie umzäunen und mit schwerem Eisentor nur denen Einlass gewähren, die zahlen. Tagsdrauf kurz vor Mattinata fuhren wir munter in so einer stabilimenti balneari vor, drehten dann aber am Schild um, das uns verhieß, für Auto und zwei Personen sechs Euro zahlen zu müssen: Nur, um mal eben eine halbe Stunde zu bleiben, erschien uns das zu viel... Einen Eingang zum Meer fanden wir kurz vor Pèschici: Zwischen zwei Privatstränden gab es einen unansehnlichen Weg zum öffentlichen Strand. Dort angelangt, konnte man die Baia di Manaccora komplett ablaufen – nach rechts Richtung Vieste zu einem Felsvorsprung (der Punta di Manaccora), nach links zur Grotta di S. Nicola – die (natürlich?!) verschlossen war: Mai ist Vorsaison, da ist es kalt und nix hat offen. Am Felsvorsprung gab es so eine Art Heiligenstation, an der eine Madonna mit den merkwürdigsten Dingen angebetet wurde. Besonders apart fand ich das Bändchen, das einen in Ferienanlagen als Gast kennzeichnet. Arme Madonna! Pèschici liegt, wie auch Vieste und Rodi Garganico, auf einem Felssporn. Das heißt: Es geht treppauf, treppab. Und: Man sieht immer mal wieder das Meer – am schönsten von der Spitze, wo es ein altes Kastell gibt (was nicht wirklich verwundert: hier scheint jeder Ort so ein Castello zu haben, natürlich immer an exponierter Stelle). Das Gassenwirrwarr eröffnet auch immer wieder nette Blicke auf alte morbide Gemäuer und wundervolle Torbögen, etliche davon mit offensichtlich wirklich alten Türen. Pèschici im Regen kann man, wie jede andere Stadt, ganz gut ertragen, wenn man eine nette Bar findet. Die Bar del Corso verschaffte uns die Premiere eines Rotweins mit Erdbeere (im Wein!) und zwei Maulbeeren (am Glasrand), außerdem gab‘s zur Bestellung „due vini“ auch noch ungefragt Chips, Mortadellabrote und Mozarellakugeln. Wir nahmen dankbar an und wurden nicht enttäuscht. Trotz exponierter Lage kostete das übrigens kein Vermögen: zwei Euro pro Glas Rotwein, 3,50 Euro für die Beilagen. Sie schmeckten, und mit 7,50 sowie nettem Wirt, sehr nettem deutsch sprechendem italienischem Gast (der uns als Dolmetscher für einen sehr beredten Sechsjährigen aushalf) war das ein hübsches Mittagsvergnügen. 96

Oben an der Burg hat man bei gutem Wetter eine gute Sicht – wir hatten drei Minuten später Regen, entsprechend keine Sicht. Aber die vielen Vorhänge-Schlösser, die da offensichtlich als Brauch am Rost der Reling angebracht waren, konnten wir natürlich sehen. Machen das Liebespaare? Offensichtlich: Innig verwoben rosten die Vorhängeschlösser vor sich hin (anders als alte Liebe, die bekanntlich nicht rostet). Auch das einsame Einzelschloss mit der nicht sehr kreativen aber sicher herzlich gemeinten Inschrift „Ti amo sempre e otre“ kann man noch als Sehnsuchtsschrei wahrscheinlich unerhörter Liebe deuten (sonst wären es ja zwei Schlösser, oder?). Aber was soll ich sagen, wenn da munter zwei Schlösser an einem rummachen? Besser nichts und weiter gehen! Hier oben an der Spitze des Sporns, auf dem Pèschici gebaut ist, stehen die Häuser kuschelig eng beieinander, man sieht verfallene Häuser mit abblätternden Farben und gute Restaurants, die es sich leisten können, ein wenig fernab der normalen Touristenströme zu liegen. Eine Kirche taucht auf – und wie wir es oft in der Gegend gesehen haben, wird man nicht gerade freundlich begrüßt: Zwei Totenköpfe grinsen uns an (soweit man ohne Muskeln und Haut grinsen kann...) Um die Ecke wird‘s dann aber wieder sinnenfroh: Die sehr naturalistische Darstellung eines Ladens auf der Stützmauer einer Treppe erfreut uns. Es wird nicht die letzte Malerei auf Hauswänden sein, die wir in Pèschici sehen, und alle sind irgendwie kitschig schön. Auf dem Weg zum Strand endlich mal wieder eine Begegnung mit einem räudigen kläffenden Köter – ich wusste schon gar nicht mehr wie das ist, Angst um seine Waden zu haben. Aber bellende Hunde sind nicht nur im Sprichwort selten beißend, und so kamen wir beschleunigten Schrittes die knapp hundert Meter vom karstigen Sporn herunter an den Strand. Der war, bei dem nieseligen Wetter, menschenleer und eher grau. Die Restaurants hatten geschlossen, was beim stärker werdenden Regen doppelt fies war. Dafür gab es ein nettes Schild: „Wir haben die schönsten Kunden der Welt“ verkündete das Surfbrett – auf italienisch und deutsch, woran man schon erkennt, wer hier im Sommer seinen Urlaub hauptsächlich verbringt. So gesehen war es doch gar nicht so schlecht, in der Vorsaison da zu sein...


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Bilder oben: Baia di Manaccora. Bilder unten: Pèschici. 98


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Steine, SchlÜsser, Illusionen: Pèschici. 99


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Rodi Garganico · Lago di Varáno · Capoiale · San Nicola Varano · Vico del Gargano Rodi Garganico hat 4.000 Einwohner, etwa 40 davon haben wir kennen gelernt – in der Bar C‘era Una Volta. Die resolute Chefin mit den orange­ farbigen Haaren hat alles im Griff – und präsentiert eine wunderbar unanständige Rechnung: Das Glas Rotwein 50 Cent, der Espresso 70 Cent – Bruschetta und Tramenzini gratis. Die anderen Gäste in der Bar tranken lustige Mixe: Daumendick Rotwein, der Rest Weißwein. Oder ein fast volles Glas Rotwein mit einem Schuss Orangensprudel. Einer kam, las Zeitung und ging. Zwei spielten Karten ohne zu verzehren – das hatten sie vorher getan ohne Karten zu spielen. Wir hätten den ganzen Tag hier bleiben können und uns sicher nicht gelangweilt. Aber das war ja nicht der Sinn des Besuchs. Wir also raus

auf die Piazza Rovelli, wo gerade – es ist Mittagszeit – nicht so arg viel los ist. Rodi Garganico macht, im Vergleich zu Peschichi oder Vieste, sowieso einen sehr ruhigen Eindruck. Dabei hat es doch ähnliche Attribute vorzuweisen: Es liegt auf einem Felssporn hoch überm Meer, das hier mit zwei langen und mehr als passablen Stränden ausgestattet ist. Es gibt einen kleinen Hafen, der allerdings eher modern als romantisch ist. Von der Mole starten Schiffe zu den Tremiti-Inseln, die wir lediglich aus Zeitgründen nicht besucht haben. Zu lohnen scheint es sich – aber man braucht ja immer wenigstens einen Grund, um wieder zu kommen. Zur Piazza führen belebtere Straßen, doch links und rechts davon wird es wie so oft bezaubernd verwunschen in den Gassen. Da Rodi Garganico nicht so groß ist, kann man im wahrsten Sinne des Wortes planlos herumlaufen und landet garantiert nicht irgendwo, sondern entweder am bereits bekannten Platz (kannten wir da nicht eine vorzügliche Bar?) oder, immer wieder überraschend schön, am Rande der Stadt mit Blick aufs Meer. Einen Trabucco sahen wir bei so einem Ausstieg aus den Gassen auch – offensichtlich einen der frisch rekonstruierten. Das nächste Ziel ist der Lago di Varáno. Uns empfängt eine Brachial­romantik, die man nicht gesehen haben muss. Die Isola ist die Landzunge, bei der es auf der einen Seite der Straße das nicht sichtbare (weil Pinien­wälder daszwischen sind) Meer gibt, mit langen Sandstränden. Viele Stichstraßen führen ans Wasser, wir entschieden uns wegen des netten Namens für den. Dort war es dreckig: Menschenmüll, nicht weggeräumt..

In der Bar C‘era Una Volta. 100

Zum Hafen Capoiale fallen einem viele beschreibende Worte ein – pittoresk, sonst bei Häfen im Mittelmeerraum gern genutzt, gehört nicht dazu. Miesmuscheln wurden früher im Lago vorgezüchtet, seit der biologisch tot ist, gibt’s die Muscheln nur noch aus dem Meer. In Capoiale werden die Muscheln umgeschlagen. Im Sommer, wenn es mehr Menschen als Muscheln da gibt, spielen die Fischer Fähre und setzen zu den Tremiti-Inseln über. Bei der Weiterfahrt – wir wollen den Lago umrunden für die Rückfahrt – taucht plötzlich eine Geisterstadt


Apulien | Puglia mit Kirche auf: San Nicola Varano. Eine Erklärung für die Ruinen findet sich nirgendwo, das Areal verfällt schlummernd vor sich hin. Sogar die Schlange ist tot, die mir beim Aussteigen aus dem Auto kurzfristig einen Schreck eingejagt hat. Ein wenig Recherche hat dann ergeben, dass dieses früher wohl eine Station für Wasserflugzeuge war. „Wer die Straße von Cagnano Varano her kommt, wird überrascht sein, ein Dorf zu sehen mit modernen und eleganten Bauten, die aber völlig fehl am Platz sind in einem Gebiet, das sonst Brachflächen und Gestrüpp vorbehalten ist.“ Die Anlage stammt vom Ende des 19. Jahrhunderts, wurde aber 1915 zu dem, was sie ist – und hauptsächlich im Ersten Weltkrieg benutzt. Aha, und seitdem will es offensichtlich keiner mehr haben. Dabei sieht das aus wie eine Feriensiedlung... Das nächste Ziel auf der Rückreise ist Vico del Gargano. Mittelalter pur. Fehlte nur noch, dass die Scheiße die Gassen entlang fließt. Auch hier ein Staufer-Castello, 1240 unter Friedrich II. gebaut, nur von außen als wuchtige Anlage erkennbar – aus der Innenansicht ist es ein eher unauffälliger Teil der Stadt und bewohnt! Die Häuser stützen sich mit Bögen gegenseitig, der Platz dazwischen ist eng, sehr eng. Moosige Treppen deuten auf Feuchte – kein Wunder, denn Sonne kommt da nie hin. Hinter jeder Ecke neue ah-und oh-Blicke, Treppen, Stürze, Bögen. Alles sieht alt aus, alles scheint bewohnt. Jetzt, in den Spätnachmittagsstunden, sieht man auch manchmal Menschen auf den Gassen und Plätzen. Drei alte Damen (nein, sie tanzen nicht Tango mitten in der Nacht, wie im Chanson) treffen sich auf einem Platz, eine strickt, eine fegt, alle reden miteinander. Eine nette Szene vor der Kirche: Die Männer waren während der Messe draußen auf einen Schwatz. Die Glöckchen aus der Kirche, die den heiligen Moment der Wandlung einläuten, unterbrach den Plausch subito: Man stob auseinander und zurück in die Kirche. 9.000 Einwohner hat Vico del Gargano, davon leben viele im historischen Zentrum. Die ältesten Teile der Stadtmauern (es gibt eine äußere und eine innere) sind tausend Jahre alt. Aber sie haben Strom in der Stadt... Abendessen in Pèschici. Ein Tipp in einem unserer mitgenommenen Bücher führte uns zur Vecchia Pèschici – sah von außen ok aus und hatte in der Tat einen atemberaubend schönen Blick von der Terrasse gen Sonnenuntergang hinterm Hafen, der aber leider wegen aufziehender

Am Lago di Varáno. Wolken nicht sichtbar stattfand. Das Essen (Vorspeise Meeresfrüchteteller, dann aus den Primis Orecchiette mit Stängelkohl, Seezunge nach Art des Hauses mit Sauce aus (und mit) Tomaten, gelber Paprika, Kapern) war ordentlich, aber nicht umwerfend. Das Ambiente – außer der Sicht – eher uncharmant: Die Tische nicht vorher eingedeckt, die Bedienung eher lustlos und uninspiriert wie das Essen. Außer uns nur vier Gäste aus Schwaben/Bayern, über die zu schreiben die Höflichkeit verbietet, und drinnen ein Paar – es war sozusagen leer. Verdientermaßen? 101


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Monte S. Angelo Monte Sant‘Angelo liegt ein wenig im Landesinnern vom Gargano. Der 15.000-Einwohner-Ort gilt als Wallfahrtsort der Superlative, was auf jeden Fall stimmt, wenn man die Beliebtheit bei Touristen als Maßstab nimmt. Wirkliche Pilger hingegen mag es geben, aber nicht an diesem Tag. Das lag vielleicht daran, dass die Stadt ihren Höhepunkt gerade hinter sich hatte: das Patronatsfest ist am 8. Mai, wir waren am 14. da. Aber der Erzengel Michael zieht auch so, und gleich neben dem Busparkplatz lassen die Touri-Nepper mit wattstarkem Ethno-Disco-Pop die Luft vibrieren. Da hilft nur: Ohren zu und durch. Um die Ecke in der Seitengasse wird es ­ruhig, es gibt uralte Gassen mit ebenso alten Häusern: Die Reihenhäuser im Stadtviertel Rione Junno haben schon einige Jährchen auf dem Giebeldach – aber ihre Wirkung bei der Einfahrt in die Stadt ist ebenso unvergleichlich wie beim Bummel durch die Gassen. Die Grottenkirche des Erzengels ist natürlich das erste Ziel. Der Erzengel Michael (auch zuständig für den Mont Saint Michel – das war aber vor seinem Italientrip) hatte die Grotte quasi eigenhändig geweiht – als ein sehr zögerlicher Bischof (ihm waren Michaels Worte, obwohl mit Engelszungen vorgetragen, nicht geheuer) mit einigen Mitchristen im Jahr 493 erstmals die Grotte betrat, fand er sie „himmlisch erleuchtet“ vor. Eine sehr schöne etwas verwirrend dargestellte Nacherzählung gibt es dazu auch im Netz. Wir fanden die Grotte eher angemessen spärlich beleuchtet vor. Wie offensichtlich fast immer, fand gerade ein Gottesdienst statt. Die touris-

tischen Heerscharen pilgerten in nicht enden wollender Schlange, immer rechts an der Wand lang, mehr oder minder andächtig vorbei, kümmerten sich mehr oder meist weniger um das Fotografierverbot, machten am Ende der Grotte einen U-Turn und gingen den gleichen Weg zurück – immer noch an der rechten Wand, die nun aber die gegenüberliegende von vorhin war. Dort drängten die Grottenansteher unaufhörlich nach: Alltag im Heiligtum, ist doch normal. Die Stadt ist, wenn man aus den Touri-Strömen ausgebrochen ist, bezaubernd. Nahezu allein schlenderten wir – bei meist eher durchwachsenem wolkenverhangenen Wetter, um das auch einmal zu schreiben – durch die verwinkelten Gassen und erfreuten uns an Treppen, Wäscheleinen, Balkonen und Blumen – auch solchen, die aus dem Gemäuer sprossen. Das volle italienische Programm, wenn man so will. Es gibt noch eine Menge anderer Kirchen, und links und rechts des (nach all der Einsamkeit beim Stromern abseits der empfohlenen Pfade) sehr geschäftigen Corso Vittorio Emanuele sieht man den einen oder anderen Palazzo. Freilich erkennt man die Prachtbauten aus dem 18. Jahrhundert nur bei genauem Hinsehen (Türen! Bögen! Erker!) oder wegen der erfreulich oft angebrachten Hinweisschilder, die einen (auf italienisch und englisch) dann auch noch ein wenig über die Geschichte des jeweiligen Hauses schlau machen. Auf dem Rückweg zum Parkplatz (keine Abzocke: 2,50 mit unbegrenzter Parkdauer) stehen vor einer Trattoria zwei Männer, die uns den Durst ansahen. Ob wir nicht hinein gehen wollten? Wir wollten – und stellten fest, dass der Laden eigentlich noch gar nicht auf hatte. Alles dunkel drinnen. Nur die Tür stand offen – hatten wir das nicht schon einmal? Aber für uns wurde Licht angemacht, der Wirt – einer der beiden draußen vor der Tür – stapfte in den Keller und kam mit zwei Glas Rotwein wieder, servierte dazu zwei Anis-Brezel, fragte, ob wir nicht zum Essen bleiben wollten. Nein? Der andere kam rein und lobte das Haus und wie sehr es sich doch lohnen würde, hier zu essen. „Aber wir müssen doch noch bis nach Vieste und würden gerne im Hellen fahren, um etwas von der Landschaft zu sehen!“ Na, das ist doch ein Argument: kein Problem, macht zwei Euro zusammen!

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Die Grottenkirche Monte S窶連ngelo. 107


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Die Grottenkirche Monte S窶連ngelo. 108

Treppen in der Altstadt.


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Reihenh채user im Rione Junno. 109


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Wandern im Wald Als Wanderer hat man ganz andere Probleme denn als Schreiber. Ich fang mal mit dem Schreib-Problem an: Das riesige Naturschutzgebiet im Kern des Gargano heißt Foresta Umbra. Das ist, nicht verwunderlich in der Gegend, italienisch und, grammatikalisch gesehen, weiblich: Foresta heißt Wald, aber aus italienischer Sicht eben nicht der Wald, sondern die Wald. Umbra, entnehme ich der Vieste-Webseite, kann naheliegend Schatten bedeuten – oder auch den umbrischen Menschen meinen. Und wo ist das Problem? Mein Problem ist, dass nahezu alle deutschsprachigen Quellen „die Foresta Umbra“ schreiben, ich aber, weil es doch um den Wald geht, von nun an „der Foresta Umbra“ tippen werde. So, das wäre also geklärt. Gut, dass wir drüber gesprochen haben. Und was sind die Probleme des Wanderers? Die sind viel diffizilerer Natur. Die Gegend da ist nämlich eigentlich gar keine Wandergegend. Also, sie ist es schon ein bisschen, aber nicht wirklich dolle. Weswegen es zwar 52 offizielle Wanderführer durch den Park gibt, aber keinen vernünftigen Wanderführer in Buchform. Und die Karte, die sie im Informationszentrum des Nationalparks verkaufen, ist eine schöne bunte Lachnummer im Maßstab 1:25.000. Fünfzehn Touren sind da (italienisch und englisch, immerhin) andeutungsweise beschrieben, wobei hauptsächlich die Parkplätze von Start und Ziel und die mutmaßliche Dauer angegeben sind, was ja nicht sehr viel ist. So richtig doof ist allerdings, dass die eingezeichneten Wege nur eine kleine Auswahl der tatsächlichen Wege zeigt. Die Karte hat pädagogischen Dünkel und ist so etwas wie eine „für die Jugend bearbeitete“ Ausgabe von Büchern – in denen dann immer die wirklich spannenden Teile fehlen: Foresta Umbra, für doofe Touris bearbeitete Ausgabe. Diese verrückte Idee war bei der ersten unserer beiden Wanderungen nicht weiter hinderlich; bei der zweiten hingegen führte die falsche Karte dazu, dass wir in weiten Teilen komplett anders liefen als vorgesehen. Aber: Wir befanden uns auf Wanderwegen – auf alten, ausgedienten. Sie waren noch leidlich beschildert, ein wenig Orientierungssinn und einige Fixpunkte auf der hübsch geschönten Nationalparkkarte lieferten den Rest: Das war dann völlig unerwartet eine richtig schöne Tour! Für die erste Begegnung mit einem kleinen Teil des etwas über 10.000 Hektar großen Nationalparks wählten wir den Einstieg unweit vom 110

Besucherzentrum. „Falascone“ heißt der Punkt, eine nette Grillstation für Sonntagsbesucher ohne große Lauflust (Entfernung zum Parkplatz: etwa 50 Meter). Sonntags ist es im Sommer hier rappelvoll: Die Italiener bevorzugen die deutlich kühlere Luft im meist über 700 Meter hohen Buchenwald und machen es sich dann der Kälte wegen am Grillfeuer gemütlich. Die gut ausgeschilderte Tour 7 Richtung Laghetto d‘Umbra stellte sich als extrem schlendrig heraus, so dass wir an der nächstbesten Kreuzung nach rechts in die Tour 9 zur Caserma Murgia abbogen. Auch keine Herausforderung, sondern eher ein gemütlicher Spaziergang. Das Gebäude sah aus wie ein altes Forsthaus. Wie es so mitten im Buchen-Urwald plötzlich „da“ war: das war dann doch eine Überraschung. Die Caserma Murgia war nicht bewohnt, aber offensichtlich ab und an noch genutzt. Wir machten es uns draußen gemütlich: Tisch und Bänke luden zur Brotzeit ein! Die gekaufte Karte war an dieser Stelle dann doch nicht so unnütz, da wir munter weitere Teilstrecken zu unserem ad-hoc-Wanderweg machten: Von der Caserma Murgia folgten wir der Tour elf und ließen uns, als „die elf“ uns nicht mehr weiter brachte im Rundweggedanken, nahtlos in Tour zehn gleiten. Ein gefährlicher Weg, ein höchst gefährlicher sogar: Der Weg war nämlich immer wieder garniert mit riesigen Fladen mehr oder minder frisch verdauter Masse. Die frischen Fladen waren ungefährlich: Wer da rein tritt, hat nicht aufgepasst. Aber die schon ausgehärteten – waren es oft gar nicht. Außen kross und innen weich – das kann einen Wandersmann ganz schön stinkig machen! Anders als die reichlich sich hier labenden Mistkäfer genossen wir den Fladenkot der Wildschweine kein bisschen. Manchmal fragten wir uns, ob es vielleicht gar keine Wildschweine waren, die sich da ausgeschissen hatten, sondern Dinosaurier. Der Menge wegen... Rundgang 10 führte uns (immer ausgeschildert, nett nett!) via Coppa Pasqualone (780 Meter) und Coppa Croci (803 Meter) zurück in die Nähe der Caserma Murgia. Via Tour 8 wanderten wir wieder Richtung Falascone (751 Meter), begleitet nur von vielfältigem Vogelgezwitscher. Touristen sahen wir nicht, Füchse und Wildscheine auch nicht. Jedenfalls nicht direkt.


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Wandern auf der weiß-roten Route Die zweite Wanderung durch Foresta Umbra sollte prinzipiell ein wenig geplanter als der erste Trip und auch länger ausfallen – eine Tagestour. Zwischenzeitlich drohte das Unterfangen allerdings von der Tour zur Tortur zu mutieren, doch dazu später mehr. Wir begannen die Wanderung frohen Mutes an einem wunderbaren Parkplatz in der Nähe eines Picknickplatzes – zum Wiederfinden: Kurz hinter Kilometer acht auf der Straße von Vieste zum Informationszentrum. Unsere Absicht: Die Wanderung 2 aus dem Plan der Parkverwaltung zu finden. Unsere Wanderung: Schön, aber nicht die gewollte. Die Entscheidung zum schönen falschen Weg fiel früh an einer Kreuzung, die es auf der Karte gar nicht gab. Die Karte ist nämlich pädagogisch wertvoll und damit fürs Leben nicht brauchbar: Es stehen nur Wege drauf, die man gehen darf; solche, die man nicht gehen soll, sind schlichtweg nicht eingezeichnet. Man kann sich also so gut wie gar nicht orientieren, denn wenn man Karten nach dem Motto „Was nicht sein soll, zeigen wir nicht“ zeichnet, kann man es auch gleich sein lassen. Lustig: Die Wege, die wir gingen, waren ausgeschildert (zuerst gelb, dann weiß-rot und schließlich weiß-rot und gelb) – aber wohin sie führten, blieb das Geheimnis der Baumanmaler. Mittlerweile weiß ich, dass es Zeichen eines alten Wandernetzes sind – eines Wegesystems, das nicht mehr gepflegt wird. Wir ließen das Los entscheiden zwischen rotem Kreis, weiß-rotem Balken und gelbem Strich und entschieden uns für weiß-rot. Ein wunderbarer Weg, wenn auch der falsche! Wenn ich das im Nachhinein richtig einschätze, führte er immer südlich vom Wunschpfad durch sich sauber voneinander abgrenzende Vegetationszonen. Bäume, Blüten, Schmetterlinge: langweilig war‘s nie! Wir ahnten bald, dass wir uns irgendwann falsch entschieden hatten, wussten aber nicht genau wann – und schon gar nicht, wo wir derzeit exakt waren – außer: auf der weiß-roten Route. Plötzlich erreichten wir eine Lichtung mit zwei Badewannen an einem altem Brunnen: Das konnte nur Piscina di Picone sein – ein Punkt auf der Karte, zu dem absolut kein Weg führte. Die Wannen machten keinen sehr einladenden Eindruck, und auch das Brunnenwasser sah nicht nach Spit112

zenplatz einer Apulischen Wasserqualitätshitliste aus. Also ließen wir die Piscina in der Middle of Nowhere hinter uns und taperten munter weiter: Es war ja schön, und die Bäume trugen ausreichend oft weiß-rote Streifen! Irgendwann wurden die Auszeichnungen spärlicher. Das ist dann die richtige Zeit und zweifelsohne auch der richtige Ort, über Orientierungssinn, Kartenlesevermögen und Umkehrpläne zu diskutieren. Als hilfreiches Argument erwies sich ein plötzlich auftauchendes richtiges Schild. Leider war es nicht für uns, denn es wies Radfahrern den Weg: Rechts zweimal in den Wald, links zur Caserma Caritate, nahe unserem Ausgangspunkt. Na, den nehmen wir doch, selbst wenn wir zu Fuß sind! Außerdem geht der Weg immer schön bergab und gehört zu den schönsten Strecken, die man hier gehen kann. Wir erlaufen uns die offizielle (!) Tour drei, laut Parkverwaltungsplan. Obendrein begehen wir die Wanderstrecken „gelb“ und „weiß-rot“, laut den Bäumen links und rechts. Wir marschieren erneut durch die Vegetationsebenen: Besonders bei den Ginstern, die in der Sonne strahlend gelb leuchten (wie Ginster das so machen, wenn die Sonne scheint) ging uns das Herz der Begeisterung über. Und als wir, so ganz ohne Beschreibung, tatsächlich wieder da ankamen, wo wir los gegangen waren, war auch für die gerne ein wenig an meiner Orientierung zweifelnde Sylke wieder die Welt in Ordnung... Die nächstmögliche Krise hätte sich anbahnen können, als auf der Heimfahrt die Straße urplötzlich gesperrt war. Nein, keine Baustelle, kein Giro d‘Italia, kein umgestürzter Baum: Bullen standen auf der Straße und sahen uns hochinteressiert an. Nach kurzer Diskussion in einem uns nicht verständlichen Cowderwelsch verwandelten sich die ausdrucksstarken Gesichtsmuskeln, die hellhäutige Gesellschaft guckte plötzlich nur noch kuhl und zottelte gelassen an uns vorbei. Dass diese Begegnung nicht zur Krise ausartete, lag am Mut meiner Beifahrerin – und vielleicht auch am nicht so genauen Hinsehen. Tapfer hatte Sylke das Auto verlassen, um sich den „Kühen“ fotopirschend zu nähern. Es ist ja auch nichts passiert, außer wahrscheinlich einem netten Foto. Hej, nun waren wir abenteuerlustig und bogen bei nächstbester Gelegenheit von der Hauptstraße ab. Grobe Richtung: Küste. In Wirklichkeit aber landeten wir an einem Ort, den wir schon seit drei Tagen heimlich gesucht


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Apulien | Puglia hatten (soooo ein Zufall!): Einem Weinbauernhof mit kleinem Restaurant, Übernachtungsmöglichkeit und Außer-Haus-Verkauf. Wir suchten keinen Übernachtungsort, klar. Aber die Cantine Cimaglia, die in Agritourismo macht und als „grüner Punkt“ sich heimischen Produkten verschrieben hat, war uns als ein Ort leckeren und unverschämt günstigen Weines beschrieben worden. Hier gibt es Vino da Tavola Rosso in einem Gebinde, das Weingenießern die Tränen in die Augen treibt: 5 Liter im Plastikkanister für 5 Euro. Wenn man freilich um Wein nicht so ein Gewese macht, sondern ihn einfach

Manchmal ist es schlauer, Bilder aus gesicherter Entfernung zu machen... 114

produziert und sauber ausbaut, kann er lecker sein und preiswert. Nur Wasser (auch aus und in Plastikflaschen, übrigens – und das nicht mal geächtet) ist günstiger. Die Cantine hatte, wie es uns schon so oft auf unserer Reise wegen unmöglicher Einkehrzeiten passiert war, offiziell geschlossen, aber genug Menschen wuselten auf dem Hof herum und ließen uns herein. Und wie auch schon häufig erlebt: Die Menschen waren freundlich, offen, geduldig mit uns. Die zwei Glas, die wir – um den Wanderstaub aus dem Körper zu entfernen – vor dem Kauf des Kanisters tranken, gab‘s übrigens gratis.


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Wanderungen im Foreste Umbra – mit Baden an der Piscina di Picone und der Treppe von der Caserma Murgia. 115


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Von Surfern und Bierhäusern Liebes Tagebuch! Heute waren wir am Strand mit den vielen Surfern. Punta Lunga heißt das da, und es gibt Campingplätze en masse, gefährlich viel drahtige Italiener und obendrein eine Menge Bayern, die den ungleichen Kampf mit den Naturgewalten Wasser und Wind aufnehmen wollen. Meistens verloren sie: Es lagen weitaus mehr Surfbretter am Strand und Menschen neben ihren glitschigen Brettern im Wasser als für ein chices Coverfoto gut gewesen wäre. Außerdem schien die Sonne mal wieder kein bisschen, zudem wehte nur ein recht lauer Wind. Und dann auch noch aus der falschen Richtung! Uns war das egal, denn wir liefen nur voyeuristisch den Strand entlang und kamen ohne körperfigurbetonenden Neoprenanzug aus, was vielleicht auch besser so war... Bayern in Apulien klingt gewöhnungsbedürftig, ist aber offensichtlich sowas von selbstverständlich, dass man auf alles gefasst sein muss. Zum Beispiel auf ein bayerisches Tupferl etwas landeinwärts: Da steht ein Beergarden mit Hofbräu-Bier vom Fass. Da geht unsereins (Weintrinker/in und nicht aus Bayern) doch freiwillig nie rein! Wir taten‘s dennoch, tapfere Tester im Namen aller nach uns Reisenden – und waren begeistert. Hausgemachtes Brot aus dem Pizza-Ofen, Bio-Olivenöl, gefüllte Artischocken (würzige Brot-Ei-Mischung), vorzüglicher frischer Barsch vom Grill, der (endlich einmal!) nicht nach Holzkohlengrill schmeckte, obwohl die knusp116

rige Haut über dem saftigen Fleisch schon ordentlich Hitze abbekommen hatte. Pane Pomodore als Spezialität erschloss sich uns nicht wirklich als (wie von der Chefin angesagt) etwas Besonderes, aber die Maulbeeren aus dem Garten, mit grünen Blättern geschützt und von Tisch zu Tisch wandernd, waren eine kostenlos gereichte Leckerei zum Abschluss – und der Lorbeerschnaps nach dem Bezahlen hatte es auch in sich. Am Nachmittag füllte sich das Haus: Lauter total coole Italiener fuhren vor (und parkten uns beinahe zu), alle mit total coolen Klamotten und supercoolen Sonnenbrillen, die sie aber im dunklen Haus abnehmen konnten. Sie kamen, um gemeinschaftlich das Fußballspiel Rom gegen Mailand zu sehen. Der Wirt musste mitgucken, weswegen der Caffee von einer Tittenbraut serviert wurde, die zuvor am Gästetisch saß. (Ich bitte das zweite durch Kursivdruck zurückgenommene Wort zu entschuldigen, aber die Dame hing schon sehr betont an ihrem Busen und betonte die üppige Macht noch durch ein rotes Herz im sonst enganliegenden schwarzen Dress. Und ja: ich habe ein Bild, aber nein: ich werde es nicht zeigen ;-) Und nun noch die Geschichte, warum im Gargano ausgerechnet Hofbräu gezapft wird. Der Wirt ist hier in der Gegend geboren, aufgewachsen aber in Mailand. Als er ins wehrpflichtige Alter kam, zog er es vor, auch der erweiterten Heimat vorübergehend ade zu sagen („die Hippiezeit!“ grinst seine Frau, als sie es uns erzählt) – und es verschlug ihn nach England, wo er sie kennen lernte. Beide waren, wenn ich das richtig verstanden habe, noch acht oder neun Jahre gemeinsam in München, bevor er sich wieder nach Italien trauen konnte. Hier betreiben die beiden nun den Beergarden – mit Bier aus München, „weil wir ein Bier vom Fass ausschänken wollten, das auch schmeckt!“ Im Winter besteht die Kundschaft nahezu ausschließlich aus „den Jungs aus Vieste“, die nun hier Fußball gucken. Im Sommer wagt man den Spagat mit den Touristen, die die nahe gelegenen Campingplätze massig anspülen. Chef und Chefin sprechen deutsch, englisch und italienisch, und sie führen ihr Restaurant nach dem Motto „das Beste aus den drei Kulturen“. Wetten, dass wir am nächsten Abend noch einmal da waren?


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Die kleine Grottentour Weil es so kalt sei, erklärte die Dame in der Biglietteria von di Maso & Figlio in einem deutsch-englisch-italienischem Sprachgemisch, habe man den Badestopp aus der Tour gestrichen und fahre eine halbe Stunde später ab, komme dafür aber auch schon eine halbe Stunde früher zurück. Am Preis freilich hatte man nichts geändert: 13 Euro pro Person für faktisch dann eineinhalb statt drei Stunden, denn es ging noch schneller zurück als angekündigt. Und der Bootsführer, da bin ich mir sicher, ist auch nicht die volle Tour gefahren, denn der Grottenplan der Kommune und die einschlägige Literatur verweisen auf deutlich mehr, als wir gesehen haben. Was soll‘s, trotz garganischem Wetter (mit blauem Himmel und Sonne beginnen und dann schlagartig eintrüben zu apulischem Grau in Grau) hat die Tour sich gelohnt. Auch wenn wir anfangs argwöhnten, allein mitfahren zu wollen, waren letztendlich etwa 40 Leute an Bord, woraus man einen guten Stundenlohn für den Skipper ausrechnen kann. Wir saßen ganz hinten: Eine gute Wahl zum Fotografieren (weil ja nach hinten immer freie Sicht ist), eine windige Angelegenheit bei voller Geschwindigkeit des Bootes. Schon der Beginn der Tour ist bemerkenswert: Man sieht kurz nach der Ausfahrt aus dem Hafen den Leuchtturm, der ja bei geschickter Motivwahl in Vieste nahezu immer auf dem Bild ist, von der anderen Seite. So, wie ihn vom offenen Wasser kommende richtige Fischer, Kreuzfahrten­

senioren oder Entdecker sehen: Mit der Aufschrift „Vieste“ – damit man weiß, wo man ist! Ebenso spektakulär und ungewohnt ist die Ansicht auf den Felssporn von Vieste, die man nach einem Rechtsschwenk des Bootes genießen kann. Der Skipper, ein eher lustlos drein blickender Italo-Macho mit Sonnenbrille, entpuppte sich als netter Ansager mit einem Hang zum beschleunigten Feierabend – „aber egal“, wie Sylke sagen würde... Die Kalkstein-Küste bietet vom Meer einen grandiosen Anblick, mit bizar­ ren Formen und (wenn die Sonne scheint, wie es ja sein sollte) einem prächtigen Farbenspiel von weiß über alle Schattierungen des Gelben bis hin zu nahezu schwarzen Streifen. Gerne hat das Wasser auch Höhlen in den Fels gefressen, und die Menschen haben dem Drang nachgegeben, diesen Grotten Namen zu geben. Oh Mann, wenn das Wetter nicht langsam ungemütlicher geworden wäre, hätte das richtig Spaß gemacht und Stoff für eine Geschichte gegeben: Die Höhle der zwei Augen! Die Grotte der Sirenen! Die der Schlange, die der Fledermäuse, der Schmuggler – wenn jemand Stoff für einen Roman sucht, hat er hier schon mal ein paar Locations. Manchmal fährt dieser Wahnsinnstypi mit der Sonnenbrille auch in so eine Grotte hinein, und die 40 Leute im Boot stehen dann alle auf und machen Bilder. Lustig, wie es da aus den kleinen Kameras herausblitzt! Vor allem das Fotografieren 20 Meter entfernter Höhlendecken mit Blitz kommt gut – so wie das des Mondes, in etwa. Ob mit oder ohne Foto: Was die Natur da so hingezaubert hat, ist schon beachtlich. Aaaahhh! und Ooooohhhhh! sind garantiert, und wie so oft hätte ich jetzt gerne einen Fachmann (oder eine Fachfrau) dabei gehabt, um diese Phänomene mit eine wenig fundiertem Wissen zu erklären. So blieb‘s beim rein optischen Genuss. Wir passieren einen Punkt, der Testa del Gargano, der Kopf des Gargano, genannt wird. Unser Bootsführer erklärte: Der sieht aus wie ein Spitz. Naja, aus einer Position und mit einiger Phantasie kann man das durchgehen lassen. Wir sind auch noch an der „Tomate“ vorbei gefahren, aber das habe ich nun gar nicht verstanden. Wie eingangs schon erwähnt: Das Wetter wandelte sich zum Miesen, das Boot drehte (wie ich denke: früher als geplant) um und brachte uns schnell zurück. Wahrscheinlich hatte unser Bootsfahrer es eilig, seinen Caffee in der Hafenbar zu bekommen. Aber, ätsch, die hatte zu.

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