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Dresden
Ein Reiseverf端hrer von Ulrich van Stipriaan
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Inhalt Dresden war mal einige Zeit ein Welterbe. Zwischen Pillnitz und Übigau war ein Gebiet von neunzehneinhalb Kilometern Länger und knapp 20 Quadratkilometern Fläche seit Juli 2004 mit diesem Titel ausgezeichnet. Doch lange konnte sich die Stadt nicht mit dem UNESCO-Titel schmücken – der Bau einer Brücke mitten durchs Elbtal hat die Erbetitel-Vergeber vergrätzt. Im Juni 2009 nahmen sie der Stadt den Titel, nachdem sie bereits seit 2006 auf der roten Liste gefährdeter Kulturgüter stand. Wir sind oft und gerne durch diese unvergleichliche Kulturlandschaft spaziert. Daraus sind 2008 bis 2010 einige Artikel entstanden, die hier weitgehend unverändert und nur leicht redigiert nachgedruckt sind. Der Titel ist weg – doch die Stadt- und Kulturlandschaft gibt es noch, mittlerweile mit Waldschlösschenbrücke. Wir werden uns dran gewöhnen und nach ihrer Fertigstellung Bilder aus der Mitte des Flusses machen, stromauf und stromab. Wenigstens das!
Bilderstrecke S. 4 Die schönen Seiten der Stadt auf zwei doppelseitigen Panoramaaufnahmen und 21 ganzseitigen Fotos…
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Dresden Im historischen Zentrum … ……………………… Der Zwinger……………………………………………… Theaterplatz……………………………………………… Hofkirche – Frauenkirche – Synagoge……
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Mit dem Dampfer nach Pillnitz… ……… 57
Die drei Elbschlösser… … Albrechtsberg … ………… Villa Stockhausen/ Lingnerschloss… ………… Schloss Eckberg… ……… Die Elbe unterhalb der Schlösser………………
Rund um Schloss Pillnitz… ……… 86 Von Pillnitz über Birkwitz nach Kleinzschachwitz… ………… 88 Zwischen Kleinzschachwitz und Wachwitz…………………………… 96
Impressum STIPvisiten von Ulrich van Stipriaan (Texte und Bilder) Band 5: Dresden Die Spaziergänge durchs Welterbe sind 2008 und 2010 geschrieben und erschienen zuerst bei Ipernity: http://www.ipernity.com/tag/stip/keyword/376415 http://stipvisiten.de | uvs@stipvisiten.de
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Rast-Stätten……………………………………… 104 Kaminrestaurant………………………………105 Kurhaus Kleinzschachwitz… ……………106 Elbterrasse Wachwitz……………………… 107 Freytags Weingarten ………………………108 Villa Marie…………………………………………109 Schloss Eckberg… …………………………… 110 Lingnerterrassen……………………………… 111 Besenwirtschaft Lutz Müller … ……… 112 Brühlscher Garten…………………………… 113 Radeberger Spezialausschank………… 114 Kahnaletto … …………………………………… 115 Kreativ und handwerklich sauber…… 116 Wintergarten Maritim……………………… 117 Lindenschänke… ……………………………… 118
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Im historischen Zentrum 29 28
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Der Zwinger Wer das erste Mal nach Dresden reist, kommt natürlich nicht um die klassiche Tour herum: Zwinger, Semperoper, Hofkirche, Brühlsche Terrasse, Frauenkirche – und wenn Zeit ist, Synagoge und Terrassenen ufer. Wir gehen nirgendwo rein, denn das würde aus dem einstündigen Spaziergang mindestens eine Tagestour machen, vielleicht auch eine Zweitagestour, aber das ist nicht weiter schlimm, denn gegen Abgabe eines geringen Taschengeldes kann man es sich ja im Taschenbergpalais gemütlich machen und auf den Spuren der Gräfin Cosel nächtigen. Beginnen wir im Zwinger! Zwinger nennt man im Festungsbau den Raum zwischen äußerer und innerer Festungsmauer. Der Zwinger in Dresden hat auch so begonnen – bis August der Starke sich 1709 eine Orangerie für frostempfindliche Pflanzen wünschte. Die Militärs äußerten Bedenken: Das sei nicht die Funktion eines Zwingers! Aber es sollte – aus der Sicht der Offiziere – noch schlimmer kommen: Ab 1711 wurde der Zwinger zum Festplatz ausgebaut! Der Plan sah eine gigantische Anlage vor, die sich bis zur Elbe ziehen sollte. Matthäus Daniel Pöppelmann, ein Westfale, baute den Zwinger und prägte damit den Sächsischen Barock. Verwirklicht wurde der ursprüngliche Plan übrigens nicht, doch mit den vier rechteckigen und zwei runden Pavillons entstand 30
im Laufe der Zeit ein Meisterwerk des Barock. Eine „Faschingslaune der Architektur“ nannte der Kunsthistoriker Wilhelm L übke den Zwinger einmal, und er verband mit dem Begriff Fasching nur G utes! Im Zwinger steckt so viel Kunst, so viel Sehenswertes innen wie außen, dass ein gemütlicher Spaziergang durch Glockenspielpavillon, Kronentor und Nymphenbad eigentlich nur ein Appetitanreger ist. Durch den Glockenspielpavillon betreten wir den Zwinger – und wissen gleich nicht, wohin mit den Augen: Voraus, um das atemberaubende Panorama der Anlage zu genießen? Oder umgedreht und Augen hoch zu den Glocken, die zwar immer nur kurz spielen, aber dafür aus Meißner Porzellan sind, was man ja so oft auch nicht findet? Gegenüber vom Glockenspielpavillon sieht man in etwa 200 Metern Entfernung den Wallpavillon, unser nächstes Ziel. Links (meist im Gegenlicht, es sei denn man ist Frühaufsteher oder es regnet, aber dann gibt es gar kein gutes Licht zum Fotografieren!) das Kronentor, rechts die Semper galerie, die bei entsprechender Zeit unbedingt einen Besuch lohnt. Beim Quicki durch die Alten Meister sehen wir Raffaels Sixtinische Madonna (die von den Kunstbanausen weltweit auf die beiden
kleinen Süßen am unteren Ende des Bildes reduziert wird), ein wenig Rubens und ganz viel Canaletto, der seit 1747 Hofmaler war und monatlich ein Bild abliefern musste. Er ließ sich nicht lumpen und wählte trotz des Stresses ein großzügiges Format voller Details. Canalettos Stadtansichten sind erstens in Ermangelung der damals noch nicht erfundenen Fotografie ein nettes Abbild der Zeit und zweitens neben der Detailliebe auch noch humorvoll arrangiertes Stillleben. Wer Dresden – das ja nicht umsonst Elbflorenz genannt wird und klimatisch (sehr zur Freude der Winzer in der Gegend) durchaus nennenswerte Durchschnittstemperaturen zu bieten hat – wer also Dresden bei Regen erwischt, kann sich bei Canaletto die Sonne zumindest in den Sinn holen. Der Wallpavillon ist einer der drei Hin gucker im Zwinger (das Glockenspiel und das Kronentor sind die beiden anderen). Die Literatur ist sich einig: Das ist der bauliche Höhepunkt der Anlage! Balthasar Permoser, der Hofbildhauer, konnte sich hier richtig austoben und schuf Weltklasse. Den Hercules Saxonicus, der den Pavillon mitsamt der Weltkugel krönt, hat er als einziges Werk im Zwinger signiert. Wer will, kann hier reichlich Götter und noch mehr Sagengestalten von Aphrodite bis Zeus entdecken.
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Hobby der Putten auf der Zwingerballustrade: Touris gucken! 31 30
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Eine Treppe führt durch den Pavillon hinauf auf die Gallerien. Das Nymphenbad ist ein von vielen Touristen kaum entdecktes Muss. Dieser lauschige Platz der Ruhe inmitten der Stadt lohnt schon wegen der Putti mit ihren knackigen Hintern – wenn die nicht gerade in den Werkstätten sind, um entsalzt, gereinigt und konserviert zu werden. Einmal oben auf dem Zwinger sollte man die Langgalerie entlang zum Kronentor schlendern und von dort aus herrliche Blicke genießen: Zu Zwingerteich und -graben (ja, es war eine Wehranlage, da macht sich Wasser immer gut!), zum Staatsschauspiel, auf die goldene Krone (August der Starke war König von Polen!), in den Zwinger hinein auf die Sempergalerie, am Glockenspielpavillon vorbei hinüber zur Frauenkirche. Wenn es dabei im Auge ein wenig sticht und schmerzt, dann liegt das sicher an der Überdachung des Schlosshofes: ein Stahl-GlasKuppeldach versaut zumindest vom Zwinger gesehen die gesamte historische Dachlandschaft der Stadt aufs Unangenehmste, und ich frage mich: wer konnte das genehmigen, wo sich die Stadt doch sonst so engagiert um den Denkmalschutz Im Zwinger. kümmert? 32
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Fassade des Zwingers: AuĂ&#x;enansicht der Langgalerie. 33 32
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Zwinger mit Blick auf den Glockenspielpavillon und mit dem Haus am Zwinger von Heinz Tesar im Hintergrund. 34
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Im Zwinger. Oben links der Wallpavillon. 35 34
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Theaterplatz Steht man in der Mitte des Zwingers, kann man die ganze Pracht der Anlage noch einmal genießen. Wir verlassen den Zwinger nun aber – und plötzlich steht sie vor dir: Die Sächsische Staatsoper Dresden, kurz „Semperoper“. Am Theaterplatz mit dem Reiterdenkmal von König Johann (der unter seinem Pseudonym Philaletes Dantes „Göttliche Komödie“ nach Meinung von Fachleuten hervorragend übersetzt hat) kumuliert
das alte Dresden: Sempers Oper (seine zweite am Platz, Nummer eins brannte 1869 ab) wurde wie fast alles im Februar 1945 ein Opfer der Bomben. Wiedereröffnet exakt 40 Jahre nach der Katastrophe am 13. Februar 1985, ist sie jetzt nicht zuletzt durch den Bierwerbespot ein Muss für alle Touristen – wobei denen, die zu Hause nie in die Oper gehen, die musikfreien Führungen tagsüber empfohlen seien, weil die sehenswerte
Architektur die gleiche ist wie während der Aufführung… Richtung Elbe liegt das „Italienische Dörfchen“, eine Gaststätte. Zu ihrem Namen kam sie, weil in der augusteischen Zeit dort Baubuden standen, in denen die Steinmetze aus Italien wohnten, die die Hofkirche bauten. Architekt Gaëtano Chiaveri und seine Bauleiter kamen ebenfalls aus Italien: Des starken August Sohn – Friedrich August II. – hatte sie gerufen, um Sachsens größte Kirche (und Dresdens letzten Barockbau) zu errichten. Die Dresdner, so scheint‘s, hatten mit den Zugereisten allerdings offensichtlich Probleme: Nach zehn Jahren Bautätigkeit reiste Chiaveri mit dem Gefühl ungenügender Unterstützung ab. Seine jetzige Form erhielt das Italienische Dörfchen übrigens erst Anfang des 20. Jahrhunderts – ebenfalls von einem NichtDresdner, nämlich vom Bamberger Hans Erlwein, der auch an anderen Stellen der Stadt beachtliche Spuren hinterlassen hat. Wo früher die Steinmetze wohnten, gibt‘s heute Gastronomie für alle – auch italienisch geprägte: eine späte Verneigung vor den Namensgebern des Ensembles?
Reiterdenkmal mit König Johann, 1889 von Johannes Schilling erschaffen. 36
Nett wär‘s ja und eine richtige Geste allemal. Zumal es gerade ein Wesenszug von in Dresden Geborenen zu sein scheint, dass
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Lichterspiel an der Semperoper (am 7. Dezember 2002 von Gert Hof inszeniert). 37 36
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eben nur gebürtige Dresdner das richtige Gefühl für die Stadt entwickeln können – was erstaunlich ist, wenn man bedenkt, wie viele Zugereiste das Stadtbild wesentlich geprägt haben und einen klanghaften Namen hinterließen: Der Zwinger von Pöppelmann (aus Westfalen!) und Permoser (ein Oberbayer, der zuvor in Italien gearbeitet hatte), die Oper von Semper (ein Hamburger), die Kirche von Chiaveri. Am Schloss haben naturgemäß über die Jahre so viele rumgemährt, dass es sich verbietet, nur einen Namen zu nennen. Das Taschenbergpalais, das unser nächstes Ziel ist, ist das Werk der Westfalen Karcher und Pöppelmann, und das neue Haus am Zwinger dahinter vom Wiener Architekten Heinz Tesar. Die Geschichte des Taschenbergpalais erzählt sich immer besonders gut, und weil sie etwas länger währt, könnte man die Chance nutzen und hineingehen: Das Palais ist nämlich mittlerweile ein Hotel mit Cafés und Gaststätten. Vom schnellen E spresso in der Kaffeebar über den vornehmen Kaffee oder Fünf-Uhr-Tee im Vestibül des Hotels mit Blick auf das Pöppelmannsche Treppenwunder (eine doppelläufige Anlage, die den Bombenangriff im Februar 1945 halbwegs überstand und beim damals 250 Millionen Mark / ca. 125 Mio. Euro teuren Wiederaufbau zum Hotel originalgetreu einbezogen wurde), vom urig-deftigen Essen nach bayerischer Art im Paulaner‘s oder im Sophienkeller (mit echten alten Stadtmauern und Gewölben aus dem 13. Jahrhundert sowie nachgebautem „Zeithainer Lager“ aus augusteischen Zeiten) bis zum hoteleigenen 38
Restaurant Intermezzo ist für nahezu jeden Geschmacksnerv (und unterschiedlich voluminöse Geldbeutel) etwas dabei. Wir sitzen also nun in dem Palais, das August der Starke seiner Gräfin Cosel erbauen ließ. Die Cosel war nicht die Frau des Kurfürsten, sondern – so etwas war seinerzeit nicht unüblich – seine Mätresse. Anders als heutzutage die heimlichen Geliebten waren das durchaus akzeptierte Nebenfrauen. Die Cosel, die August einem seiner Minister ausgespannt hatte, ertrotzte sich sogar einen richtigen Ehevertrag. Der half ihr allerdings, als die Liebe des potenten Potentaten vorbei und die Interessenslage des Königs von Polen sich verändert hatte, auch nicht mehr – und so landete die Gräfin Cosel auf Burg Stolpen, knapp 30 Kilometer Richtung Elbsandsteingebirge von der Residenz entfernt, im Gefängnis. Das war, auch wenn die Burg sich heute wunderbar restauriert und publikumsnah gestaltet präsentiert, kein Zuckerschlecken! Die besten Tage ihres Lebens aber verbrachte Gräfin Cosel im Taschenbergpalais – dem Palais, das August ihr zu Ehren hat bauen lassen. Die Verbindung, die es heute zwischen Schloss und Palais gibt, wurde übrigens wie der gesamte Ostflügel erst später errichtet, so dass die nette Geschichte vieler Stadtführer, dass August nächtens über diesen Gang zu seiner Geliebten schlich, leider nur als gut erfunden eingestuft werden muss. Wirklich lustig allerdings ist, dass der Frauenheld den Bau doppelt bezahlt hat: Einmal beim eigentlichen Bauen, dann später
nochmal, als er die Cosel rausgeworfen hatte und das Palais für sich wieder haben wollte (soviel gab der Vertrag dann doch her): Rückkaufen hat hierzulande Tradition. Auch nach dem unfreiwilligen Auszug der Cosel erlebte das Taschenbergpalais gute Zeiten, mit An- und Umbauten. So entstand in Dresdens erstem barocken Palais einige Jahre später eine Hauskapelle, die als Höhepunkt des Rokoko in Dresden gefeiert wird. Beim Wiederaufbau des Palais (1992–1994) hat man die Kapelle in den Ausmaßen erhalten, aber nicht dem Überschwang des Rokoko nachempfunden: Schlicht gestaltet steht sie als Teil des Hotels für Tagungen zur Verfügung. Auf dem Weg vom Taschenbergpalais Richtung Elbe lassen wir das Schloss erst einmal rechts liegen. Linker Hand die Schinkel wache ist eine passable Adresse, um mit Blick auf die Oper auszuruhen und einen Kaffee oder ein Glas Wein zu trinken. Außerdem gibt es hier Karten für die Oper – wenn es noch welche gibt. Die Schinkelwache wurde 1830–1832 von Joseph Thürmer nach Entwürfen des Berliner Architekten Karl Friedrich Schinkel erbaut – als Altstädter Wache. Es ist das einzige klassizistische Gebäude mitten im barocken Dresden. Semperoper und Italienisches Dörfchen links liegen lassend, gehen wir die Stufen zum Flussufer hinab zu Marion. Marion ist ein Boot mit einem feinen kleinen Theater und dem Restaurant Kahnaletto, in dem man nett italienisch essen kann (mittags übrigens erstaunlich günstig).
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Seit den 90er Jahren Luxushotel: Das Taschenbergpalais. 39 38
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Spiegelung vom Alten (Taschenbergpalais und Zwinger) im Neuen (Haus am Zwinger). 40
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Gut fĂźr (falsche) Geschichtchen: Ăœbergang vom Schloss zum Taschenbergpalais. 41 40
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Theaterplatz am Abend des Semperopernballs. 42
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In der Semperoper. 43 42
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Hofkirche – Frauenkirche – Synagoge Im Stadtzentrum befinden sich drei bemerkenswerte Sakralbauten: Die Kathedrale, meist Hofkirche genannt, die Frauenkirche und die Synagoge. Die (katholische) Kathedrale St. Trinitatis ist das erklärte Gegenmodell zur (protes-
tantischen) Frauenkirche. Friedrich August II. holte dazu den italienischen Architekten Gaëtano Chiaveri, der sich seine Bauleiter ebenfalls aus Italien mitbrachte. Nicht weniger als Sachsens größte katholische Kirche entstand – und mit ihr Dresdens letzter Barockbau.
Die Dresdner, so scheint’s, hatten mit den Zugereisten (die im „italienischen Dörfchen“ lebten) allerdings offensichtlich Probleme: Nach zehn Jahren Bautätigkeit reiste Chiaveri 1749 mit dem Gefühl ungenügender Unterstützung ab. Natürlich führten andere das Werk fort, so dass es 1754 vollendet werden konnte. Das Innere der Kathedrale ist hell und eher schlicht – zumindest auf den ersten Blick. Der optische Eindruck trügt: eine Orgel von Silbermann, eine Kanzel von Permoser, ein Hochaltar von Anton Raphael Mengs und andere wertvolle Ausstattungsgegenstände sind schließlich nicht ohne... In 49 Sarkophagen der Katholischen Hofkirche ruhen die katholischen Kurfürsten und Könige Sachsens sowie deren engste Verwandte. Von August dem Starken ist nur das Herz hier begraben – der König von Polen wollte in Krakau begraben sein, aber sein Herz sollte in Dresden die letzte Ruhestatt finden.
Blick auf die Silbermann-Orgel in der Hofkirche. 44
Die Kathedrale, die nach Chiaveris Vorstellungen der besseren Wirkung wegen nicht die klassische Ausrichtung nach Osten hat, sondern schräg zur Augustusbrücke steht, nimmt eine Fläche von 4.800 Quadratmetern ein. 78 Steinfiguren, jede drei Meter fünzig hoch, schuf Lorenzo Mattielli: Die Apostel, Heilige und Kirchenfürsten schmücken die Ballustraden und Nischen der Kathedrale.
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Theaterplatz mit Hofkirche und Schloss. 45 44
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Über die Frauenkirche ist schon viel geschrieben worden. Am 20. Oktober 2005 wurde sie geweiht. Viele waren gegen den Wiederaufbau – und wer Dresden besucht
und auch dagegen ist, wird meist beim Anblick bekehrt: Das „Wunder von Dresden“ zieht die Menschen an und nimmt sie für sich ein.
Das Innere der Frauenkirche ist alles andere als schlicht: Üppige Ausschmückungen, Gold und zartes Rosa dominieren – aber es wirkt zu keinem Moment kitschig (diese Gefahr besteht ja). Wie immer: Einschlägige Kunstführer sind besser für detaillierte Informationen, deswegen hier nur der Hinweis auf das Kreuz am Ausgang. Es ist das Turmkreuz, das nach dem Bombenangriff mit der Kuppel einstürzte und verbrannte. Ein Zeichen, das zum Nachdenken anregen soll und als Erinnerung an die Grauen aller Kriege bewusst in die Schönheit der Frauenkirche einbezogen wurde. Wie die Zeit des Wiederaufbaus war, habe ich am Abend der Weihe für mein Weblog aufgeschrieben. Der Text folgt hier, nur leicht redigiert: Heute wird die Frauenkirche in Dresden geweiht. Das „Wunder von Dresden“ ist die derzeit beliebteste Zeile in Zeitungen und Fernsehsendungen. Und sie stimmt. 1990. Mein erster Besuch in Dresden, zwei Wochen nach der so genannten Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion. Viele neue Eindrücke in einer irgendwie fremden Welt – einer davon: Ein Trümmerberg mitten in der Stadt. Die Menschen nehmen ihn nicht wahr, sie gehen dran vorüber. Dabei gibt es zu diesem Zeitpunkt schon eine Gruppe von Dresdnern, die den Wiederaufbau der Frauenkirche diskutieren...
Spiegelung der Frauenkirche beim Transport eines Flügels entlang des Fürstenzugs. 46
1992 am 13. Februar sollte ich das erste Mal erleben, wie die Dresdner den Tag der Bom-
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Frauenkirche. 47 46
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bardierung durch über tausend Flieger aus den USA und Großbritannien begehen. Sie kamen – freiwillig, ohne Druck und Organisation – mit Kerzen und Blumen an die Ruine. Viele Menschen, große Stille. Es war beeindruckend, und nicht wenige sagten damals: Die Ruine muss so bleiben, als Mahnung gegen den Krieg. Das war auch meine Meinung – denn warum sollte man eine Kirche aufbauen, in die sowieso keiner gehen würde? Tausende von Sitzplätzen – für wen? Sogar der damalige evangelische Landesbischof Johannes Hempel war dagegen! 1994. Am 27. Mai beginnt nach der Phase der Aufräumung (archäologische Enttrümmerung sagen die Fachleute) der Wiederaufbau der Frauenkirche. Die Befürworter sind immer noch nicht in der Mehrheit. Ludwig Güttler, WeltklasseTrompeter, hatte über den Beginn des Wiederaufbaus einmal gesagt: „90 Prozent waren dagegen, zehn dafür – und die letzte Zahl ist noch geschönt!“ Doch die Aufräumarbeiten und später die wachsende Kirche stimmen die Gemüter um. Heute sind wohl nahezu alle der Meinung, schon immer dafür gewesen zu sein... Wie auch immer: Die Baustelle strahlt Faszination aus. Es gibt eine 48
Frauenkirche 2001.
Frauenkirchen-Uhr (made in Pforzheim – in Glashütte hatte sich offensichtlich keiner gefunden), es gibt Förderkreise (bei dem in Ladbergen mische ich mit), es gibt Stifterbriefe: Geld kostet so ein Bau, und Geld wird allerorten gesammelt. Und die Kirche wächst. Jahr um Jahr mehr – Gerüste! Denn gebaut wird hinter Gittern, was den Anblick nur bedingt schön erscheinen lässt, aber so sind die Bauleute weitgehend unabhängig vom Wetter. Diese Ansicht mit Wetterschutzdach hatte eine nette Idee, die ich zusammen mit dem Dresdner Bäcker Dietrich Grundmann entwickelt hatte, ein wenig torpediert: Wir wollten jedes Jahr einen Stollenkarton mit dem aktuellen Stand
der Frauenkirche anbieten – eine Edition, die mitwächst. Irgendwann stellten wir fest, dass Baustellenbilder mit einer verkleideten Aufbaukirche nicht wirklich schön sind und haben es sein gelassen. 2000 war die Kirche zwar bereits schon auf etwa 30 Meter Höhe angewachsen – aber sie hatte eben erst ein Drittel der 90 Meter erreicht, die sie zum architektonisch dominanten Gebäude in der Elblandschaft bei Dresden machen. Im August 2001 kam der tonnenschwere Schmetterlingsstein zurück an seinen alten Platz – eine der vielen Herausforderungen für die Beteiligten und einer der zahlreichen Momente, wo sie an den Baumeister Bähr und seine Bauleute dachten... Doch auch 2001 war die Kirche noch nicht wirklich nett anzusehen. Sie wuchs auf beachtliche Höhen, ein Großplakat am Gerüst illusionierte das spätere Aussehen. Ein Hingucker war die Kirche natürlich dennoch, und der ebenfalls angebrachte Spruch “Brücken bauen, Versöhnung leben” ist zeitlos gut. Das Turmkreuz zum Beispiel entstand in England – gestaltet vom Sohn eines der Bomberpiloten, finanziert vom Dresden Trust,
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Frauenkirche 1990 (unten links), 2002 (unten rechts), 2004 (oben). 49 48
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einer britischen Stiftung zum Wiederaufbau der Frauenkirche. Lange wird das Kreuz auf ebener Erde am Fuße der Frauenkirche stehen, so dass man sich die Meisterarbeit von Alan Smith ansehen kann. Es sei sein Beitrag
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zum Wiederaufbau – „just to say sorry“. Am 22. Juni 2004 wurde es dann mitsamt der Haube auf die Laterne gehoben – eines der vielen Großereignisse, das Tausende von Dresdnern zu ihrer Frauenkirche pilgern ließ.
Spannend für Dresdner und die vielen Besucherinnen und Besucher der Stadt wurde es aber schon früher: Die Gerüste im unteren Bereich der Baustelle fielen im Sommer 2002. Die Frauenkirche „unten ohne“ zeigte sich
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bis zu 38 Meter Höhe erstmals in ihrer wieder entstandenen Form. Auf der Baustelle war man – in heutiger Zeit nahezu ein Wunder – der Zeit voraus, die Kirche wird eher fertig als geplant. Und wer das nicht wunderbar findet,
mag über das zweite Detail nachdenken: sie wird mit 179 Millionen Euro kaum teuerer als geplant. 2003 waren davon bereits über 90 Millionen
Euro an Spendengeldern eingeworben. In diesem Jahr kommen die Glocken und geben der Stadt das vielstimmigste Geläut Sachsens. Die Glocken mussten zweimal gegossen werden: Beim ersten Mal ging zwar während
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des Gießens alles gut, aber die Klangprobe brachte Dissonanzen. Zu viel Zierrat an den Glocken! Das ist neu, ursprünglich waren es nur Sprüche. Dissonanzen auch im Vorfeld zum Orgelbau: Sollte man sie so bauen wie weiland Silbermann oder ihr einen modernen Charakter geben? Soll sie in Sachsen gebaut werden oder außerhalb der Landesgrenzen? Gestritten wurde über alles, worüber sich streiten ließ. Heute ist keiner wirklich mehr böse über die Entscheidung, den angesehenen Orgelbauer Daniel Kern in Straßburg zu beauftragen.
Die neue Dresdner Synagoge steht nahe der ursprünglichen Synagoge, die nach Entwürfen und unter Leitung von Gottfried Semper 1838 errichtet wurde. Die Nazis hatten sie 1938 am 9. November zerstört. 63 Jahre später, am 9. November 2001, wurde die neue Synagoge geweiht.
mauer Jerusalems. Der Kubus ist in sich gedreht – pro Steinlage um sechs Zentimeter. So kann trotz der nicht ganz korrekten Lage des Grundstücks der Kultraum der Synagoge nach Osten ausgerichtet sein. Ein Vorhang aus goldglänzendem Metall gewebe bildet diesen Kultraum und entspricht dem transportablen Stiftszelt für die Bundeslade, während die massive Außenwand den festgefügten salomonischen Tempel symbolisiert. Das Eingangstor ist eine zweiflüglige Holztür von 2,2 Metern Breite und 5,5 Metern Höhe. Der vergoldete Davidstern über der Eingangstür ist das einzige gerettete Originalstück der ursprünglichen Sempersynagoge. Der Dresdner Feuerwehrmann Alfred Neugebauer rettete ihn nach der Pogromnacht. Auch der Wahlspruch (in hebräisch) über dem Eingang erinnert an die alte Sempersynagoge: “Mein Haus sei ein Haus der Andacht allen Völkern”.
„Wir sind jetzt so weit, wie sie 1738 beim Tod George Bähr auch war!“ sagte Baudirektor Eberhard Burger einmal – und nicht nur er denkt häufig an den Erst-Erbauer der Frauenkirche. Auch die Maurer, Zimmermänner, Steinmetze besinnen sich oft: „Wir haben hier Dinge geschafft, die wir vorher noch nie gemacht haben!“ sagt einer, und es schwingt deutliche Anerkennung für die Altvorderen mit.
Synagoge. 52
Auf den ersten Blick erkennt man nicht, wie feinsinnig dieses Haus des Saarbrücker Architektenbüros Wandel, Hoefer, Lorch ist: 3.000 tonnenschwere Quader formen den 24 Meter hohen BeinaheWürfel des 23 x 26 Meter großen fensterlosen Sakralbaus. Der massive Formstein erinnert an Sandstein – und an die Klage-
Im Gemeindehaus gegenüber, das man über einen baumbestandenen Innenhof erreicht, gibt es neben Bibliothek und Gemeindesaal auch ein Café, in dem man koschere Weine und Gerichte erhält.
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Synagoge. 53 52
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Die Synagoge ist in sich gedreht. 54
Davidstern und Wahlspruch 端ber dem Eingang der Synagoge.
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Gemeindehaus der Synagoge. 55 54
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Mit dem Dampfer nach Pillnitz Dieser Spaziergang ist etwas für Dampf schiffliebhaber(innen) und Fußlahme: Eine abendliche Schlösserfahrt vom Terrassen ufer in Dresden nach Pillnitz. Dort nicht aussteigen, denn es geht sofort zurück! Unterwegs erzählt Matz Griebel allerlei Wissenswertes, und er tut es so, als ob er da oben auf der Brücke des Dampfers stünde. Tut er aber nicht, er steckt in den Lautsprechern und kommt aus der Konserve. Matz Griebel ist ein Dresdner Original und der ehemalige Chef des Stadtmuseums. Sein Trick bei der Aufnahme ist, dass er offensichtlich ganz ohne Manuskript, sondern nur mit dem Kopf voller Wissen, so eine Dampferfahrt mitgemacht hat und live erzählt hat, was ihm einfiel. Sehr symphatisch und alles sehr gut vermittelt. Besonders die nicht rausgeschnittenen Pausen, die Ähms und die gelegentlichen Versprecher machen es sehr authentisch!
sommertags eh ganz früh morgens oder eben am Abend am besten – um die Mittagszeit liegt nämlich die Seite mit dem Kronentor entweder im Gegenlicht oder im Schatten des gegenüber liegenden Staatsschauspiels und die Sempergalerie liegt entweder im Schatten oder im gleißenden Licht. Beides ist dumm.
verabreden und auch einmal rundum blicken kann. Blick zurück, ganz ohne Zorn: Die Sempergalerie ist wie die auch hier verweilende Oper nach ihrem Baumeister Gottfried Semper benannt. Am 25. September 1855 eröffnete das „Neue Königliche Museum zu Dresden“, wenn auch nicht so bombastisch wie Semper das eigentlich geplant hatte.
Aber wir sind ja schlau und gehen abends. Durchs Kronentor rein, zur Mitte der Anlage, zum Glockenpavillon (mit Taschenbergpalais im Hintergrund), zurück zur Mitte mit Fontänen im Gegenlicht und raus durch das Tor der Sempergalerie, wo uns schon ein Reiter erwartet. Also kein richtiger, sondern einer auf dem hohen Ross eines Denkmals.
Dafür hat das Haus innere Werte: Wer die beiden süßen Engel kennt, die man überall in der Welt sieht, weiß es vielleicht nicht: Aber die sitzen zu Füßen der Sixtinischen Madonna von Raffael – und das Bild hängt in den Alten Meistern in der Sempergalerie. Wenn’s regnet: Auf jeden Fall reingehen. Wenn’s Wetter gut ist – abwägen. Unter zwei Stunden kommt man da nicht raus, denn es gibt noch allerlei mehr zu sehen. Hier trifft sich, was Rang und Namen hat: Spanier, Italiener, Holländer! Namen gefällig? Bitte: Raffael, Giorgione und Tizian, Rubens, van Dyck, Rembrandt und Vermeer, Dürer, Holbein und Cranach. Und natürlich Canaletto mit seinen riesigen Vedouten. Also: Auch wenn die Sonne scheint, eigentlich müsste man das mit einplanen!
Wir haben natürlich trotzdem die Hälfte (oder mehr) vergessen, weil die Bordgastronomie wir uns angeregt unterhalten und Bilder gemacht haben. Zur Strafe müssen wir nun selbst recherchieren und dürfen es dann dem Matze vorlegen.
Dieser Eine ist König Johann von Sachsen, das Denkmal ist von Johannes Schilling. Einer, der sich mit beiden beschäftigt hatte, meinte einmal lakonisch: Johann war besser als dies Denkmal. Aber so ist das: Johann ist tot, das Denkmal überlebt. Dieser Johann hatte zu Lebzeiten unter anderem unter seinem Pseudonym Philalethes Dantes Göttliche Komödie übersetzt – und zwar so gut, dass man das Buch in seiner Übersetzung noch heute kaufen kann.
Unsere Tour beginnt, weil das Licht sooooo schön ist, mit einem klitzekleinen Spaziergang durch den Zwinger. Da ist das Licht
Das Denkmal ist, egal wie man über die Qualität urteilt, ein deutlicher Punkt auf dem Theaterplatz, an dem man sich gut
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Genug zurück geblickt, nun wieder vorwärts. Zur Linken die Semperoper, zur Rechten die Hofkirche und das Schloss sowie – gerne vergessen, weil irgendwie untypisch für Dresden – die Schinkelwache. Das
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Semperoper mit Denkmal fĂźr KĂśnig Johann. 59 58
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kleine Stückchen Berliner Klassizismus steht irgendwie verloren inmitten des Dresdner Barocks herum, aber es hat zwei wichtige Funktionen: Man kann dort Karten für die Semperoper kaufen (oder erfahren, dass es keine mehr gibt) – und man kann da Kaffee trinken.
Wir also durch den echten Durchgang hindurch, rechts ein Blick zur Konkurrenz: Am anderen Ende des Fürstenzuges sieht man die Frauenkirche, dann runter zum Terrassenufer. Dort wartet bereits die Krippen, einer der neun Schaufelraddampfer der Weißen Flotte.
Das Schloss ist natürlich einen eigenen Besuch wert, die Kathedrale auch – aber dafür ist natürlich keine Zeit mehr, denn um sieben legt ja der Dampfer ab. Also hirschen wir zwischen Schloss und Kirche hindurch, nicht ohne einmal links hoch zu sehen und etliche der 78 Heiligenstatuen des italienischen Bildhauers Lorenzo Mattielli zu betrachten. Schloss und Kirche sind mit einem Gang verbunden – der wurde wirklich genutzt, es ging für Majestät direkt in die Königsloge der Kirche.
An Bord der Krippen geht es irgendwie gemütlich zu. 110 Leute passen passen auf Vorder- und Achterdeck, das ist ja noch recht übersichtlich. Die Krippen ist dampfgetrieben, aber – wie bei allen Schiffen der weltweit größten Schaufelraddampferflotte bis auf die Diesbar – die Maschine wird nicht mehr mit Kohle geheizt. Wer auf der Diesbar mal gesehen hat, was für eine Knochenarbeit das ist, gönnt es den Männern – obwohl man als Fotograf natürlich auf der Diesbar noch mehr Motive findet!
Ein anderer Übergang, nämlich der zwischen Schloss und Taschenbergpalais auf der gegenüberliegenden Seite, ist allerdings ein Fake, auch wenn die rührselige Geschichte der meisten Städteführer so gut klingt. Die erzählen nämlich gerne, dass hier August der Starke immer schnell mal rübermachte zu seiner Geliebten, der Gräfin Cosel. Aber erstens gab es diesen Teil des Taschenbergpalais damals noch gar nicht. Und zweitens merkt man bei genauem Hinsehen auch, dass diese Brücke zwischen den Häusern auf Taschenbergseite genau zwischen zwei Stockwerken ankommt: Sie sollte nur schön sein und die beiden Gebäude zum Ensemble verbinden: Brücken, so wie in Venedig – auch wenn das hier Elbflorenz ist!
Wenn der Dampfer ablegt, sieht man gleich einige Highlights, die man sonst so nicht mitbekommt. Die Kuppel der Frauenkirche schwebt über den Dächern der Kunst akademie – und im richtigen Augenblick tanzen die Putten am Dachrand der Akademie quasi bodenlos frei um die Laterne der Frauenkiche. Dann geht‘s vorbei an der Hochschule für Bildende Künste. Constantin Lipsius erbaute 1887 bis 1894 das Gebäude mit der markanten Glaskuppel: Die ist auch als Zitronenpresse bekannt und war nach dem Weltkrieg mit der Zerstörung Dresdens die einzige Kuppel in der Stadtsilhouette. Jetzt steht sie wieder im Dialog mit dem Sandstein der Kirche. Für Sekunden der Vorüberfahrt rücken die beiden eng zusam-
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men und unterhalten sich sozusagen auf Augenhöhe. Das Schiff unterquert die erste Brücke – die Carolabrücke. Im Innenstadtbereich stehen drei Brücken nah beieinander: Von der Marienbrücke (über die auch die Eisenbahnen fahren, wenn man bis oder vom Hauptbahnhof fährt) bis zur Augustusbrücke (die von der Hofkirche abgeht) sind es etwa 793 Meter, von dort entlang der Brühlschen Terrasse bis zur Carolabrücke etwa 487 Meter, wir bewegen uns gerade zur dritten, der Albertbrücke: 569 Meter. Danach kommt erst mal viereinhalb Kilometer keine Brücke bis zum Blauen Wunder. Die Stadtplaner wollten, dass sich das ändert: In Höhe des Waldschlösschens (einer Brauerei, wo man nett drinnen oder draußen sitzen und den Haustrunk genießen kann) entsteht eine neue Brücke, die Waldschlösschenbrücke. Um die gibt es seit Jahren elendig viel Streit – so viel, dass sogar die Wikipedia zwei Beiträge über den Dresdner Brückenstreit und die Waldschlößchenbrücke braucht... Der Streit ist kaum sauber nachzuerzählen, er teilt die Dresdner Bevölkerung in Befürworter und Gegner – aber von was? Es gab mal einen Bürgerentscheid, in dem sich eine Mehrheit der Wahlgänger für eine Brücke dort aussprach. Und es gibt den Titel „Welterbe“ für das Elbtal bei Dresden, das mit seinen Auen im Innenstadtbereich und den Weinhängen schon eine sehr einmalige Angelegenheit bildet. Dass im Zentrum neben der Natur-Kultur auch noch menschgemachte Kultur hinzukommt und die beiden sich aufs
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oben: Hofkirche (links) und Frauenkirche. Unten: WaldschlĂśsschenbrĂźcke (2011 im Sommer aufgenommen). 61 60
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Feinste ergänzen, ist sicher auch ein Teil des Charmes, den diese Stadt hat und der zur Verleihung des Welterbe-Titels führte. Nun sagt aber die UNESCO: Die Brücke, die ihr da plant, zerstört die Landschaft, und wir erkennen euch den Titel ab, wenn ihr nicht die begonnenen Baumaßnahmen einstellt und den alten Zustand wieder herstellt. Und da haben wir also: Volksentscheid gegen UNESCO-Votum. Und als Würze Naturschützer, die die Kleine Hufeisennase in dem Gebiet ausgemacht haben und ihren Schutz fordern.
Argumente werden hin- und hergebrüllt (leise Argumente gibt es kaum in diesem Streit, hat es den Anschein) – und eine Lösung ist angesichts der Gemengelage demokratischer Prozesse, richterlicher Sprüche und gesunden Menschenverstandes auch nicht wirklich einfach. Zu leicht machen es sich allerdings all diejenigen, die sagen: Wir lassen uns von der UNESCO nicht erpressen, dann sollen sie uns doch den Titel nehmen! Denn wer beim Spiel „Welterbe“ mitspielt, macht das aus eigenem Antrieb (die Stadt Dresden hatte sich beworben) und erkennt damit die Spielregeln an – und zu denen gehört, dass
der Verleiher des Titels aufpasst, dass auch alles so bleibt, wie es gelobt wurde. Das alles (und noch viel mehr) geht mir durch den Kopf, als wir am Waldschlösschen vorbei dampfen. Die Baustelle ist deutlich zu erkennen – und es ist schon traurig anzusehen, wie hier die Landschaft kaputt gemacht wird. (Ich war übrigens beim Volksentscheid für die Brücke, weil ich glaube, dass eine Stadt mit einem Fluss in ihrer Mitte Brücken braucht. Aber erstens wusste ich nicht, wie mächtig und wenig elegant die Brücke sein soll – und zweitens hatte uns Wählern keiner gesagt, dass wir mit der Brücke letztlich gegen das Welterbe stimmen. Wer sich also heute auf das Ergebnis von damals beruft, kann auch daneben liegen. Meinungen können sich ändern angesichts höherer Ziele!) Wir schippern weiter stromauf, vorbei an Badenden (ja, das geht wieder in der Elbe, auch wenn es mir keinen Spaß machen würde bei der geringen Tiefe und den Kieseln). Wer jetzt an den Bug des Schiffes geht, sieht linker Hand mit der nächsten Elb biegung die drei Elbschlösser vor sich – und die Saloppe.
Die Saloppe. 62
Die Saloppe ist ein schöner Industriebau: 1875 ging hier das erste Dresdner Wasserwerk in Betrieb. Damals gab es Trinkwasser, heute kommt aus dem Uferfiltrat nur noch Betriebswasser für Infineon im Norden der Stadt. Die eigentliche Bedeutung der Saloppe für die Stadt liegt für viele aber auf ganz anderem Flüssigkeitsgebiet: Die Saloppe ist
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Blick auf Dresden vom Waldschlösschen – aufgenommen 2006 vor Baubeginn der Brücke. 63 62
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eine wunderbare Sommerwirtschaft. Kann es sein, dass hier die ersten Afterwork-Parties der Nachwendezeit in Dresden gefeiert wurden? Ich glaub schon. Auf jeden Fall passt das: Die Saloppe war nämlich früher weit mehr als ein Wasserwerk. Ein großer Bau, nicht ganz zu Unrecht als „viertes Ebschloss“ tituliert, gilt als die älteste Schankwirtschaft Dresdens... Gleich hinter der Saloppe muss man immer nur nach rechts gucken, wenn man alles verpassen will. Da sieht man weite Elb wiesen, sonntags irre viel Menschen (laufende und radelnde, mit und ohne Hund, mit und ohne Familie) – und das war‘s. Links hingegen, das erwähnt auch Matz Griebel in seiner charmanten Art wäh-
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rend der Elbfahrt, löst ein Höhepunkt den nächsten ab: Die Elbschlösser! Dinglingers Weinberg! Der Weiße Hirsch und Loschwitz mit Schwebe- und Standseilbahn! Also: Stromauf fahren = links sitzen = viele Fotomotive. Die Elbschlösser werden wir noch zu Fuß erkunden. Die schöneren Bilder mit Distanz ergeben sich aber nur bei einem weiteren Spaziergang am (in Fluss-Richtung) linken Ufer. Aber wenn das nicht klappt, sieht man Albrechtsberg (mit dem Weingut vom Winzer Müller kurz vorher), das Lingnerschloss und Eckberg auch vom Dampfer aus ganz gut. Wer übrigens rechts sitzt und denkt: da bin ich ja auf dem Rückweg auf der richtigen, auf der rechten Seite – der hat zwei Dinge
vergessen: Erstens ist es auf dem Rückweg schon dunkel und zweitens sind die Dampfer stromab echt speedy und machen es einem nicht leicht, sich alles genüsslich anzusehen. Aber wir sitzen ja auf der richtigen Seite und können ergo genießen! Die vielen Weinreben, die man sieht, sind übrigens teils eine recht junge Wiederaufrebung. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren die Elbhänge bei Dresden mit Wein bewachsen. Dann kam die Reblaus und naschte sich – zum Ärger der Winzer und zur Freude der Grundstück-Spekulanten – durch die Weinberge. Das Aus für die Weinwirtschaft bedeutete Aufschwung im Villenbau, in bevorzugter und von der Sonne verwöhnter Lage.
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Nun wird also, wo es noch geht, wieder aufgerebt, was dem Hang gut bekommt. Pessimisten sehen im Bau der Waldschlösschenbrücke übrigens den Anfang vom Ende sensiblen Bauens und fürchten, dass dann auch das letzte Grün vom Elbhang verschwindet und man die Grundstücke zur Bebauung, schlimmer noch: zur rentablen mehrstöckigen Bebauung freigibt. Mit fehlendem Welterbetitel geht das natürlich einfacher. Dinglinger‘s Weinberg heißt so, weil ab 1692 der Goldschmied Johann Melchior Dinglinger sich hier ein Landhaus als Sommerwohnsitz errichten ließ. Dinglinger und seine beiden Brüder Georg Friedrich und Georg Christoph betrieben für August den Starken
von 1692 bis 1731 eine der bedeutendsten Goldschmiede-Werkstätten Europas. Sie schufen dabei so wertvolle Schätze wie das „Goldene Kaffeezeug“, das „Bad der Diana“ und den „Hofstaat zu Dehli am Geburtstag des Großmoguls Aureng-Zeb“ – im Grünen Gewölbe kann man sich diese Kostbarkeiten ansehen. Die Hangbebauung wird dichter, das ist der Stadtteil „Weißer Hirsch“. Um 1900 herum hatte der Hirsch einen weltweit guten Ruf wegen der Sanatorien dort oben, die Bebauung ist entsprechend großzügig. Ein Haus am Hang fällt besonders auf: Die Sternwarte, die zum Forschungsinstitut Manfred von Ardenne gehört. Hier forschte Manfred Baron von Ardenne, ein Multitalent mit
„rund 600 Erfindungen und Patente in der Funk- und Fernsehtechnik, Elektronenmikroskopie, Nuklear-, Plasma- und Medizintechnik“ (so steht‘s in der Wikipedia). Voraus das Blaue Wunder! Ein wenig erinnert es an den Eiffelturm, aber der ist ja nicht blau und steht zudem aufrecht. Doch die Ähnlichkeit kommt nicht von ungefähr: Das Blaue Wunder stammt aus der gleichen Zeit. Am 15. Juli 1893 wurde die Brücke eingeweiht. Doch so ganz traute man damals dem Brückenschlag zwischen Loschwitz und Blasewitz ohne Pfeiler in der Elbe nicht, das Foto der Belastungsprobe mit Fuhrwerken und mutigen Anwohnern zeigte durchaus zweifelnde Gesichter. Die Spannweite des Bauwerkes beträgt 280 Meter, zwischen den
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Trägertürmen 146 Meter. Die Brücke hielt der Belastung stand – schnell hatte der Volksmund die damals offiziell nach dem regierenden König Albert benannte Brücke umgetauft: Blaues Wunder! Bis 1923 kostete eine Überquerung übrigens noch Brückenzoll: Fußgänger, Radfahrer, StraßenbahnFahrgäste sowie Hühner und Gänse zahlten je drei Pfennig. Direkt vor und auch hinter dem Blauen Wunder lohnt sich auch ein Blick nach rechts: Da liegt Blasewitz, das Schiller im Wallenstein
beiläufig erwähnte („Was? Der Blitz! Das ist ja die Gustel aus Blasewitz!“). In Blasewitz gibt es drei gastronomisch besuchenswerte Einrichtungen: Die Villa Marie – die sieht nicht nur sehr italienisch aus, sondern ist auch so. Nicht billig, aber den Preis wert, mit sehr gutem Vitello Tonnato und klassisch schönem Lamm. Obendrein gibt es gratis immer wichtiges Sehpublikum. Hier treffen sich gerne Professoren mit ihren Studentinnen, man sieht Künstler und Anwälte und freut sich, dass es hier fast so ist wie in der Toskana. Nur dass die keine Elbe und
keinen Blick aufs Blaue Wunder haben dort! Direkt neben der Villa Marie ist das Café Toscana. Wer (noch) einmal vornehme alte Damen beim Kaffeekränzchen sehen will, hat hier große Chancen! Der dritte Ort im Bunde ist der Schillergarten – auf der anderen Straßenseite, gleiche Elbseite, man kann unter der Brücke durch. Ein toller Biergarten an einem Ort, wo es seit siebzehnhundertdunnekirchen schon ein Gasthaus gab. Das Publikum dort ist kunterbunt. Bei unserer Dampferfahrt verließ Georg Milbradt, da schon nicht mehr Ministerpräsident des Landes Sachsen, den Dampfer, um mit ein paar übrig gebliebenen Parteifreunden einen trinken zu gehen. Wir blieben an Bord, sahen nach links und erfreuten uns am Loschwitzer Elbhang mit der Schwebebahn. Aus dem Fenster eines eher unscheinbaren Hauses am Hang winkte die Oma einer Mitreisenden dem Schiffe zu. Dresden ist eben ein Dorf, in dem man sich kennt.
Maria am Wasser. 66
Bei der Weiterfahrt bleibt es erst einmal links interessant – mit dem Elbdorf Wachwitz und dem Fernsehturm. Der Elbhang ist nun wieder mehr bewaldet als behaust, was ihm sehr gut steht. Am anderen Elbufer passieren wir Laubegast und die Schiffswerft, gucken aber schon wieder nach links, weil hier eine Kirche Farbe bekennt. Maria am Wasser lässt eine Welterbe-Fahne aus dem Fenster hängen und bekommt dafür an dieser Stelle Applaus! Klapp klapp klapp...
Dresden
Das Blaue Wunder. 67 66
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Voraus erkennt man im Abenddunst das Elbsandsteingebirge. Bis dahin kommen wir heute nicht mehr, unser Ziel ist aber auch schon sichtbar: Schloss Pillnitz. So haben sich die Menschen China vorgestellt, als noch kaum jemand da gewesen war: Phantasievolle Exotik! Für August den Starken bildete Schloss Pillnitz den „indianischen Auftakt“ einer auf 24 Lustschlösser angelegten Konzeption königlicher Zerstreuung. Für die da schon nicht mehr Geliebte Gräfin Cosel bedeutete der zwangsverordnete Um-
zug vom Taschenbergpalais nach Pillnitz der Anfang vom langen Ende auf Burg Stolpen. Matthäus Daniel Pöppelmann lieferte die Entwürfe, die ihre Vorbilder sowohl in der Toranlage zum Palast des Kaisers von China als auch im Palastbau von Venedig haben sollen. An August erinnert heute noch die Gondel, die ihm der Annäherung an Pillnitz über die Elbe diente, an die Cosel nichts mehr. Das Schloss ist einen Besuch wert – aber der Dampfer der Abendtour hält nur
Schaufelraddampfer „Stadt Wehlen“ vor Schloss Pillnitz. 68
zum Aus- und Einsteigen, also bleiben wir drauf und besuchen das Schloss ein anderes Mal. Vor Pillnitz liegt eine Elbinsel im Strom, die für Menschen freundlicherweise gesperrt ist. Die Schiffe nutzen den Arm am Schloss entlang, dampfen noch ein wenig stromauf und drehen dann. Zurück geht‘s dann mit reichlich Geschwindigkeit. Wenn man Glück hat, dampft es einen in einen wunderbaren Sonnenuntergang hinein.
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Dem Sonnenuntergang entgegen: Die Elbe bei Pillnitz. 69 68
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Die drei Elbschlรถsser 71 70
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Albrechtsberg · Lingnerschloss · Eckberg Die drei Elbschlösser in Dresden stehen auf der rechten Elbseite zwischen Loschwitz (Blaues Wunder) und dem Waldschlösschen hoch über der Elbe am Hang. Am besten sehen kann man sie vom anderen Elbufer, wobei die Touri-Busse ihre Knipser-Ladungen an der Straße abkippen und die meis-
ten Fotos von dort sicher nicht die schönsten sind. Blickt man so auf die Schlösser, erkennt man von links nach rechts Schloss Albrechtsberg (1850/51), die Villa Stockhausen (mittlerweile besser bekannt als Lingnerschloss, 1850/53) und Schloss Eckberg (1859/61) – ein einmaliges Ensemble, das
man abseits der ausgetrampelten Touristenpfade gut erkunden und Dresden dabei von einer etwas anderen Seite kennen lernen kann. Start der Tour könnte zum Beispiel bei Schloss Albrechtsberg sein, da gibt es meistens einen Parkplatz, und eine Bahnhaltestelle ist auch nicht weit. Das Schloss hat eine nette Geschichte – weil sie einen kleinen Einblick in die piefigen Regeln des Adels im 19. Jahrhundert erlaubt. Unsere Geschichte beginnt mit James Ogilvy – einem schottischen Adligen, der 7. Earl of Findlater, 4. Earl of Seafield, Viscount of Reidhaven sowie Baron of Deskford and Cullen war. Außerdem war er schwul, weswegen er aus seiner Heimat ausgewiesen wurde und in Dresden quasi Asyl fand. Er kaufte, Geld hatte er offensichtlich genug, fünf zusammenhängende Weinbergsgrundstücke. Das Areal war groß genug, um später drei Schlössern Platz zu bieten (eben jenen drei Elbschlössern, die man heute sieht). Er selbst erlebte das jedoch nicht – bevor sein Landhaus an der Stelle des heutigen Schlosses Albrechtsberg 1811 fertig war, verstarb Lord Findlater.
Römisches Bad und Schloss Albrechtsberg. 72
Schloss Albrechtsberg Sex in the City, Part 2 folgte 1850: Prinz Albrecht von Preußen heiratete nach herrschender Meinung
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Schaufelraddampfer „Stadt Wehlen“ vor den drei Elbschlössern. 73 72
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gleich doppelt falsch: Er hatte seine Ehefrau verlassen, weil er sich in ihre Hofdame verliebt hatte. Eine zweite Heirat und dann auch noch nicht standesgemäß – das war zu viel. Auch Prinz Albrecht, der jüngste Bruder des späteren Kaisers Wilhelm I., suchte und fand Asyl in Dresden. Ausgerechnet in Sachsen, werden die Preußen gedacht haben. Wie auch immer: Im Auftrag des Prinzen erwarb Baronin Ernestine von Stockhausen, die Frau seines Kammerherrn, einen Großteil von Findlaters Weinberg. Ein Preuße – der Hof- und Landbaumeister Adolf Lohse – entwarf dann eins der wenigen spätklassizistischen Bauwerke Dresdens: Schloss
Schloss Albrechtsberg. 74
Albrechtsberg. Lohse, ein Schinkel-Schüler, greift auf klassische Formen zurück. Vielleicht wirken die drei Elbschlösser im ansonsten ja eher barocken Dresden des wegen auch so wohltuend anders. Die Parkanlagen mit geschwungenen Wegen (die wir nun gleich gehen werden) hat auch ein Preuße entworfen: der Gartenbaumeister Eduard Neide, der (ebenfalls preußische) Hofgärtner Herrmann Sigismund Neumann führte sie aus. Es gibt Teiche, Felsen, einen Wasserfall, ein Viadukt und andere Brücken – ein abwechslungsreiches Stück Dresden umgibt das Schloss!
Wenn man vor dem Schloss steht und rechts dran vorbei geht, kommt man zuerst zum Winzer Müller, der hier einen schönen Wein macht. Man kann ihn (den Wein) dort kaufen und auch trinken – der Garten hinter dem Kavaliershaus ist grandios, und hoch über der Elbe gibt es auch ein lauschiges Plätzchen, wo es schlimmeres gibt, als ein Glas Wein zu trinken. Besonders im Abendlicht ist die Stimmung hier unbeschreiblich, weswegen ich da auch gar nicht erst mit anfange... Vom Winzer geht es parallel zur Elbe wieder Richtung Schloss. Man landet auf der hinteren Terrasse und sollte sich das Schloss zumindest von außen ansehen. Auch mal nach oben gucken: nette Figuren! Den Blick runter zur Elbe wagen wir dann und sind bitte wieder voll begeistert, denn er ist einfach hinreißend schön. Ein Springbrunnen drängt sich ins Blickfeld zwischen uns und die Elbe. Den wollen wir von unten sehen! Es geht etliche geneigte Wege und einige Stufen runter, man kommt an, will wieder hochsehen und bleibt erst einmal unten hängen: Hinter der schon von oben entdeckten Wassersäule und viel Wasser rund um sie herum gibt es einen Säulengang. Das „Römische Bad“ ist das hier, man sieht es auch (wenn natürlich weit weniger detailiert) vom anderen Elbufer. Chic chic... Über die Stufen und Wege geht‘s wieder etwas hoch – aber nicht zum Schloss Albrechtsberg, sondern rechts weiter durch den Park. Das Ziel ist das so genannte Lingnerschloss.
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Eine der Brücken bei den drei Elbschlössern. 75 74
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Villa Stockhausen / Lingnerschloss Der Herr Lingner ist der Mann, der uns Odol beschert hat. Das Mundwasser machte aus ihm einen reichen Mann, und als solcher konnte er sich 1906 den Kauf des Schlosses leisten. Gebaut wurde es schon früher, zeitgleich mit Schloss Albrechtsberg. Wer aufgepasst hat, erinnert sich: Prinz Albrecht von Preußen hatte die Baronin von Stockhausen – die Frau seines Kammerherrn – beauftragt, einen Grundstücksdeal zu täti-
Allee unterhalb vom Lingnerschloss. 76
gen. Auf dem Areal von Findlaters Weinberg enstand Schloss Albrechtsberg und neben bei als Dank für den Kammerherrn und seine Gemahlin noch die Villa Stockhausen. Der Architekt ist der vom Schloss: Landbaumeister Adolph Lohse. Die Villa, die (wie die volkstümliche Bezeichnung nach dem prominenten Dresdner Kaufmann Lingner nahelegt) durchaus respektable Ausmaße hat, war eher fertig als das Schloss, so dass Prinz Albrecht hier vorübergehend wohnte. Lingner ließ später kräftig umbauen, wohl auch, um seine verrückten Ideen zu verwirklichen: Es gab eine Standseilbahn bis an die
Elbe herunter, es gab eine Orgel im Haus mit Direktübertragung in alle Zimmer, es gibt ein Mausoleum im Park, in dem Lingner begraben ist. Aber Karl August Lingner war nicht nur sehr reich und ein bisschen, sagen wir mal: exzentrisch, sondern auch ein modern und sozial denkender Mensch. Er unterstützte gemeinnützige Einrichtungen, er kümmerte sich um die Volksgesundheit (das Dresdner Hygiene-Museum wurde 1912 nach der ebenfalls von ihm initiierten I. Internationalen Hygiene-Ausstellung von ihm gegründet). Und bei seinem Tod hinterließ er der Stadt ein Testament, an dem man heute noch knackt: „Der Park ist der gesamten Bevölkerung zugängig zu machen, in dem Hauptgebäude ist thunlichst ein Restaurant oder Café mit billigen Preisen einzurichten... Ich wünsche kein Etablissement für nur reiche Leute. Ich will, daß die gesamte Bevölkerung in die Lage gebracht wird, mit einer Ausgabe von 20 bis 30 Pfennigen die Schönheit dieser herrlichen, in Europa einzigartigen Lage zu genießen. Ich würde wünschen, daß sich ein intelligenter Leiter findet, der diese Stätte zu einer allgemeinen Freudenstätte organisiert...“ Das mit den 30 Pfennigen vergessen wir mal – das mit der Schönheit aber stimmt! Und der Wein, den es da oben draußen und mittlerweile auch im Restaurant Lingner terrassen gibt, war sowohl vom Geschmack wie auch vom Preis in Ordnung. Mit anderen Worten: Hier kann man gut pausieren. Zu sehen gibt es immer die Elbe, oft auf derselben einen Raddampfer, ein sich laufend wandelndes Schloss (die Restaurierung ist
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Weinanbau unterhalb des Lingnerschlosses. 77 76
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in vollem Gange) und manchmal auch Leute, die man zu kennen glaubt. Als wir da waren, drehte gerade eine Fernsehcrew zusammen mit Uta Bresan: Viel Volk, alle ganz wichtig – und sie haben alle viel Zeit für Bussi Bussi und Klönschnack.
Schloss Eckberg. 78
Schloss Eckberg Wir sind immer noch auf Schlössertour und haben gerade ausgiebig auf der Außenterrasse des mittleren – der Villa Stockhausen – pausiert. Beim Aufbruch kommt die Frage auf, was mit diesen Schlössern eigentlich zu DDR-Zeiten los war? Sie waren, lautet die Antwort, voll ins System integriert. Schloss Albrechtsberg war seit 1951 Pionierpalast – bis zum Ende der DDR 1989 nutzten Kinder und Jugendliche das prachtvolle Schloss für kulturelle, sportliche und politische Veranstaltungen. Ein billiges Vergnügen – und das erklärt unter anderem den (zumal Anfang der 90er Jahre direkt nach der Wende) manchmal zu spürenden Groll auf das neue System: Was früher Allen gehörte, war nun Wenigen vorbehalten – nämlich denen, die genug Geld hatten. Und das waren oft/meistens „die Wessis“. Das Lingnerschloss beherbergte seit 1957 den „Dresdner Klub“, der ab 1972 „Klub der Intelligenz“ hieß. Man muss die DDR in vielen ihrer Ausprägungen nicht wirklich mögen, aber für ihre Bezeichnungen muss man sie lieben: Klub (mit K, wie sonst?) der Intelligenz – das hat doch was! Wer wöllte da nicht Mitglied sein? Manfred von Ardenne hatte den Klub initiiert, in dem Künstler, Wissenschaftler und Intelligenzia durchaus nicht unkritische Treffen veranstalteten. Freilich war es ein geschlossener Zirkel, nicht offen für alle. Noch heute erkennt man diese Dresdner Kaste übrigens: Die Männer tragen gerne Baskenmützen (die mit der
kleinen Stabantenne in der Mitte)! Ob auch Frauen im Klub der Intelligenz waren, weiß ich nicht – vielleicht kriege ich es noch raus. Wenn ja, dann wäre auf jeden Fall interessant, was die auf dem Kopf trugen... Denkmalschutz wurde in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht so groß geschrieben: Beim Umbau 1956/57 unter Leitung von Gerhard Guder ging ein Großteil der historischen Innenausstattung verloren. Schloss Eckberg, unser nächstes Ziel, war direkt vor der Wende Jugendtourist-Hotel. Erklärtes Ziel der DDR-Führung: Westliche Jugendliche sollten staunen und denken: Wow, was für ein tolles System, dass es Jugendlichen ermöglicht, in solch edlen Häusern zu schlafen – und das auch noch für kleines Geld (nur wenige Mark kostete die Übernachtung). Dass hier (fast) nur Westklassen schliefen, dass die Jugendlichen im Rahmen ihres Hotelaufenthalts ein gelenktes Programm mit geschulten Begleitern aufgezwungen bekamen – das merkten sie nicht unbedingt. Heute ist das Schloss ein Hotel für eher Betuchte, das gleiche gilt für das Restaurant. Aber es ist seinen Preis wert und hat – auf der Terrasse bei Sommerwetter – den bezaubendsten Freisitz in Dresden zu bieten. Da müssen wir also hin! Zwischen Schloss Albrechtsberg und dem Lingnerschloss gibt es keine ersichtliche Grenze: man merkt heute noch das alte Zusammengehören der beiden Komplexe. Eckberg hingegen führt in jeder Hinsicht ein Eigenleben, weswegen
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Schloss Eckberg. 79 78
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Sacha Schneiders Sonnenanbeter. 80
es auch eine Mauer rundherum gibt. Allerdings eine mit Toren, und wenn man Glück hat, ist das zum Lingnerschloss „für Gäste des Hotels oder des Restaurants“ geöffnet.
er den Schlosspark in einen prächtigen Blumengarten umgestalten und hielt – damals nicht selbstverständlich – das Areal in den Sommermonaten auch für die Allgemeinheit offen.
Schloss Eckberg entstand nur kurz nach den beiden anderen Schlössern, erlaubt sich aber einen ganz eigenen Stil. Neogotischer Tudorstil sagen die Architekurbeflissenen, Dornröschenschloss könnte man weniger fachmännisch sagen, und wer es kitschig findet, steht vielleicht auch nicht allein da. Sei‘s drum: Eckberg ist ein Hingucker, mit seinen Türmen und Zinnen. 1859/61 wurde es nach Plänen Christian Friedrich Arnolds für den Großkaufmann John Daniel Souchay erbaut – für den Geldadel also.
Von Mayenburgs Gestaltung haben auch heutige Besucher noch etwas. Zum Beispiel stehen sie erstaunt-verwundert vor dem „Sonnenanbeter”, den der Dresdner Jugendstilkünstler Sascha (Alexander) Schneider geschaffen hat. Ein schöner Jüngling, den Mann sich gerne genauer ansieht! Eckbergs Garten steht den Besuchern auch heute offen (es sei denn, eine Großveranstaltung lässt dies nicht zu).
Offensichtlich konnte man Anfang des 20. Jahrhunderts mit Mundhygiene in Dresden gut reich werden: Odol-Lingner hatte die Villa Stockhausen gekauft, Schloss Eckberg gelangte 1925 in den Besitz des Zahncremefabrikanten Ottomar Heinsius von Mayenburg („Chlorodont“). Für das Schloss und seinen Park durchaus ein Glücksumstand, denn Mayenburg galt als großer Gartenfreund und Botaniker. Also ließ
Augen hoch! Das Neogotische bietet dem Auge nämlich immer wieder Neues. Wenn man den richtigen Standort erwischt hat, kann man sogar durch die Rosen die Hochzeitssuite im Turm entdecken, und man hört die Braut förmlich „wie romantisch!“ seufzen. Wir Irdischen, die nicht im Honeymoon schwelgen, gehen derweil in den Keller, wo einerseits die Toiletten untergebracht sind, andererseits aber auch eine Bar (welch praktische Nähe!). Dort gibt es Kunst zum Schmunzeln: Lothar Sell aus Meißen hat dort einige seiner unver-
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Schloss Eckberg mit dem Sonnenanbeter von Sascha Schneider. 81 80
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wechselbaren Plastiken stehen – und wieder freut man sich, dass in der DDR nicht alles schlecht war und man heimischen Künstlern bei einem Hotelneubau (1985) auch eine Chance gab.
Die Elbe unterhalb der Schlösser Zum Welterbe gehören natürlich nicht nur die Prachtbauten an den Elbhängen – obwohl sie durchaus Teil des Ganzen sind. Um wieder direkt in die Elblandschaft zu gelangen, muss man leider meistens ein Stück viel befahrene Straße gehen. Theoretisch hat Schloss Eckberg am Ende seines weitläufigen Geländes ein Tor zur Außenwelt, aber das ist oft (meist?) verschlossen. Dann müsste man also zurück und dann doch so gehen wie wir – oder über eine Mauer klettern und reichlich tief runterhuppen (nicht empfohlen). Wir gehen also zur Bautzner Straße und dort rechts in Richtung Weißer Hirsch bergauf. Laut, viel befahren, nicht lustig ist dieser Teil. Oben angekommen kann man runter in den Mordgrund sehen. Das ist in der Tat kein vertrauenserweckender Name! Wahrscheinlich hat es mit Mord und Todschlag zwar nichts zu tun, sondern ist ein Grenzgrund – aber die Sage ist doch viel viel schöner, wenn auch sehr kompliziert und etwas verwirrend, wenn man sich das Original (so es bei Sagen ein Original gibt) im „Sagenschatz des Königreiches Sachsen“ von J. G. Th. Gräße aus dem Jahr 1874 antut. 82
Kurz gefasst geht es erstens um Liebe und zweitens um politische Intrigen. Die Liebenden heißen Elsbeth (19, wunderschön) von Clohmen und Benno (kein Alter, aber „ein schöner Mann“) von Birken. BvB will EvC, bekommt sie vom Vater auch versprochen – aber während eines Studienaufenthaltes am Hofe des Meißner Markgrafen Friedrichs des Kleinen verscherbelte der 1289 seinen ererbten Besitz Dresden. Damals, muss man wissen, vererbten die Herrschaften ganze Städte und Gemeinden. Der böhmische König Wenzel kam so in den Besitz der schönen Gegend, in der auch die Herren von Clohmen einerseits und Birken andererseits zu Hause waren. Vater Clohmen fand das alles nicht schlimm, aber der Herr von Birken konnte oder wollte nicht mit den Böhmen. Also wurde ein böhmischer Graf geschickt, um alles in Ordnung zu bringen. Unbeweibt war er, und mächtig. Und er hielt um der schönen Elsbeths Hand an. Und bekam sie auch (blöder Vater, gelle? Aber die Macht! Die Ehre!). Es kam wie es kommen musste: Der Böhme heiratet gegen deren Willen die hübsche Elsbeth, Benno von Birken streift – zufällig – nachts durch den finsteren Grund zwischen seinem und dem Clohmen‘schen Anwesen, die Braut Elsbeth – ganz in weiß – kommt aus einer Pforte herausgestolpert, beide fliehen in die finstere Nacht. Der Sturm, heißt es in der Sage, tobt wild, die beiden wollen zusammen bleiben, bis dass der Tod sie trennt. Happy End? Mitnichten, dann wäre der Name der Schlucht ein anderer. Denn nun kommt
der Bräutigam, also der Böhme. Graf Lodomar will seine Braut wieder haben, doch Benno findet das nicht toll – und nun, weil‘s so spannend ist, ein Stück Originalsage. Es spricht Benno: „So wenig dieses Land je das Eigenthum Deines Königs werden wird, ebensowenig wirst Du diese Jungfrau je Dein nennen!” Mit diesem Worten drang er wüthend auf den Böhmen ein, der nothgedrungen sein Schwert zog, aber nach kurzer Vertheidigung tödtlich verwundet zu Boden sank. Da rief die Jungfrau: „Heil Dir, Du hast keinen Mord begangen, sondern nur Dein Vaterland von einem fremden Wütherich befreit, laß uns aber jetzt eilen, die Reise in ein Land anzutreten, wo uns keine Verfolgung mehr drohen kann, von Deiner Hand, mein Benno will ich sterben.“ Mit diesem Worten reichte Elsbeth dem Ritter den scharfen Dolch, er setzte die Spitze desselben auf die Brust des geliebten Mädchens; doch seine Hand zitterte, da erfaßte die schöne Schwärmerin mit beiden Händen krampfhaft Bennos Hand und stieß sich den Dolch tief in ihre reine Brust. Sie schwankte, doch hatte sie noch soviel Kraft, den Stahl aus der blutenden Wunde zu ziehen, und matt lächelnd reichte sie denselben ihrem Benno mit den Worten: „es hat nicht geschmerzt, hier, mein Geliebter, nimm ihn und folge mir.“ Ungestüm durchbohrte sich nun auch Benno und sank sterbend auf sie hin, und so hauchten sie Arm in Arm ihr Leben aus.“ Da war also echt was los, und ehrlich gesagt mag das Verhalten der Braut zwar edel sein, aber ein wenig dämlich ist es ja auch: Sie hätte doch nun mit ihrem Schatz sich auf und davon machen können und irgend-
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Das Blaue Wunder. 83 82
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wie glücklich leben und all das – aber es gab halt Dolchgemetzel. Zum Andenken an die Verliebten ließ der nun wieder zu Verstand gekommene Vater von Elsbeth einen Vers in einen Baum schnitzen: „Vereint laßt uns sterben, es schließt ein Grab uns ein, / Wir werden noch verbunden in bessern Welten sein.“ Leider kann man den Baum heute nicht mehr sehen. So, mit dem Ende dieser gruseligen Geschichte und einem Foto von der Mordgrundbrücke hinab in den Grund geht‘s dann zweimal rechts ab von der Hauptstraße in ruhigeres Gefilde, das uns bis hinunter an die Elbe führt. Sie ist hier von einem rumpeligen Radweg und einem noch holprigerem Fußweg gesäumt, weswegen nicht so viel los ist (der Elberadweg verläuft auf der anderen, linken Elbseite). Dann und wann kommt ein Schiff (aufpassen: die verbreiten hohe Bugwellen! Wenn man da zu nahe am Ufer steht, wird man unten rum nass!!), gelegentlich sieht man Badende. Idyllisch ist es, viel Natur: Die andere Seite vom Welterbe. Die Schlösser sind über einem, man sieht sie nicht. Einzig die hohen Mauern (so hoch, dass auch eine Jahrhundertflut nicht bis oben hin gelangt) begleiten uns.
Blick in den Mordgrund. 84
Und wie kommt man wieder hoch? Ganz einfach: An der Saloppe führt eine Straße hoch. Oben an der Bautzner gibt es gleich wieder ein Tor in den Albrechtsberg-Park hinein – das nehmen wir. Im Teich linker Hand spiegeln sich die Bäume, und eine Entenmutti zeigte etwas verstört ihrer Ententochter eine wahrhaftige Seeschlange. Vielleicht war es auch das Ungeheuer von Loch Albrechtsberg, das haben wir so genau nicht mitbekommen, denn wir hatten Hunger und Durst und mussten nach Hause!
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Teich vor Schloss Albrechtsberg. Mit (hier nicht sichtbarer) Seeschlange – wie bei Loch Ness! 85 84
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Rund um Schloss Pillnitz
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Von Pillnitz über Birkwitz nach Kleinzschachwitz Wanderer, betrittst Du das Elbtal Dresden linkselbisch bei Zschieren, komme besser nicht vom Weg ab! Du könntest Dich verbrennnesseln. Diese Warnung vorab soll ja nur Lust auf Schadenfreude weiter unten im Text machen, denn unsere Wanderung durchs Dresdner Elbtal begann (und endete, ein Rundgang sozusagen) am Tag des offenen Weinguts ganz normal in Kleinzschachwitz. Dort kann man sein Auto parken, dorthin kann man mit der Straßenbahn oder dem Bus anreisen und dann mit einer Fähr überfahrt Richtung Pillnitz angemessen die Erkundung dieses Wander-Abschnitts beginnen. Von der Fähre aus gibt es touristische Superlativ-Blicke: Elbabwärts sieht man Maria am Wasser, elbaufwärts das Schloss Pillnitz. Letzteres ist unser erstes Ziel. Erstens weil es immer schön ist dort, zweitens weil es bei blauem Himmel mit Photocumuluswolken ein Muss ist (auch wenn man da schon hundert Mal war, immer mit Kamera) und drittens weil ja Tag des offenen Weinguts war und Klaus Zimmerling – einer der besten sächsischen Winzer – zum Zeitpunkt unserers Spaziergangs seinen Weinkeller im 88
Schloss Pillnitz hatte und man bei einem Ausschank dort seine Weine probieren konnte. Mittlerweile ist der eigene Wein keller am Weingut fertig, in den Berg gebaut und mit einem Brunnen, der vom Wasser des Bergs gespeist wird. Wir definierten also das Kürzel www neu und begannen die Welterbe-Wein-Wanderung mit einem Glas Weißburgunder. Schloss Pillnitz ist aber nicht nur wegen des Weines durch und durch Lust. Es fängt mit der merkwürdigen Architektur an, die so chinesisch ist, wie es eben geht: Wenn kaum einer da war im Fernen Osten, muss man eben die Phantasie spielen lassen. August der Starke hatte seinen Starbau meister Matthäus Daniel Pöppelmann mit den Entwürfen beauftragt, der Pillnitz irgendwo nach Vorbildern zwischen dem Palast des Kaisers von China und denen von Venedig konzipierte. Der Schlosspark von Pillnitz wartet mit mancherlei Überraschungen auf: Teils folgt er der strengen Formsprache des Barock, teils ist er als englischer Landschaftsgarten gestaltet – und dann gibt es natürlich die Kamelie. Sie gilt als Europas älteste Pflanze
dieser Art und blüht nun schon seit 1801 zwischen Februar und April, wenn 35.000 glockenförmige und karminrote Blüten den Frühling einläuten. Unser Weg führt diesmal aber nicht durch den Garten, sondern heraus aus dem Schloss zu den Weinbergen. Wir biegen in den Bergweg ein, der später (an seiner schönsten Stelle!) Weinbergweg heißt, und besuchen die Weinbergkirche. Auch sie ist ein Werk Pöppelmanns, der damals ganz groß im Geschäft war in Dresden, ein Stararchitekt sozusagen. Der Anlass für den Bau dieser heute (zu Recht) so beliebten Kirche war ein Bauskandal: August wollte Schloss Pillnitz nach seinen Vorstellungen umgestalten, und da stand die alte Pillnitzer Kirche im Weg. Sie musste weg da – aber der Kurfürst ließ sich nicht lumpen, stellte das Grundstück im Königlichen Weinberg zur Verfügung und übernahm auch die Baukosten. Mit Pöppelmann stellte er auch seinen besten Baumeister ab. Die Geschichte der Weinbergkirche, die nach 1990 komplett restauriert wurde, kann man auf den Seiten der Kümmerer nachlesen. Die Interessengemeinschaft engagiert sich nicht nur, sie bezieht auch Stellung: „Die Mitglie-
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Schloss Pillnitz. 89 88
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der der IG Weinbergkirche setzen sich auch weiterhin sehr aktiv für den Status „Welterbe Dresdner Elbtal“ ein, da die Weinbergkirche ausdrücklich Bestandteil dieser Auszeichnung ist.“ Also weht die Welterbe-Fahne am Turm – ein netter und wichtiger Farbtupfer! Man kann von der Weinbergkirche schön in den Weinberg sehen und bemerkt weiter oben auch einen weiteren Weg. Aber man kommt von der Kirche aus nicht rauf, und wir wollten es sowieso nicht (den Weg heben wir uns für eine weitere Wanderung auf) und gehen den Bergweg weiter bis zum Weingut Klaus Zimmerling. Der wohnt
Weinbergkirche in Pillnitz. 90
unterhalb der von ihm bewirtschafteten Rysselkuppe mit seiner Frau Malgorzata Chodakowska, und die beiden sind nicht nur extrem symphatische Zeitgenossen, sondern auch Künstler für mehrere Sinne. Klaus Zimmerling produziert einen vortrefflichen Wein: aus Überzeugung biologisch angebaut, aber nicht damit protzend. Malgorzata Chodakowska schafft unabhängig und doch aufs trefflichste dazu passend Figuren aus Holz. Ihre Stammfrauen, selten auch Stammmänner, sind von solch faszinierender Schönheit, dass man es gar nicht fassen kann. Wenn man Glück hat, sieht
man das zum Stamm passende Modell, wie es leibhaftig bei den beiden zu Besuch ist da ist es besser, man hat nicht zuviel vom feinen Kerner “R” oder dem Gewürztraminer probiert – die haben es nämlich in sich und können bei lebhaftem Zuspruch leicht zu Sinnestäuschungen führen. Wir hatten übrigens gelesen, dass der Herr Zimmerling vom offiziellen Gedöns des offenen Weinguts ausgeschlossen wurde, weil er nicht drei seiner Weine zum Wahnsinnsschnäppchenpreis von zusammen sechs Euro anbieten wollte. Grinsend begrüßten wir ihn also mit „Hallo, Ausgeschlossener! Kann man hier Wein bekommen?“, worauf er zurück grinste und uns die ganze Palette anbot. Jeder Wein hat hier, auch zum Probieren, seinen Preis – aber den ist er allemal wert. Wir haben ihn genossen und gerne mehr gezahlt als sechs Euro, denn im Laufe der Wanderung durften wir noch erleben, wie billiger Wein schmeckt. In Oberpoyritz laufen wir eine Straße mit dem schönen Namen Viehbotsche entlang, passieren die Feuerwehr (dort geht man dem Feuerwehrmännerlieblingshobby nach und kokelt, gezielt auf dem Grill und hinter dem Einsatzwagen) und gehen dann immer über Wege, die vermuten lassen, dass man früher noch redlich arbeitete: An der Schmiede, Marktweg, Ziegelweg und Schmiedeweg gehen nahtlos ineinander über. Heute müsste man ja dauernd nur umbenennen: New-Economy-Drive in Seifenblasengasse, Dresdner-Bank-Straße in Commerzbankalle und so...
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Skulpturen von Malgorzata Chodakowska und Wein von Klaus Zimmerling – eine gelungene Symbiose. 91 90
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So erreichen wir auf einem Weg, der vom Pflaster her auch die Via Appia sein könnte, Birkwitz und seine hinweisschildergepflasterte Hauptkreuzung. Ein großes Dreieck weist zum Einkaufsparadies, das nach etwa 50 Metern rechts auch hinter einem lamellenbehangenen Wohnzimmerfenster auftaucht. Hinter dem anderen Wohnzimmerfenster des Doppelhauses bietet ein Friseursalon seine Dienste an. Soll keiner sagen, in Birkwitz sei nichts los! Eine Wohnresidenz direkt an der Elbe mit Blick auf die Fähre gibt es auch – etwas protzig, aber Birkwitz muss ja nicht immer dörflich bleiben! Die Personen-Fähre tuckert nach Bedarf, also faktisch immer, hin und her. Am anderen Ufer – Überraschung! – steppt der Bär. Hier wurde nämlich die Beachbar Heidenau errichtet: Also Sand (feiner weißer Sand,
Einkehr im Restaurant „Zur Elbisel“. 92
schöner als mancherorts am Meer), Liege stühle, Strandkörbe, ein Grill und eine Bar mit Getränken. Voll ist es und alle sind guter Laune, und manchmal kommt sogar ein Schiff vorbei hinter dem Elbradweg, der die Beachbar vom Elbestrand trennt. Der Wein ist natürlich unvergleichlich zum Zimmerlingschen, aber besser als erwartet, und die Ohnmachtsbratwurst, die wir dringend benötigen, trieft zwar etwas vom Eigenfett, ist aber gut gewürzt. Ein Schild verrät, dass wir knapp vier Kilometer vor Pillnitz und 16 Kilometer vom „Zentrum“ entfernt sind – wahrscheinlich meint das Schild Dresden. Eine andere Zeichenorgie warnt uns, dass es hier glatt sein könnte und ein Winterdienst nicht stattfindet, dass man nur als Fußgänger oder Radfahrer hier lang darf – es sei denn, man ist Teil der Fluorchemie, für die der Weg auch frei ist. Wir entschieden uns, Fußgänger zu sein und schritten wacker fürbass. Als wir wieder den Raum des Dresdner Welterbes betraten, kamen wir kurz vom rechten Weg ab, weil der gepflastert und langweiliger erschien als ein Pfad, der rechts ab zur Elbe führte. Den nahmen wir, gingen ihn auch weiter, als er langsam immer weniger Pfad wurde. Aber so eine kleine Brennnesselwie-
se kann uns doch nicht davon abhalten, durch die Natur zu streifen! Sylke beschloss irgendwann, dass es wohl aussichtslos sei und kehrte um – ich pirschte weiter voran, weil das langsam immer höhere Stellen erreichende Kuscheln der saftig grünen Brennesseln irgendwie prickelig war. Etwa fünf Meter vor dem Ziel (ein Parkplatz an der Elbe bei Zschieren) tat sich dann allerdings eine übermannshohe geschlossene Brennnesselwand auf, so dass auch ich die Gegend einmal von der anderen Gehrichtung aus betrachten durfte. Schön ist sie! Nicht mehr lange und man sieht die Elbinsel bei Pillnitz. Hier gibt es auf Zschachwitzer (also jetzt „unserer“) Seite die Gaststätte „Zur Elbinsel“, die ein wundersames Überbleibsel der DDR zu sein scheint. Das Fachwerk nimmt man dem L-förmigen Erdgeschossler mit Beinaheflachdach nicht ab, und die Karte ist üppig: Von der Soljanka (die sogar ganz ordentlich war) über Bratkartoffeln oder Omelett bis hin zu so exotischen Dingen wie Känguruhnuggets oder Froschschenkeln gibt es alles, was das Herz begehrt. Und es sind viele Herzen, denn der Laden ist voll. In der Karte steht, dass alles frisch zubereitet wird, und keiner wundert sich, dass es, auch bei vollem Laden, nicht länger als drei bis vier Minuten dauert. Bedient wird auch draußen im Garten, aber zahlen musst du drinnen bei der Chefin – das hat doch Charme! So wie der Wahlspruch, der auf der Karte steht: „Ihr Wunsch wird unser Service sein, von Party, Fete, bis zum Schwein!“
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Die Rysselkuppe. 93 92
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Skulpturen und Wein: Zu Gast bei Malgorzata Chodakowska und Klaus Zimmerling. 94
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Auf dem Weg nach Birkwitz. 95 94
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Zwischen Kleinzschachwitz und Wachwitz Den Titel ist Dresden los: Man wollte sich nicht an die Spielregeln halten bei dem Spiel, wo man ja von sich aus mitmacht und das das heißt: Welterbe zu sein. Trauer trägt seitdem die Flagge an der Pillnitzer Weinbergkirche – und das zeigt: nicht alle Dresdner denken so wie diejenigen, die das Debakel zu verantworten haben. Zwischen Kleinzschachwitz und Wachwitz (2008 gelaufen) bzw. Blauem Wunder (2010) bleibt man vom Brückenneubau am Waldschlößchen verschont und genießt die Kulturlandschaft in vollen Zügen.
Los geht’s also im Zungenbrecherort. Eine Fähre verbindet Kleinzschachwitz (das lässt sich übrigens durch Vernuscheln bzw. Ignorieren des “z” ganz leicht aussprechen!) seit 1727 mit dem gegenüber liegenden Pillnitz. Wir bleiben aber links der Elbe und gönnen uns nur den einen oder anderen Blick zum Schloss, bevor es immer links der Elbe Richtung Dresden geht. Je nach Wasserstand der Elbe kann man einen der gut ausgetretenen Trampelpfade oben am Ufer oder den Elbekies nutzen (aber aufpassen, wenn ein Schiff kommt: Das zieht schöne große Wellen nach sich!).
Elbe mit Blick stromauf Richtung Elbsandsteingebirge – mit Maria am Wasser und Pillnitz 96
Am anderen Ufer taucht eine Kirche auf, die man von der Optik eher im Bayerischen verorten würde: Maria am Wasser. Die Schifferkirche steht seit 1495 drüben in Hosterwitz, das barocke Aussehen mit Zwiebelturm kam allerdings erst ab 1704 hinzu. Die Kirche mit ihrem kleinen Friedhof steht unter Denkmalschutz und ist auf jeden Fall einen Besuch wert! Im Moment kann man nur rübersehen, was aber durchaus seinen eigenen Reiz hat, zumal die Hänge im Hintergrund sich sanft erheben und manchmal gar schaurige Wolkenformationen einen dramatischen Hintergrund bieten.
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Maria am Wasser und der Fernsehturm. 97 96
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Im Hintergrund sieht man – je nach Standpunkt – manchmal das Keppschloss. Es hat, wie viele derartige Gebäude, eine bewegte Geschichte. Vom Sommersitz aus dem Umkreis derer von Augusts Gnaden (Marcolini, Brühl) zur Eigentumswohnanlage für deutlich besser Betuchte der Jetztzeit – eine spannende Geschichte, die zu erzählen ist, wenn wir mal da sind (das andere Ufer hat’s offensichtlich in sich!).
halb (zumindest optisch) liegt Wachwitz, ein altes Fischerdorf mit schönem Dorfkern und kleinem Segelhafen. Das ist unser Ziel. Freundlicherweise gibt es auf halbem Weg zwischen Laubegast und Wachwitz eine Personenfähre nach Niederpoyritz. Drüben auf der rechten Elbseite wäre das Erbgericht Niederpoyritz eine mögliche Station, aber wir gehen weiter, denn wir haben ein Ziel: Freytags Weingarten in Wachwitz!
Wir haben vor uns: Die erste Raststätte am Wanderweg! Die Elbterrasse Laubegast ist zweigeteilt: Ein Restaurant (bürgerlich), ein Biergarten (sehr bürgerlich). In letzterem gibt es auch Wein – und zwar roten und weißen! Aber zusätzlich eine geniale Aussicht, und irgendwie eine Garantie für vorbei schippernde Dampfer. Die wurden übrigens zum Großteil in der Laubegaster Werft gebaut. Da die direkten Zugang zum Fluss braucht, um die Schiffe aus dem Wasser zu holen (für Renovierungsarbeiten) oder reinzulassen (bei Neubauten oder nach den Pflegeeinheiten), verlässt der Weg ausnahmsweise einmal die Elbe und führt ums Gelände herum. Das kann man verschmerzen – und es ist die absolute Ausnahme: Normalerweise kann man immer direkt am Fluss entlang laufen oder radeln.
Über den Besuch der Besenwirtschaft von Familie Freytag in Wachwitz kann schon ein wenig Zeit vergehen. Wie es dann weiter geht, ist dann ein wenig abhängig von den äußeren Umständen und der Frage des Abschlusses der Tour. Man kann auf der rechten Elbseite bis zur Pillnitzer Fähre zurücklaufen oder weiter elbabwärts gehen bis zum Blauen Wunder.
Vom Laubegaster Ufer aus lohnt sich noch einmal ein Blick zurück, denn bei klarer Sicht kann man elbaufwärts bis zur Festung Königstein gucken, vorbei an der Fähre und dem Schloss Pillnitz. Dann umdrehen und voraus blicken: Dort steht, oben am anderen Ufer, der Dresdner Fernsehturm. Unter98
Der Weg nach Pillnitz ist schöner. Erstens sieht man das andere Ufer, an dem man ja hingelaufen ist. Zweitens ist mehr los. Die ersten Meter doppeln sich, wenn auch mit anderer Blickrichtung. Also zuerst der Segelhafen, dann die Fähre. Anschließend Neuland voraus und Bekanntes am anderen Ufer: Laubegast. Hinterlässt einen netten, dörflichen Eindruck, trotz einiger fetter Villen! Der Weg ist halb mit Steinen gepflastert und halb schlicht getrampelte Erde. In einem der Steine sind zwei Jahreszahlen eingeritzt: 1408 – 1958. 550 Jahre wurden da gefeiert – aber wo? Und wovon? Wo kommt der Stein her? Keine Ahnung. 1408 wurde Laubegast gegenüber erstmals
urkundlich erwähnt, das ist, trotz zwischen Stein und Dorf fließender Elbe, ein nahe liegender Anlass. Ein wenig weiter elbauf kann man einen Einblick in die Werft nehmen, deretwegen wir auf dem Hinweg die Elbe verlassen mussten. Etliche Dampfschiffe der Weißen Flotte sind hier gebaut – vor hundert Jahren! Als Schiffs- und Yachtwerft Dresden gibt es den Traditionsbetrieb immer noch, unter anderem werden hier die Raddampfer gewartet. Das nächste rätselhafte Objekt ist ein alter Schiffsanleger, über den ich bislang auch nichts finden konnte – außer einem beinahe zehn Jahre alten Hinweis, dass er zurückgebaut werden solle. Das hat sich offenbar erledigt, was gut ist, denn er liegt wild-romantisch am rechten Elbufer herum und offenbart seine Schönheit vor allem im Gegenlicht des nun nahenden Sonnen untergangs. Kitsch as Kitsch can, aber schön! Wer mag, kann seine weißen Sommerhosen auf den rostigen Pollern ein wenig der nächsten Wäsche näher bringen! Next stop: Maria am Wasser! Wir sind zwar nahe genug dran, aber für einen Besuch ist es zu spät. Dafür bietet sich auch hier wildromantische Sonnenuntergangsstimmung, man muss sich nur umgucken. Der letzte Teil des Weges zwischen Maria am Wasser und der Schlossfähre ist gegebenenfalls etwas arg ursprünglich: Wenn die Wiese nicht gemäht ist, säumen Brenn-
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Elbe vor Laubegast (am anderen Ufer). 99 98
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nesseln den Pfad. Wenn die Elbe mehr Wasser als normal führt, gibt‘s nasse Füße. In dem Fall: Nicht weiter gehen, sondern die gepflasterten Wege leicht oberhalb suchen und dann wieder runter zur Fähre. Die belohnt bei der Überfahrt mit einem letzten Schmalzblick in den Sonnenuntergang. Vorausgesetzt, man ist zur rechten Zeit dort!
Das Blaue Wunder. 100
Und was ist, wenn man gar nicht nach Pillnitz läuft, sondern zum Blauen Wunder? Nichts Besonderes. Es sei denn, jemand empfindet den Weg in völliger Ruhe vorbei an Pferden mitten in einer Landeshauptstadt als etwas Erwähnenswertes. Erholsam läuft man mit dem Strom und genießt das dörfliche Wesen der Landeshauptstadt. Sonnenuntergangsfanatiker kommen hier
natürlich auch auf ihre Kosten, allerdings ist das Ambiente nicht zwingend so nett wie auf dem Weg nach Pillnitz. Aber dafür taucht dann irgendwann das Blaue Wunder auf – und wer da nicht die komplette Litanei der Aaahhhs und Ooohhs freiwillig runter betet, wird mit sofortiger Einkehr in eine der reichlich sich anbietenden Gaststätten rund ums Blaue Wunder bestraft!
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Das Blaue Wunder. 101 100
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Rast-Stätten Anmerkungen zu einigen Restaurants und anderen gastlichen Stätten, die am Rande der hier beschriebenen Spaziergänge liegen. Wie immer bei unseren Restaurant-Kritiken: Subjektive Momentaufnahmen. [Diese und mehr Restaurant-Besuche online: http://bit.ly/Gastro] 104
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Kaminrestaurant Verführerisch genießen im Schlosshotel Pillnitz Zu den Dingen, die man als Tourist bei einem Dresden-Besuch gesehen haben muss, gehört sicher die barocke Park- und Schlossanlage Pillnitz. Doch viele Touristen sind meist des Feinschmeckers Tod. Dass dies in Pillnitz nicht so ist, ist der Verdienst der F amilie Zapp, die in ihrem Schlosshotel neben dem sächsisch-saisonal ausgerichteten Wintergarten-Café das Kaminrestaurant betreibt, in dem Gäste mit Sinn nach Feinerem auf ihre Kosten kommen. Trotz des Namens kann man hier übrigens im Sommer wunderbar draußen sitzen und das asiatisch anmutende Flair von Schloss Pillnitz genießen. Drinnen geht es in angenehmem Ambiente gediegen zu. Klaviermusik mit den üblichen Verdächtigen bildet den unaufdringlichen Klangteppich, ein netter und freundlich-zuvorkommender Service den Rahmen. Und dann schickt – mit manchmal etwas zu langen Pausen zwischen den Gängen – Chefkoch Jean-Luc Renaud Köstliches aus der Küche. Eine pikante Eröffnung der „karamellisierte Kalbskopf auf Rhabarbergelee“ als kleiner Gruß aus der Küche. Dazu wurde Brot gereicht, trocken. Etwas Butter oder Olivenöl oder Quarkcreme oder oder oder hätten wir nicht unangemessen gefunden! Beim „Duett von Thunfisch und Lachsforelle auf Guacamole, Ingwergelee“ hatten wir insgeheim frischen Fisch in Sushiqualität erhofft – aber der Thun kam angebraten, und zwar einseitig ein wenig zu heftig. Das pikante Ingwergelee hätte zum rohen Fisch auch sehr gut gepasst! Ungetrübten Genuss bot das gerade richtig gepfefferte „Carpaccio vom Lamm“ mit einer an Sommer erinnernden Mini-Ratatouille und einer leichten Ziegenfrischkäsemousse. Angenehme Schärfe erwartete uns beim saftigen „Kabeljau unter Chorizokruste“, das stimmig mit weißen und grünen Bohnen, Calamaretti und Paprikasauce serviert wurde. Das „Gebratene Doradenfilet“ war einen Hauch zu durch, aber die gedünsteten Radieschen und „La Ratte“ Kartoffelstampf machten das wieder wett: beides perfekt!
„Drei Konsistenzen von der Pina Colada“ klingt doch schon so, dass man das genießen muss! Eis, Créme und Gelee im edlen Wettstreit, welches am meisten Schmelz im Mund erzeugt. Die Herrschaften am Nachbartisch waren unschlüssig bis zum Schluss – und bestellten einfach noch einmal! Der unvernünftige Teil des Abends beginnt dann mit der Präsentation der Rechnung. Nein, nicht wegen der durchaus hohen Preise (kein Gericht unter 12,90 Euro – ob das für eine Rote-Beete-Suppe gerechtfertigt ist, ist ein ganz anderes Thema), sondern wegen der Pralinen, die als Tröster dazu gereicht werden. Die sind nämlich dermaßen verführerisch, dass es ein Frevel wäre, sie nicht zu essen! Wider alle Vernunft... Kaminrestaurant im Schlosshotel Pillnitz August-Böckstiegel-Straße 10 01326 Dresden Telefon: 03 51 / 26 14 - 0 www.schlosshotel-pillnitz.de [Besucht am 8. April 2011] 104 105
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Kurhaus Kleinzschachwitz Ein Ausflugsziel für die Familie Ein Kurbad war Kleinzschachwitz nie, aber über ein Kurhaus verfügt der Ort gegenüber von Schloss Pillnitz seit 1892 dennoch: Ein Hotel und Restaurant entstand damals, mit einem riesigen Ballsaal. Besonders erfolgreiche Zeiten verzeichnet die Chronik in der Zeit von 1897 bis 1916, als ein Dresdner Oberkellner das Haus gekonnt führte. Mitte des vergangenen Jahrhunderts ging es allerdings bergab, die Wende erlebte das denkmalgeschützte Haus nur noch ruinös. Das Haus wurde saniert und ist seit 1999 wieder für Gäste da. Mehrfach wechselnde Besitzer und Kochstile prägten die ersten Jahre des Hauses, aber nun sieht es so aus, als ob das Kurhaus angekommen sei: Seit einem Jahr etwa wird es nun von den Betreibern des Volkshaus Laubegast geführt. Die Lage in unmittelbarer Nähe zur Fähre nach Pillnitz macht das Kurhaus zu einem Ausflugsziel – und genau auf diese Zielgruppe
und auf Familienfeiern hat man sich eingestellt: Kinderfreundlichkeit wird groß geschrieben, die Karte verspricht Frisches und ist, um das zu gewährleisten, im Winterhalbjahr abgespeckt. Kulinarische Überraschungen verspricht die Webseite des Hauses – was man darunter auch verstehen kann, erlebten wir beim bestellten Klassiker „Tomate-Mozzarella mit Basilikumpesto“: Klein gewürfelter Mozzarella lag auf einem Salatbukett, in dem unter anderem Radicchio und Maiskörner auftauchten, die Tomatenscheiben waren drum herum drapiert und mit einem Pesto garniert, das frische Basilikumblätter nicht wirklich ersetzen konnte. Beim „Gebratenen Rotbarschfilet mit Artischocken-Tomatengemüse und gebratener Polenta“ war das Filet saftig, aber nicht sehr braun oder gar kross gebraten. Das Gemüse mediterran angehaucht, die Polenta nicht zu trocken: Für ein Ausflugslokal eine erfreuliche Leistung! Fazit: Familienfreundliches Ausflugsrestaurant mit moderaten Preisen. Kurhaus Kleinzschachwitz Berthold-Haupt-Strasse 128K 01259 Dresden Tel.: 0351 / 2001996 www.kurhaus-kleinzschachwitz.de [Besucht am 3. April 2011]
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Elbterrasse Wachwitz Auf jeden Fall prima Lage und guter Service Drei Dinge, sagt man in der Gastronomie gerne, seien für den Erfolg entscheidend. Erstens: Lage. Zweitens: Lage. Und drittens: Lage. Die Elbterrasse Wachwitz bietet so gesehen die besten Voraussetzungen: Auf halbem Weg in einem alten Fischerdorf zwischen Pillnitz und dem Blauen Wunder gelegen, direkt an der Elbe mit einem schönem Biergarten – was will man mehr? Vielleicht nicht nur nett sitzen, sondern auch prima essen! Ein freundliches Serviceteam stimmt schon mal gut ein, es wieselt durch den Wintergarten, beantwortet Fragen und scheint so ziemlich alles möglich zu machen. Derlei Offenheit lieben wir, und auch den Hinweis für Vegetarier auf der Karte, dass sie sich ihr fleisch loses Wunschessen gerne selbst zusammenstellen können, finden wir gut. Das war’s dann aber auch schon. Auftritt: Ein Brotkorb. Drei Scheiben Weißbrot, keine Butter, kein Öl, kein Quark. Das ist der programmatische Auftakt auch für den Rest des Essens: Man möchte mehr scheinen als sein. Die „Gebratene Aubergine“ kam heiß und fettig wie aus der Fritteuse auf den Tisch, der dazu gehörende „eingelegte Ziegenkäse, mit Honig und Rosmarin überbacken“ machte den Eindruck, als ob er im Luftbad eingelegt worden wäre, was vielleicht auch daran lag, dass arg wenig Honig ihn umhüllte und er insgesamt wenig gekräutert oder gewürzt war. Die „Bruschetta von Strauchtomaten mit Knoblauch, Zwiebeln, frischem Basilikum und Parmesan“ war mit Tomaten (die ja immer vom Strauch kommen) und Trockenbasilikum belegt, aber der fruchtige Geschmack von Olivenöl – der diese einfache Vorspeise zum Gedicht machen kann – wollte sich nicht einstellen.
Gemüse einen wässrigen Eindruck, so wie wir es von aufgetauter Ware kennen. Die Bohnen waren angebrannt (!), der Risotto kalt... Elbterrasse Wachwitz Altwachwitz 14 01326 Dresden Telefon: 0351 / 26 96 10 www.elbterrasse-wachwitz.de/ Geöffnet: täglich 11 - 24 Uhr [Besucht am 16. April 2011]
Bei den Hauptgerichten („Thüringer Heubraten von der Weidelammkeule an zweierlei gebutterten Bohnen und Wickelklößen“ einerseits und „Zanderfilet auf der Haut gebraten auf jungem Blattspinat mit Cherrytomaten und Limetten Risotto“ andererseits) machte das 107 106
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Freytags Weingarten Wachwitzer Besenwirtschaft lädt “bei gutem Wetter” zum Entspannen ein Seit Robinson Crusoe wissen wir, wie gut es ist, seinen Freitag zu haben. Kenntnissreiche Dresdner hingegen wissen es zu schätzen, ihren Freytag zu haben: In Wachwitz. Dort gibt es nämlich zwischen Mai und Oktober am Wochenende auf halber Strecke zwischen Schloss Pillnitz und dem Blauen Wunder eine Besenwirtschaft. Freytags Weingarten lädt („bei gutem Wetter“) in den Garten ein, um bei Wein aus eigener Ernte und einem kleinen Imbiss auszuspannen. Besenwirt Freytag ist einer der zahlreichen Hobby-Winzer mit einer Parzelle im nahe gelegenen Weinberg – in diesem Fall ist das der Wachwitzer Weinberg. 430 Rebstöcke mit Weißburgunder, Grauburgunder und Müller-Thurgau sind nicht viel, und einen echten Freytagswein gibt es auch nicht: Die Trauben gehen nach Meißen und kommen dort, von der Winzergenossenschaft mit etlichen anderen zusammen gekeltert, in Flaschen zurück. „Da ist mein Wein drin!“ sagt der Herr Freytag also immer, wenn man einen seiner Weine trinken möchte.
Gleiches gilt für den Hauswein, der diesen Namen im wahrsten Wortsinn trägt: 13 Rebstöcke Müller Thurgau wachsen im Garten und ergeben im Schnitt eine Ernte von 35 Kilo. Auch die werden nicht allein zum Wein gemacht, sondern (bei der Firma Sell in Coswig) mit anderen Gartenweinen zusammen. Das ergibt einen sehr schlichten Wein, aber wenn‘s draußen mal so richtig warm ist und man zum Freytag gestiefelt ist, ist das gerade der richtige Einstieg. „Da haben Sie genug Steigerungspotential!“ kommentiert Herr Freytag seinen Hauswein verschmitzt. Zu essen gibt es die Besenwirtschaft-Klassiker: Fettbemme (mit selbst gemachtem Gänsefett, das so rein ist, dass es sofort ins Brot schmilzt) und Zwiebelkuchen beispielsweise. „Den macht die Frau und bringt die Bleche zum Bäcker gleich um die Ecke, so wie andere im Winter den Stollen!“ Man schmeckt‘s, denn erstens hat „die Frau“ ein gutes Rezept und zweitens ist so ein Bäckerofen natürlich was ganz anders als ein Küchenofen. Der Zwiebelkuchen kommt aus der Tiefkühle, ist also quasi immer frisch! Aber das passt schon. Zwischen drei und viereinhalb Euro kostet ein Schoppen Wein bei Familie Freytag, einsfuffzich die Fettbemme und drei Euro der Zwiebelkuchen – ein lauschiges Plätzchen im Garten und fröhliche Gespräche mit dem Winzer inklusive. Für ein kleines WochenendVergnügen sehr angemessen! Freytags Weingarten Altwachwitz 4 01326 Dresden-Wachwitz Geöffnet bei schönem Wetter Mai – Oktober freitags ab 18 Uhr, samstags/sonntags ab 14 Uhr [Besucht am 6. Juni 2008 und 11. Juni 2010]
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Villa Marie Das beste Vitello Tonnato der Stadt Vor Jahren, als kurz nach der Wende die Zahl der guten Restaurants in Dresden noch sehr übersichtlich war, kam man an der Villa Marie nicht vorbei: Direkt am Blauen Wunder gelegen in einer 1860 gebauten Villa im italienischen Stil mit einer wilden Vergangenheit gab es da 1994 plötzlich einen Italiener, der so ganz anders war als die Pizzabäcker (von denen es im Jahre vier nach der Wende so viel auch noch nicht gab!). Ein Ort mit Atmosphäre, der schnell sein Publikum fand: Professoren trafen sich mit ihren Studentinnen, Rechtsanwälte und Künstler fanden hier das Ambiente für wichtige Gespräche. Mittlerweile gibt es reichlich Restaurants in Dresden – aber die Villa Marie hat ihren Reiz immer noch nicht verloren. Karsten Heidsieck, gelernter Koch und vor seinem Dresdner Engagement in Mailand tätig, hat es verstanden, das toskanische Flair des Hauses über die Jahre zu retten und sogar Dependancen geschaffen: Das La Viletta in Striesen und die Piazza Nova an der Frauenkirche. Bemerkenswert in der Villa Marie: Es gibt zwei, drei Stammgerichte, die man eigentlich essen muss! Anderes geht auch – aber nichts ist besser als der Dreiklang aus Vitello Tonnato, Lammcarré und Tiramisu. Das dünn geschnittene rosafarbene Vitello schwimmt nahezu in der Thunfischsauce, die von feinster Konsistenz und (seit Jahren) tadellosem Geschmack ist. Für mich eindeutig die Nummer eins in Dresden! Das Lammcarré hat vor Jahren den legendären mit Rosmarin gebratenen Lammrückens aus dem Ofen abgelöst: zartes würziges Fleisch, akkurat rosa gebraten. Eigentlich wäre man ja jetzt satt, aber so ein Tiramisu (im Ernstfall: eins für zwei) nicht zu bestellen und zu genießen, wäre eine mittlere Schande. Damit es nicht zu Missverständnissen kommt: Das zweite DreiGang-Menü war mit lauwarmem Ziegenkäse, einer Bistecca und einer Cremé Caramel keineswegs zweitklassig. Aber man muss sich eben trauen, von den Klassikern abzuweichen!
Beim Service scheiden sich die Geister: Es gibt offenbar Aushilfen, die zu früh aufs zahlende Publikum losgelassen werden, aber wenn man jemand von der Stammcrew erwischt, dann ist Freundlichkeit und Kompetenz eigentlich garantiert. Wie man an die rankommt? Einfach um eine Beratung bei der umfangreichen Weinkarte bitten dann kommt schon jemand mit Ahnung! Bei gutem Wetter sitzt man übrigens sehr italienisch draußen, im Garten (unter Netzen, um nicht von den herabfallenden Früchten der Bäume erschlagen zu werden) oder auf dem Balkon mit Blick aufs Blaue Wunder. Da tuckern dann die Dampfer durch, während es langsam dunkler wird, und die Stimmung ist nun überhaupt nicht mehr toskanisch, sondern typisch dresdnerisch! Villa Marie Fährgässchen 1 01309 Dresden Telefon: 0351 / 315440 www.villa-marie.com [Besucht am 23. Juni 2010 und 23. März 2011] 109 108
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Schloss Eckberg Schöne Bilder auf den Tellern und perfekte Qualität Das Haus liegt in allerfeinster Lage hoch über der Elbe, und im Sommer gibt es, wenn man draußen sitzen kann, eigentlich keinen angenehmeren Platz zum stilvollen Genießen. Das im Tudorstil erbaute Schloss strahlt den Charme eines englischen Herrensitzes aus, entsprechend distinguiert geht es innen zu. Sogar die Bedienung ist, das hat man ja selten in Deutschland, ganz die alte Schule, kenntnisreich und mit Witz. Kaum sitzt man im Wintergarten, fühlt man sich schon wohl! Einzig die Geschäftsleute am Nebentisch stören – die scheinen das Restaurant mit dem Verhandlungsraum verwechselt zu haben, aber da ist man als Bedienung ja machtlos (bei dem Umsatz am Tisch sowieso!). Zur Einstimmung grüßt die Küche mit einer zarten Scheibe Schweinefilet, Aniskresse und Zwiebelconfit auf einem ausgemacht knusprigem Rösti – ein gelungener Start, dem man schon eine Menge von dem ansehen kann, was uns den Rest des Abends begleiten
wird: Die Liebe für klare Formen, schöne Bilder auf den Tellern und perfekte Qualität. Die „Variation vom Stör“ (als geräuchertes Süppchen, Tartar und confiert) erschloss den Fisch in drei differenzierten Geschmäckern – wobei er als Tartar unserer Meinung nach am besten zur Geltung kam. Überraschende Geschmackskombination bot das gebackene Bio-Ei mit fruchtigem Senf-Eis – und Gesprächsstoff: Zwölf Euro schien uns doch reichlich happig! Fisch (Gebratenes Seesaiblingsfilet) und Fleisch (ein Entrecôte vom US-Beef) waren auf den Punkt gegart und von bester Qualität – und dass zum üblichen minimalistischen Saucenspiegel auf dem Teller (der ja schön aussieht und die anderen Zutaten auch nicht ertränkt) eine Sauciere mit Nachschub an den Tisch gebracht wurde, hat uns viel Vergnügen bereitet. Sie wurde leer, denn die Bratkartoffeln und die Sellerietasche waren durchaus saugfähig! Zum Dessert gab’s eine karamellisierte Apfeltarte, die durch Akazienhonig-Eis erheblich aufgewertet wurde. Schloss Eckberg Bautzner Strasse 134 01099 Dresden Tel. 0351 / 8099-0 http://www.schloss-eckberg.de [Besucht am 23. März 2011]
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Lingnerterrassen Schöner Ausflugsort im mittleren der Elbschlösser Das mittlere der drei Elbschlösser hat ein hartes Schicksal: Es wurde der Stadt Dresden vererbt. Allerdings mit Auflagen: Schloss und Park sollten der Bevölkerung zugänglich gemacht werden, obendrein solle ein Café bzw. Restaurant im Hauptgebäude die niedrigsten Preise im Umkreis haben. Glücklicherweise verfügt Schloss Eckberg als direkter Nachbar über ein eher hochpreisiges Restaurant, da kann man leicht günstiger sein! Die Lingnerterrassen – im Ostflügel des längst noch nicht durchgängig renovierten Schlosses untergebracht – warten mit einem vergleichsweise günstigen Angebot auf. Das gilt um so mehr, wenn man nicht nur die exzellente Lage (eine der schönsten in Dresden, direkt an der Elbe mit Blick aufs Blaue Wunder) nimmt, sondern auch die Qualität des Angebots. Die Karte liest sich gut: Klassische Gerichte einerseits und moderner anmutende Angebote andererseits. Dazu eine ordentliche Auswahl von Weinen, von denen es viele auch offen gibt. Soweit also alles prima – aber dann kommen wir hinein und sind ein wenig vom penetranten Geruch überrascht. Ein Hauch von faulen Eiern erinnert an den Chemieunterricht. Aber die Nase ist ja ausgefuchst und gewöhnt sich dran, erst als wir am Ende des Abends in die klare Abendluft treten, fällt uns der ungewöhnliche Geruch drinnen wieder auf. Unser zum Auftakt bestelltes „Schlossgemachtes Würzfleisch vom Geflügel, serviert im Blätterteigpastetchen“ war offensichtlich aus dem Tiefkühlschlaf geweckt worden und kam noch ein wenig fröstelnd an den Tisch. Ersatz würde „eher lange dauern“, meinte die freundliche Servicekraft und empfahl eine „Variation saisonaler Blattsalate mit Balsamicodressing und Sonnenblumenkernen und gebeiztem Lachs“, die natürlich auch nicht warm war – aber beim Salat erwarteten wir das ja auch so! „Provençalische Bouillabaisse
mit Rouille“ war gut mit Fisch bestückt, und sowohl „Rosa gebratene Kalbsleber mit Kartoffelpüree und glaciertem Apfel-Zwiebelgemüse“ als auch das „Entrecôte mit Sour Cream, Ofenkartoffel und Salat“ waren perfekt auf den Punkt gebraten. Zum Abschluss gab’s eine köstliche „Variation von der Crème brûlée (Rosmarin, Tonkabohne, Natur)“. Fazit: Schöner Ausflugsort im mittleren der drei Elbschlösser mit preiswürdiger ehrlicher Küche. Lingnerterrassen Bautzner Straße 132 01099 Dresden Tel: 0351 / 456 85 10 http://www.lingnerterrassen.de Geöffnet täglich 11 bis 23 Uhr [Besucht am 24. Februar 2011]
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Besenwirtschaft Lutz Müller „Weine mit Weitblick“ in der Besenwirtschaft Die Zahl der Besenwirtschaften im Stadtgebiet von Dresden ist sehr übersichtlich. Aber dafür haben sie es in sich. Nehmen wir den Winzer Lutz Müller, der von März bis November „Weine mit Weitblick“ anpreist. Seine Straußwirtschaft befindet sich am Weinberg von Schloss Albrechtsberg – wenn man vom gegenüberliegenden Ufer auf die drei Schlösser guckt, sieht man sie ganz links oberhalb der Reben. Was für ein Platz! Lauschig, lauschig. Unten tröten manchmal Dampfschiffe, der restliche Lärm der Welt ist nicht zu hören. Meist sieht man Lutz Müller selbst in seiner Straußwirtschaft – was auch ein Grund dafür ist, dass er nur Sonn- und Feiertags sowie im Sommer zusätzlich samstags öffnet. Die restliche Zeit trifft man ihn im Weinberg an. Etwa 3 ha bewirtschaftet er am Dresdner Elbhang (Albrechtsberg, Lingnerschloss) und im Pillnitzer Königlichen Weinberg (in der Nähe der Weinbergskirche), viel Wein gibt das nicht. Ein Großteil der ca 15.000 Flaschen werden da getrunken, wo der Wein wächst, was ja nicht das Schlechteste sein soll. Lutz Müller ist ein gesprächiger Winzer, der bereitwillig sein Wissen weitergibt. Man erfährt viel über die Lehr- und Wanderjahre, die von Radebeul (Winzerlehre auf Wackerbarth) über Franken, die Mosel und das Badische bis nach Kalifornien führten. Zusammen mit seinem Vater Dr. Christian Müller versuchte er sich dann im Wein handel, landete aber schließlich wieder beim Weinmachen – bislang nur als Winzer im Weinberg, denn ausgebaut werden die Weine in Zadel im Weingut Schloss Proschwitz des Prinz zur Lippe. Da sitzt man nun also und guckt auf Dresden. Nicht auf den schönsten Teil der Stadt, aber auch nicht auf den hässlichsten oder den umstrittensten: Bäume sind davor. Aber auch ohne Altstadt und Waldschlösschenbrücke (aber leider auch ohne Blaues Wunder) übt der Ort seinen Reiz aus. Direkt unter einem der Weinberg, dessen Hang steil zur Elbe abfällt. Dort wuchs der Riesling, der jetzt als 2009er Ka112
binett im Glas vor uns steht und eine der schönsten Überraschungen beim Besuch war (2,50 Euro für 0,1 l). Auch der Kerner ist trefflich gelungen, und wer mag, kann sogar einen Roten trinken (wir mochten nicht) oder den Rosé Landwein probieren (der uns ein bissel flach erschien). Natürlich gibt’s beim Herrn Müller auch einen ordentlichen Müller-Thurgau, und wenn man sich einen vor Ort im holzbefeuerten Ofen frisch gebackenen Flammkuchen besorgt, dann ist alles Müller: Tobias Müller ist der Herr der Flammkuchen, aber nicht verwandt – was bei dem Namen ja durchaus glaubhaft ist. Der Flammkuchen ist frisch und ein Gedicht, schon in der einfachsten Variante. Ein herrlicher Platz, ein schöner Ort! Wie sagte die Kollegin: Am besten gar nicht drüber schreiben, damit’s nicht noch voller wird! Hoffentlich ist sie mir jetzt nicht böse! Winzer Lutz Müller · Kavaliershaus Schloß Albrechtsberg Bautzner Str. 130 · D-01099 Dresden Tel. 0351-3289217 · www.winzer-lutz-mueller.de Geöffnet März bis November von 11 – 19 Uhr an Sonn- und Feiertagen, Mai bis September auch samstags zur gleichen Zeit. Nur bei gutem Wetter. [Besucht am 17. Juli 2010]
Dresden
Brühlscher Garten Viele nette Kleinigkeiten Mittendrin und doch am Rand: Das ist die Lage des Bistros „Brühlscher Garten“. Es liegt am östlichen Ende der Brühlschen Terrasse, im Winter oder bei schlechtem Wetter etwas versteckt, bei freundlicherer Witterung durch lebhaften Terrassenbetrieb eher zu entdecken. Bevor jetzt jemand mit Kompass und Karte sucht: Das östliche Ende ist gegenüber der Synagoge und ganz nah am Albertinum. Und wenn man von eben da kommt, liegt das schlichte Barockhaus natürlich keineswegs am Ende, sondern am Anfang! Das ehemalige Hofgärtnerhaus, das ursprünglich Hofbaumeister Knöffel 1750 errichtet hatte, wurde durch die Bombenangriffe zerstört und nach dem Krieg wieder aufgebaut. Seitdem ist es Heimstatt der reformierten Kirchgemeinde, die dort ein Seniorenheim betreibt. Das Bistro in einem modernistischen Anbau gehört zum Komplex. Innen es es geradlinig ausgestattet, die Innenausstattung stammt von den Deutschen Werkstätten Hellerau. Aber wie so oft: Die Menschen machen’s. Kaum sind wir am Tisch, kommt eine sehr charmante Bedienung, kümmert sich, macht Smalltalk. Nicht zuviel, aber auch nicht zu wenig – gerade richtig, um sich gleich ein wenig wohler zu fühlen. Die ausgehändigte Karte ist übersichtlich, was wir im Prinzip meist besser finden als dicke Wälzer mit Aberdutzenden von Gerichten: Die Chance, dass es in solchen Läden Frisches gibt, ist deutlich höher! Beelitzer Spargel war auf der Karte annonciert – also probierten wir den! Zuerst als Süppchen, das mit Knoblauchcroûtons serviert wurde, was wir als durchaus gewagte Kombination empfanden. Aber da die Suppe kräftig und die Croûtons nicht allzu heftig geknofelt waren, ging der Versuch auf. Beim Spargel zum Hauptgang können wir den Koch gar nicht genug loben für seinen Einsatz in puncto Garpunkt der schön gewachsenen Spargelstange. Leider waren sie sehr naturell belassen – uns fehlte die feine Geschmacksnuance, die
sich durch Zugabe von Butter und Zitronensaft beim Kochwasser ergibt. Bemerkenswert fanden wir die Idee der Küche, das Hirschsteak mit geschwenkter Pastinake und frischem Kartoffelrösti im Suppenteller zu servieren. Das bissfest gegarte Gemüse gefiel uns sehr, das ebenso gegarte Steak allerdings nicht (obwohl es nicht wirklich zäh war). Und dass die Kartoffelrösti offensichtlich aus der Fritteuse kamen, fiel nicht mal negativ auf, denn sie waren gut abgetropft und fügten sich trefflich ins Gesamtgeschmackserlebnis. Die Weinkarte ist nicht üppig, aber mit einem Glas „Ursprung“ von Markus Schneider kann man eigentlich gar nichts falsch machen. Die Weine werden in 0,1-Liter-Gläsern ausgeschenkt, und dass man auch die offenen Weine vorher probieren darf, gehört zu den netten Kleinigkeiten. RestaurantCafè Brühlscher Garten Brühlscher Garten 4 · 01067 Dresden Telefon: 03 51 / 4 81 89 01 · www.bruehlscher-garten.de Geöffnet: täglich 8 Uhr – open end [Besucht am 02. Mai 2011] 113 112
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Radeberger Spezialausschank Deftiges im attraktiven Biergarten an der Elbe Im Sommer ist das einer der attraktivsten Biergärten Dresdens – obwohl es eher ein Dach- als ein Biergarten ist: Der Radeberger Spezialausschank klebt quasi an der Brühlschen Terrasse, und wenn man oben drauf sitzt, hat man einen famosen Blick auf die Semper oper, die Hofkirche, die Brühlsche Terrasse mit der Kuppel der Frauenkirche dahinter. Im Winter (oder sommers bei Regen...) geht das natürlich nicht, dann sitzt man drinnen im schmalen Handtuch auf zwei Etagen – entweder im Gastraum in der ersten Etage oder vis-a-vis der vier kupfern glänzenden Spezialtanks im Erdgeschoss. Aus den Tanks fließt – man ahnt es bei dem Namen der Gaststätte! – Radeberger. Aber nicht nur das allseits bekannte, sondern auch ein unfiltriertes, naturtrübes Pilsner, das es nur hier gibt. Es ist sehr süffig mit einem Hauch von Limone: im Sommer auf der schon erwähnten Terrasse für Biertrinker ein excellenter Durstlöscher. Kein Wunder, dass dieses Zwickel von Fans für das beste Radeberger
Bier gehalten wird. Qualität allererster Güte übrigens auch beim Wein, und das in einem Bierrestaurant: Die Weine im Glas kommen vom Weingut Prinz zur Lippe und vom Weingut Hanke. Das Essen ist deftig, wie man es erwartet. Es gibt Kleinigkeiten wie Heringshappen (mit Zwiebeln und Apfelspalten) und Harzer (mit gehackter Zwiebel, Gewürzgurke und Kümmel im Essigfond), die beide mit Treberbrot serviert werden. Schon deswegen sollte man das mal bestellen, denn das Brot ist eine außen krosse und innen sehr locker-würzige Köstlichkeit. Schade, dass es nicht zur Soljanka gereicht wird, die hier sehr inhaltsreich serviert wird. Neben den Kleinigkeiten gibt es die üblichen Verdächtigen der bürgerlichen Küche, wobei wir weder von einfach Sächsischem wie den Krautwickeln oder Sauerbraten (mit Rosinensauce) noch von der Viertel Bauernente mit Rotkohl und Kartoffelklößen enttäuscht wurden. Radeberger Spezialausschank Terrassenufer 1 01067 Dresden Tel.: 03 51 / 4 84 86 60 www.radeberger-spezialausschank.de [Besucht am 19. Februar 2010]
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Kahnaletto Italienisch inspirierte Küche auf der Elbe Das Wortspiel setzt ein wenig lokale Kunstkenntnis voraus – aber wer im Kahnaletto sitzt, hat die vielleicht und weiß, dass Canaletto der Künstler war, der im 18. Jahrhundert im Auftrag des sächsischen Hofes so wunderschön realistische Bilder malte. Seinen „CanalettoBlick“ mit dem Dresden-Panorama kennt man in Dresden natürlich; deutlich erkennt man am linken Elbufer unterhalb der Kathedrale ein Schiff vor der Augustusbrücke. Seit 1994 liegt die Marion dort: Rechts Theater, links Restaurant. Die Kombination ist schon deswegen gut, weil man vor und nach dem Theater es nicht so weit zum Essen hat! Man kann natürlich auch ohne Theaterbesuch ins Kahnaletto gehen, um die italienisch geprägte Küche zu genießen. Die Lage (nicht an, sondern auf der Elbe) ist grandios, man sitzt nahezu auf Wasserspiegelhöhe mit Blick auf die Neustädter Seite oder (wenn man einen landseitigen Tisch erwischt hat) mit Blick auf die Hofkirche. Die Gerichte wechseln häufig, eine feste Karte lohnt nicht: Tafeln mit den jeweiligen Tagesangeboten werden an den Tisch gebracht. Einige Gerichte gibt es wahlweise als Vor- oder Hauptspeise, außerdem kann man fast immer mit den kompetenten und netten Servicekräften über Größen und Detailzusammensetzungen des Angebots reden – so sollte es eigentlich immer sein. Derzeit sind Trüffelwochen auf dem Kahn – die wunderbaren Duft verströmende Köstlichkeit aus dem Piemont mussten wir also probieren! Wie sie so fein gehobelt auf Fettucine und Rührei dahergeduftet kommt, ist das schon ein Erlebnis für die Nase. Nudeln mit Butter, Rührei und Trüffel sind sowieso ein einfaches Quartett, das kaum zu schlagen ist. Auf der sämigen Kartoffelsuppe roch und schmeckte die Albatrüffel auch – aber die Geschmackskombination war eben nicht so perfekt! Ganz und gar nicht in Ordnung war die Temperatur beider am Tisch servierten Suppen, die obendrein so schnell kamen, dass noch nicht mal der Wein am Tisch entkorkt war. Große Diskussion löste die Tellerrand-Dekoration am Tisch aus: Atomisierte Möhren-
würfel begleiteten uns vom Schmalzteller zum Brot vorweg (köstlich übrigens, das Schmalz!) über die Suppe bis zum Hauptgang. Warum machen Köche so etwas Einfallsloses? Zum Hauptgang gab’s Lombardischen Wildschweinbraten – auf recht kleinem Teller in drangvoller Enge angerichtet, aber des ungeachtet dennoch geschmackvoll. Lediglich die dazu gereichten Parmesanknödel erwiesen sich als eher freudlos im Mund. Aber mit dem Tirami Su al Limone zum Abschluss riss die Küche alles wieder raus. Frisch, leicht – mehr davon! Die Weinkarte passt übrigens nicht auf eine kleine Tafel – sie ist umfangreich und verzeichnet, was sicher keinen wundert, viele Italiener, aber auch einige Sachsen und Proben aus anderen Regionen: nicht die preiswertesten Weine, aber alle gut und etliche auch offen serviert. Restaurant Kahnaletto Terrassenufer / Augustusbrücke · 01067 Dresden Tel. 0351 / 495 30 37 · www.kahnaletto.de Öffnungszeiten: täglich 12 – 15 Uhr und 18 – 24 Uhr [Besucht am 14. Dezember 2009] 115 114
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Kreativ und handwerklich sauber Feines Essen mit Aussischt im Canaletto Als Bernado Bellotto, den sie Canaletto nannten, seine berühmte Vedute „Dresden vom rechten Ufer der Elbe, oberhalb der AugustusBrücke“ anfertigte, stand er mit seiner Camera Obscura ungefähr an dieser Stelle. Draußen, wohlgemerkt. Wir haben’s bequemer und sitzen im Restaurant Canaletto. Das gehört zum Hotel Bellevue und is in dem schönen Barockhaus untergebracht, das in den modernen Hotelbau (eröffnet 1985, zeitgleich mit der Semperoper) integriert ist. Vom Fenster aus blickt man auf Semperoper und Hofkirche – nicht ganz der berühmte Canaletto-Blick, aber auch sehr schön! Im Restaurant, das in gediegener Eleganz eingerichtet ist, tafelt an diesem Abend eine Besuchergruppe aus Übersee. Normalerweise sind derlei Gruppen immer ein Garant für hohen Geräuschpegel – aber dank der dämmenden Teppiche im Restaurant hält der sich erfreulich in Grenzen.
„Junge, moderne Cross-Over Küche“ verspricht die Webseite des Restaurants, was ja eher wie dem Zeitgeist nachgeplappert klingt. Aber im Laufe des Abends werden wir dann doch fernab von Benennungs-Klischees von der Kreativität und handwerklich sauberen Kochkunst überzeugt. Dazu trägt ein sehr kompetenter und freundlicher Service bei, der unauffällig zur Stelle ist, wenn man ihn braucht – und dem Gast seine Ruhe lässt, wenn das vonnöten ist. Der Auftakt stimmt froh: Frisches Brot (vier Sorten), Butter und würziges schwarzes Salz stimmen auf den Abend ein, und so wie es schmeckt, nimmt man unvernünftigerweise zu viel davon. Als Gruß aus der Küche kommt ein Stück „Geräucherte Seezunge an Algen, Papaya Salat“, das dem Gaumen die Richtung weist: Es wird fein abgestimmt in den Geschmäckern, mit feinen Gegensätzen zwischen der leicht rauchigen Seezunge und dem fruchtigen Salat. Die Zusammenstellungen sind es, die auch fortan Spaß bereiten: Gegrillter Thunfisch mit Tartar vom Milchkalb und einem fein-säuerlichen Kapern-Buttermilch-Schaum oder die so genannte „Suppen Arie“ mit Consommé, Hummerbisque und Gemüserahmsuppe. Ein zartes und gut gewürztes Lammcarreé unter der Kräuterkruste war perfekt gebraten! Der Service brachte zu jedem Gang den passenden Wein – und hatte gut gewählt. Wobei wir es irgendwie nett fanden, dass nach einem französischen Roten zum Käse ein Dornfelder von Prinz Lippe aus Proschwitz mit seiner Dichte noch eine Steigerung bedeutete! Restaurant Canaletto Grosse Meissner Strasse 15 01097 Dresden Telefon: 0351 805 1658 www.westinbellevuedresden.com Geöffnet: täglich ab 18 Uhr [Besucht am 28. März 2011]
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Wintergarten Maritim Geschmacksexplosionen – kalt serviert Wer in den Wintergarten im Hotel Maritim will, muss sich erst einmal durch den halben Erlweinspeicher mühen, durch das Foyer mit seiner beeindruckenden Höhe und dann durch den für Frühstück und große Gesellschaften vorgesehenen Teil des Hotelrestaurants: Ein belastender Gang. Hotelarchitekten werden es wohl nie lernen, dass auch große Hotels für ihre kleinen feinen Restaurants einen separaten Eingang benötigen. Der Wintergarten liegt ganz am Ende, einige Stufen über dem Rest des Restaurants. Den Pianospieler, der weiter unten spielt, hört man natürlich dennoch – und man fragt sich, ob das ein Gewinn ist ob des Repertoires aus den 60ern und 70ern (Roy Black wird auch in der Flügelversion nicht besser!). Doch irgendwann hört man drüber weg und widmet sich der Karte. Schon beim Lesen merkt man, dass der Koch einerseits eine Vorliebe für herzhaft-süße-Kombinationen hegt und andererseits gerne exotisch würzt. Wir lassen uns drauf ein und werden, was die Geschmacksnerven anbelangt, nicht enttäuscht. „Winterlich gebeizter Lachs mit Schokolade, Chili und Linsen“ war ein vergnüglicher Auftakt des Erlweinmenüs, wobei die ChiliSchoko-Lachs-Kombination in bester Erinnerung blieb. Die Suppe zum Menü greift alte regionale Hausmannskost auf und verfremdet angenehm: Steckrübensupppe (köstlich mit Sahne aufgeschlagen) mit Birne und scharfer Chorizo – so hätten es unsere Altvorderen auch gerne mal gegessen! Weniger Zufriedenheit beim Gegenüber: Der „Winterliche Gewürzsud mit Süßkartoffel, Granatapfel, Koriander und Jacobsmuschel“ war leider nicht mal lauwarm, und falls die Idee war, die Süßkartoffel im heißen Sud ein wenig nachgaren zu lassen, so scheiterte das auch an der Temperatur. Schade, denn die Geschmacksnerven jubilierten bei der Kombination. Wir reklamierten beim übrigens nicht nur an unserem Tisch hervorragend verbindlichen, schnellen und freundlichen Kellner und wur-
den versichert, dass er es der Küche sagen würde. Zum Ausgleich avisierte er uns schon mal einen Espresso auf Kosten des Hauses. „Lamm mit Salsiccia, Aubergine, Zucchini, Tomate, Pesto und Oliven“ aus dem Erlweinmenü waren perfekt fürs Auge wie für den Gaumen – sogar die Temperatur stimmte! Anders wieder beim Gegenüber: prima rosa gebratenen Entenbrust mit Wirsing, der nahezu Rohkostqualität aufwies was Temperatur und Garpunkt anbelangt. Darunter litt dann auch der Rest (Bananen, Kokos, Rosinen) sowie der ebenfalls handkühle Quark-Mohn-Knödel. Er wisse auch nicht, sinnierte unser Lieblingskellner, was los sei. Wir einigten uns auf den schönen Begriff „Hollebolle in der Küche“ und nahmen sein Angebot an, noch ein Dessert auf Kosten des Hauses bringen zu dürfen? Die Käsevariation kam so kalt wie wir sie erwartet hatten! Wintergarten im Hotel Maritim Devrientstr.10/12 · 01067 Dresden Tel.: 0351/2160 www.maritim.de Geöffnet: täglich 18 – 22.30 Uhr [Besucht am 21. November 2009] 117 116
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Lindenschänke Mischung aus bayerischer und sächsischer Hausmannskost Die Lage ist sensationell: An der Elbe, am Rande eines alten und immer noch intakten Dorfkerns – aber dennoch nur ein paar Minuten vom Stadtzentrum entfernt. Im Sommer sitzt man unter Linden, was Romantiker erfreut und zur Blütenzeit allenfalls Allergiker beunruhigt. Aber man kann ja auch reingehen in die Lindenschänke! Drinnen ist es gemütlich: viel Holz, warme Töne, Kerzen auf den Tischen. Für die Holzstühle und -bänke liegen Kissen bereit, hier kann man sich also bequem niederlassen. Aus den Lautsprechern dudelt Musik, die nicht jedermanns Geschmack ist, aber sie ist leise genug und irgendwann hört man die sich ja weg. Und wenn die Wirtin an den Tisch kommt, ist eh Freundlichkeit angesagt! Sie bringt: Die Karte. Die liest sich trotz Pächterwechsels im vergangenen Jahr wie immer, mit einer Mischung aus bayerischer und sächsischer Hausmannskost. Die aber auch auf ungebrochen hohem Niveau.
Gut geht’s los mit Brot und Schmalz – wobei das Brot trotz des Besuchs an einem Sonntagabend frisch und knusprig war. Kein Geheimnis: Frisch aufgebacken. Gefährlich ist sowas, weil man ja schon vor dem eigentlichen Essen essen und essen möchte – also Zurückhaltung, denn die Portionen im Wirtshaus sind nicht von vornehmer Zurückhaltung! Es gibt eher rustikal-Deftiges: Das Schnitzel füllt den Teller gut aus, die Beilagen kommen separat. Die Forelle schwimmt in Butter, was ihr geschmacklich gut bekommt und den Gast im Anschluss gerne in die Liste der verdauungsfördernden Getränke blicken lässt. Wer im Sommer draußen sitzt und gerne weniger üppig speisen will, wird auch fündig, vor allem im bayerisch inspirierten Teil der Karte – von den Weißwürsten bis zur Brotzeit, in der es auch eine passable Sächsische Bauernsülze mit Bratkartoffeln gibt. Was nicht selbstverständlich ist bei einem Ausflugslokal an so exponierter Stelle und daher doppelt lobenswert: Es gibt eine eigene kleine Abteilung auf der Karte für Vegetarier und eine etwas größere für Kinder. Lindenschänke Altmickten 1 01139 Dresden Tel. 0351 / 8599577 www.wirtshaus-lindenschaenke.de [Besucht am 16. Februar 2011]
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STIPvisiten. Die Reiseverf端hrer.
Dresden
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