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25. März 2011
Illustrator Christoph Niemann im Interview
„Die Leute in Amerika gucken, was auf dem NEW YORKER ist. Wenn man in Deutschland fragt, was vor drei Wochen auf V.i.S.d.P.-Cover war, weiß das kein Mensch mehr.“
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Schumacher!
Kolumne
V.i.S.d.P.-Herausgeber Hajo Schumacher über deutsche Kontinuitäten bei der Erosion von Kanzlermacht
Schicksalswahlen einer Kanzlerin Mögen die politischen Verhältnisse auch noch so turbulent erscheinen – die Erosion der Kanzlermacht verläuft in Deutschland nach einem sehr verlässlichen Prinzip: Erst kippen die Länder, dann kippt die Partei. Helmut Kohl verlor in seiner Amtszeit seine Heimat Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und die meisten Ost-Bundesländer an die SPD. Nachfolger Gerhard Schröder wiederum musste machtlos mit ansehen, wie Hessen, Niedersachsen, Hamburg, Saarland und Schleswig-Holstein an die CDU gingen. Als im Frühjahr 2005 auch noch das SPD-Kernland Nordrhein-Westfalen fiel, blieb Schröder nur die verzweifelte
Flucht in Neuwahlen. Ihren jeweils letzten Wahlkampf führten die beiden Kanzler eher gegen ihre als mit ihrer Partei. Kohl wie Schröder versprachen den Apparaten keine Perspektive, keine Posten, kein Selbstbewusstsein mehr. Es waren nicht nur die Wähler, sondern auch die eigenen Gefolgsleute, die ihrer Anführer überdrüssig geworden waren. Die derzeitige Regierungschefin erlebt eine ähnliche Erosion. Hamburg und NRW gingen zurück an die SPD, Hessen und Saarland wackeln, Schleswig-Holstein bleibt unübersichtlich. Der Wahl in Baden-Württemberg an
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Schumacher!
Schumacher!
diesem Wochenende kommt mithin zentrale Bedeutung für Berlin zu. Was NRW für die SPD, das ist BaWü für die CDU: Kerngebiet, Macht- und Identitätsfaktor. Ein Verlust von Jahrzehnten stabiler Mehrheit träfe die Union an ihrer empfindlichsten Stelle – dem Selbstwertgefühl. Die seit Beginn der Ära Merkel schwelende Debatte um den konservativen Kern der Chefin dürfte erneut aufbrechen. Wie einst Gerhard Schröder hat auch Angela Merkel versucht, ihre Macht mit einem großen Schritt ins feindliche Lager zu verteidigen. So wie Schröder mit den Hartz-Gesetzen die Partei spaltete und Lafontaine mit der Linkspartei stärkte, so spielt Angela Merkel seit jeher mit der Identität der CDU, zuletzt bei eher rotgrünen Themen wie Atomausstieg und Pazifismus. Das Ergebnis ist ähnlich dürftig wie bei ihrem Vorgänger. Wähler der Gegenseite trauen dem Kurswechsel nicht, die Traditionsbataillone wiederum wenden sich ab. Im Gegensatz zu Schrö-
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der hat die Kanzlerin es auch noch mit zwei Koalitionspartnern zu tun, auf die nur in einem Punkt Verlass ist – bei ihrer Unzuverlässigkeit. Womit ist im Fall einer Schlappe in Stuttgart zu rechnen? Bestimmt nicht mit Neuwahlen. Durchhalten bis 2013 ist alternativlos. Paradox, aber wahr: Die Kanzlerin gewinnt womöglich sogar frische Handlungsfreiheit. Erleichtert um das taktische KleinKlein, das ein Superwahljahr erzwingt, ist die Kanzlerin plötzlich wieder zu richtiger Politik gezwungen. Sie muss fraktionsübergreifend werben, überzeugen, Mehrheiten gewinnen, im Bundesrat, im ganzen Land. Das ist mühsam, andererseits aber das Kerngeschäft der Politik. Und: Wer nichts mehr zu verlieren hat, kann mal wieder Überzeugungspolitik machen. Einziges Problem: Die CDU-Chefin muss ihre Partei bei Laune halten. Denn die größte Gefahr droht nicht von der Opposition, sondern aus dem eigenen Laden. Das war schon bei Schröder und Kohl so.
Update
Das Tagebuch
FREITAG: Das Kartellamt verbietet wie erwartet eine gemeinsame Online-Fernseh-Plattform der Privatsender, weil ein “wettbewerbsloses Duopol im TV-Markt” entstehe. MONTAG: Das Arbeitsgericht Berlin verhandelt einen spektakulären Fall: Verena Wiedemann, Generalsekretärin der ARD, klagt gegen ihren Arbeitgeber wegen Mobbings. Wiedemanns Anwalt berichtet von massiver „Ausgrenzung, Diskriminierung und Missachtung“, die zu psychischer Erkrankung geführt habe. DIENSTAG: KarlTheodor zu Guttenberg spricht per Facebook-Video aus einem kahlen Wald zu seinen zahlreichen Unterstützern: “Wir werden voneinander hören, ich werde mich melden.”
„Fehlt nur noch, dass bei Facebook Deine Leberwerte steh‘n.“
Udo Jürgens bleibt auch mit 75 kritisch. Von Google, Twitter und dem ganzen Kram hält er im Song “Du bist durchschaut” von der neuen CD “Der ganz normale Wahnsinn” jedenfalls nichts.
DONNERSTAG: Die aktuelle Ausgabe der BRAVO erscheint mit einem Anti-AtomkraftPoster. Fotos: WAZ, ARD
Millionen Euro beträgt der Schaden, den ein Mitarbeiter des KINDERKANALs durch Betrug verursacht hat. Nettes Sümmchen.
Update
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Gewinner
Sookie
weil das grandioses US-Südstaaten-Vampir-Werwolf-Kellnerin-Techtelmechtel “True Blood”, in dem Anna Paquin die Hauptrolle spielt, endlich auch im richtigen Fernsehen kommt, nicht mehr nur auf DVD. Danke RTL 2. Sowas wünschen wir uns jetzt noch in der Schwarzwald-Version.
Verlierer
Knut Liebling der Woche Lieber Hans Rosenthal, die ARD plant doch tatsächlich, “Dalli Dalli” wiederzubeleben – mit Kai Pflaume in Ihrer Moderatoren-Rolle. Ist das spitze? Hm. Wir könnten uns eher Mesut Özil gut Fotos: RTL (2), TAZ
vorstellen. Der sieht genauso aus wie Sie. Sportlich in die Luft springen könnte er auch. Nur die Sache mit dem Reden...
weil der Berliner Bär nicht nur überraschend verstorben ist, sondern jetzt auch noch Streit auslöst, wie er ausgestopft werden soll: Winke-Tatze, gymnastische Beinstreckungen oder relaxte Rückenlage? Eine letzte Knut-Debatte spaltet die Nation.
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Zeit für Offenheit
Update
Ranga Yogeshwars Nebenjobs und die Zukunft des Journalismus
“Wie die Atom-Lobby Yogeshwar hofiert”, lautet die Überschrift dieses MEEDIA-Artikels. Marvin Oppong berichtet darin, der WDR-Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, Atomunfall-Erklärer und Titelheld der vergangenen V.i.S.d.P.-Ausgabe, pflege “seit Jahren enge Beziehungen zur Kraftwerksbranche”. Er sei Gastredner bei einer Eon-Veranstaltung gewesen; er habe eine Preisverleihung moderiert, zu deren Sponsoren Enbw gehört habe; er sei bei einer Thyssenkrupp-Veranstaltung aufgetreten; er werde demnächst für den Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie den Siemens-Chef interviewen, und er habe rund drei Jahre lang Experimente an einem Forschungsreaktor des Forschungszentrums Jülich durchgeführt. Oppongs Schlussfolgerung: “Die Äußerungen des Wissenschaftserklärers in der ARD könnten für den einen oder anderen Zweifel an der Ausgewogenheit seiner Einschätzungen wecken.” Diese Zweifel an Yogeshwars Unabhängigkeit teilen wir nicht, es fehlen in Oppongs Text auch überzeugende Belege für diese These. Aber die Nebenjobs des Moderators sind trotzdem ein Beispiel dafür, mit welchen fundamentalen Fragen sich Journalismus auseinandersetzen muss. Das Geschäftsmodell Journalismus verändert sich. Viele Journalisten beziehen ihr Einkommen heute und in Zukunft nicht
mehr ausschließlich von Verlagen und Sendern. Das liegt an der Krise der klassischen Medien, die immer weniger Journalisten immer schlechter zahlen. Wirtschaftsunternehmen werden zu Medienmachern – sie geben eigene Zeitschriften heraus, gründen Fernsehsender oder betreiben Nachrichtenportale. Und es entstehen neue Medien, die sich anders finanzieren. Journalisten werden zu Mini-Verlegern – von Blogs, Clips, OnlineMagazinen wie diesem hier. Das bedeutet auch, dass sie selbst Werbung im Umfeld ihrer journalistischen Arbeit verkaufen. Die klassische Trennung von Anzeigen und Redaktion gibt es dann nicht mehr – schon, weil es sich oft um ein und dieselbe Person handelt. Daraus entstehen Probleme der Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit von Journalismus. Wie unabhängig ist ein Journalist, der für seine Arbeit von einem Unternehmen bezahlt wird – das naturgemäß eigene Interessen verfolgt? Entweder man stellt sich auf den Standpunkt: Journalisten schreiben nur für Medien, die von seriösen Verlagen herausgegeben werden; ihre Beiträge bieten sie nur klassischen Sendern an; sie verkaufen Anzeigen grundsätzlich nicht selbst. Oder man akzeptiert, dass es aufgrund des Medienwandels unvermeidlich ist, dass Journalisten auch Einkommen aus anderen Quellen beziehen, als das bisher der Fall war.
Update
Dann muss man aber eine Lösung finden für das Unabhängigkeits- und Glaubwürdigkeitsproblem. Die einzig denkbare Lösung lautet: Transparenz. Wer PR macht, wer für das ADAC-Magazin schreibt oder auf FirmenPodien Interviews führt, der muss seine Leser und Zuschauer darüber informieren, damit sie selbst beurteilen können, ob sie weiterhin Vertrauen in seine journalistische Arbeit haben. Ranga Yogeshwar verdient genug, um auf Gelder der Atomwirtschaft verzichten zu können. Aber ANZEIGE diese Entscheidung sollte man ihm wie jedem anderen Freiberufler selbst überlassen. Er hat sich stets kritisch über Atomkraft geäußert. Wenn er den Siemens-Chef zu diesem Thema befragt, ändert das nichts an der Glaubwürdigkeit dieser Haltung, selbst wenn er dafür vom Zentralverband Elektrotechnikund Elektronikindustrie bezahlt wird – unter einer Bedingung: Finanzielle Beziehungen zwischen Wirtschaft und Journalisten dürfen grundsätzlich kein Geheimnis sein. Yogeshwars Nebenjobs waren kein Geheimnis, die Veranstaltungen öffentlich zugänglich. Trotzdem waren sie nicht allgemein bekannt. Es wäre eine gute Idee, für solche Informationen eine zentrale Stelle zu schaffen, die freiwillige Auskünfte über die Einkünfte von Journalisten sammelt. Solche Offenheit ist viel verlangt. Journalisten müssten dann mehr über sich preisgeben als die
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meisten anderen in der Gesellschaft – Politiker vielleicht ausgenommen. Aber es wäre ein Weg, unter neuen Bedingungen das Ansehen des Journalismus zu sichern. Im Kern geht es darum: Wer mit Informationen arbeitet, muss selbst zu besonderer Transparenz bereit sein, um glaubwürdig unabhängig zu bleiben. Sind wir das? Reaktionen auf diesem Kommentar finden Sie ab Seite 30. Diskutieren Sie selbst mit: www.visdp.de
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Update
“Wir hatten nicht den Auftrag, zu recherchieren”
Aus den Unglücksreaktoren in Fukushima gibt es noch immer keine verlässlichen Nachrichten. Dem Filmemacher Wolfgang Mertin, 1986 Korrespondent des DDR-Fernsehens in Moskau, kommt das bekannt vor Herr Mertin, aus Japan erreichen uns derzeit die Informationen zum Unfall in Fukushima nur scheibchenweise: Erleben Sie ein Déjà-vu? Gewisse Parallelen sind erkennbar. Man gibt nur so viel zu, wie schon allgemein bekannt ist. Man darf es aber nicht zu sehr vergleichen. In Japan geht es wohl eher darum, eine Panik zu verhindern, die möglicherweise genauso verheerend sein kann wie das Erdbeben. Japan ist viel dichter besiedelt. Die Russen dagegen wollten sich im Kampf der Systeme keine Blöße geben. Das Wort „Havarie“ in der offiziellen Meldung zu Tschernobyl war ja schon der blanke Euphemismus. Dieses Eingeständnis eines Unfalls haben Sie als erster ausländischer Journalist überhaupt vermeldet. Wie kam es dazu? Zwei Tage nach dem Störfall hatten die Schweden als Erste erhöhte Messwerte gemeldet. Alle Welt wartete auf Infor-
mationen. Moskau schwieg am dritten Tag immer noch. Ich hatte guten Kontakt zum Chefredakteur der WREMJA, der sowjetischen Nachrichtensendung. Der erwartete am selben Tag noch einen Fahrer mit einer A4-Seite aus dem Kreml. Ich bin dann sofort hingefahren und setzte mich beim Chefredakteur still in die Ecke. Tatsächlich kam der Fahrer dann. Ich bekam den Zettel als Kopie, aber mit der Maßgabe, nicht vor der Verlautbarung in den sowjetischen Nachrichten zu berichten. Ich rannte also zurück in unser Studio. Die WREMJA-Nachrichten begannen um 19 Uhr Berliner Zeit. Wie üblich kam das Wichtigste zum Schluss. Um 19 Uhr 25 zeichnete ich auf, um 19 Uhr 30 begann die „Aktuelle Kamera“. Ich war also kaum fertig, als es auch schon auf Sendung ging. Man hat mir angemerkt, dass ich ein wenig nervös war. Schließlich wurde erstmals von Toten und Evakuierungen gesprochen.
Update
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Wolfgang Mertin 1986 und 2010
Erst zwei Wochen später äußerte sich auch Gorbatschow im Fernsehen. Das DDRFernsehen zeigte keine Bilder, sondern nur einen Kommentar eines Redakteurs. Es gab politische Differenzen zwischen der Perestroika in Moskau und dem Politbüro der SED in Berlin. Wenn es nicht unumgänglich war, wurde Gorbatschow nicht gezeigt. In diesen Zeiten wurde jede Information aus Moskau noch mal geprüft und umformuliert. Eine Korrespondententätigkeit in Moskau ohne Abstimmung des Textes war nicht denkbar. Dass ich über die erste Meldung quasi live berichtete, war die eigentliche Sensation. Es blieb auch eine Ausnahme. Konnten Sie selbst recherchieren? Wir hatten nicht den Auftrag zu recherchieren. Es wäre auch nie gesendet worden. Wir sollten nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen. Das DDR-Fernsehen hatte bereits zwei Professoren präsentiert, die alles herunterspielten. Trotzdem weigerten sich die DDR-Bürger, das plötzlich üppige Angebot an Gemüse zu kaufen, weil der Westen den für den Export bestimmten Kohl nicht mehr abnahm.
Die meisten DDR-Bürger waren natürlich über das Westfernsehen informiert. Die Leute haben die Pilze auch nicht mehr gegessen, obwohl von offizieller Seite beschwichtigt wurde. Auf Westmedien hatten wir in Moskau keinen Zugriff, und der Austausch mit den Westkollegen wurde von beiden Seiten nicht gesucht. Über Freunde und Bekannte zuhause waren wir dennoch im Bilde. Aber wir hatten nur die Aufgabe, das zu vermelden, was Moskau vermeldete. Und wie reagierten die Menschen in Moskau? Auch für die Russen war Tschernobyl weit weg. Sie haben weiter ihre Pfifferlinge gekauft. So wie wir auch. Ich war erstaunt darüber, was alles in Deutschland gedacht und getan wurde, als ich es erfuhr. Um mögliche Spätfolgen machte sich in Moskau niemand einen Kopf. Interview: Till Schröder
Leute
Die wechsel der Woche Sendung, nun wird ihr Vertrag nicht verlängert.
Robert Skuppin wird dem TAGESSPIEGEL zu Folge neuer Chefredakteur des RBB-Senders RADIO EINS. Vorgänger FloUlrich Kühne-Hellmessen ist neuer Koor- rian Barckhausen geht in Ruhestand. dinator des neuen DAPD-Sportdienstes, der im August mit 50 Mitarbeitern startet. Joachim Böskens ist neuer Gesamt-Chefredakteur des NDR-Landestudios Mecklenburg-Vorpommern, gleichzeitig zuständig Gülcan Kamps und VIVA trennen sich. für Hörfunk, Fernsehen und Online. Die Dauerquasslerin war acht Jahre auf
Foto: Promo
Josef-Otto Freudenreich, Ex-Chefreporter der STUTTGARTER ZEITUNG, gründet eine Online-Zeitung für Baden-Württemberg. KONTEXT erscheint dann gleichzeitig als Beilage der TAZ.
Leute
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Zurück zu Lück SAT.1 mottet die 90er-Jahre-Sendung „Wochen-
Fotos: Promo, dapd, VIVA, Radio Eins, NDR
schow“ aus. Ingolf Lück ist wieder dabei. Ab und an werden Anke Engelke und Bastian Pastewka vorbeischauen, ansonsten machen NachwuchsScherzkekse mit. Na dann (seufz): Danke, Anke.
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Ohne
Christoph Niemann ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Illustratoren. Nach zwölf Jahren in New York lebt er seit 2008 in Berlin und arbeitet weiter für große amerikanischer Blätter wie die NEW YORK TIMES, ATLANTIC MONTHLY oder den NEW YORKER, dem er in der vergangenen Woche ein beeindruckendes und viel diskutiertes Cover über Fukushima gestaltete.
Worte
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Herr Niemann, wie sind Sie an den Auftrag herangegangen, ein NEW YOKER-Cover über die Katastrophe in Japan zu gestalten? Am vergangenen Montag habe ich von der Art Direktorin eine Mail mit der Bitte um Ideen bekommen. Eigentlich war es die Aufgabe, etwas zum Erdbeben und zum Tsunami zu entwickeln. Aber für mich war das nicht illustrierbar. Die Fotos waren so beeindruckend – im negativen, deprimierenden Sinn –, dass keine Zeichnung dagegen ankommen konnte. Außerdem: NEW YORKER-Cover haben immer einen Standpunkt. Zu einem Erdbeben kann man aber schlecht einen Standpunkt haben. In der Nacht von Montag zu Dienstag eskalierte die Atomkraft-Situation. Nun war es eine wirkliche Geschichte, weil es um menschliches Handeln und menschliche Entscheidungen ging.
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NEW YORKER, 9. August 2010
NEW YORKER, 20. Dezember 2010
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Was war Ihre ursprüngliche Idee? Ich wollte eigentlich ein Atomkraftwerk in einem Hain von Pflaumenblüten zeigen. Aber die Atomkraftwerke in Fukushima haben keine wiedererkennbare Form. Dann kam ich auf die Idee, die Kirschblüten als Nuklear-Symbol zu machen. Ich wollte ein sehr leises Bild machen, weil es ein beängstigend leises Desaster ist. Die radioaktive Verseuchung riecht man nicht, man spürt nichts, es hat etwas Schleichendes. Ich wollte auch etwas spezifisch Japanisches zeigen, das zerstört wird. Etwas, das auf den ersten Blick schön und ästhetisch ist und auf den zweiten Blick zeigt, um was es tatsächlich geht. Dienstag Nacht habe ich dann den Auftrag bekommen und musste bis Donnertag morgens liefern. Das war eine 36-StundenGeschichte.
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Worte
NEW YORKER, 28. M채rz 2011
Das Cover ist poetisch und emphatisch und unterscheidet sich dadurch von den vielen Bildern, die die Medien bisher gefunden haben. Wollten Sie sich absetzen? Das versuche ich immer. Aber journalistisch urteilend wusste ich schon nach dem Erdbeben, dass zum Beispiel die Hokusai-Welle ein nicht mehr brauchbares Klischee sein würde. Genauso die japanische Flagge, die eigentlich ein fantastisches grafisches Symbol ist. ...und inzwischen auf vielen Titelseiten und überall im Internet verwendet wurde. Ich will und kann das nicht machen, weil es zu durchgekaut und für den Leser dadurch nicht verblüffend ist. Der NEW YORKER kam natürlich auch erst zehn Tage nach der Katastrophe heraus. Nach all dem
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NEW YORKER, 25. Oktober 2004
NEW YORKER, 9. April 2007
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noch einmal einen Meta-Scherz zu machen, das wollte ich auch nicht. Sie wohnen in Berlin und sind also dem deutschen Medien-Alltag ausgesetzt. Hat sich das niedergeschlagen? Das versuche ich auszublenden. Ich verfolge das amerikanische Geschehen immer noch sehr eng. Ich weiß, dass die Diskussionen, die hier um den Atomausstieg geführt werden, in Amerika kaum relevant sind. Gerade für diese Art von visuellem Kommentar wäre es aber auch zu früh gewesen, eine politische Geschichte daraus zu machen. Was in Deutschland innerhalb von Minuten der Fall war. Wenn das bei Twitter, Facebook und SPIEGEL ONLINE diskutiert wird, dann ist das halt so. Aber
NEW YORKER, 6. Juni 2005 dann ist immer noch die Frage, ob ein Magazin so titeln will. Und beim NEW YORKER bezieht sich das Cover nie auf einen Artikel. Das Cover steht als eigenständiges Statement. Ihr Bild ist wie ein Artikel selbst. Die Illustration ist eine journalistische Herausforderung. Ja, das ist eine tolle Aufgabe, aber andererseits auch schwierig. Die Amerikaner lieben Sie. Warum sind Sie aus New York nach Berlin gezogen? Nach zwölf Jahren wollten wir noch mal etwas Neues zu probieren. In meinem Alter und dem meiner Frau und meiner Kinder hatten wir das Gefühl, dass es noch einmal ein Schritt nach vorne sein würde statt ein Rückzug. Außerdem hatte
NEW YORKER, 3. Juli 2006
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Worte
ich die Hoffnung, meine Arbeit einfach so weitermachen zu können, unabhängig von meinem Wohnort. Und das klappt im Moment ganz gut. Ihre Illustrationen haben eine amerikanische Ausstrahlung, finde ich. Was ist deutsch an Ihrer Arbeit? Ich finde eher, dass amerikanische Grafik deutsch ist, als dass meine Grafik amerikanisch wäre. Speziell die NEW YORKER Art der editorial illustration, eine prägnante Idee grafisch reduziert zu machen, hat für mich design-geschichtlich deutsche Wurzeln, beim SIMPLICISSIMUS zum Beispiel. Ich höre oft: Eigenartig, ein Deutscher, der lustig ist! Was meiner Meinung nach daran liegt, dass die Amerikaner kein Deutsch sprechen. Ich sehe grundsätzlich keinen sehr großen Unterscheid – außer, dass es gerade bei den New Yorker Zeitschrif-
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“Der kleine Drache”: Freundschaft und chinesische Schriftzeichen
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“So funktioniert das”: Ein Sachbuch für Kinder
“I LEGO New York” – eine Stadt in LegosteinSkulpturen
Diese Auswahl an Büchern von Christoph Niemanns wird präsentiert von: Velbrück.
ten größeres Vertrauen für das Bild gibt. Die Deutschen neigen dazu, die Bildidee in der Headline nochmal zu wiederholen. Wenn ich einen Menschen zeichne, der mit einer Aktentasche die Treppe hinauf geht, dann steht in der Zeile: „Es geht aufwärts.“ Na, dann muss ich auch keinen Menschen zeichnen, der eine Treppe hochgeht! Wer setzt in Deutschland Illustrationen gut ein? Es gibt tolle Zeitschriften hier, Das SZ-MAGAZIN zum Beispiel, BRAND EINS, die FAS – die allerdings leider zu viele Agentur-Fotos und Illustrationen verwendet. Illustration ist hier kein so großes Thema, vielleicht weil es die Leser nicht unbedingt wollen. In Amerika ist das gewachsen. Die Leute gucken, was auf dem NEW YORKER ist. Wenn man
hier fragt, was vor drei Wochen auf dem SPIEGEL war, weiß das kein Mensch mehr. Weil sich niemand traut, Titelseiten wie die des NEW YORKER zu machen. Der Art Direktor hat nie das letzte Wort, das ist in Amerika natürlich auch so. Entscheidungsträger bei einem Magazin ist immer der Schreibende. In Deutschland gibt es sehr wenige Chefredakteure, die auf Visuelles vertrauen.
Interview: Sebastian Esser
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Magazin-Cover
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Die besten magazincover im M채rz Jeden Monat in V.i.S.d.P.
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Lippen – ein klassisches Cover-Thema....
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Foto: FHagena
...das inzwischen offenbar Ăœbertreibung braucht, um zu wirken
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NEW-YORKER-Cover kรถnnten wir immer nominieren....
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Foto: FHagena
...die von BLOMMBERG BUSINESSWEEK inzwischen auch.
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Worum geht es hier?
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Das italienische PIG Magazin. Foto: FHagena
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Mode kann man so behandeln...
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...oder so.
Mit Dank an Coverjunkie.com, spd.org und viele andere Coversammelseiten
INBOX Yogeshwar I
Ranga Yogeshwar war es auch, der bei Anne Will in Beisein des japanischen Botschafters Japan unterstellte, jetzt würden die Japaner merken, über Jahrzehnte die falsche Energiepolitik betrieben zu haben. Diese unsägliche Arroganz, zu meinen, ein Urteil darüber abgeben zu können, und das quasi in der Stunde des Unglücks, zeigt, dass er sich wieder dem widmen sollte, was er am besten kann – nämlich den Zuschauern mit Textmarkern und Cocktailgläsern sein vorher bei Wikipedia angelesenes Wissen auf banalste Weise zu erklären. Gast per Kommentar Einem Diplompyhsiker zu unterstellen, der benötige Wikipedia, um die Kühlung eines Kraftwerks zu erklären, ist aber auch ordentlich arrogant. Glühwürmchen per Kommentar Die ganze Dummheit und Arroganz dieses Artikels veranschaulicht dieser Satz ganz gut: „Er versuchte der Panik vieler Menschen entgegenzuwirken, die sich in teils skurrilen Zuschaueranfragen äußerte.“ 3456 per Kommentar Das von Ihnen angeführte Stimmungsmanagement oder Mood Management, bedeutet allerdings nicht, „dass sie genau die Sendungen auswählen, die ihren emotionalen Zustand widerspiegeln“,
sondern im Gegenteil, die Menschen immer versucht sind, positive Stimmungen herzustellen, und je nach aktuellem Gefühlszustand besonders positive oder hochgradig absorbierende Inhalte konsumieren. ttt. per Kommentar
Yogeshwar II Schon häufig hat man die ÖffentlichRechtlichen darum gebeten, die Nebentätigkeiten ihrer Spitzenleute konsequent zu dokumentieren. Das ist bislang nicht geschehen. Das wäre aber der Job von ARD/ZDF. Schließlich zahlen die Kunden mit den Gebühren für angebliche Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Journaille. peterpan2010 per Kommentar Es erinnert mich ein wenig an Fans, die sich wundern, dass Musiker für das, was ihnen Spaß macht und ihr Job ist, auch noch ‘ne Menge Kohle bekommen. Mein launiges Argument, damit solche Fans mal aufwachen: „Der Musiker lebt nicht von der Musik, sondern von dem Geld, dass er dafür bekommt.“ Klaus per Kommentar Journalisten sollten im Idealfall nicht nur ihre Geschäftsbeziehungen offenlegen, sondern auch, wo und wie sie ihr Geld anlegen. Hält Yogeshwar Aktien von Energieunternehmen oder investiert er in Solarfonds? Steckt er sein Geld in den Strumpf oder in Staatsan-
Inbox
leihen? Das offenzulegen schmerzt wahrscheinlich viele, aber es gehört zur Transparenzpflicht der Journalisten. Bastian Brinkmann per Kommentar Klar, und dann noch 24 stündliche Überwachung! Geht‘s noch? Irgendwo ist ja mal genug. Dass man öffentlich erfährt, woher ein Journalist wieviel bekommt, seh ich ja noch ein. Aber ihm auch noch bei der Anlage seines PRIVATEN Vermögens über die Schulter schauen zu wollen, hat nichts mehr mit öffentlicher Kontrolle, sondern mit Verletzung von Persönlichkeitsrechten zu tun. CaulDron per Kommentar Ich finde es ja richtig, dass Politiker ihre Nebeneinkünfte angeben müssen. Politiker machen Meinungen direkt. Aber bei jedem Journalisten steht ja vor der Meinungsmache noch ein Sender oder eine Zeitung... und manches geht uns einfach nichts an. GaST per Kommentar Die Reformen unter Rot-Grün werden in ihrer Wirkung leider verkannt – auch von den Journalisten. Die leiden unter dem Wandel in der sozialen Absicherung, der Rentensicherheit und auch der Gesundheitsvorsorge massiv. Die Unabhängigkeit von Angestellten oder Selbständigen ist eben vom sozialen Netz abhängig, das eine Gesellschaft bietet.
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Droht beständig der freie Fall, lässt das Ergebnis in der Qualität der Berichterstattung nicht lange auf sich warten. Frankophon per Kommentar Journalisten sollen also ihre Einkünfte offenlegen. Warum nur Journalisten? Warum nicht auch Experten jedweder Art? Eine Aktion ganz im Geist der Jakobiner. Warum aber machen diejenigen, die so etwas fordern, nicht einfach mal den Anfang? Ich bin gespannt auf die Offenlegung der Einkünfte von Sebastian Esser. Ob sein Geldgeber Schumacher wohl mitmacht? t.heyen per Kommentar Wie die KollegInnen von V.i.S.d.P. ja hoffentlich noch wissen, gibt es im Bereich des deutschen (kommerziellen wie öffentlich- rechtlichen) Radios die Transparenz schon lange, als Zusammenschluss unter der Aktion Fair Radio, www.fair-radio.net. schangel per Kommentar Sagen Sie uns Ihre Meinung per Mail (post@visdp.de), Facebook-Kommentar, Tweet oder kommentieren sie direkt auf unserer Seite.
ende
Inhaltsverzeichnis zum anklicken und verteilen Titelgeschichte
Illustrator Christoph Niemann im Interview
Schumacher
über Schicksalswahlen deutscher Kanzler
Update
Liebling der Woche: Hans Rosenthal Das Tagebuch
Zitat der Woche: Udo Jürgens Zahl der Woche: KIKA Gewinner/Verlierer: Sookie/Knut Interview Wolfgang Mertin: „Wir hatten nicht den Auftrag zu recherchieren“
Leute
Ingolf Lück, Josef-Otto Freudenreich, Ulrich Kühne-Hellmessen, Gülcan Kamps, Robert Skuppin, Florian Barckhausen, Joachim Böskens
V.i.S.d.P. – Magazin für Medienmacher
Chefredakteur: Sebastian Esser Herausgeber: Dr. Hajo Schumacher Design: Markus Nowak, Supermarkt Studio Redaktion: Till Schröder, Wendelin Hübner, Susan Mücke, Frank Joung, Patrick Weisbrod Lektorat: Carla Mönig Adresse: Lietzenburger Straße 51, 10789 Berlin Telefon: 030 2196 27287 E-Mail: info@visdp.de Facebook: http://www.facebook.com/visdp Twitter: http://www.twitter.com/visdp