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11. Mai 2012


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Die Woche

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Foto: SWR/RTL/Kraehahn, Cover: Bundesbank

Liebling der Woche

Nur selten gibt es Momente der Authentizität im Fernsehen, in denen sich zeigt, wer auf dem Bildschirm Mann ist und wer Manuela. Als echten Profi mit untrüglichem Gespühr erkannte man Thomas Gottschalk, als er die Situation rettete, nachdem Reich-Ranicki seinen Fernsehpreis abgelehnt hatte. Oder Ni-

kolaus Brender in der Elefantenrunde 2005 („Ich nenne Sie jetzt nur noch ‚Herr Schröder‘.“). Günther Jauch reagierte in der nach ihm benannten Sendung ähnlich souverän und geistesgegenwärtig, als er seinen Security-Gorillas befahl, einen lauthälsigen Störer zivilisiert zu behandeln und ins Studio zurückzugeleiten.


Die Woche

4 Gewinner der Woche

vergangener Freitag

Cenk Batu

Regierungssprecher Steffen Seibert („@REGSPRECHER“) charmierte die Besucher der Republica dermaßen professionell, dass sein Auftritt der heimliche Höhepunkt der Berliner Netzkonferenz wurde.

weil Mehmet Kurtulus‘ Hamburger „Tatort“-Komissar zwar viel zu früh das Zeitliche segnete, aber unserer Einschätzung nach am Ende nicht ganz eindeutig tot in der Blulache lag. Falls Nachfolger Til Schweiger irgendwann keine Lust mehr aufs Ermitteln hat, könnte unser liebster Undercover-Cop doch einfach wieder anfangen. Beim letzten Fall stimmte jedenfalls auch die Quote.

vergangener Freitag

4.5.2012

4.5.2012

Verlierer der Woche

Horst Seehofer weil Anbiedern noch nie funktioniert hat. Eine CSU-Facebookparty mit einem planlosen OfflineMinisterpräsidenten ist genauso peinlich wie Oskar Lafontaine in der Disko, Guido Westerwelle im Wohnwagen, Joschka Fischer im Dreiteiler oder Norbert Röttgen in der Fußgängerzone.

Der amerikanische Late-Night-Moderator Stephen Colbert macht sich über PROSIEBEN lustig, weil der Sender Kermit, den Frosch, zur Schleichwerbung eingesetzt haben soll. Die ganze Woche über

Im Vorfeld der heute Abend stattfindenden Verleihung der Henri-Nannen-Preise entsteht eine Debatte darüber, ob BILD zurecht für seine Wulff-Recherchen nominiert ist und ob das Blatt die Auszeichnung erhalten sollte. Antje Vollmer und die Otto-Brenner-Stiftung, die FR und andere sind dagegen, HANDELSBLATTChefredakteur Gabor Steingart ist dafür. in ein paar Stunden wissen wir mehr.


Die Woche Zitat der Woche

„Seine Klientel gleicht eher der von André Rieu, den hören auch vor allem Damen über fünfzig in spätidealistischer

Foto: CSU, NDR, Republica, Promo

Stimmung.“ So dissen Philosophen! Peter Sloterdijk in der ZEIT über Richard David Precht, der ihm seine ZDF-Sendung „Das Philosophische Quartett“ abgenommen hat. Wir haben lange gegoogelt, was der Mann meint – für den geisteswissenschaftlichen Fachbegriff „Spätidealismus“ gibt es noch nicht mal einen Wikipedia-Eintrag. Wahrscheinlich bezeichnet er die Denkrichtung, die sich im späten 19. Jahrhundert noch einmal für Platon und Leibniz erwärmte. (Wer weiß es besser? Schreiben Sie uns.) Übersetzt ins Hochdeutsche hieße „Damen über fünfzig in spätidealistischer Stimmung“ dann wohl: „notgeile Omas“.

5 Dienstag

8.5.2012

Die Nominierten für den GrimmeOnline-Award: INFORMATION Die Mensch-Maschine, FR-App, klimaretter.info, MiGAZIN, Tagesschau-App, @reporterZDF WISSEN und BILDUNG Amazonien — die Seele der Indios Geheimsache Mauer, Lobbypedia, MusikTraining, Parteispenden-Watch, Spielverlagerung.de, Trompis Zeitreise, Zugmonitor, Zukunft Mobilität KULTUR und UNTERHALTUNG 140 Sekunden, 360 Grad Zürich, berlinfolgen, Design made in Germany, hörbuchFM, Kwerx – Die Kunstwerke, New York Minute, Vor mir die Welt SPEZIAL Memory Loops, RADIOORTUNG - Hörspiele für Selbstläufer Mittwoch

9.5.2012

„Die alltägliche Präsenz und der Nutzen des Internets in unserem Leben kann keinen Diebstahl rechtfertigen und ist keine Entschuldigung für Gier oder Geiz“, finden über 100 bekannte deutsche Autoren und Künstler in der ZEIT. „Wir sind die Urheber!“ heißt ihre Kampagne – dabei sind die Autoren offensichtlich die Ossis und Google ist die DDR sind, oder wie ist das gemeint?


Nach einem Bericht von MEEDIA.DE bekommt FOCUS einen neuen Chefredakteur: Jörg Quoos (1) ist nur noch bis Jahresende Stellvertreter von BILD-Chef Kai Diekmann. Eine offizielle Bestätigung fehlt bisher. Berlin wird für die Zeitschrift außerdem wichtiger: Die Redaktion in der Haupstadt soll offenbar ausgebaut werden – ob FOCUS ganz aus München weggeht? Umzüge sind eine elegante Art des Personalabbaus.

Leute

Béla Anda (2), Gerhard Schröders Regierungssprecher, kehrt zur BILD-Zeitung zurück und wird stellvertretender Chefredakteur, ebenso wie Petra Winter (3), die bis zum vergangenen Jahr die Zeitschrift COSMOPOLITAN leitete, und Sportchef Walter Straten. Michael Paustian verliert seinen Posten dadurch, Marion Horn (4) wird von der stellvertretenden Chefredakteurin zur Stellvertreterin des Chefredakteurs aufgewertet.

Fotos: Axel Springer (4), PRO7, WDR, Bauer

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Leute

Joko und Klaas (5), zwei Jungspunde, die angeblich fast „Wetten, dass ...?“ übertragen bekommen hätten, machen ab dem Sommer eine zweite Show für PRO 7 und jagen sich darin um die Welt.

7

Korrespondent in Paris. Dort ersetzt ihn Ellis Fröder. Fast keine Woche ohne Neuigkeiten von Ex-BRAVO-Chef Phillip Jessen (8): Er geht nun doch nicht zur BUNTEN, sondern wird „Executive Editor“ bei GRAZIA.

Tina Hassel (6) wird ab 1. Juli 2012 neue Leiterin des ARD-Studios in Washington. Ihren Job als Leiterin der Programm- Ein gewisser Philipp Rösler (9) wird gruppe „Europa und Ausland“ überMitglied des ZDF-Fernsehrats, ebenso nimmt Michael Strempel (7), Merkel-Beraterin Eva Christiansen.


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Schumacher

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7 zutaten für den bestseller Hans-Werner Sinn rechnet mit dem Klima ab, Sarrazins Anti-Euro-Aufsatz lauert auf der Palette und FAZ-Hirn Frank Schirrmacher hat auch schon lange nichts mehr geschrieben. Neben InvestmentBanking und Drogenhandel gehört das Verfassen eines Aufreger-Buches zu den sichersten Wegen zu Geld und Ruhm. Hajo Schumacher zählt sieben Zutaten auf, die jedes Machwerk zuverlässig in die Bestellerliste jagen. 1. Botschaft Apokalypse

2. Zielgruppe Seniorenteller

Mindestens muss ein Zeitalter zu Ende gehen, besser noch die Welt unter. Der Topseller 2005 hieß „Abstieg eines Superstars“ (Gabor Steingart, Wirtschaftsexperte) und wies zweifelsfrei nach, dass Deutschland ziemlich genau heute auf dem ökonomischen Stand des Kosovo angelangt ist. Eine steile These, die die drei deutschen Zentralwerte (Sicherheit, Sicherheit und Sicherheit) bedroht, ist Pflicht. Kernbotschaft sollte immer lauten: Ach Du Schreck, mein Geld ist weg, und schuld sind Politiker, Bosse, Tankstellen, die da oben jedenfalls.

Die Alten sind mehr, haben dank Frühpensionierung reichlich Zeit zum Lesen, vor allem haben sie was zu verlieren: Rente, Zusatzrente, Lebensversicherung, Betriebsrente, Aktien, Immobilien. „Das Methusalem-Komplott“ (Frank Schirrmacher, Alles-Experte) bedient die Verlustangst der Besserverdienenden perfekt, erzeugt aber zugleich das wohlige Gefühl, dass die derzeitige PensionistenG e n e r a t i o n n o c h h a l b w e g s d a vo n kommt. Das ist die Methode Silbereisen: erst Angst machen mit wilder Frisur und spackigen Anzügen, dann aber Omi doch ganz doll in den Arm nehmen.


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Schumacher

3. Schuld sind Randgruppen

In der übernächsten Woche ist es wieder soweit: Ein neues Buch des ehemaligen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin erscheint. „Europa braucht den Euro nicht“ steht auf dem schwarz-weiß-roten Buchdeckel – ein Farbkombination, die traditionell in der kommunistischen und faschistischen Propaganda verwendet wurde und deswegen ein wenig aus der Mode gekommen ist. Wir möchten an dieser Stelle zu Bedenken geben, dass man so ein Buch lesen kann. Man kann darüber Artikel schreiben und Sendungen damit füllen, in der Erwartung eines gigantischen medialen Tsunamis, einiger absichtsvoll missverständlich platzierter Sätze und vieler verkaufter Exemplare. Man muss es aber nicht tun.

Wer Bücher an die Mehrheit verkaufen will, muss eine Minderheit zum Sündenbock erklären, zum Beispiel MmMh (Menschen mit Migrationshintergrund). Darf man so direkt natürlich nicht sagen. Deswegen unbedingt einen langen, möglichst sperrigen Statistikteil einbauen, so wie Sarrazin in „Deutschland schafft sich ab“, aus dem hervorgehen könnte, dass der kleine Ali in der Schule nicht mitkommt und deswegen dem Sozialstaat auf der Tasche liegt. Vorteil: Man kann sich immer auf die Zahlen rausreden, die praktisch alles hergeben. Falls die Fakten gegen die These stehen, etwa zurückgehende Einwanderungszahlen, dann kann man immer noch sagen: Die sind so listig, die rotten sich gleich hinter der Grenze zusammen, nur um mit noch mehr Familienmitgliedern zurückzukommen.

4. Gestus Alles-Checker Der Autor braucht eine gefühlte Autorität, besser noch etwas Erleuchtetes, so wie Hans-Olaf Henkel (irgendwas mit IBM), Professor Sinn (irgendwas mit Zahlen), Sarrazin (geht abends mit dem Hu n d u n d e r l a u s c h t d a b e i Vo l k e s Stimme). Wichtig ist ein möglichst hohes Alter, denn Autoren ab 70 glauben die Deutschen jeden Unsinn, vor allem wenn etwas entlarvt wird wie Abzocke, Machenschaften, Lug und Trug. Elitenversagen geht immer, Enthüllen auch und der Schlachtruf: Früher war sowieso alles besser.


Schumacher

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5. Ich Opfer

„geschmacklos“, „unglaublich“ und „menschenverachtend“ bezeichnen. Claudia Roth, Oskar Lafontaine und idealerweise noch ein Rudel Tierschützer sind die zuverlässigsten Verkaufshilfen. Bestsellergarantie verspricht der Vorwurf von Nazi-Nähe. Lässt sich zur Not auch bei einem Kritiker-Kumpel bestellen. Gerade ältere Herren sind dankbar für jeden Tabubruch. So wurden Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ besonders gern von Senioren mit Trenchcoat, Schnauzbart und Cordhut erworben.

Natürlich haben wir es immer mit einer Verschwörung zu tun, entweder der Banker, der Politiker oder der Zugbegleiter (Sänk ju...). Nur unser Wissender blickt durch und hat vor allem den Mut, das Unfassbare (Untergang, Abschaffung, Ende) auch auszusprechen, vulgo: das Kind beim Namen zu nennen. Wie Sarrazin repräsentiert der Autor den Mann von der Straße, mit Trenchcoat, Schnauzbart, Cordhut. Weil er gegen die political correctness verstößt, soll er von geheimen Kräften, meist von links, mundtot gemacht werden. Der Leser erkauft sich mit dem Erwerb des Buches also einen Platz in Dieser Text stammt aus der aktuelder Cordhut-Guerilla, wo all die anderen len Ausgabe des ROLLING STONE. Opfer rumrumoren, die mit der Gesamtsitu- Jetzt am Kiosk. ation ebenfalls unzufrieden sind.

6. Perspektive Tunnelblick Fakten werden nur verwendet, falls die These gestützt wird. Relativierende, gar differenzierte Argumente haben in Bestsellern nichts zu suchen. Ein klares „Machen wir uns doch nichts vor“ hat noch immer einen klaren Gedanken ersetzt. Zur Not wird auch anekdotische Evidenz bemüht, zum Beispiel beim Euro, von dem wir wissen: Alles teurer geworden, Abzocke, allerorten, und das tägliche Paket aus dem Verkaufs-TV mit dem Elektroschrott von morgen ist auch ganz zerknittert.

7. Laute Gegner Extrem wichtig: laute, sehr betroffene Gegner, die das Werk vorzugsweise als


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V.i.S.d.P. – Magazin für Medienmacher Redaktion: Sebastian Esser Herausgeber: Dr. Hajo Schumacher Beratung: Markus Nowak Lektorat: Carla Mönig Adresse: Lietzenburger Straße 51, 10789 Berlin Telefon: 030 2196 27287 E-Mail: info@visdp.de

Ende


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