Die peinlichsten Höhepunkte der Netzwerk-Recherche-Affäire, Curb your Enthusiasm, Was macht eigentlich das SPIEGEL-Gespräch?
Warum die britische Presse die erfolgreichste der Welt ist – trotz allem
Dieser Mann hat gerade eine Zeitung nach 168 Jahren dichtgemacht und 200 Leute gefeuert
Kolumne
V.i.S.d.P.-Herausgeber Hajo Schumacher über das “Netzwerk Recherche”
Coverfoto: Getty
So nicht Das Drama des Netzwerks Recherche (NR) bestand seit Gründung darin, dass die Ziele der Akteure ziemlich egomanisch waren: Einige Naive glaubten wirklich an besseren Journalismus, andere sahen ihre Berufung darin, Bob Woodward nachzuspielen, die Jüngeren spekulierten vor allem auf karriererewirksame Kontakte, die Alten besorgten sich jenen wohlfeilen Zuspruch, den sie in ihren Redaktionen nicht bekamen. Und da man ja das unangreifbar Gute repräsentierte, konnte man mit Geld eher locker umgehen, auch beim Mainzer Mediendisput, dessen Sponsoring durch Großkonzerne und Landesregierung bis heute nicht offen gelegt wurde.
Dass ein Klugschnacker wie Günter Grass zum zehnten Bestehen des NR eine absehbar empörte Ansprache hielt, passt ins Bild: Weihrauch, Eitelkeit, Verwebungen, Intrigen, finanzielle Unklarheiten – all das, was NR-ler mit gespielter Empörung tagtäglich in Politik und Wirtschaft kritisieren, lebten die Selbstherrlichen vor. Die Chance in der Krise lautet: aufklären, aufarbeiten, besser machen. Vor allem aber den Blick mal etwas weiten. Es kann ja nicht das Ziel sein, dass sich Deutschlands Journalisten nach dem Vorbild der Lokführer in viele kleine Interessengruppen zerlegen, die vor
Schumacher!
allem Individualinteressen vertreten. Kaum ein Berufsstand ist wohl so lausig organisiert wie der unsere. Das öffentliche Ansehen von Journalisten - noch hinter Politikern - rührt auch daher, dass es weder allgemein akzeptierte Standards und Verhaltensregeln noch durchsetzbare Sanktionen gibt. Jeder wurstelt, ob IG Medien, DJV, NR, Presserat und wahnsinnig viele Scheinverbände zur Ausgabe von Presseausweisen. Aber da ist keiner, der als verbindliche Stimme dieses Berufes anerkannt ist. Die „Freischreiber“ des bemerkenswert uneitlen Kollegen Schächtele sind der erste Versuch, aus dem Verbandsverständnis des 19. Jahrhunderts auszubrechen und eine zeitgemäße Interessenvertretung zu organisieren. Es geht also, sofern die Bedürfnisse einigermaßen homogen sind und die Vertreter das „Wir“ dem „Ich“ unterordnen. Wie aber bekommt man Freie und Feste, Private und Öffentlich-rechtliche, Unternehmer und Angestellte unter einen Hut? Jedenfalls nicht durch EliteKlubs wie das NR, die sich vor allem durch Exklusion hervortun. Womöglich braucht der Journalismus eine
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ganze Reihe von freischreiber-ähnlichen Gruppen, die einerseits ihre Partialinteressen vertreten, sich andererseits aber auf einen Katalog von gemeinsamen Standards verpflichten, der einen ganzen höchst differenzierten Berufsstand eint. Wenn die etablierten Medien tatsächlich den Bergbau des 21. Jahrhunderts repräsentieren, ist der Druck umso größer, eine realitätstaugliche Ethik zu formulieren, die auch neue Berufsbilder einschließt, anstatt Kollegen auszugrenzen. Dem Netzwerk Recherche immerhin gebührt der Verdienst, einen Weg aufgezeigt zu haben, der nicht geht.
Update
Das Tagebuch
FREITAG: Gruner+Jahr übernimmt die Mehrheit beim bisher mit dem Klambt-Verlag gemeinsam herausgegebenen Frauenmagazin GRAZIA. MONTAG: Ein Stromausfall am Nachmittag bescherte dem ZDF-Publikum 40 sendefreie Minuten. Auch die Webseite des Senders fiel aus. War das schön! DIENSTAG: Ein ehemaliger Herstellungsleiter des KIKA muss wegen Bestechlichkeit und Untreue in 48 Fällen fünf Jahre ins Gefängnis. Die Richter bezeichneten die Kontrollen des öffentlich-rechtlichen Kindersenders als “Scherz”. DIENSTAG: 58 statt wie angekündigt 44 Stellen hat die einst stolze FRANKFURTER RUNDSCHAU nun abgebaut und ist damit endgültig zum hessischen Regionalteil der BERLINER ZEITUNG verkommen.
ARD-Programmdirektor Volker Herres lehnt sich im DWDL-Sommer-Fan-Interview weit aus dem Fenster. Was hätte Goethe denn geschaut: “Verstehen Sie Spaß?”? “Beckmann”? Oder “In aller Freundschaft”?
350.000 € verdienen manche Bosse von SPIEGEL TV. Das zeigen Dokumente, die als anonyme Mail im internen Verteiler der Firma landeten. Die Geschäftsführung erstattete Anzeige.
Fotos: SPIGEL TV
MITTWOCH: Erstmals seit 2006 haben im vergangenen Jahr wieder mehr Leser Printmedien genutzt. Die in der AWA-Studie ausgewiesene “Zahl der Gesamtkontakte” stieg um 0,7 Prozent. Frauen und junge Leute lesen wieder mehr Gedrucktes.
„Wenn Sie so wollen: Goethe war ein ‘Quotenfetischist’.“
Update
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Gewinner
Claudia Neumann weil die ZDF-Frau eine der
besten WM-Kommentatoren ist und es am besten hinbekommt, die Frauen-Sache nicht durch Klischees oder Entschuldigungen zu belasten. Übrigens ist sie ‘ne Frau. Uns ist das egal.
Verlierer
Liebling der Woche
Lieber Dr. Wladimir Klitschko, in Deutschland haben Boxer Gentlemen zu sein, nicht Rüpel. Insofern vielen Dank, dass Sie diesem ungezogenen Briten anständig
Fotos: RTL , ZDF
die Fresse poliert haben (eine andere Sprache verstehen diese Leute nicht). Nun müssen Sie nur noch vor einem Angst haben: Guttenplag.
Die SZ weil bei der Olympia-Ent-
scheidung für Pyeongchang und gegen München („mit seiner 853-jährigen Geschichte, dem Oktoberfest, dem Viktualienmarkt, den prachtvollen Schlössern im Umland“) angeblich „Kommerz über die Tradition gesiegt“ hat. Schlechte Verlierer.
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Netzwerk Blamage
Update
Was sollen wir sagen? Der unrühmliche Abgang von Thomas Leif beim Netzwerk Recherche (NR) ist für den gesamten Vorstand äußerst peinlich. Wie kommt es, dass sich Deutschlands kritischste Journalisten zehn Jahre lang so unterordnen? Warum benimmt sich ein Haufen respektierter Rechercheure wie ein Parteitag der Jungen Union? Und warum bleiben die im Amt, die offensichtlich nicht ihren Job gemacht haben? Die Hauptfiguren in eigenen Worten.
Ich und meine Vorgänger haben keinen Einblick in die Finanzen gehabt
Ich war immer eine Art Ziehtochter von Thomas Leif” Tina Groll laut SPIEGELKRITIK
Er hat alles alleine gemacht, Das ist eine er war so überkleine, banale mächtig, wir Geschichte, eine haben ihm blind Mücke. vertraut. Schatzmeisterin Tina Groll laut HAMBURGER ABENDBLATT
Thomas Leif laut MAIN-SPITZE
Tina Groll laut NOZ
Update
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Also, ein Putsch war es ganz sicher nicht. Foto: SWR
Hans Leyendecker laut MEEDIA
Zehn Jahre sind genug Thomas Leif laut KÖLNER STADTANZEIGER
Jetzt ist eine neue Generation dran Thomas Leif laut KÖLNER STADTANZEIGER
Foto: SWR
Ein Putsch, was sonst! Thomas Leif laut SÜDDEUTSCHE
Die Lehre ist: Eine KäßmannLösung kann man nur mit Persönlichkeiten wie Frau Käßmann schaffen. Hans Leyendecker laut MEEDIA
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Update
Pretty, pretty, pretty good Am Sonntag läuft im amerikanischen Fernsehen die erste Folge der achten Staffel der HBO-Serie „Curb your enthusiasm“ von und mit Larry David als soziophober er selbst. Die Serie ist unserer Meinung nach das beste Fernsehen unserer Zeit – aber in Deutschland wird sie gar nicht gezeigt. Was tun? Natürlich könnten wir uns damit begnügen, die sieben alten Staffeln noch einmal anzuschauen, im Internet die Berichte über Staffel 8 nachzulesen und monatelang auf die DVDAusgabe zu warten.
Oder wir könnten etwas sehr Illegales tun und die neuen Folge Minuten nach der Ausstrahlung bei einschlägigen Tauschbörsen herunterladen. Die dritte Möglichkeit ist das, was wir tun werden, auch wenn sie ebenfalls nicht wirklich legal ist: Man suche sich eine beliebige Post-Adresse in Amerika und lege einen amerikanischen iTunes-Account an. Da deutsche Kreditkarten dabei nicht einsetzbar sind, suche man auf Ebay nach einschlägigen Angeboten, die amerikanische iTunes-Geschenkcodes gegen einen unverschämten Wechselkurs per Mail nach Deutschland versenden. So ausgerüstet ist es möglich, den amerikanischen Account aufzuladen und am der Ausstrahlung folgenden Tag die aktuelle Folge herunterzuladen. Das Verfahren ist vergleichbar aufwändig, wie Leute aus der DDR zu schmuggeln und ähnlich nervenaufreibend. Bitte, liebe Entertainment-Industrie, lass Dir was einfallen, um internationale Rechte zu organisieren.
Update
Kurze Frage
Was macht eigentlich das SPIEGELGespräch so? Jörg Kachelmann im Interview mit der ZEIT Monica Lierhaus im Interview mit der ZEIT Horst Köhler im Interview mit der ZEIT
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Kollegen im Knast Gefängnis statt Stadion
Wenige Tage vor Beginn der Frauenfußball-WM wartete die ehemalige deutsche Nationalspielern Petra Landers am Düsseldorfer Flughafen vergeblich auf ihren Gast: Die iranische Fotojournalistin Maryam Majd entsteigt nicht der Maschine aus Teheran. Später stellt sich heraus, dass die 25-jährige Sportfotografin ihre Reise nach Deutschland nie angetreten hat. Am Vorabend des Abflugs wurde sie von iranischen Sicherheitskräften verhaftet. Man vermutet, dass sie derzeit im Teheraner Evin-Gefängnis festgehalten wird. Sie wollte über die Frauenfußball-WM berichten, die Mannschaften fotografieren und gemeinsam mit Petra Landers einen Bildband erstellen. Die genauen Gründe der Festnahme liegen weiterhin im Dunkeln. Maryam Majd gehört zu den wenigen Sportjournalistinnen im Iran. Sie setzte sich zudem aktiv für Frauenrechte ein.
Christian Wulff im Interview mit der ZEIT
Fotos: ROG
Kurt Biedenkopf im Interview mit der ZEIT
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Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert die sofortige Freilassung von Maryam Majd. Neben der Sportjournalistin sind derzeit mindestens 24 weitere Journalisten in iranischen Gefängnissen inhaftiert.
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AD formiert sich neu: Simone Herrmann (2) wird stellvertretende Chefredakteurin und Ludwig Wendt (3) neuer Art Director. Herrmann übernimmt auch das Ressort Style. Wendt arbei-
tete bereits für AD und SZMAGAZIN.
gemeinsam mit Chefredakteur Michael Erbach.
Sven Afhüppe (4) wird neuer stellvertretender Chefredakteur beim HANDELSBLATT. Zuletzt war er Berlin-Korrespondent.
Edmund Stoiber (5) sitzt einem neuen medienpolitischen Beirat des TV-Konzerns PROSIEBENSAT.1 vor.
Peter Tiede (7) rückt zum neuen Chefredakteur der POTSDAMER NEUSTEN NACHRICHTEN auf. Er führt die Zeitung nun
Nach über 2000 Folgen als SAT.1-TV-Richterin fällt Barabara Salesch (6) nächstes Jahr ihr letztes Urteil. Sie will nun Malerei studieren.
Fotos: Condé Nast, Weltreporter, VHB, privat
Afrikaspezialist Marc Engelhardt (1) übernimmt den Vorstandsvorsitz des Netzwerks WELTREPORTER von derzeit 41 freien Auslandskorrespondenten.
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Interview-Doppel „Executive Editors“ bei Bernd Runges deutsch-russischer Ausgabe von INTERVIEW werden Jörg Harlan Rohleder (großes Bild, MUSIKEXPRESS) und Adriano Sack (WAMS, ILIKEMYSTYLE). Chefredakteurin ist Aliona Doletskaya, die auch die russiFoto: ZDF
sche INTERVIEW-Ausgabe vorbereitet. Start 2012.
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Nach einer Woche unglaublicher Enthüllungen über illegales Abhören hat Rupert Murdoch sein 2,8-Millionen-Blatt NEWS OF THE WORLD gestern Abend eingestellt.
The end of the News of the World Was bedeutet der Schachzug?
News of the World
Die Nachrichten gestern Abend waren in ihrer Härte unerwaret: Rupert Murdoch stellt nach einer Woche immer neuer Entüllungen seine Sonntagszeitung NEWS OF THE WORLD nach 168 Jahren ein. Sein Sohn James, Chef des Mutterhauses News International, unterrichtete die schockierte Belegschaft der Zeitung gestern Nachmittag über die Entscheidung, dass die übermorgen erscheinende Ausgabe auch die letzte sein wird. Wenig später präsentierte der GUARDIAN die nächste Überraschung: Andy Coulson soll im Laufe des heutigen Freitags von der Londoner Poizei verhaftet werden. Er steht im Verdacht, als Chefredakteur von NEWS OF THE WORLD vom illegalen Abhören von Telefonen gewusst zu haben. Coulson war erst im Frühjahr als Medienberater des britischen Premierministers David Cameron zurückgetreten, als wegen immer neuer Skandale der Druck der Öffentlichkeit zu hoch wurde. Der dramatische Schritt, die Zeitung mit einer Auflage von 2,66 Millinen Exemplaren einzustellen, war der Höhepunkt einer Woche der Enthüllungen, die immer unappetitlicher wurden. Demnach verschaffte sich die Zeitung mit Hilfe eines Privatdetektivs Zugang zu der Mailbox eines Mädchens, das vermisst und fieberhaft gesucht wurde, zu diesem Zeitpunkt aber längst tot war. Offenbar waren auch die Familien 2005 in Afghanistan getöteter Soldaten und der Opfer der Terroranschläge auf die Londoner U-Bahn betroffen. Im Parlament überboten sich die Politiker mit Abscheu-Bekundungen, Anzeigenkunden wollten nichts mehr mit dem Blatt zu tun haben. Eine ganze Insel war in Aufruhr, die Empörung über die “Hacks” – so der Schmähname für Journalisten, die dort noch weniger respektiert sind als bei uns – entlud sich allenthalben.
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Der Skandal weitete sich aus zu einer Krise des oft beschriebenen Systems Murdoch. Der australisch-amerikanische Medien-Magnat nutzt seine publizistische Macht traditionell, um Politik zu machen. Die bevorstehende Verhaftung Coulsons, bis vor Kurzem eine wichtige Verbindung Murdochs mit den regierenden Tories, denen er mit einer Abkehr seiner Blätter von Labour zur Macht verholfen hatte, illustriert das Dilemma. Der Skandal droht Murdochs Einfluss und seine Geschäfte zu gefährden. Um wie geplant den Sender BSKYB vollständig übernehmen zu können, ist er auf das Wohlwollen der Politik angewiesen. Auch seine dominante Stellung im Nachrichten-Markt beginnt der Alte wegen der neuen Medien nach und nach einzubüßen – die Macht seines aggressiven Print-Bulldozers SUN überträgt sich nicht auf ähnliche Weise ins Internet, sie ist nur noch die fünfgrößte Nachrichtenseite in Großbritannien. In all seiner Brutalität ist die Einstellung von NEWS OF THE WORLD ein typischer Murdoch-Schachzug: Vordergründig radikal und teuer, in Wirklichkeit vielleicht nicht so sehr. Die Wochenzeitung war bisher die Sonntagsausgabe des Revolverblatts SUN. Was hintert Murdoch, als siebte Ausgabe bald eine SUNDAY SUN auf den Markt zu bringen? Pläne, alle Zeitungen der Gruppe künftig an sieben Tagen der Woche erscheinen zu lassen gibt es bei News International schon länger. Die Initiative „Hacked off“, die Unterschriften für eine öffentliche Untersuchung des Abhör-Skandals sammelt, forderte in einer ersten Stellungnahme, die Einstellung von NEWS OF THE WORD dürfe nicht zu einem Ende der Aufklärung führen. Solange die Enthüllungen und Verhaftungen weitergehen, ist diese Sorge wohl unbegründet.
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Der TabloidTerrorist Während Murdoch in tiefen Schwierigkeiten steckt, ist die Konkurrenz von MAIL ONLINE drauf und dran, die größte Nachrichtenseite der Welt zu werden und die NEW YORK TIMES hinter sich zu lassen. An ihrer Spitze steht ein Mann, der Furcht und Schrecken verbreitet. Ist Rumbrüllen das Erfolgsgeheimnis britischer Blattmacher?
Privat ist Martin Clarke angeblich ein charmanter Mensch mit historischer Bildung und einer Vorliebe für Gedichte. Aber beim Zeitungsmachen ist er ein Wahnsinniger, der einmal so laut brüllte, dass seine Nase zu bluten anfing. Es gibt Berichte, dass der Chef der Seite MAIL ONLINE im Zorn regelmäßig seinen Telefonhörer gegen die Wand drischt. Die Montagmorgen-Konferenz bei einer seiner Zeitungen begann er so: “You‘re all a fucking disgrace and one of you is going to be fucking sacked this week” – eine so furchteinflößende wie unverschämte Begrüßung, die man lieber nicht übersetzt (es geht um Schande und Entlassungen – allerdings wurde dann meist tatsächlich jemand entlassen). Das Terrorisieren seiner Mitarbeiter hat bei Clarke Methode. Im INDEPENDENT zitiert ihn ein anonymer Ex-Kollege mit dem Satz: “Man muss die Bastarde anschreien, sonst respektieren sie dich nicht.” Der schwergewichtige, äußerst selbstbewusste Engländer, ein tabloid terrorist wie man ihn sich bei einer britischen Boulevardzeitung eben vorstellt, kann sich solche Aus-
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fälle leisten. Seine Seite ist drauf und dran, das am meisten besuchte Nachrichtenportal der Welt zu werden. Noch 2007 war der Online-Auftritt des Mutter-Revolverblattes DAILY MAIL nicht der Rede wert. Dann kam Clarke. Im März überholte er die amerikanische HUFFINGTON POST und schon in diesem Sommer dürften die Briten auch die NEW YORK TIMES hinter sich lassen – die größte journalistische Marke überhaupt. Gerade explodieren die Zahlen von MAIL ONLINE von etwa 30 Millionen Besuchern vor einem Jahr auf fast 80 Millionen im Mai. Vier der zehn größten Nachrichtenseiten der Welt kommen aus Großbritannien. Nirgendwo verstehen die Nachrichtenmacher besser, was ihre Leser interessiert – aber Journalismus ist auch nirgendwo anders ein so schmutziges Geschäft. Nach dem Geheimnis des erstaunlichen Erfolgs der MAIL ONLINE suchen Viele vergeblich. Der große Vorteil ist natürlich die englische Sprache. Nur 35 Prozent der Besucher kommen aus Großbritannien, die meisten aus den Vereinigten Staaten. Freie Autoren aus allen 50 Bundesstaaten steuern Artikel bei.
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Trotzdem ist auf den ersten Blick nicht ganz offensichtlich, warum gerade diese Seite so beliebt ist. Technisch ist sie denkbar anspruchslos und ist nicht leicht von einem gewöhnlichen Wordpress-Blog zu unterscheiden. Das Layout ist überraschend klar und übersichtlich gehalten. Bewegung, Blinken und andere Effekte kommen kaum vor. Die Startseite ist ellenlang gefüllt mit Geschichten. Am rechten Rand fließt eine schier unendliche Zahl von Paparrazi-Bildern entlang. Die Seite lebt von einer Mischung aus Klatsch, Sensation, Promi-Bildern und immer wieder dazwischengestreuten Nachrichten, die man mit etwas Fantasie als Information bezeichnen könnte – wenn auch stets ein rechtspopulistischer Drall dazugehört. Einwanderer zum Beispiel verunglimpft das Blatt regelmäßig. Aber nur 25 Prozent der Zugriffe werden mit Promi-Geschichten generiert, behaupten die Mail-Macher, und politisch ist die Konkurrenz meist radikaler. Skandal, Chauvinismus und Boulevard allein erklären das Phänomen nicht. Wem es gelingt, die Seite nicht moralisch zu bewerten, sondern nur die handwerkliche Qualität, wird zugeben, dass MAIL ONLINE
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schlicht eine große Menge überzeugender Boulevard-Geschichten zu bieten hat – genau die Sorte Meldungen, die sich über Soziale Netzwerke weiterverbreiten. Zeitweise kommen 25 Prozent der Besucher der Seite von Facebook. Die langen Überschriften sind kleine Kunstwerke, weniger Zeilen als pointierte Inhaltsangaben. “‘Setz Dich, wir müssen reden’: Rentner baut elektrischen Stuhl in Garage, um seine Frau zu ermorden, nachdem sie Scheidung einreichte”, lautet eine. “Heiratsschwindlerin, die Kriegshelden per romantischer Annonce ins Visier nahm und ihm 50.000 Pfund Schulden hinterließ, kommt ins Gefängnis”, eine andere. “Lebensmüder Diplomat auf dem Dach von Londoner Botschaft ändert Meinung über Selbstmord – aber rutscht aus und stürzt zu Tode” eine weitere, alle von gestern Nachmittag. Das Gespür für Geschichten, Zeilen und die richtige Mischung scheint die wenig spektakuläre geheime Zutat zu sein. “Die machen es einfach richtig”, sagt der Medienanalyst Douglas McCabe dem GUARDIAN. “Darauf läuft es hinaus.” Das Blattmachen beherrschen die Briten
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offenbar besser als andere. Der gnadenlose Tabloid-Krieg um das Geld der Leser, der auf der Insel seit Jahrzehnten jeden Morgen von neuem am Kiosk ausgetragen wird, hat die britischen Nachrichtenmacher bestens auf den Wettbewerb um Klicks und Aufmerksamkeit im Internet vorbereitet. Welche Auswüchse ein solch harter Kampf mit sich bringt, zeigt jedoch Rupert Murdochs Abhörskandal. Martin Clarke bewertet seinen Erfolg gewohnt unbescheiden, “Diese Entwicklung unterstreicht wieder einmal: Während andere Verlage über eine digitale Vision von der Zukunft reden, haben wir sie bereits umgesetzt”, sagte er dem GUARDIAN. In einer Ansprache an seine Mitarbeiter soll er für ihn noch typischere Worte gewählt haben: “Das zeigt erstens, dass ich ein fucking genius bin, und zweitens, dass ihr das alle wirklich gut macht.” Ein ganz so schlimmer tabloid terrorist kann er wohl doch nicht sein.
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Die erste Ausgabe von News of the World, 10. Oktober 1843
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Hubert Burdas Digital Lifestyle Day (DLD), eine allseits geschätzte Online-Konferenz, ge-eignet sogar für schicke Leute, gibt’s seit dem vergangenen Jahr auch für Frauen. Den Vorsitz führt dabei Burdas Frau und “Tatort”Kommissarin Maria Furtwängler. Bussi!
München Fotos: Brauer Photos Hubert Burda Media, Getty
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Vanessa Branson, Andrea Kolb, Dr. Maria Furtw채ngler-Burda, Marie Jo Lafontaine, Ursula Carven
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Ursula von der Leyen
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Judy Weiss singt. Sieht nur aus wie Anne Will.
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Hubert Burda, Maria Furtw채ngler-Burda und ihr Sohn Jacob
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BUNTE-Chefin Patricia Riekel, Charlotte Knobloch und DLD-Organisatorin Stefanie Czerny
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Candance Johnson (Europe Online)
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Shahrizat Abdul Jalil, malaysische Frauenministerin
INBOX Dirks Moment
Traurig aber wahr, was der Kollege Voigt da anspricht. Allerdings ist die Berichterstattung der deutschen TVMedien einfach nur zum Fremdschämen. Clubnamen werden falsch ausgesprochen, Spielernamen werden vertauscht und gerade aktuell unterbricht das ZDF seinen Bericht von der Mavs-Siegesfeier um von einer uralten Blondine zu berichten, die auf Malle einen auf DJ macht (upps das war ja der Gottschalk). Quo vadis? deutsche TV-Landschaft. Venio Mogontiacum iterum crucifigi!!! „moin75“ per Kommentar Liebe Leser, was heißt das? Hinweise bitte per Mail. d.Red.
Tugendwarte Ach herrje, da haben Sie jetzt aber alles zusammengepackt: Assange, Anonymous, Vroniplag, US-Behörden ... wenn man den universalen Überblick hat, dann fügt sich das vielleicht alles wunderbar zusammen – wenn man allerdings so wie ich, mit solch journalistischer Allmacht nicht gesegnet ist, dann müsste man differenzieren, geht es doch um sehr unterschiedliche Themen, Motivationen, Vorgehensweisen und Ergebnisse. Sie demonstrieren ganz deutlich, wie es der älteren Generation schon seit Menschengedenk ergeht, wenn sie mit
Neuem konfrontiert wird – erst sich nicht in die Details einarbeiten wollen oder können, dann gezwungenermaßen generalisieren, und letztendlich eine undefinierte und daher an die Paranoia grenzende Angst schüren. „Hindemith2“ per Kommentar Die im Leitartikel formulierte Frage zu Legitimation in der Netzwelt finde ich sehr gut. Könnte man auch bei Bürgerinitiativen stellen, mal nebenbei. Doch sind die Plagiatsjäger dafür das richtige Beispiel? Eher nicht. Denn wer ehrlich ist, braucht keine Angst vor dieser Form der „Kontrolle“ zu haben. Es ist ja keine echte Sanktionierung, sondern nur das Offenlegen von (kriminellem) Fehlverhalten. Übrigens nicht nur der Plagiator/innen! Ich sage, ein 100-prozentig journalistischer und wichtiger Job, der in eine real vorhandene Angebotslücke stößt – oder? Jörn Eichhorn per Facebook
100 Kilometer Wigald Boning Meine Einschätzung zum Magazin: 100 Prozent uninteressantes Interview mit Wigald Boning (leider noch immer FDPMitglied). Tamas Szalai per Facebook Sagen Sie uns Ihre Meinung per Mail (post@visdp.de), Facebook-Kommentar, Tweet oder kommentieren sie direkt auf unserer Seite.
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ende V.i.S.d.P., das Magazin für Medienmacher, erscheint jeden Freitagmorgen kostenlos auf www.visdp.de Damit Sie uns nicht vergessen, informiert Sie die Redaktion per Mail, Favebook und Twitter über unsere Themen der Woche. Hinterlassen Sie uns darum ihre Adresse oder folgen Sie uns. Wir geben Ihre Daten nicht weiter. Bitte schrieben Sie uns, wenn Sie Kritik üben möchten – oder empfehlen Sie uns weiter. Mail-Abo: http://eepurl.com/iBBz Facebook: http://www.facebook.com/visdp Twitter: http://www.twitter.com/visdp
V.i.S.d.P. – Magazin für Medienmacher
Chefredakteur: Sebastian Esser Herausgeber: Dr. Hajo Schumacher Design: Markus Nowak, Supermarkt Studio Redaktion: Till Schröder, Wendelin Hübner, Susan Mücke, Frank Joung, Patrick Weisbrod Lektorat: Carla Mönig Anzeigen: anzeigen@visdp.de Mediadaten: http://www.visdp.de/magazin/mediadaten/ Adresse: Lietzenburger Straße 51, 10789 Berlin Telefon: 030 2196 27287 E-Mail: info@visdp.de