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Best of Magazin für Medienmacher
Was kann man machen? Nix. Harald Schmidt über das Zeitunglesen. eine Laudatio zum deutschen Reporterpreis
! R E H C A M U H C S Der Mann gilt als unnahbar und egozentrisch. Ein einsamer Wolf, talentiert in großen Deals, hungrig, Freiheit auszuprobieren und unbequem, weil er die Opposition unterstützte. Als Michail Chodorkowskij, einst reichster Mann Russlands, vor sieben Jahren in Novosibirsk von einem Spezialkommando des Geheimdienstes aus seinem Privatjet gezogen, im Käfig vor Gericht gestellt und zu acht Jahren Haft verurteilt wurde, mutmaßte der freie Westen, dass der reiche Russe weniger wegen seiner Ölgeschäfte, sondern wegen Gefährdung der Mächtigen weggesperrt wurde. Ein Justizskandal, hieß es im Westen, einer Demokratie nicht würdig. Nun sitzt der egozentrische Julian Assange im Gefängnis, auch er hungrig, die Grenzen der Freiheit zu testen. Chodorkowskijs Konzern Jukos ist pleite. Wikileaks dagegen wächst auch, oder erst ohne Assange zur anarchischen Kraft. Die Netz-Attacken seiner Anhängerschar lassen sich nicht wegschließen.
JIM RAKETE STAND DER DINGE 10.2. - 11.3.2011
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Eine Todsünde in einer Laudatio ist es, von sich selber zu sprechen. Aber ich kann nicht anders. Laudationes bei mir sind immer so, dass ich von mir selber rede und am Ende sage: Der Preisträger ist ein Genie. Das wird allgemein goutiert. Ich stehe heute hier als enthusiastischer, leidenschaftlicher, emotionaler, sehr oft hasserfüllter Zeitungsleser. Ich muss kurz von mir
sprechen, denn ich halte die Laudatio auf einen Artikel, den ich überhaupt nicht gelesen habe. Das ist nicht ganz richtig, aber es ist ein relativ einfacher Einstieg. Es war so, dass ich den Kollegen in der Jury gesagt habe: Ich bin kein Fachmann, ich bin kein Reporter, ich lese Zeitung, und ich lese auch die Texte, die zur Auswahl standen so, wie ich Zeitung lese. Das heißt: Es gibt unglaublich Vieles, was ich nicht lese. Das sind Artikel, die sich
mit dem Thema Islam beschäftigen, mit Migration, mit Gewalt gegen Kinder. Zum einen, weil in diesen Bereichen mein Informationsbedarf gedeckt ist. Zum anderen, weil ich einen immer größeren Bereich von Elend nicht mehr an mich ranlassen möchte. Das hat für Irritation gesorgt, aber so ist es. Ich lese entweder, weil mich das Thema interessiert oder weil ich einen Journalisten toll finde oder weil ich ihn hasse. Das ist wie
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Der Deutsche Reporterpreis, den das Reporter-Forum am Montag in Berlin erst zum zweiten Mal verlieh, ist bereits eine der begehrtesten journalistischen Auszeichnungen. Insgesamt 1146 Artikel begutachtete die Jury, die aus namhaften Journalisten und aus Leuten wie Doris Dörrie, Antje Kunstmann und Monika Maron bestand. V.i.S.d.P. dokumentiert mit freundlicher Genehmigung der Veranstalter die Laudatio von Harald Schmidt auf Roland Kirbach, dessen ZEITText „Der Kinderknast von Lesbos“ in der Kategorie „Beste politische Reportage“ ausgezeichnet wurde.
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» Ich lese entweder, weil mich das Thema interessiert oder weil ich einen Journalisten toll finde oder weil ich ihn hasse. «
beim Fernsehen. Hass-Fernsehen ist ein ganz entscheidendes Kriterium. Man schätzt, dass 60 Prozent der Zuschauer eine Sendung anschauen, weil sie den Moderator hassen. Dann hat man mir gesagt: Gut, dann machen Sie die Laudatio für diesen Text. Und natürlich habe ich den Text heute Nachmittag gelesen. Und natürlich ist es ein großartiger Text. Als ich ihn gelesen hatte, wusste ich auch, warum ich ihn zunächst nicht gelesen hatte. Weil es einfach ein fürchterlicher Inhalt ist. Bei so einem Inhalt will man eigentlich zwei Tage nicht mehr aufstehen. Es geht um die Folgen des sogenannten Dublin-II-Abkommens, bei dem eigentlich festgelegt wurde: Griechenland, Italien, Spanien sollen dem Rest von Europa die Flüchtlinge und Einwanderer vom Hals halten. Der Innenminister damals war Otto Schily. Eine der Folgen wird in dieser Reportage beschrieben: Es geht vorwiegend um Kinder aus Afghanistan, auch aus Afrika, die die Zehn-Kilometer-Strecke zwischen der Türkei und Lesbos in
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Schlauchbooten oder in Ruderbooten überwinden. Viele ertrinken oder zerschellen an Felsen, werden von der griechischen Küstenwache aufgegriffen, werden wieder zurückgeschleppt in türkische Hoheitsgewässer. Die Kinder werden ins Wasser geschmissen, es wird noch vorher ein Loch ins Schlauchboot gemacht. Das alles ist in meiner Wahrnehmung grauenhaft. Wenn Sie so einen Text lesen, hat man drei Möglichkeiten: Entweder man hängt sich auf oder man nimmt das Sparbuch und fährt nach Griechenland und versucht, die schlimmste Not zu lindern; oder man erinnert sich an den guten alten Heiner Müller mit seiner Erkenntnis: Die Welt ist nicht schlecht, sondern voll. Und so lag ich dann heute Nachmittag im Hotelzimmer und sagte mir: Es ist fürchterlich, was da passiert. Aber was kann man machen? Nix. Geh mal ‘nen Kaffee trinken. Bereite mich ein bisschen auf heute Abend vor. Ich finde, das ist eine legitime Haltung eines Zeitungslesers. Denn natürlich sind die Zeitungen voll mit
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AUFMACHER Artikeln dieses Härtegrades. Wie der Einzelne damit umgeht, wird jeder für sich entscheiden. Ich habe Ihnen nur meine Haltung beschrieben. Was nichts daran ändert, dass ich begeistert Zeitung lese. Nur, wie gesagt, die härtesten Sachen versuche ich mir mittlerweile vom Leib zu halten. Es ist ein großartig unprätentiös geschriebener Artikel. Sehr einfühlsam, ohne jemals das Sentimentale auch nur zu streifen. Soweit ich das beurteilen kann, sehr ausführlich recherchiert. Das wirklich Tolle an dem Artikel finde ich, dass er einen ohne jeden Optimismus entlässt. Es gibt keine versöhnliche Note zum Schluss. Oder einen „Mustafa“, der doch noch dann „Bauer sucht Frau“ auf deutsch versteht. Sondern Griechenland ist pleite und hat mittlerweile andere Probleme, als sich noch um humanitäre Verbesserungen für Flüchtlinge zu kümmern. Das ist der Schluss des Artikels, und ich vermute: So ist es. Und das ist eben die Situation, in der wir sie im Artikel zur Kenntnis nehmen. «
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Felix Seuffert und Daniel Nauck (beste Web-Reportage), Andreas Weber (bester Essay), Anna Jockisch (beste Web-Reportage), Beate Lakotta (bestes Interview), Roland Kirbach (beste politische Reportage), Tobias Kniebe (beste Kulturreportage – nicht im Bild: Co-Autor Alexander Gorkow), Volker ter Haseborg (beste Lokalreportage) und Carolin Emcke (beste Reportage). Nicht im Bild: Mario Kaiser (bester freier Reporter)
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JOBWECHSEL
Melanie Ahlemeier , Wirtschaftsressortleiterin von SÜDDEUTSCHE.DE, übernimmt im März an der Seite von Michael Beumer den gleichen Job bei der Nachrichtenagentur DAPD. Fernsehjournalist und Wirtschaftsredakteur Uli Röhm hat das Rentenalter erreicht und verlässt im Dezember 2010 nach 27 Jahren das ZDF-Wirtschaftsmagazin WISO als letzter der Gründungsredakteure.
Robert Schneider, Vize bei der BAMS, wird nach Informationen von KRESS Nachfolger von Jochen Wolff als Chef der SUPER ILLU.
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Ulli Potofski is back: Er moderiert bei SKY (so heißt PREMIERE inzwischen) „Mein Stadion“, eine donnerstägliche Sendung aus einer Bar.
Give me a smile Falls Sie sich ab und an fragen, liebe Leser, wie wir bei V.i.S.d.P. im Büro gekleidet sind, dann schauen Sie sich aufmerksam das obige Foto an. Kommt so ungefähr hin. Es zeigt Heidi Klums neue GNTM-Juroren, Creative Director Thomas Hayo und Designer Thomas Rath. Die neue Staffel soll im Frühjahr beginnen.
DIE MEDIENWOCHE Magazin für Medienmacher
Samstag: Ein „Wetten dass ...?“-Kandidat verunglückt schwer. Er bleibt möglicherweise gelähmt. Die Sendung wird abgebrochen. Montag: Bauer verlässt den VDZ-Fachverband Publikumszeitschriften – der „Grosso-Streit“ dreht sich darum, wie prominent Magazine am Kiosk ausliegen. DIENSTAG: Wikileaks-Chef Julian Assange wird wegen eines schwedischen Haftbefehls in London festgenommen. Amazon, Paypal, Kreditkarten und Banken kündigen Wikileaks – und geraten unter Hacker-Beschuss. Mittwoch: Jörg Kachelmanns neuer Anwalt Johann Schwenn beantragt, die Redaktionen von BUNTE und FOCUS zu durchsuchen und Interview-Tonbänder von Zeuginnen zu beschlagnahmen.
» Die Wortspiele von Herrn Herres deuten nicht gerade auf einen gelassenen Gemütszustand innerhalb der ARD hin. «
Peter Frey, weil der ZDF-Chefredakteur sich traut, „ZDF-Reporter“ einzustellen. Die Sendung hatte sich lang auf Schnüffelreportagen à la RTL2 spezialisiert.
Gewinner
RTL-Chefin Anke Schäferkordt antwortet dem ARD-Programmdirektor, der das ultra-erfolgreiche RTL irgendwo „zwischen banal und anal“ findet.
10.000 Mal waren die „Tagesthemen“ schon zu sehen. Dienstag war Jubiläum.
Verlierer
Das Medientagebuch
LIEBLING der wochE Lieber Franz Josef Wagner, Ihr Buch „Brief an Deutschland“ wird überall abgefeiert. Kult seien Sie, lesen wir, ein Original, ein toller Schreiber, ein Vorbild. Die jungen Kollegen studierten ihren unnachahmlichen Stil. Hemingway hätte Sie beneidet. Tja, wird schon stimmen, schreiben ja alle.
Der KIKA, weil es einem nun festgenommenen Mitarbeiter des Kinderkanals offenbar ein Leichtes war, 72 Rechnungen über vier Millionen Euro zu fälschen.
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kollegen im Knast Die einen fanden sie nicht freizügig genug, die anderen wollten sie schleunigst beseitigen: Die erste indonesische Ausgabe des PLAYBOY-Magazins im Jahr 2006 enthielt keine einzige Aktaufnahme. Gleichzeitig löste sie eine Protestwelle im konservativen Lager des Landes aus. Für das Heft bedeutete dies das baldige Ende – für Erwin Arnada eine zweijährige Haft. Der ehemalige Chefredakteur des indonesischen PLAYBOY wurde unter dem Druck einer islamistischen Organisation angeklagt. Sie warf dem Magazin und Arnada vor, die nationalen Moralwerte zu verletzen. Daraufhin verurteilte das Oberste Gericht Indonesiens im August 2010 Arnada wegen „Sittlichkeitsvergehen“ zu zwei Jahren Haft. Einen Monat später wurde Arnada auf Bali verhaftet und in ein Gefängnis von Jakarta gebracht.
Erwin Arnada Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert die Freilassung Arnadas: Polizei und Gerichte haben in diesem Fall unter dem Druck einer religiösen Gruppe gehandelt, die ihre Moralvorstellungen mit dem indonesischen Strafgesetz durchsetzen will. Zudem wurde das Strafgesetz zu Unrecht angewendet. Und selbst nach dem für diese Fälle einschlägigen indonesischen Pressegesetz wäre Arnada nichts vorzuwerfen, da er eine Lizenz zur Veröffentlichung für das Magazin besaß.
„Spredder bietet Qualität zum annehmbaren Preis. Es lohnt sich, dort zu stöbern. So soll Journalismus sein.“ Martin Busche, Redakteur FORUM-Magazin Saarbrücken
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2010 Die top 10 der erfolgreichsten Ausgaben des Jahres Zum Jahresende haben wir mal durchgez채hlt, welche die am h채ufigsten gelesenen Titelgeschichten 2010 waren.
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Bildstörung So sieht es seit dieser Woche aus, wenn man auf dem iPad die Seite www.bild.de besucht. Weil Axel Springer die neue 79-Cent-App verkaufen will, schaltet der Verlag für iPadNutzer die Seite ab. Nicht sehr freundlich.
UNd, wie waren wir? Bin beruhigt, dass Harald Schmidt auch nicht anders Zeitung liest, sinniere über „das Selbe“ und „das Gleiche“ nach, über „dasselbe“ natürlich auch. Sollte mir Wagner-Buch zu Weihnachten wünschen.
IMPRESSUM
Hier bitten wir Cheflektorin Carla Mönig um Ihre Meinung zur aktuellen Ausgabe. Sagen Sie uns Ihre: www.facebook.com/visdp.
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Der Tipp Mag ja sein, dass Google böse ist, aber Chrome ist inzwischen der beste, schnellste, bedienungsfreundlichste Browser, und Sie sollten wirklich überlegen, von Internet Explorer, Firefox oder Safari umzusteigen. Dann kommen Sie auch in den Genuss des Chrome Web Store, der seit dieser Woche – nach einem ähnlichen Prinzip wie iTunes – kleine Programme zur Verfügung stellt, die im Browser laufen und im Normalfall kein Geld kosten. „Slide Rocket“ zum Beispiel ist nun das mit Abstand beste PräsentationsTool, Bücher einkaufen bei Amazon macht viel mehr Spaß als über die herkömmliche Webseite und auch diverse (amerikanische) Nachrichten-Apps sind eine Bereicherung.
info@visdp.de
Herausgeber Dr. Hajo Schumacher Chefredakteur Sebastian Esser Stellvertreter des Chefredakteurs Wendelin Hübner Stellv. Chefredakteure Susan Mücke, Frank Joung Leitender Redakteur Patrick Weisbrod Leiterin Lektorat Carla Mönig Adresse Lietzenburger Straße 51, 10789 Berlin Telefon 030 2196 27287
FOTOS: S.1: WDR; S.2-5: Reporter-Forum; S.6: DAPD, privat, SKY, Burda, PRO SIEBEN; S.7: SWR, ZDF, KIKA, Bauer; S. 8: ROG.