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Brolucizumab zur Behandlung des diabetischen Makulaödems
Das diabetische Makulaödem (DMÖ) ist die häufigste Erblindungsursache bei Erwachsenen in Industrieländern und betrifft 12% der Menschen mit Typ-1-Diabetes und 28% der Menschen mit Typ-2-Diabetes [1]. Infolge des dauerhaft zu hohen Blutzuckerspiegels bei Diabetes kommt es zu strukturellen Veränderungen kleiner Blutgefäße im Auge und zu einer Ischämie-induzierten übermäßigen Ausschüttung des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF), einem Protein, das das Wachstum von Blutgefäßen stimuliert [1]. VEGF ist außerdem an einer erhöhten Gefäßdurchlässigkeit beteiligt [2], wodurch sich vermehrt Flüssigkeit in der Makula ansammelt. Das daraus resultierende Makulaödem kann zum Sehverlust führen [3, 4]. Das DMÖ ist eine Erkrankung mit hohem therapeutischem Bedarf. Dies schließt die Notwendigkeit einer konsequenten Reduktion der Netzhautflüssigkeit und eine Verringerung der Therapielast durch häufige Injektionen ein [1]. Eine neue Option zur Behandlung des DMÖ bei erwachsenen Patienten ist Brolucizumab (Beovu®), das im April 2022 von der Europäischen Kommission zugelassen wurde [5]. Die Zulassung basiert auf den 1-Jahres-Daten der PhaseIII-Studien KITE und KESTREL, die die Wirksamkeit und Sicherheit von Brolucizumab (Beovu®) im Vergleich zu Aflibercept (Eylea®) bei der Behandlung erwachsener Patienten mit DMÖ untersuchten [6]. Sowohl Brolucizumab als auch Aflibercept werden intravitreal injiziert, zielen auf eine Hemmung des VEGF ab und werden auch zur Behandlung der neovaskulären („feuchten“) altersabhängigen Makuladegeneration (nAMD) eingesetzt.
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Nicht-Unterlegenheit gegenüber Aflibercept in Bezug auf Visusgewinn
In die Studien KITE und KESTREL wurden insgesamt 926 Patienten mit Visusbeeinträchtigung infolge eines DMÖ eingeschlossen. Pro Studienteilnehmer wurde nur ein Auge untersucht. Nach 1:1-Randomisierung erfolgte die Behandlung in KITE mit 6mg Brolucizumab oder 2mg Aflibercept, in KESTRELL erhielten die Teilnehmer 1:1:1 randomisiert 3mg Brolucizumab*, 6mg Brolucizumab oder 2mg Aflibercept. In beiden Studien wurden die Patienten in den Brolucizumab-Armen in der Aufdosierungsphase alle 6 Wochen (Wochen 0, 6, 12, 18 und 24) mit insgesamt 5 Injektionen und anschließend alle 12 Wochen behandelt, mit der Option, das Dosierungsintervall bei Krankheitsaktivität dauerhaft auf 8 Wochen zu verkürzen. Die Patienten in den
* Der 3-mg-Brolucizumab-Arm in der Studie KESTREL entspricht nicht der zugelassenen Dosierung, daher werden die entsprechenden Ergebnisse im Folgenden nicht dargestellt. AfliberceptArmen wurden entsprechend der AfliberceptFachinformation während der Aufdosierungsphase alle 4 Wochen mit insgesamt 5 Injektionen und anschließend alle 8 Wochen behandelt [6]. In beiden Studien wurde der primäre Endpunkt, die Nicht-Unterlegenheit von Brolucizumab gegenüber Aflibercept hinsichtlich der mittleren Veränderung der bestkorrigierter Sehschärfe (best corrected visual acuity; BCVA) gegenüber Baseline, im ersten Jahr erreicht: In der KITE-Studie betrugen die durchschnittlichen Visusgewinne 10,6 Buchstaben unter Brolucizumab bzw. 9,4 Buchstaben unter Aflibercept (p<0,001 bei einer Nicht-Unterlegenheitsspanne von 4 Buchstaben). In der KESTRELStudie waren es 9,2 Buchstaben versus 10,5 Buchstaben (Tab. 1) [6]. Der Anteil der Patienten, die in der KITE-Studie einen Visusgewinn von ≥15 Buchstaben im Vergleich zum Studienbeginn oder einen Visus von ≥84 Buchstaben erreichten, war unter Brolucizumab höher als unter Aflibercept; in der KESTREL-Studie waren die Anteile zwischen dem Brolucizumab-Arm und dem AfliberceptArm vergleichbar (Tab. 1).
Längere Behandlungsintervalle
In beiden Zulassungsstudien blieben nach der Aufdosierungsphase
Studie
Medikation
Veränderung der BCVA in Woche 52
Anteil der Patienten mit einem Visusgewinn ≥15 Buchstaben oder einem erreichten Visus ≥84 Buchstaben in Woche 52
Patienten mit subretinaler und/oder intraretinaler Flüssigkeit (SRF und IRF) in Woche 52
Verringerung der zentralen Netzhautdicke (central subfield thickness; CST) in Woche 52
Anzahl der Patienten mit CST <280μm in Woche 52
KITE KESTREL
6mg Brolucizumab 2mg Aflibercept 6mg Brolucizumab 2mg Aflibercept +10,6 Buchstaben +9,4 Buchstaben +9,2 Buchstaben +10,5 Buchstaben
46,8% 37,2% 36,0% 40,1%
54,2% 72,9% 60,3% 73,3%
–197µm –164µm –166µm –160µm
57,5 41,4 54,0 40,1
Tabelle 1: Ergebnisse der KESTREL- und KITE-Studie für die Behandlung des DMÖ mit Brolucizumab (Beovu®) versus Aflibercept (Eylea®) [6].
mehr als die Hälfte der mit 6mg Brolucizumab behandelten Patienten (50,3% in der KITE- und 55,1% in der KESTREL-Studie) bis Woche 52 bei einem 12-wöchigen Injektionsintervall. Die Dosierung von Aflibercept wurde im Anschluss an die Upload-Phase entsprechend der geltenden Fachinformation an ein Injektionsintervall von 8 Wochen angepasst** [6].
Konsequente Flüssigkeitskontrolle
Die Zunahme von Flüssigkeit in den verschiedenen Kompartimenten der Netzhaut gilt als Parameter für die Krankheitsaktivität beim DMÖ [7]. Bis Woche 52 war gegenüber Baseline unter Brolucizumab bei weniger der behandelten Augen subretinale und/oder intraretinale Flüssigkeit (SRF bzw. IRF) nachweisbar als unter Aflibercept: in der KITE-Studie bei 54,2% im Brolucizumab-Arm versus 72,9% in der mit Aflibercept behandelten Studiengruppe; in der KESTREL-Studie bei 60,3% unter Brolucizumab versus 73,3% unter Aflibercept (Tab. 1) [6].
** Die Injektion von Aflibercept im 8-wöchigen Behandlungsintervall in KITE und KESTREL entsprach im ersten Jahr der Zulassung. Gemäß der aktuell geltenden Fachinformation kann das 8-wöchige Behandlungsintervall von Aflibercept, basierend auf dem funktionellen und/oder morphologischen Befund, aufrechterhalten oder entsprechend nach einem „Treat and Extend“-Dosierungsschema nach 12 Monaten in 2- oder 4-wöchigen Schritten weiter verlängert werden.
Verringerung der Netzhautdicke
Ein weiterer Parameter zur Beurteilung der Krankheitsaktivität ist die Netzhautdicke. In beiden Studien verringerte sich unter 6 mg Brolucizumab die zentrale Netzhautdicke (central subfield thickness; CST) bis Woche 52 stärker als unter 2 mg Aflibercept (Tab. 1) [6]. Außerdem erreichten mehr mit Brolucizumab als mit Aflibercept behandelte Augen eine CST <280 μm in Woche 52 (Tab. 1) [6].
Gute Verträglichkeit
Brolucizumab zeigte insgesamt ein günstiges Sicherheitsprofil. Die häufigsten okularen und nicht okularen unerwünschten Ereignisse (≥5%) in der KITE und KESTREL-Studie waren konjunktivale Blutungen, Nasopharyngitis und Hypertonie. In der KITE-Studie waren die Raten für intraokulare Entzündungen (intraocular inflammation; IOI) unter Brolucizumab und Aflibercept gleich hoch (1,7%) und es wurde keine retinale Vaskulitis berichtet. Die IOI-Raten betrugen in der KESTREL-Studie 3,7% für Brolucizumab (einschließlich 0,5% retinaler Vaskulitis) und 0,5% für Aflibercept [6]. Retinale vaskuläre Gefäßverschlüsse wurden in der KITE-Studie für Brolucizumab und Aflibercept (jeweils 0,6%) sowie in der KESTREL-
Studie für Brolucizumab (0,5%) berichtet. Die meisten unerwünschten Ereignisse waren mild bis moderat, handhabbar und klangen wieder ab [6].
Fazit
Die Ergebnisse der beiden zulassungsrelevanten Studien KITE und KESTREL unterstreichen das Potenzial von Brolucizumab, im Vergleich zu Aflibercept mit weniger Injektionen bei mehr DMÖ-Patienten eine Reduktion der intraretinalen (IRF) und/oder subretinalen Flüssigkeit (SRF) zu erreichen. Dies könnte dazu beitragen, die Therapieadhärenz der Patienten und damit auch deren Visusergebnisse zu verbessern. Brigitte Söllner, Erlangen
Literatur
1 Romero-Aroca P. World J Diabetes 2011;2:98-104 2 Lally RD et al. Surv Ophthalmol 2016; 61:759-768 3 National Eye Institute. Macular Edema. https://www.nei.nih.gov/learn-about-eyehealth/eye-conditions-and-diseases/macular-edema 4 Nentwich MM et al. Z Prakt Augenheilkd 2010; 31:491-499 5 Fachinformation Beovu®; Stand: März 2022 6 Brown DM et al. Am J Ophthalmol 2022; 238:157-172 7 Ziemssen F et al. Stellungnahme der
Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG), der Retinologischen Gesellschaft und des Berufsverbandes der
Augenärzte (BVA) in Deutschland: Therapie des diabetischen Makulaödems. Abrufbar unter: https://www.dog.org/wpcontent/uploads/2013/03/
DMO%CC%88-Stellungnahme-Version-
Langversion_zur-Konsentierung_final-9-19.pdf
AADC-Mangel: Upstaza™ erhält positives CHMP-Votum
Der Mangel an aromatischer L-Aminosäure-Decarboxylase (AADC) ist eine sehr seltene genetische Erkrankung, die bereits in den ersten Lebensmonaten zu schweren Behinderungen, Leiden und Einschränkungen bis hin zu vorzeitigem Versterben führt. Die Betroffenen sind sowohl körperlich, geistig als auch in ihrer Verhaltensweise beeinträchtigt. Das Leiden von Kindern mit AADC-Mangel kann durch folgende Symptome verschlimmert werden: Episoden anfallsartiger okulogyrer Krisen, die täglich auftreten und stundenlang andauern können und dazu führen, dass die Augen krampfartig verdreht werden, häufiges Erbrechen, Verhaltensstörungen, Schlafprobleme, ständig verstopfte Nase und lebensbedrohliche Komplikationen wie Atemwegsinfektionen und Magen-Darm-Probleme. Derzeit gibt es keine zugelassene krankheitsmodifizierende Behandlung für den AADC-Mangel.
Mit der Gentherapie haben die Kinder die Chance, sich geistig und motorisch zu entwickeln
Im Mai 2022 erhielt Upstaza™ (eladocagene exuparvovec) vom Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA ein positives Votum. Upstaza™ ist eine rekombinante Gentherapie auf der Basis des Adeno-assoziierten Virus des Serotyps 2 (AAV2), die das menschliche DDC-Gen enthält. Sie soll den zugrunde liegenden Gendefekt korrigieren, indem ein funktionierendes DDC-Gen direkt in das Putamen eingebracht wird, wodurch das AADC-Enzym vermehrt und die Dopaminproduktion wiederhergestellt wird. Nach der Genehmigung durch die Europäische Kommission wird Upstaza™ die erste zugelassene krankheitsmodifizierende Behandlung für den AADC-Mangel für Patienten ab 18 Monaten und die erste vermarktete Gentherapie sein, die direkt in das Gehirn infundiert wird. Die Stellungnahme des CHMP basiert auf den Ergebnissen klinischer Studien, die in Taiwan durchgeführt wurden. Darüber hinaus wurden Daten aus „compassionate use“-Behandlungen von Patienten in Europa in den Antrag aufgenommen. In den klinischen Studien entwickelten die Patienten bereits 3 Monate nach der Behandlung klinisch bedeutsame motorische Fähigkeiten und neuromuskuläre Funktionen, wobei sich die Verbesserungen während des Beobachtungszeitraums bis zu 9 Jahre nach der Behandlung fortsetzten. Die kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten verbesserten sich bei allen behandelten Patienten. „Der Unterschied, den Upstaza™, eine einmalige Gentherapie, bewirken kann, ist lebensverändernd“, sagte Paul Wuh-Liang Hwu, leitender Prüfarzt, National Taiwan University Hospital. „Vor der Therapie konnten die betroffenen Kinder nicht einmal ihren Kopf heben, aber jetzt können viele von ihnen sitzen, mit Hilfe stehen, sich selbst ernähren und einige können gehen und sprechen.“
S. M.