9 minute read
Inebilizumab – die erste zielgerichtete Therapie zur Behandlung von Neuromyelitis-optica-Spektrum- Erkrankungen
Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) sind seltene, schwere Autoimmunerkrankungen, die in wiederkehrenden Schüben den Sehnerv, das Rückenmark, das Gehirn und den Hirnstamm angreifen und zur Erblindung, Lähmung oder sogar zum Tod führen können [1, 2]. Abbildung 1 zeigt die 4 typischen Symptome [2]. Weltweit liegt die Prävalenz von NMOSD bei etwa 0,5–4/100.000 Menschen, wobei Frauen neunmal häufiger betroffen sind als Männer [3, 4]. Jedes Jahr werden europaweit etwa 370 Patienten neu diagnostiziert [5].
Zentrale Rolle der B-Zellen
Advertisement
Kennzeichnend für die Autoimmunerkrankung ist das Vorliegen von Antikörpern gegen das Wasserkanalprotein Aquaporin-4 (AQP4-IgG) [6], die bei 80% der NMOSD-Patienten nachweisbar sind [7]. Diese Autoantikörper werden von CD19+ exprimierenden B-Zell-Lymphozyten (Plasmablasten und einigen Plasmazellen, Abb. 2) produziert und richten sich im ZNS gegen das Wasserkanalprotein Aquaporin 4, das vermehrt auf der Oberfläche von Astrozyten vorkommt [8]. Dadurch werden diese Zellen geschädigt und eine eskalierende Autoimmunreaktion ausgelöst [9, 10]. Klinisch äußert sich diese Schädigung als NMOSD-Schub. Schon ein einziger NMOSD-Schub kann zu erheblichen bleibenden Schäden führen und jeder nachfolgende Schub vergrößert den Schaden, der durch den vorherigen Schub verursacht wurde. 90% der Betroffenen erleiden innerhalb von 5 Jahren nach dem ersten einen weiteren Schub [11].
Inebilizumab – die erste zielgerichtete Therapie zur Behandlung von Neuromyelitis-opticaSpektrum-Erkrankungen
Inebilizumab erzielt anhaltende
B-Zell-Depletion und senkt die
Schubrate um bis zu 97 Prozent
Betroffene leiden unter verschiedenen Symptomen Da B-Zellen die zentrale Rolle Etwa neunmal mehr Frauen als Männer leiden an einer AQP4-IgG+-NMOSD.10 Ein Großteil der Betroffenen kommt mit Beschwerden wie Taubheit oder einem in der Pathogenese von NMOSD spielen, stellen sie ein wichtiges Kribbeln, Schwierigkeiten beim Gehen oder Sehstörungen zum Arzt. therapeutisches Ziel zur Behand11 Da es sich bei der Erkrankung um einen schubförmigen Verlauf handelt, können sich lung von NMOSD dar. Eine wirkSymptome plötzlich verschlechtern oder neue auftreten. same Strategie, um die Entzün- 1 Nach einem durchgemachten Schub kann es außerdem schnell zu weiteren kommen, denn Schübe treten häufig in dungsreaktion, die Entstehung von Clustern auf.12 Die Erkrankung verläuft schubförmig, wobei 90 % aller Patienten Läsionen und den Verlust von Asinnerhalb von fünf Jahren nach dem ersten Schub weitere Schübe erleben.13trozyten aufzuhalten und folgenschwere Schübe zu verhindern, ist die effektive Depletion der CD19+ B-Zellen [13]. Mit Inebilizumab (Uplizna®) hat die Europäische Die sechs klinischen Kernsymptome von NMOSD sind: Kommission im Mai 2022 das erste 5
zielgerichtete B-Zell depletierende Medikament in der EU zugelassen. Der monoklonale Antikörper ist indiziert zur Monotherapie erwachsener Patienten mit NMOSD, in deren Serum Immunglobulin-GAntikörper gegen das Wasserkanalprotein Aquaporin-4 nachweisbar sind (AQP4-IgG+) [14]. Inebilizumab führt nach Bindung an die Zelloberfläche von CD19+ B-Zellen zu derem Antikörperabhängigen Zelltod und depletiert damit ein breites Spektrum derjenigen B-Zellen, die eine Schlüsselrolle in der NMOSD-Pathogenese spielen, inklusive Plasmablasten und Plasmazellen.
Entzündung des Sehnervs (Optikusneuritis) Langstreckige Rückenmarksentzündung (Myelitis)
Area-postremaSyndrom mit Schluckauf, Erbrechen und Übelkeit Akutes Hirnstammsyndrom
Symptomatische Narkolepsie oder akutes dienzephales klinisches Syndrom mit typischer Läsion Symptomatisches zerebrales Syndrom mit typischer Läsion
Abbildung 1: Die 6 klinischen Kernsymptome der Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen [2].
B-Zellen spielen eine komplexe und fundamentale Rolle in der Pathogenese von NMOSD, wobei verschiedene Mechanismen beteiligt sind.3 Einer davon ist die 90 NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTELProduktion der schädlichen AQP4-IgG. Deren Hauptquelle sind spezielle Subpopulationen von B-Zellen.9 Diese Subpopulationen, genauer Plasmablasten und einige Plasmazellen, tragen den Marker CD19 auf ihrer Oberfläche.22 Die von CD19+ Plasmablasten und Plasmazellen produzierten Autoantikörper richten sich im ZNS gegen das Wasserkanalprotein Aquaporin 4, das vermehrt auf der Oberfläche von Astrozyten vorkommt.7 Dadurch werden diese Zellen geschädigt und eine Kaskade wird ausgelöst, die eine komplexe Autoimmunreaktion verursacht.3 Da B-Zellen also eine zentrale Rolle in der Pathogenese von NMOSD einnehmen, stellen sie ein wichtiges therapeutisches Ziel zur Behandlung von NMOSD dar.3 Die zielgerichtete und effektive Zerstörung von B-Zellen ist dabei besonders in der Langzeittherapie wichtig, um folgenschwere Schübe zu verhindern.4,18 Abbildung 2
MS: Multiple Sklerose
NMOSD: Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen
ZNS: zentrales Nervensystem
Aquaporin-4: Wasserkanalprotein, das vermehrt auf der Zelloberfläche von Astrozyten vorkommt und an der Regulierung des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts dieser Zellen beteiligt ist.
AQP4-IgG: Autoantikörper gegen Aquaporin-4, die dem Immunsystem fälschlicherweise signalisieren, körpereigene Strukturen zu zerstören.
Area-postrema-Syndrom: wird durch entzündliche Läsionen in der dorsalen Medulla verursacht und ist gekennzeichnet durch hartnäckigen Schluckauf, Übelkeit und Erbrechen.
Astrozyten: Zellen im zentralen Nervensystem, die wichtige Funktionen wie die Grundversorgung von Nervenzellen übernehmen.
B-Zellen: Zellen des adaptiven Immunsystems, die u. a. für die humorale Abwehr mittels Produktion von Antikörpern zuständig sind.
CD19: Oberflächenprotein, welches charakteristisch für ein breites Spektrum von B-Zellen ist.
Läsion: Verletzung oder Störung der Funktion.
MS: chronische entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, deren Symptome durch Demyelinisierung entstehen.
Myelin: fetthaltige Substanz zur Isolation von Nervenzellen, die u. a. von Oligodendrozyten gebildet wird.
CD19-EXPRIMIERENDE ZELLEN
Stammzelle Pro-B-Zelle Prä-B-Zelle Unreife B-Zelle Naive B-Zelle Reife B-Zelle B-Gedächtniszelle
CD20-EXPRIMIERENDE ZELLEN
Plasmablast Plasmazelle
sezernieren AQP4-IgG
KNOCHENMARK PERIPHERIE KNOCHEN- MARK
Abbildung 2: CD19+-exprimierende B-Zell-Lymphozyten, insbesondere die Subpopulation Adaptiert nach Siebert N et al. 2021. der Plasmablasten und einige Plasmazellen, spielen eine fundamentale Rolle in der Pathogenese von NMOS, denn sie produzieren die schädlichen AQP4-IgG-Antikörper (mod. nach [12]).
Die Zulassung von Inebilizumab basiert auf den Ergebnissen von N-MOmentum, der größten jemals durchgeführten Studie bei NMOSD [15]. Insgesamt wurden 230 Erwachsene mit diagnostizierter NMOSD in die placebokontrollierte Phase-II/III-Studie eingeschlossen; davon waren 213 AQP4-IgG-seropositiv und 17 AQP4-IgG-seronegativ. Nach 3:1Randomisierung erhielten die Studienteilnehmer entweder Inebilizumab 300mg i.v. oder Placebo. Die Studie bestand aus einer 28-wöchigen randomisiert-kontrollierten Phase (RCP), gefolgt von einer optionalen offenen Erweiterungsphase (OLP) von mindestens 2 Jahren. Letztere dauerte etwa 4 Jahre und lieferte Langzeitdaten für eine Untergruppe von 75 AQP4-IgG-seropositiven Patienten [16]. Primärer Endpunkt war die Zeit bis zum Auftreten eines NMOSDSchubs bis Tag 197, sekundäre Endpunkte waren EDSS-Wert, LCVAB-Wert (Low-Contrast Visual Acuity Binocular) sowie die kumulativen Gesamtzahlen der aktiven Läsionen im MRT und der NMOSD-bedingten stationären Krankenhausaufenthalte. Inebilizumab überzeugte mit einer überlegenen Wirksamkeit bei den AQP4-IgG-seropositiven Patienten*: • Nach den ersten Initialdosen konnte Inebilizumab mit nur 2
Infusionen pro Jahr das relative
Risiko, einen NMOSD-Schub zu erleiden, um 77% gegenüber
Placebo verringern (HR: 0,227, 95%-KI: 0,1214–0,4232; p< 0,0001) [15]. • Das Schubprofil war mit 29% versus 45% schwere Schübe unter der Antikörpertherapie weniger schwer [17]. • 89% der Patienten blieben unter der Inebilizumab-Monotherapie innerhalb des Beobachtungszeitraums schubfrei [15].
Bei mehr als 83% hielt dieser
Effekt sogar 4 Jahre und länger an [16]. • Die B-Zell-Depletion war nach 8 Tagen signifikant, blieb für mindestens 6 Monate erhalten und war auch in der OLP signifikant [15]. Nach 2,5 Jahren führte Inebilizumab zu einer anhaltenden B-Zell-Depletion * Bei AQP4-IgG-seronegativen Patienten wurde kein Behandlungsnutzen festgestellt [15]. und Verringerung der Krankheitsaktivität. Die annualisierte
Schubrate war in der Verum-
Gruppe in dieser Zeit gegen-Glossar über Placebo um 97% verringert [18]. • In der gesamten OLP blieben die Studienteilnehmer unter
Inebilizumab von einem Fortschreiten der Behinderung (EDSS) verschont, zudem kam es über die gesamte Behandlungsdauer zu weniger neuen
ZNS-Läsionen und Krankenhausaufenthalten [15].
Überzeugendes Sicherheitsprofil
In der N-MOmentum-Studie erwies sich Inebilizumab als gut verträglich. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen (bei mindestens 10% der mit Inebilizumab behandelten Patienten und häufiger als unter Placebo) waren Harnwegsinfektionen und Gelenkschmerzen [15]. Aufgrund der nachgewiesenen überlegenen Wirksamkeit von Inebilizumab im Vergleich zu Placebo wurde die N-MOmentum-Studie auf Empfehlung des unabhängigen Datenkontrollausschusses vorzeitig beendet.
Myelitis: Entzündung des Rückenmarks. Narkolepsie: umgangssprachlich auch „Schlafkrankheit“ genannt; Betroffene neigen dazu, plötzlich einzuschlafen. Optikusneuritis: Entzündung der Sehnerven. Oligodendrozyten: Zellen im zentralen Nervensystem, die Myelin produzieren. Plasmablasten: Reifungsstufe von B-Zellen, die bereits einige Merkmale einer Plasmazelle zeigt. Plasmazellen: ausdifferenzierte B-Zellen, deren Funktion in der Bildung und Freisetzung von Antikörpern besteht.
Brigitte Söllner, Erlangen
Literatur
1 Ajmera MR et al. Evaluation of comorbidities and health care resource use among patients with highly active neuromyelitis optica. J Neurol Sci 2018;384:96-103 2 Wingerchuk DM et al. International consensus diagnostic criteria for neuromyelitis optica spectrum disorders. Neurol 2015;85:177-189 3 Mori M et al. Worldwide prevalence of neuromyelitis optica spectrum disorders.
J Neurol Neurosurg Psychiatry 2018;89: 555-556
4 Wingerchuk DM. Neuromyelitis optica: effect of gender. J Neurol Sci 2009; 286:18-23 5 Data on file. Horizon, June 2021 6 Trebst J et al. Update on the diagnosis and treatment of neuromyelitis optica: recommendations of the Neuromyelitis
Optica Study Group (NEMOS). J Neurol 2014;261:1-16 7 Illés Z. Treatment and new evidences in neuromyelitis optica spectrum disorder.
Ideggyogy Sz 2021;74:309-321 8 Borisow N et al. Diagnosis and treatment of NMO spectrum disorder and MOG-encephalomyelitis. Front Neurol 2018;9:115 9 Bennett JL et al. B lymphocytes on neuromyelitis optica. Neurol Neuroimmunol
Neuroinflamm 2015;2:e104 10 Bennet Siebert N et al. Inebilizumab in
AQP4-Ab-positive neuromyelitis optica spectrum disorder. Drugs Today 2021; 57:321-336 11 Wingerchuk DM et al. The clinical course of neuromyelitis optica (Devic’s syndrome). Neurology 1999;53:1107-1114 12 Siebert N et al. Inebilizumab in AQP4-
Ab-positive neuromyelitis optica spectrum disorder. Drugs Today 2021;57:321336 13 Hemmer B et al. S2k-Leitlinie, 2021.
Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und
Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien 14 Fachinformation Uplizna®, aktueller
Stand 15 Cree BAC et al. Inebilizumab for the treatment of neuromyelitis optica spectrum disorder (N-MOmentum): a double-blind, randomised, placebocontrolled phase 2/3 trial. Lancet 2019;394:13521363 16 Rensel M et al. Long-term efficacy and safety of inebilizumab in neuromyelitis optica spectrum disorder: analysis of aquaporin-4–immunoglobulin G–seropositive participants taking inebilizumab for ≥4years in the NMOmentum trial.
Multiple Sclerosis Journal 2021: 135245852110472 17 Weinshenker BG et al. Diagnosis, severity, and recovery of attacks in the N-MOmentum study of inebilizumab in neuromyelitis optica spectrum disorder. Poster 358, ECTRIMS, September 2019 18 Bennett JL et al. Extent of B-cell depletion is associated with disease activity reduction in neuromyelitis optica spectrum disorder: results from the N-MOmentum study. Poster AS-ECTRIMS-2021-00871,
ECTRIMS (virtual), October 2021
Vedolizumab i.v. auch zur Behandlung der aktiven chronischen Pouchitis zugelassen
Die Europäische Kommission hat die Zulassung für die i.v. Formulierung von Vedolizumab (Entyvio®) erweitert: Der humanisierte monoklonale Antikörper aus der Gruppe der Integrin-Antagonisten ist nun auch indiziert für die Behandlung von erwachsenen Patienten mit mittelschwerer bis schwerer aktiver chronischer Pouchitis, die sich wegen Colitis ulcerosa einer Proktokolektomie, bei der ein ileoanaler Pouch angelegt wurde, unterzogen, und auf eine Antibiotikabehandlung nur unzureichend oder gar nicht angesprochen haben. Damit ist Vedolizumab die erste für die Behandlung einer aktiven chronischen Pouchitis zugelassene Therapie in Europa. Die Zulassung basiert auf den Ergebnissen der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten EARNEST-Studie. Diese PhaseIV-Studie untersuchte die Wirksamkeit und Sicherheit von Vedolizumab i.v. bei der Behandlung von 102 erwachsenen CU-Patienten, die nach einer einer Proktokolektomie mit Anlage eines ileoanalen Pouches eine aktive chronische Pouchitis entwickelt hatten. Die Studie erreichte den primären Endpunkt einer klinischen Remission in Woche 14, gemessen anhand des modified Pouchitis Disease Activity Index (mPDAI). Die mPDAI-Remission in Woche 14 betrug unter Vedolizumab i.v. 31,4% (n=16/51) im Vergleich zu 9,8% (n=5/51) unter Placebo (p=0,013). Die Sicherheitsergebnisse entsprachen dem bekannten Sicherheitsprofil von Vedolizumab. Behandlungsbezogene unerwünschte Ereignisse (durch den Prüfarzt beurteilt) wurden bei 12 (23,5%) Patienten unter Vedolizumab und bei 11 (21,6%) Patienten unter Placebo berichtet. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse traten bei 3 (5,9%) Patienten unter Vedolizumab und bei 4 (7,8%) Patienten unter Placebo auf.
B. S.
Pouchitis – eine schwerwiegende Komplikation der IPAA
Bei Patienten mit Colitis ulcerosa, bei denen Kolon und Rektum entfernt werden mussten, wird ein ileoanaler Pouch (IPAA) angelegt, um die Stuhlretention zu unterstützen. Mit einer Inzidenz zwischen 23 % und 59 % ist die Pouchitis die häufigste Komplikation der IPAA bei CU-Patienten. Während eine akute Pouchitis auf Antibiotikabehandlungen ansprechen kann, ist dies bei der aktiven chronischen Pouchitis, die 10 – 15 % aller Pouchitis-Patienten betrifft, meist nicht der Fall und es gab bislang in Europa keine dafür zugelassene Therapie. Die Lebensqualität der Betroffenen ist durch Stuhldrang, Inkontinenz, Schwierigkeiten beim Stuhlgang, Blutungen, Bauch- und Beckenbeschwerden, Fieber und Unwohlsein erheblich beeinträchtigt.