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Gentherapie mit Voretigen Neparvovec bei erblichen Netzhautdystrophien

Gentherapie mit Voretigen Neparvovec bei erblichen Netzhautdystrophien

Mit dem Oberbegriff „erbliche Netzhautdystrophien“ (Inherited Retinal Disease, IRD) wird eine heterogene Gruppe sehr seltener erblicher Netzhauterkrankungen bezeichnet. Dazu gehören z.B. die Retinitis pigmentosa – das häufigste Krankheitsbild innerhalb der Gruppe der IRD – und die Lebersche kongenitale Amaurose. Gemeinsam ist ihnen, dass sie zu einer progredienten, meist beidseitigen Verschlechterung der Sehfunktion führen, die sich sich zum Teil bereits im frühen Kindesalter manifestiert [1]. Als Ursache für die vererbbaren Netzhauterkrankungen wurden bereits mehr als 260 Gene mit unterschiedlichen Genmutationen identifiziert, darunter auch Mutationen in beiden Kopien des RPE65-Gens, das für das retinale Pigmentepithelspezifische 65-Kilodalton-Protein (RPE65) kodiert [2]. Dabei handelt es sich um das Enzym RetinoidIsomerohydrolase, das für die Regeneration des 11-cis-Retinals und damit für einen funktionierenden Retinal/Retinol-Zyklus sorgt. Exprimiert wird RPE65 hauptsächlich in den Fotorezeptoren und im retinalen Pigmentepithel (RPE) [1]. Eine bahnbrechende Therapie für Patienten mit Sehverlust aufgrund biallelischer Mutationen im RPE65-Gen ist Voretigen Neparvovec (Luxturna®). Mittels dieser auf einem modifizierten Adenoassoziierten Virus (AAV2-Vektor) basierenden Gentherapie wird eine korrekte Kopie des RPE65-Gens in die Zellen des retinalen Pigmentepithels eingebracht, die die Funktion des mutierten und nicht funktionalen Gens übernehmen kann (Abb. 1) [2]. Voraussetzung für die Anwendung ist, dass die Patienten über ausreichend lebensfähigen Netzhautzellen verfügen [3]. Wie Studiendaten eindrücklich belegen, hat die Gentherapie das Potenzial, das Sehvermögen teilweise, wenn auch nicht vollständig, wiederherzustellen. Sie kann die Orientierungsfähigkeit der Patienten unter schwachen Lichtverhältnissen und somit auch die Mobilität im Alltag verbessern und der voranschreitenden Erblindung entgegenwirken [4].

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Signifikante und anhaltende klinisch relevante Visusverbesserungen

Basis für die Zulassung der Gentherapie war die randomisierte, kontrollierte, offene Phase-III-Studie AAV2-hRPE65v2-301(Studie 302) [4], in die 31 Patienten im Alter von 4–44 Jahren (20 pädiatrische Patienten im Alter von 4–17 Jahren, 11 Erwachsene) mit Sehverlust aufgrund einer Leberschen kongenitalen Amaurose infolge von RPE65-Mutationen eingeschlossen wurden. Die Teilnehmer wurden im Verhältnis 2:1 entweder der Interventionsgruppe oder der Kontrollgruppe ohne Intervention, d.h. mit beobachtetem Abwarten, zugeteilt. Die Patienten der Interventionsgruppe (n=21) erhielten eine einmalige subretinale Injektion von Voretigen Neparvovec (1,5×1011 Vektorgenome mit einem Gesamtvolumen von 0,3ml) in jedes Auge. Das Zeitintervall zwischen den Injektionen betrug 6–18 Tage. Primärer Studienendpunkt war die mittlere Veränderung der Orientierungsfähigkeit in einem Parcours unter definierten Lichtverhältnissen (7 Stufen von 1 bis 400 Lux), gemessen mittels Multi-Luminanz-Mobilitätstest (MLMT), 12 Monate nach der Behandlung. Nach einem Jahr kam es bei 90% der Patienten in der Interventionsgruppe zu einer Verbesserung der Orientierungsfähigkeit unter schwachen Lichtverhältnissen. Der Unterschied im MLMT gegenüber der Kontrollgruppe war signifikant (p=0,001). 65% der Patienten konnten sich nach einem Jahr sogar auf dem niedrigsten Lichtlevel von nur einem Lux im Raum orientieren. Darüber hinaus zeigten die Patienten im Vollfeld-Lichtempfindlichkeitstest (FST) im Mittel eine schnell eintretende und eine um 2 Log-Einheiten erhöhte Verbesserung an Tag 30 (p=0,0004). Diese erhöhte Lichtempfindlichkeit blieb über den Zeitraum von einem Jahr

Abbildung 1: Voretigen Neparvovec (Luxturna®) bringt eine korrekte Kopie des RPE65-Gens in den Zellkern. Die Zellen können daraufhin das RPE65-Protein wieder herstellen [3]. RPE: retinales Pigmentepithel.

stabil; im Kontrollarm zeigten sich keine Verbesserungen [4].

Verlängerungsstudie untermauert Daten zur Wirksamkeit

Mit den Patienten aus Studie 301 wird derzeit die Verlängerungsstudie LTFU (Long-term Follow-up) durchgeführt, die die Langzeitsicherheit und -wirksamkeit der Gentherapie untersucht [5]. Die 20 Patienten der Interventionsgruppe bekamen Voretigen Neparvovec bereits zu Beginn der Studie 301, die Patienten der ursprünglichen Kontrollgruppe erhielten die Gentherapie dann zu Beginn der LFTU-Studie. Die Studiendauer beträgt 15 Jahre und endet 2030. Die ersten Zwischenergebnisse (Datenschnitt am 30. Juni 2020, d.h. nach mindestens 5 Jahren Beobachtungszeit) sind vielversprechend: Bei den Endpunkten MLMT, FST und Perimetrie wurde in den beiden ursprünglichen Behandlungsgruppen eine Verbesserung der Werte im Vergleich zur Baseline beobachtet. Auch die Patienten der Kontrollgruppe, die nach dem Wechsel in die Interventionsgruppe subretinale Injektionen mit Voretigen Neparvovec erhalten hatten, zeigten ein ähnliches Ansprechen auf Voretigen Neparvovec wie die Patienten, die Voretigen Neparvovec bereits in der Studie 301 erhalten hatten [5]. Damit deutet die Zwischenauswertung der aktuell laufenden LTFU-Studie darauf hin, dass die in Studie 301 erzielten positiven Effekte in ihrer Größenordnung auch bis 5 Jahre nach Verabreichung von Voretigen Neparvovec erhalten bleiben [5].

GB-A bestätigt erneut beträchtlichen Zusatznutzen

Bereits 2019 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) auf Basis der Ergebnisse der Studie 301 der Gentherapie mit Voretigen Neparvovec (Luxturna®) einen beträchtlichen Zusatznutzen zugesprochen [6]. Dieser ergibt sich laut G-BA aus den statistisch signifikanten und klinisch relevanten Vorteilen von Voretigen Neparvovec gegenüber dem beobachtenden Abwarten in Bezug auf das funktionale Sehen/Orientierung (MLMT; p=0,001), die Lichtempfindlichkeit (FST; p=0,0004) sowie auf das Gesichtsfeld (Perimetrie; p=0,006). Aufgrund der guten Datenlage, die sich bei der Zwischenauswertung der LTFUStudie zeigt, hat der G-BA am 15. September 2022 seine Entscheidung von 2019 bestätigt und den Zusatznutzen von Voretigen Neparvovec abermals als „beträchtlich“ eingestuft [7]. Brigitte Söllner, Erlangen

Literatur

1 Kellner U et al. Hereditäre Netzhautdystrophien. Klin Monatsbl Augenheilkd 2012;229:173-196 2 Ameri H et al. Prospect of retinal gene therapy following commercialization of voretigene neparvovecrzyl for retinal dystrophy mediated by RPE65 mutation.

J Curr Ophthalmol 2018;30:1-2 3 Fachinformation Luxturna®; Stand: August 2022 4 safety of voretigene neparvovec (AAV2hRPE65v2) in patients with RPE65-mediated inherited retinal dystrophy: a randomised, controlled, open-label, phase 3 trial. Lancet 2017;390:849-860 5 ClinicalTrials.gov. Long-term follow-up study in subjects who received voretigene neparvovec-rzyl (AAV2hRPE65v2). https://clinicaltrials.gov/ct2/ show/NCT03602820 6 Gemeinsamer Bundesausschuss (2019).

Nutzenbewertungsverfahren zum Wirkstoff Voretigen Neparvovec. https:// www.g-ba.de/bewertungsverfahren/nutze nbewertung/454/#beschluesse 7 Gemeinsamer Bundesausschuss (2022).

Nutzenbewertungsverfahren zum Wirkstoff Voretigen Neparvovec. https:// www.g-ba.de/beschluesse/5620/

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