10 /WIRTSCHAFT/
Vinschgerwind 23-21
18.11.21
Foto: „Wind“-Archiv
„Das Streben nach immer mehr, weiter und schneller, müssen wir in Frage stellen“ „Wind“-Gespräch mit Daria Habicher, einer jungen Vinschger Forscherin der EURAC Bozen Vinschgerwind: Warum sind unser Lebensstil und unsere Wirtschaftsweise nicht nachhaltig? Daria Habicher: Unsere Lebens- und Arbeitsweise, so wie wir produzieren, konsumieren, uns fortbewegen, reisen, all das sollte überdacht werden, weil wir als Menschheit gerade dabei sind, die Belastungsgrenzen unseres Planeten zu überschreiten. Uns muss klar werden, dass wir nicht nur auf die zahlreichen natürlichen Rohstoffe, sondern auf das Funktionieren dieses komplexen Ökosystems Erde angewiesen sind. Gerät dieses Gleichgewicht aus den Fugen, dann passieren Dinge, wie wir sie immer häufiger erleben: Extremwetterereignisse, Überschwemmungen, Dürren, Tsunamis und die Ozeanversauerung und der Biodiversitätsverlust. Wir brauchen die natürlichen Ressourcen als Lebensgrundlagen. Dazu kommen noch weitere gesellschaftspolitische Faktoren: soziale Un-
gleichheit, geopolitische Spannungen, Polarisierung, aber auch gesundheitliche Probleme. Covid-19 hat uns gelehrt, dass wir uns wieder verstärkt auf das Wesentliche konzentrieren müssen. Vinschgerwind: Früher ging es um Wirtschaftswachstum und soziale Gerechtigkeit. Spielt das keine Rolle mehr? Daria Habicher: Doch, aber die Prioritäten haben sich verschoben. Einige dieser Aspekte werden heutzutage kritisch diskutiert, wiederum andere kommen neu hinzu. Insgesamt, so würde ich behaupten, wächst das Bewusstsein darüber, dass wir vor allem das Wachstumscredo, das Streben nach immer mehr, weiter und schneller in Frage stellen müssen. Zumal sich herausgestellt hat, dass Wachstum – gesprochen vom Bruttoinlandsprodukt – zwar global gesehen zu einer Wohlstandssteigerung geführt hat,
Daria Habicher, geboren 1993, aufgewachsen in Prad, Bachelorstudium in Politikwissenschaft an der Hauptuniversität in Wien und an der Universität Bergen (Norwegen), anschließend Masterstudium in Sozioökonomie mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien. Derzeit Forscherin am Center for Advanced Studies von Eurac Research in Bozen, Projektleiterin von „Denkanstoß Covid-19 - Zukunftsszenarien für ein nachhaltiges Südtirol 2030+“ und Co-Projektleiterin des EFRE-Forschungsprojekts „Tiny FOP MOB – ein rollendes Reallabor aus Holz und Hanf auf dem Weg durch den Vinschgau“. Neben der Forschungstätigkeit ist Daria Habicher Tauchlehrerin und gibt regelmäßig Kurse und Trainings in Schlanders, Latsch und auf der Insel Elba. Nähere Informationen unter: https://dariahabicher.com/
es aber nach wie vor große Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten – global und lokal – gibt. Auch ist es trotz Wirtschaftswachstum, neuer Technologien und erhöhter Vernetzung – wie lange geglaubt und prophezeit – nicht gelungen, gegen die Klimakrise anzukämpfen. Viele Menschen haben erkannt, dass es längst an der Zeit ist, neue Wege einzuschlagen.
Vinschgerwind: Sie haben als Projektleiterin zusammen mit anderen Forscher:innen im Auftrag der Südtiroler Landesregierung vier Zukunftsszenarien für ein nachhaltiges Südtirol ausgearbeitet. Südtirol muss aber auch globale Megatrends berücksichtigen. Welche sind dies? Daria Habicher: Zu den wichtigsten Megatrends gehören etwa Globalisierung, Klimawan-