09_natuerlich_September_kurzvorschau

Page 1


natürlich

Musiktherapie Mit Musik den Zugang zu sich finden.

Sing Dich gesund!

Wie der Gesang uns psychisch aufrichten kann.

Prostata

Wie geht Mann mit Problemen damit um?

Tomaten Liebesapfel für kulinarische Leidenschaften.

Musik

Balsam für Körper und Geist

Jetzt KräuterNewsletter abonnieren

Wenn Kräuter zu deiner

Hausapotheke gehören.

Komplementärmedizin ist Teil unserer DNA.

Musik ist Trumpf im Leben!

Liebe Leserin, lieber Leser

Musik ist eine der grössten Kulturleistungen von uns Menschen. Aus Wandmalereien, aber auch durch archäologische Funde von Instrumenten wissen wir, dass unsere Vorfahren schon vor Jahrtausenden gesungen oder Instrumente gespielt haben. Zugegeben: Diese frühe Musik hätte für uns wohl teilweise gewöhnungsbedürftig geklungen. Doch früheren Generationen wäre es wohl mit unserer heutigen Musik ebenso gegangen …

Aber darum geht es in dieser Ausgabe von «natürlich» nicht. Nein, wir sind vielmehr dem Zusammenhang zwischen Musik und Gesundheit nachgegangen. Und dieser Zusammenhang ist wesentlich stärker, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Musik macht etwas mit uns. Und zwar bereits als passive Konsumenten. Erst recht aber, wenn wir selber aktiv musizieren. So kann singen erwiesenermassen unseren Blutdruck positiv beeinflussen. Musik wird aber sogar direkt als Therapie eingesetzt. Diese Musiktherapie wirkt nicht etwa nur in der Psychiatrie, sondern auch in der Pädiatrie oder unterstützdend oder begleitend gar in der Onkologie.

Damit sind wir auch schon bei unserem Fokusthema, dem Krebs. Viele andere Krankheiten sind im Rückgang oder die Medizin kann sie heute recht gut behandeln. Doch trotz Fortschritten bleiben beim Krebs viele Herausforderungen.

Doch kehren wir zur sonnigen Seite des Lebens zurück. Spätsommer und Herbst sind Erntezeit. Tomaten reifen an der warmen Sonne auf dem eigenen Balkon jetzt besonders gut. Wie viel schöner ist doch ein Biss in eine frisch geerntete, noch von der Sonne gewärmte Tomate im Sommer als in die kalten, steril wirkenden Tomaten aus den Gewächshäusern Spaniens im Winter! Wir bieten in unserem Beitrag über die Tomaten auch Einblick in deren riesige Sortenvielfalt.

Das alles ist wie immer nur ein kleiner Einblick in die grosse Vielfalt unseres neusten Heftes. Sie werden noch viel mehr spannende Beiträge entdecken! Viel Vergnügen auf der Entdeckungsreise!

GRÜN UND GRÜNDLICH.

Mit über 2000 nachhaltigen Produkten auch für die Umwelt.

KOLUMNE

48 Sabine Hurni über … … Mantras.

FOKUSTHEMA

54 Krebs

SCHWERPUNKT

6 Sing Dich gesund Singen ist eines der besten Antidepressiva.

10 Musiktherapie

Wie Musik heilsam wirken kann.

14 Adolf Stähli

Wie der Komponist Kraft aus der Natur schöpfte.

GESUNDHEIT

20 Prostata

Das Leiden der Männer ganzheitlich angehen

24 Nomen est Omen

Namen sind eben nicht nur Schall und Rauch.

Service

Gedanken über eine schwierige Krankheit.

GESUND ESSEN

60 Vielfalt der Tomaten

Die richtige Wahl macht den Reiz beim Essen aus.

HEILPFLANZEN

66 Engelwurz Der Pflanzenengel mit Wunderwirkung.

NATUR UND FREIZEIT

72 Diese mögens heiss ... Welche Pflanzen für heisses Klima geeignet sind.

3 Editorial / 34 Gesunder Geist / 36 Gesunder Körper / 38 Debatte / 43 Kurz gefasst / 47 Neu und Gut / Hin und Weg / 50 Beratung / 53 Liebesschule / 78 Ihre Seite / 80 Rätsel / 81 Vorschau / 82 Anderswelt

BEINE

Mit den BasischenStrümpfen erleben Sie das einzigartige Gefühl federleichter Beine. Denn: In Kombination mit MeineBase entlasten sie besonders effektiv. Die hochwertigen Strümpfe aus dem AlkaWear Sortiment pflegen und regenerieren – mit dem Ergebnis basisch-streichelzarter Haut für beneidenswert schöne Beine.

Fördern Sie Ihr Wohlbefinden auch bei körperlicher Aktivität. Die BasischenStulpen wirken in Kombination mit MeineBase einer Belastungsübersäuerung entgegen und wirken besonders wohltuend. Müde, schwere Beine? So nicht mehr! Die Anwendung sorgt für frischen Schwung im Alltag und beim Sport.

Weitere Produktinformationen unter: www.jentschura-shop.ch

Sing dich gesund

Singen macht nicht nur froh – es ist wohl eines der einfachsten Antidepressiva. Denn es stimuliert unseren Körper und Geist. Es sollte zur Prophylaxe und Heilung eigentlich längst ärztlich verordnet werden.

Morgens im Bad eine kleine Melodie vor sich hin summen. Beim Kochen oder beim gemeinsamen Wandern ein beschwingendes Lied auf den Lippen, ein Schlaflied für die Kleine oder das wöchentliche Singen im Chor – egal, wo und was, ob alleine oder gemeinsam: Singen ist gesund für Körper, Geist und Seele. Die unglaublichen Wirkungen des Singens sind allerdings weniger bekannt – darum klären wir auf.

Bessere Atmung

Schaut man sich an, was durch das Singen mit uns geschieht, wird klar, warum es so vielfältige, positive Auswirkungen (ausser vielleicht für die Mitbewohner*innen) hat. Es fängt mit der Atmung an: Da man für längere Strophen ausreichend Luft benötigt, muss man lernen, tiefer zu atmen. Wer singt, verlängert also automatisch das Ausatmen, damit der Ton gehalten werden kann. Zugleich wird das Einatmen variiert, je nachdem, ob ein schnelles oder langsames Lied gesungen wird. Automatisch benutzt man deshalb beim Singen die tiefere, gesündere Bauch-Flanken-Atmung anstatt der flacheren Brustatmung. Beim tiefen Einatmen senkt sich das Zwerchfell und massiert innerlich die Organe. Es erfolgt eine «innere Darmmassage», was die Verdauung stimuliert. Andererseits bewegt sich dann beim wirklichen Ausatmen das Zwerchfell wieder nach oben, sodass ein gewisser Sog entsteht, der das Herz entlastet. Das tiefe Atmen führt weiterhin dazu, dass auch die unteren Teile der Lunge gut belüftet werden. Die Sauerstoffsättigung wird so erhöht, was wiederum den Kreislauf in Schwung bringt.

Stärkung des Herzens

Singen ist aus vielen weiteren Gründen reinste Medizin. Es bewirkt eine Stärkung des Herzens, es kurbelt die Darmtätigkeit an und reguliert den Blutdruck. Daneben fördert Singen eine bessere Durchblutung von Hirn und Organen und fördert die Konzentrationsfähigkeit und das Gedächtnis. Zudem ist Singen reiner Hochleistungssport und darum auch für weniger Bewegungsfreudige eine gute Alternative für die eigene Fitness.

Wer singt, soll zudem weniger aggressiv sein, denn es vertreibt rasch allen Stress und Ärger. Es stimmt wirklich, wie alle selbst testen können: Singen Sie von Herzen ein Lied, auch wenn es Ihnen nicht gut geht, und Sie werden bemerken, wie sich die Stimmung hebt! Der Effekt kann unter anderem mit den Schwingungen des Körpers erklärt werden, die entstehen, weil die Stimmbänder beim Singen in Schwingungen versetzt werden. Das wirkt sich auf den ganzen Körper aus. Wir werden so ganz und gar beschwingt und fühlen uns auch so!

Der Mensch ist Musik

Gertraud Berka-Schmid, Professorin an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, beschreibt den Menschen als Klang-Rhythmus-Melodie-FarblichtWesen und nicht nur als Körper-Geist-Seele-Wesen (in www. medizinpopulaer.at) «Wir haben uns in den in der Natur bereits längst vorhanden gewesenen musikalischen Strukturen entwickelt – das waren Klang, Rhythmus, Melodie, also die Grundlage für Musik.» Da der Mensch ein Teil der Natur ist, kann er auch nichts anderes sein als Musik. Wenn wir unser Ohr an unsere Brust legen, hören wir das tanzende Herz: Rhythmus und Klang, sogar Melodie sei da. Sprechen, vor allem Singen, sei im Grunde gestaltetes, verlängertes Ausatmen.

Singen Sie von Herzen ein Lied, und Ihre Stimmung wird sich heben!

«Das Singen ist zuerst der innere Tanz des Atems, der Seele, aber es kann auch unsere Körper aus jeglicher Erstarrung ins Tanzen befreien und uns den Rhythmus des Lebens lehren», sagte auch der Geiger und Dirigent Yehudi Menuhin. Mit dem Körper als ureigenstem Instrument und der Stimme als hörbarem Ergebnis dieses Instruments musizierten wir, so Berka-Schmid. Und um uns in Balance zu halten, der Fülle an Eindrücken und Gefühlen Ausdruck zu verleihen, benutzten wir die Stimme. Unsere menschliche Sprech- und Singstimmen seien in Verbindung mit der Gestik die Ausdruckmöglichkeiten schlechthin. «Ich kann so viel loswerden beim Singen, so viel Ärger, so viel Unangenehmes und Aufgestautes. E-motio heisst ja auch Herausbewegen.» Jede Emotion ist an ein bestimmtes Atemmuster geknüpft. Wenn wir aufgeregt sind, atmen wir anders als bei Traurigkeit. Damit werde klar, warum es so wichtig sei, unsere Stimme zu benützen, beim Sprechen oder eben beim Singen. Berka-Schmid: «Da bewegen sich auch unbenennbare Gefühle, Emotionen aus uns heraus.»

Schmerzen einfach wegsingen?

Studien aus England haben sogar gezeigt, dass sich Singen bei Menschen, die an chronischen Lungenerkrankungen COPD (Chronische obstruktive Lungenerkrankungen, die mit einer zunehmenden Einschränkung der Lungenventialion einhergehen) oder an Asthma leiden, vom Singen profitieren. Ebenso hat man festgesellt, dass sich viele Alzheimerpatient*innen durch das Singen wieder an Melodien oder sogar häufig auch an Liedtexte erinnern. Erklärt wird dies damit, dass Musik in einem Bereich des Gehirns gespeichert ist, der von dieser Krankheit länger verschont bleibt als andere Regionen. Singen kann sogar Schmerzen erträglicher machen oder helfen, sie nicht mehr zu spüren. In Deutschland wurde im Jahr 2009 die inzwischen internationale Initiative «Singende Krankenhäuser» gegründet, ein Netzwerk für heilsames Singen mit dem Ziel, Singangebote in Spitälern, Altersheimen und Hospizen anzubieten.

Stärkung des Immunsystems

Der Musikwissenschaftler Gunter Kreutz von der Universität Oldenburg fand heraus, dass Singen auch das Immunsystem stärkt. Sänger und Sängerinnen eines Laienchors wurden vor und nach einer Singstunde Speichel entnommen. Nach der Chorprobe waren die Werte von Immunoglobulin A deutlich erhöht. Das Molekül wehrt Infektionen der oberen Atemwege ab. Auch das Stresshormon Cortisol war gesunken.

Auch der Einsamkeit – einem aktuellen und Stress auslösenden Phänomen in unserer Gesellschaft – kann durch gemeinsames Singen entgegengewirkt werden. Singen verbindet uns auf ganz besondere Weise: Forschende der

Universiät Göteborg konnten zeigen, dass sich die Herzen der Chorsänger und -sängerinnen schon nach einigen Takten synchronisierten. Kein Wunder also, dass sich Chormitglieder durch das Singen ausgeglichener, fröhlicher und verbundener fühlen – Singen in einer Gemeinschaft fördert Verbundenheit, es entstehen Gefühle der Zugehörigkeit. Wir sind beim Chorsingen in einen Dialog mit anderen und wir brauchen viel Aufmerksamkeit. Denn wir singen ja nicht nur selbst, sondern müssen auf die anderen achten, hören und schauen, das heisst, ständig in Kontakt sein. Wir kreieren gemeinsam etwas, ein «Lied» als gemeinsam gestaltetes Projekt, das einfach Freude bereitet. Somit ist Singen vor allem in einer Welt, in der vielfach ein Ziel erreicht werden muss, eine gute Alternative zu dem, was wir sonst tun. Denn es ist etwas, das zweckfrei und ganz und gar einfach nur zur Freude aller da ist. Es muss keinen weiteren Sinn erfüllen. Und, vor allem, es muss niemand «gut» darin sein.

Besser arbeiten durch Singen

Menschen, die oft singen, sind weniger depressiv und psychisch ausgeglichener. Sicher liegt dies auch an den körpereigenen Cannabinoiden, die bereits nach einer halben Stunde Singen ausgeschüttet werden. Dies brachte eine Studie der britischen Physiologin Saoirse O’Sullivan zutage: Singen fördert die Ausschüttung dieser stimmungshebenden Substanzen mehr als etwa Tanzen oder Velofahren. Selbst die Arbeitsleistung und die Ausdauer werden verbessert. Es ist anzunehmen, dass uns die Arbeit viel leichter zur Hand gehen würde oder wir motivierter wären, würden wir dabei auch singen. Unüblich war das früher in gewissen Bereichen

Singen im Chor fördert nicht nur das Gemeinschaftsgefühl, es ist auch äusserst gesund.

Gemeinsames Singen bereitet Freude.

oder unter harten Bedingungen ja auch nicht: Man denke nur an die Sklaven überall auf der Welt oder an die Minenarbeiter in Goldminen in den USA. Die Gesänge halfen, die unmenschlichen Bedingungen zu ertragen und gaben auch den Arbeitsrhythmus vor. Und Trauerlieder haben in vielen Kulturen immer noch Tradition.

Schnarchstopp Singen?

Singen stärkt unseren Geist und fördert die Konzentration wie eine weitere Studie zeigte. Der Forscher Karl Adamek von der Universität Münster hat 34 Versuchspersonen einen Konzentrationstest vorgelegt. In der Pause nach dem ersten Testdurchlauf konnte sich die eine Hälfte frei entspannen, die andere Hälfte hat eine halbe Stunde lang gesungen. Das verblüffende Ergebnis: Die Personen, die in der Pause gesungen haben, schnitten in einem weiteren Konzentrationstest sehr viel besser ab als die Gruppe, die sich «nur» entspannt hat. Selbst Schnarchen soll durch regelmässiges Singen weniger werden. Allerdings sind für viele Effekte eine Regelmässigkeit und ein Mindestmass an Singen erforderlich. Mindestens 20 bis 30 Minuten täglich, so liest man bei vielen Studien, sollten es schon sein, will man einen Effekt für Körper, Seele und Geist, erzielen.

Jemanden zu sagen oder zu glauben, man sei unmusikalisch, ist ein «No-Go». Man schneidet sich und anderen den Zugang zu reiner Freude und zu unserer ursprünglichsten Quelle für Freude ab. Brummen, Summen, rhythmisches Sprechen – alles ist Musik.

Tipps für mehr Gesang im Alltag:

Versuchen Sie es mit Atemübungen, die befreiend wirken. Dabei die Hände auf den Bauch legen und wie ein Pferd schnauben: die Lippen flattern lassen.

Gemeinsam singen: Sei es mit der Familie, den Kindern oder Enkeln, mit Freunden oder bei einem «offenen» Singen, in der Kirche oder in einem Chor. Spass sollte im Vordergrund stehen. Singen Sie zu besonderen Anlässen doch einfach wieder Lieder. Summen oder singen Sie daheim, im Auto, am PC. Und tun sie es oft. Lassen Sie eine kleine Melodie entstehen, wenn Ihnen kein Lied einfällt. Da Sie allein sind, müssen Sie auch keinen Ton «treffen».

Bewegung und Singen, beim Waldspaziergang, dabei schwingen, tanzen, hüpfen – warum denn nicht!?

Musiktherapie: Die Seele erklingen lassen

Musik lässt kaum einen Menschen kalt. Sie kann glücklich machen, kann zu Tränen rühren, aber auch auf die Nerven gehen. Dass Musik die Seele berühren kann, ist eine Chance gerade für Menschen, die den Zugang zu sich selbst wiederfinden möchten.

Christian Kloter

Als Frau Wyss* (* alle Namen geändert) aufhört zu trommeln, schaut sie mich entgeistert an. Schweissperlen tropfen ihr von der Stirn. Frau Wyss hatte minutenlang mit geschlossenen Augen und aller Kraft auf die Djembe eingeschlagen. Nach einem letzten kräftigen Schlag hat sie die Hände zurückgezogen, die Augen geöffnet. Nun sagt sie beschämt: «Es tut mir leid. Was ist bloss in mich gefahren.» Die ungezügelte Wut, die da durch die Musik spür- und hörbar wurde, verklingt im Raum. «Können Sie mir beschreiben, was Sie während dem Trommelspiel erfahren haben?», frage ich sie. Frau Wyss zögert einen Moment und sagt dann: «Ich sah meinen verstorbenen Mann vor mir. Der Mistkerl hat mich einfach im Stich gelassen, nach vierzig Jahren Ehe.» Wir schweigen einen Moment, dann sagt sie: «Er starb an Krebs. Ich weiss, man darf doch nicht wütend sein in so einem Moment, aber ich bin jetzt ganz allein.» Monatelang hat sie mit niemandem über ihre Gefühle gesprochen, jetzt sind sie auf einmal aus ihr herausgebrochen. Dies ist der Beginn einer langen Trauerarbeit, auf der ich Frau Wyss musiktherapeutisch begleite.

Musik als Tor zur Körper- und Gefühlswelt Musik hat eine unmittelbare Wirkung auf Körper und Seele, deshalb ist sie ein hervorragendes Medium, um innerpsychische Vorgänge auszudrücken und sie so bewusst werden zu lassen. Wer in die Musiktherapie kommt, muss kein Instrument spielen können. Es reicht, Interesse und Neugierde mitzubringen.

Für die musikalische Arbeit steht eine breite Auswahl von leicht spielbaren Musik- und Rhythmusinstrumenten aus verschiedenen Ländern und Kulturen zur Verfügung. Im Gegensatz zum gewohnten «Musizieren» steht nicht das musikalische «Produkt» im Zentrum, sondern was die Musik beim Menschen auslöst: Was begegnet mir über und durch die Musik? Welche Ge-

«
Musik hat eine unmittelbare Wirkung auf Körper und Seele. »

fühle tauchen während des Spielens auf? Wie reagiert mein Körper? Welche persönlichen Themen zeigen sich im Hören und Spielen? Alles was auftaucht, wird unmittelbar erlebt und zugleich gestaltet, und wird dadurch auf sinnliche Weise erfahrbar. So wie bei Frau Wyss. Sie hatte ihre Wut nach dem Tod ihres Mannes unterdrückt, es schien ihr verwerflich, diese zu empfinden. Die unterdrückte Wut raubte ihr die Lebensenergie und blockierte sie in ihrem Trauerprozess. Mit Hilfe der Musik konnte sie ihren ambivalenten Gefühlen Ausdruck verleihen und ihnen begegnen.

Dass Musik so wirkungsvoll ist, geht weit in unsere vorsprachliche Entwicklung zurück. Klänge sind entwicklungspsychologisch eng mit unseren Gefühlen verknüpft. Dadurch ist die Musiktherapie kein harmloser Zugang, und das nehmen Menschen oft intuitiv wahr. Viele drücken «schwierige Gefühle» gewohnheitsgemäss weg. Aufgabe des Musiktherapeuten kann es sein, den Zugang zu Trauer, Schmerz oder Wut dosiert und behutsam zu begleiten. Aber nicht nur Belastendes kann sich in der Musik zeigen, sondern auch

Ressourcen. Endlich wieder einmal dem Gefühl von Freude, Begeisterung, und Leichtigkeit begegnen, so wie das Herr Gruber in einer meiner Gruppensitzungen erlebt hat.

Den inneren Kritiker überspielen

«Mit einem ruhig dahinplätschernden Bergbach hatte dies ganz und gar nichts zu tun!», lacht Herr Gruber, nachdem alle Teilnehmenden ihre Instrumente verklingen lassen haben. Ich hatte der Gruppe vorgeschlagen, dass wir eine Klangreise mit dem Titel «Von der Quelle bis zum Meer» improvisieren. Ich überliess es den Teilnehmenden, ob sie den Wasserlauf aktiv mitgestalten oder ob sie sich hinlegen und zuhörend treiben lassen wollten. Die Musik, die in den letzten zwanzig Minuten den Therapieraum erfüllte, beinhaltete jede erdenkliche Klangfarbe, auch schräge.

Wie alle anderen Teilnehmenden in der Gruppe beherrscht auch Herr Gruber keines der herumstehenden Instrumente. Er merkt schnell, dass er die Situation nicht kontrollieren kann. Zuerst fühlt er sich überfordert, doch dann registriert er, wie die restlichen Teilnehmenden ziemlich unbekümmert einfach drauflos spielen. Also versucht er sich auch, packt sich eine Rassel und gestaltet den «Wasserklang» mit. Dabei nimmt er wahr, wie befreiend sich das unperfekte Tun in diesem Moment anfühlt. Nichts von all den Klängen ist «falsch», sondern es entsteht eine Stimmigkeit und Ästhetik wie in der Natur.

Für Herrn Gruber, einen Perfektionisten, der immer das Maximum von sich erwartet und von seinem inneren Kritiker angetrieben wird, ist das eine Augen und Herz öffnende Erkenntnis. Denn seit er Kind ist, hat er Liebe nur in Verbindung mit Leistung erfahren. Irgendwann ist er, am Ende seiner Energie, zusammengebrochen. Das war der Moment, als er über eine Empfehlung die Musiktherapie aufsuchte.

In diesem für ihn noch ungewohnten Erfahrungsraum findet Herr Gruber vom «Performen», das er so gut kennt, ins «Spielen». Für einen Moment entflieht er seinem inneren Kritiker. Dieses Erlebnis berührt ihn tief. In der Nachbesprechung bemerkt er, dass ihm seine Kindheit gestohlen worden ist und dass er sich nun auf die Suche machen will nach kreativen Räumen, in denen er dem Spielerischen wieder begegnen kann – ohne Leistungsdruck.

Neue Wege und Perspektiven

Wir leben in einer kopflastigen Zeit. René Descartes Grundsatz «Ich denke, also bin ich.» ist für viele Menschen immer noch massgebend. Wenn der Mensch Probleme hat, wird zumeist gedanklich nach einer Lösung gesucht. Wir sind aber mehr als nur unser Gehirn und eine Lösung ist nicht immer in der intellektuellen Auseinandersetzung zu finden. Kognitionsfor-

scher weisen inzwischen darauf hin: Wer denken will, muss fühlen. Genau das passiert in der Musiktherapie, auch bei Frau Graf.

Sie hat eine sichere Arbeitsstelle in einem Büro. Sie weiss, wie der Hase läuft, ihre Arbeit ist Routine geworden. Sie ist 55 Jahre alt und seit 15 Jahren beim selben Arbeitgeber, da erhält sie über eine Bekannte ein Jobangebot. Sie könnte eine kleine Buchhandlung übernehmen und dieser «frischen Wind» einhauchen. Seit vielen Jahren träumt sie davon, mit Büchern zu arbeiten und in einem Buchladen ein Café zu eröffnen, doch die neue Stelle ist mit Unsicherheiten verbunden. Sie wird weniger verdienen, ob der Buchladen überlebt ist ebenfalls nicht sicher. Frau Graf zweifelt, weiss nicht, wie sie sich entscheiden soll. Ich lade sie ein, ihre aktuelle Arbeitsstelle erklingen zu lassen. Sie entscheidet sich für das Xylophon und beginnt eine repetitive Tonfolge zu spielen. Es gibt keine Ausreisser, keine Dynamik, keinen Tempowechsel. Es könnte ewig so weiterklingen. Als ich sie frage, wie sie ihr Spiel erlebt hat, sagt sie, ohne zu zögern: «Öde, wie bei der Arbeit.» Ich lade sie zu einer zweiten Improvisation ein. Wie könnte die Stelle in der Buchhandlung klingen? Frau Graf holt diverse Instrumente: Eine Schale voller Kleinperkussion und eine Trommel. Anfänglich spielt sie die Instrumente kurz an, probiert sich aus. Die Musik wirkt noch unsortiert, doch mit der Zeit scheint es, als ob die Klänge ihren Platz finden. Ein Grundrhythmus entsteht, über dem unterschiedliche Klangfarben tanzen. Frau Graf beginnt zu strahlen, sie wirkt lebendig und

inspiriert. Als ich frage, wie diese Improvisation für sie gewesen sei, antwortet sie: «Erstaunlich, was da aus dem Nichts entstanden ist. Ich wusste gar nicht, dass sich Arbeit so aufregend anfühlen kann.» Als Frau Graf den Therapieraum verlässt, will sie Neues wagen. Da ist auf einmal eine Vision, eine Klarheit.

Der Prozess im Fokus

Wie die Fallbeispiele zeigen, gestalten sich die Prozesse der musikalischen Auseinandersetzung ganz unterschiedlich, je nachdem, welche Bedürfnisse und Themen auftauchen. In der Kombination mit dem therapeutischen Gespräch können die im Spiel gesammelten Erfahrungen reflektiert und in Sinnzusammenhänge gestellt werden.

Frau Wyss, die nach dem Tod ihres Mannes durch das Trommelspiel ihrer Wut begegnet ist, begleite ich mehrere Monate in ihrer Trauerarbeit. Mit der Zeit kamen andere Klänge an die Oberfläche. Der Trauer gab Frau Wyss leise, kaum hörbare Saitenklänge. Und auf die Trauer folgte die Stille, Zeiten des gemeinsamen Schweigens. Aus dieser Stille wuchsen neue, zarte Klänge. Ein Windspiel, helle, klare Noten. Frau Wyss hiess sie willkommen.

Ein Jahr nachdem Frau Wyss mit aller Kraft auf die Trommel gehämmert hatte, legt sie zum letzten Mal das Windspiel aus der Hand und sagt: «Danke. Ich brauche die Trommel nicht mehr. Der Schatten des Todes ist verschwunden.»

Die Prozesse der musikalischen Auseinandersetzung sind ganz unterschiedlich, je nach Bedürfnissen und Themen.

Einsatzbereiche der Musiktherapie

Musiktherapie kann …

Psychiatrie

… bei Depressionen dazu beitragen, Stimmungsschwankungen zu regulieren, negative Gedanken zu reduzieren und das allgemeine Wohlbefinden zu verbessern.

… bei Angststörungen beruhigend wirken, Stress abbauen und dabei helfen, Ängste zu bewältigen.

… bei Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) helfen, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten, emotionale Blockaden zu lösen und die Selbstregulation zu verbessern.

… bei einem Burn-out helfen, die psychische Widerstandsfähigkeit zu stärken und neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln im Umgang mit den Herausforderungen.

Neurologie

… nach einem Schlaganfall oder bei neurologischen Erkrankungen wie Parkinson motorische Fähigkeiten verbessern und Sprachstörungen lindern.

Pädiatrie

Kinder mit Entwicklungsstörungen oder Verhaltensauffälligkeiten durch die spielerische Herangehensweise unterstützen.

Geriatrie

bei älteren Menschen Erinnerungen wecken und das Wohlbefinden steigern – besonders bei Demenzpatient*innen zeigt sich eine positive Wirkung.

Onkologie

Krebspatient*innen Trost und Unterstützung im Umgang mit ihrer Krankheit ermöglichen.

Die Trommel ist eines der Instrumente, welches in der Musiktherapie eingesetzt werden.

Christian Kloter arbeitet als selbstständiger Musiktherapeut und Supervisor/ Coach in Baden (AG). www.musiktherapie-kloter.ch

Adolf Stähli – Jodler, Komponist und Naturmensch

Adolf Stähli aus Oberhofen war einer der berühmtesten Komponisten des Schweizer Jodelgesangs. Vor 25 Jahren verstarb der Schöpfer zahlreicher Lieder und Jutze. Er interessierte sich nicht nur für die Natur, sondern auch für die Naturheilkunde, wie eine denkwürdige Begegnung mit dem Naturarzt Dr. Alfred Vogel beweist.

Samuel Krähenbühl

Am 20. Juni dieses Jahres trafen sich mehrere hundert Jodlerinnen und Jodler zu einem sogenannten «Flashmob» beim Treffpunk in der Eingagshalle des Bahnhofs Bern. Sie sangen den «Bärgchilbi-Jutz» und das Lied «E gschänkte Tag». Beides sind Werke des Jodlerkomponisten Adolf Stähli. Er starb zwar bereits vor 25 Jahren am 31. Mai 1999 und somit noch im letzten Jahrtausend. Doch die Werke des Komponisten und Textdichters aus Oberhofen am Thunersee erfreuen sich anhaltend grosser Beliebtheit, wie das oben beschriebene Beispiel zeigt. Kaum ein volkstümliches Wunschkonzert, an dem nicht mindestens ein StähliLied gewünscht wird. Kein Jodlerfest, an dem seine Kompositionen nicht gesungen oder gejutzt werden. Seine Beliebtheit ist namentlich im Bernbiet wohl unübertroffen. Selbst vielen jungen Menschen, die noch nicht geboren waren, als er verstarb, sind sein Name und zumindest einige seiner Lieder ein Begriff. «E gschänkte Tag», sein wohl bekanntestes Lied überhaupt, wurde sogar von Mundartrocker Polo Hofer, der selbst bis zu seinem Tod in Oberhofen lebte, gecovert.

Erstes Lied als Schulbub komponiert Der am 2. Juni 1925 geborene Stähli war eine facettenreiche Persönlichkeit mit vielen verschiedenen Talenten und Begabungen. Für die Öffentlichkeit und die Nachwelt am bedeutendsten war aber sicher seine Tätigkeit als Komponist von Jodelliedern und Naturjutzen. Schon früh zeichnete sich sein Talent ab. Den Text zu seinem allerersten Lied – dem Justistal-Lied, hat er noch als Schulbub verfasst, wenn auch zunächst noch ohne Melodie. Noch fehlte dem blutjungen Stähli das Selbstvertrauen, selbst eine Melodie zu komponieren. So ging er mit dem Gedicht zu Jakob Ummel (18951992), dem Komponisten des «Bärnbiets». Dieser sagte zu ihm: «Wenn einer solche Texte schreiben kann, dann kann er auch eine Melodie komponieren.» «Er hat die dichterische Ader von seinem Vater geerbt», erinnert sich seine Lebenspartnerin Heidi Koller. Noch heute hat sie in einem Couvert Blättchen voll Notizen aufbewahrt. Dabei war Stähli kein Schnellschreiber. Im Gegenteil, über manche Lieder und vor allem Texte brütete er Jahre, manchmal gar Jahrzehnte. Es kam selten vor, dass er ein Lied einfach in einem Zug niederschrieb.

Adolf Stähli in den Rocky Mountains in der Nähe des Lake Maligne im Jasper Nationalpark in der Provinz Alberta.

Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.