Baby-Boomer und Generation Alpha Was die Generationen verbindet.
Zwischen Genetik und Herkunftscode Welche Rolle spielen die Gene, welche die Herkunft?
Volksdroge Zucker Vom richtigen Umgang mit dem raffinierten Weiss.
Gemeinsame Bande von Alt und Jung
Weihnachten Ein Festmenü entlang der Milchstrasse.
Spürbar mehr Spannkraft und Festigkeit.
Hochwirksame Rezepturen für reife Haut: Regeneration Intensiv pflegt mit nährenden, zart schmelzenden Texturen. Vitaminreiche Öle und vitalisierende Heilpflanzenauszüge unterstützen die Hautelastizität. Die Haut ist den ganzen Tag versorgt. Sie fühlt sich glatt und geschmeidig an.
Wir kennen
sie nicht, sind ihnen aber nah
Liebe Leserin, lieber Leser
Wir sind Zeitgenossen. Die gemeinsame Lebenszeit verbindet uns. Wir erleben den gleichen Abschnitt der Zeitgeschichte. Wir können miteinander kommunizieren, Gefühle für einander empfinden.
Doch es gibt auch Menschen mit denen uns eigentlich sehr viel ver bindet, die bereits vor unserer Geburt verstorben sind. Und es gibt auch Menschen, die noch nicht leben, die wir vielleicht nie kennen lernen, die aber ebenso etwas mit uns verbinden wird. Ich meine damit die Generationen unserer Vorfahren, aber auch die nachkom menden Generationen. Mit ihnen teilen wir biologisch gesehen viel, obschon wir – zumindest zum Teil – diese Menschen nie kennen lernen. Und sind ihnen doch sehr nah. Diesen spannenden Zusam menhängen gehen wir in dieser Ausgabe im Schwerpunkt nach.
Doch mehr als das: Weihnachten rückt näher. Nicht für alle ist die sogenannte Heilige Zeit aber auch per se eine schöne Zeit. Theologin Barbara Zanetti geht der Frage nach, wie die heilige Zeit auch zur heilenden Zeit werden kann.
Heilige Zeit ist auch Schlemmerzeit. Wer für einmal kein Fondue Chinoise oder kein Pastetli möchte, ist gut beraten, unseren MenüTipp zu lesen. Wir bieten einen Vorschlag zum Thema Sterne. Ein kulinarischer Tripp auf der Milchstrasse sozusagen.
Doch damit das Schlemmen nicht zum Gelage ausartet, mahnen wir auch zur Besonnenheit. Etwa beim Thema Zucker. Wussten Sie, dass weisser, raffinierter Zucker erst seit wenigen Generationen überhaupt verfügbar ist? Sicher: In Massen darf auch Süsses genossen werden. Aber nicht in Massen. Eigentlich witzig, dass man diese beiden Wörter, die etwas Gegensätzliches bedeuten, genau gleich schreibt. Und wenn wir schon bei mit Mass geniessen sind, dann verweise ich auf unser Fokusthema Alkohol …
Nun wünschen wir Ihnen mit diesem Potpourri eine schöne Advents- und Weihnachtszeit. Und übrigens: Das Lesen von «natürlich» gehört nicht zu den Drogen, kann aber trotzdem abhängig machen.
Samuel Krähenbühl, Chefredaktor
Lesen Sie kein Blech.
UNDTEILNEHMEN IMGEWINNENTWINNER WERT VON CHF 14‘750.–TWINNER WURDE VON ISTTHÖMUSENTWICKELTUND DIE ANTWORT AUF DIEJETZTMOBILITÄTVONMORGEN. GEWINNEN UND MEHR ERFAHREN! twinner.ch/win
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SCHWERPUNKT
8 Was können die Generationen voneinander lernen? Wir haben Menschen aus allen Generationen dazu befragt.
10 Genetik und Herkunftscode
Erbinformationen und Prägung auf dem Prüfstand.
18 Familienaufstellen
Ein Gang in die Familiengeschichte.
GESUNDHEIT
22 Volksdroge Zucker Die Kehrseite der süssen Versuchung.
KOLUMNE
48 Sabine Hurni über … … Akzeptanz.
Inhalt
FOKUSTHEMA
54 Eine Droge wie keine andere Die zwiespältige Rolle des Alkohols.
GESUND ESSEN
60 Sternenzauber Ein Weihnachtsmenü der etwas anderen Art.
HEILPFLANZEN
64 Harze
Auch Harze der Nadelbäume können heilend wirken.
NATUR UND FREIZEIT
70 Sterne in Pflanzenform Weihnachtssterne sind beliebt und vielseitig.
Service
3 Editorial / 36 Gesunder Geist / 38 Gesunder Körper / 42 Kurz gefasst / 44 hin und weg / 46 neu und gut / 50 Beratung / 53 Liebesschule / 78 Ihre Seite / 80 Rätsel / 81 Vorschau / 82 Anderswelt
Das Zusammenleben der verschiedenen Altersgruppen beschäftigt uns Menschen seit jeher. Jede Generation hat ihre eigenen Vor-, aber auch Nachteile. Unsere Jungautorin hat das Thema aufgenommen.
Nina
Bieri (17 Jahre)
Die Generationen prägen uns seit Beginn der Menschheit. Jede Generation hat ihre eigenen Probleme, Ansichten und Prägungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch viele Dinge haben wir auch gemeinsam, egal ob jung oder alt. So spielen Kinder heute noch mit Barbies, die bereits in den 1960er-Jahren auf den Markt kamen. Welche Dinge verbinden uns eigentlich mit den anderen Generationen? Sind wir am Ende doch gar nicht so verschieden?
Generationen, deren Prägungen und Meilensteine
Zwischen den Jahren 1920 bis 2020 liegen 100 Jahre und rund sechs Generationen. Die stille Generation (1920–1945), die Babyboomer (1946–1964), Generation X (1965–1979), Millennials (1980–1994), Generation Z (1994–2010) und schliesslich Generation Alpha (ab 2010). In den Jahren seit 1920 hat sich sehr vieles getan; Positives und Negatives. Meistens denken wir an die negativen Auswirkungen, da diese uns auch etwas stärker prägen.
Viele der Stillen Generation mögen sich an den Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen noch gut erinnern, auch wenn sie vielleicht nicht direkt betroffen waren. Auch neue Krankheiten und Seuchen haben sich immer wieder bemerkbar gemacht. Jede Generation hat Ausbrüche von Epidemien und Pandemien miterlebt, sei es auch nur durch die Medien. Sei es AIDS, Cholera, Corona oder Influenza, die jedes Jahr mehr oder weniger stark ausbricht.
Doch zwischen Krieg, Klimawandel und Pandemien entwickeln sich auch immer neue und positive Dinge. So hat die Medizin in den letzten Jahren riesige Fortschritte gemacht, was auch die Lebenserwartung enorm erhöht hat. Beispielsweise wurde 1928 Antibiotikum entdeckt oder etwas später die Organtransplantation. Nebst der
Mondlandung schritt auch die Technik fort. DVD, World Wide Web und das Senden von E-Mails sind noch nicht so lange möglich. Diese Fortschritte sind enorm und wirken auf unerfahrene Menschen überfordernd.
Bessere Bedingungen, mehr Menschen
Die Lebensbedingungen für uns Menschen in der Schweiz sind sehr gut. Männer haben heute eine durchschnittliche Lebenserwartung von 82 Jahren, Frauen etwa 85 Jahre. Vor 100 Jahren sah dies noch um einiges anders aus. Die Lebenserwartung für Frauen war 49 Jahre, für Männer 44. Die Lebenserwartung hat sich also fast verdoppelt. Einerseits aufgrund der guten medizinischen Versorgung andererseits auch, weil sich Menschen mehr mit ihrer Gesundheit auseinandersetzten.
Was verbindet und was trennt?
Oft sieht man den Umgang vor allem zwischen den jüngsten und ältesten Generationen als kompliziert an. Doch wieso eigentlich? Ich vermute, dass es an Vorurteilen liegen könnte, die wohl alle Generationen haben.Oft hört man, dass die heutige Jugend verweichlicht sei und über Probleme klage, die es anno dazumal ja noch nicht gab. Und von den älteren Generationen wird gesagt, dass diese skeptisch und unverständlich gegenüber allem Unbekannten sei. Vielleicht wird einfach zu wenig über die Gemeinsamkeiten gesprochen! So haben Millennials wahrscheinlich genauso Angst vor der Zukunft, nur die Umgangsform mit dieser ist anders.
Viele Dinge haben wir die Generationen gemeinsam. So wird beispielsweise Musik der Babyboomer unter Jugendlichen wieder populär, genauso Kleidungsstile der 80er-Jahre Eventuell ist es an der Zeit, dass wir beginnen einen offenen Umgang miteinander zu haben. Wer weiss, vielleicht führen Sie bald eine Unterhaltung mit jemandem aus einer anderen Generation und bemerken die Gemeinsamkeiten!? •
Was können die Generationen voneinander lernen?
Wie ist das Zusammenleben von Menschen verschiedenen Alters? Und was können die verschiedenen Generationen vielleicht sogar voneinander lernen?
Unsere Jungautorin Nina Bieri (17 Jahre) ist dieser Frage nachgegangen und hat Menschen aus ihrem Umfeld im Alter von 11 bis 87 Jahren danach befragt.
Interviews: Nina Bieri
«Junge und alte Leute sollten sich mehr lustige Witze erzählen»
Ich habe eine gute Freundin aus Italien, die 33 Jahre älter ist als ich. Für sie male ich Zeichnungen. Ihr Freund hat sie betrogen, aber sie hat gesagt, dass manchmal Dinge zu Ende gehen müssen, damit gute neue Dinge entstehen können. Ich finde diesen Spruch sehr gut. Meine Gotte geht mit mir spazieren und hilft mir Tiere zu retten. Mit meinem Grossmuetti spiele ich immer Memory. Das finde ich super. Eine Bekannte spielt auch immer mit mir. Wenn meine Tanten mit ihren Kindern zu Besuch kommen, spiele ich gerne mit ihnen. Mit meinen Freundinnen aus der Schule, mache ich immer Witze. Ich finde, dass alte und junge Leute sich mehr lustige Witze erzählen sollten und lieb zueinander sein sollten. Ein guter Witz ist: Hat das Blümchen einen Knick, war das Bienchen wohl zu dick.
Anna
Sofia Bieri, Konolfingen (11 Jahre)
«Mir sind Menschen, die etwas älter sind als ich, oft näher»
Bei jüngeren Menschen merke ich, dass diese oft arroganter sind, als ich es damals war. Ich kenne Kinder/Jugendliche, die sehr nett und hilfsbereit sind, aber auch solche die ignorant und distanzlos sind. Viele Gleichaltrige sind nett, doch mir trotz des Alters nicht so nah wie Menschen, die etwas älter sind als ich. Diese geben häufig hilfreiche Tipps wie Lebensabschnitte, wie beispielsweise die Schule, gemeistert werden können. Ältere Generationen, die ähnliche Probleme hatten, wissen oft Wege diese zu meistern. Der Umgang mit der Generation X ist für mich am schwierigsten. Die Welt und die Technik haben sich verändert, Handys braucht man heute einfach viel. Oft kommen Aussagen, dass die heutige Generation verweichlicht sei und die Probleme nicht gerechtfertigt sind. Ich wünsche mir deshalb mehr Verständnis. Amélie Rose Townsend, Hünibach (15 Jahre)
«Der jüngeren Generation wird oft Unrecht getan»
Der Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Generationen ist eine tragende Säule unserer Gesellschaft. Die Familien und Gemeinschaften unterstützen sich gegenseitig, was Sicherheit und Geborgenheit vermittelt. Meine Generation hat den Vorteil von technologischem Fortschritt und gleichzeitig von traditionellen Werten zu profitieren. Nachteile sind der Spagat zwischen Moderne und Tradition. Ja, jüngeren Generationen wird oft Unrecht getan. Der psychische Druck durch soziale Medien und Leistungserwartungen wird oft unterschätzt. Die Erfahrungen mit Menschen aus anderen Generationen empfinde ich als positiv, vor allem den Wissensaustausch und die Unterstützung durch ältere Generationen. Was ich als etwas negativ ansehe ist, dass manchmal das Verständnis für die Herausforderungen der jüngeren Generationen fehlt. Simon Zwygart, Konolfingen (36 Jahre)
«Hobbies verbinden Menschen aus verschiedenen Generationen»
Als Vater und jemand, der mit Menschen in höherem Alter Theater spielt, sehe ich einen grossen Zusammenhalt in diversen Bereichen. Hobbies, die Menschen teilen, verbinden Generationen. Genauso meine Kinder und mich. Meinungsverschiedenheiten zum Thema Erziehung sind die einzig negativen Erfahrungen mit anderen Generationen. Sonst ist es doch nur schön etwas von anderen Generationen zu lernen. Die Erkenntnis unseres direkten Einflusses auf das Klima finde ich das Prägendste. Veränderungen akzeptieren, Verständnis haben und sich unterstützen. Zusammenleben und sich weniger von anderen Generationen trennen. Jedes Alter hat seinen positiven Einfluss. Ich kann mir gut vorstellen, dass es in Zukunft wieder mehr Generationen in einem Wohnhaus geben wird. So können sich Familien häufiger unterstützen und viele Probleme gemeinsam lösen. Michael Scheurer, Thun (44 Jahre)
«In den Familien besteht der grösste Zusammenhalt zwischen den Generationen»
Der grösste Zusammenhalt zwischen den Generationen wird in der Familie gelebt. So unterstützen und begleiten die älteren Generationen die jüngeren. Basis für den Zusammenhalt ist das Geben und Nehmen. Ich habe meine Eltern und Grosseltern als helfend und unterstützend erlebt. Als Lehrer habe ich mein Leben lang viel Positives erleben können mit den jungen Leuten, die ich unterrichtet habe. Für die jetzigen Generationen ist es selbstverständlich, dass Frieden herrscht und es uns wirtschaftlich gut geht. Zwischen den Generationen entstehen Konflikte, wenn es sich zum Beispiel wie bei der AHV um ein Umlagerungssystem handelt. Die Frage ist also, wann gehen wir in Pension, besonders weil wir immer älter werden. Ich wünsche mir, dass jede Generation weiterdenkt als nur an die eigenen Probleme und dazu beiträgt, allgemeine Lösungen zu finden.
Jürg Barblan, Thun (70 Jahre)
«Auch Ältere sollten mit Jüngeren den Kontakt suchen»
Der Zusammenhalt zwischen den Generationen empfinde ich als eher schlecht. Viele Ältere sind isoliert, aber man muss auch was dafür tun, dass man nicht versauert. Ich glaube, dass junge Menschen es sehr schwierig haben. In dieser verrückten Welt zugange zu kommen ist auch nicht einfach. Alles muss man wissen, alles soll schnell gehen. Das ist zu viel. Ich als Bauernmädchen wollte in die Welt raus. Von zu Hause wegzugehen hat mich interessiert, etwas Neues zu erleben und entdecken. Damals war fast alles Handarbeit und heute all diese Maschinen. Es ist alles so anders. Aber man kann nicht sagen, dass es früher besser war. Es ist wahnsinnig schwierig, wem man vertrauen soll. Das finde ich besonders für junge Menschen schwierig. Wir sollten vermehrt aufeinander zugehen; auch als Ältere mit Jüngeren den Kontakt suchen.
Rosmarie Bürki, Konolfingen (87 Jahre)
Zwischen Genetik und Herkunftscode
Der Einfluss unserer Vorfahren auf unser Verhalten und Wesen ist gemäss aktuellen Genforschungen grösser, als manche vermuten würden. Die Entwicklungspsychologie spricht von mentalen Modellen, die intergenerationell weitergegeben werden. In der systemischen Arbeit ist gar von einem energetischen Herkunftscode die Rede, den es aufzulösen gilt.
Fabrice Müller
Genetische Informationen beschränken sich nur auf eine Generation und werden nicht an die Nachfahren weitergegeben. Davon ging die Forschung lange Zeit aus. Mehrere Studien haben inzwischen jedoch nachgewiesen, dass epigenetische Markierungen tatsächlich an die nächsten Generationen weitervererbt werden. Forschende des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg (D) entdeckten 2017, dass nicht nur die vererbte DNA selbst, sondern auch vererbte epigenetische Instruktionen zur Regulierung der Genexpression der Nachkommen beitragen.
Im Unterschied zur Genetik, die sich mit der Erbsubstanz DNA selbst beschäftigt, liefert die Epigenetik (wörtlich: zusätzlich zur Genetik) zusätzliche codierte Informationen, die den Aktivitätszustand von Genen bestimmen. Als epigenetische Markierungen werden z. B. chemische Moleküle bezeichnet, die an der DNA selbst oder an den DNA-Bindungseiweissen hängen, und die beispielsweise dazu führen, dass ein bestimmter Abschnitt auf der DNA nicht mehr abgelesen werden kann. Alle epigenetischen Markierungen zusammen bilden das epigenetische Muster einer bestimmten DNA-Region. Wie die Erbsubstanz selbst werden vermutlich auch epigenetische Informationen an folgende Generationen vererbt. Darüber hinaus beschreiben die Erkenntnisse des Labors von Nicola Iovino die biologischen Folgen dieser vererbten epigenetischen Informationen. «Unsere Studie legt den Schluss nahe, dass wir mehr als nur Gene von unseren Eltern erben. Denn wir fanden Mechanismen, welche die Aktivität unseres Erbguts steuern und von denen wir wissen, dass sie durch unsere Umwelt und vom individuellen Lebensstil beeinflusst werden. Es ist somit durchaus denkbar, dass zumindest in einigen Fällen erworbene Umweltanpassungen über die Keimbahn auch an die Nachkommen weitergegeben werden könnten», erläutert der Studienleiter Nicola Iovino.
Muster übernehmen und weiterleben
Die Wissenschaftlerin Prof. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello von der Universität Bern beobachtet immer wieder, wie Menschen negative mentale Modelle intergenerationell übernehmen und weitergeben. Dazu zählen zum Beispiel das Scheidungsverhalten oder berufliche Probleme. «Solchen Menschen fehlt das Vertrauen und die Zuversicht. Sie driften häufig in die Unverbindlichkeit ab, weil sie als Kind verletzt worden sind oder als Kind eine unsichere Bindung erfahren haben.»
Die Entwicklungspsychologin und Familientherapeutin spricht dabei weniger von Prägungen, sondern vielmehr von mentalen Modellen und Mustern, die man von den Eltern oder Grosseltern übernommen hat. «Solche Modelle haben immer auch einen Einfluss auf das jetzige Verhalten eines Menschen, sei es im Umgang mit Emotionen, Herausforderungen oder beruflichen Themen.»
Der Einfluss fehlender Wärme Prägungen bzw. mentale Modelle entstehen bereits in der frühkindlichen Phase. So sind die ersten vier Jahre eines Kindes entscheidend für dessen Sprachentwicklung. «Fehlt in dieser Zeit die entsprechende Stimulation, lernt das Kind nur schwerlich sprechen», gibt Pasqualina Perrig-Chiello zu bedenken. Forschungen in den 1950er-Jahren beschäftigten sich mit der Entwicklung von Waisenhauskindern und fanden dabei heraus, dass fehlende Wärme, Zuneigung und mütterliche Berührung im Kindesalter zu Problemen in der künftigen Beziehungsentwicklung führten. «Früher ging die Forschung davon aus, dass man solche mentalen Modelle nicht durchbrechen kann und sie somit zu einer nachhaltigen Schädigung der Bindungs- und Beziehungsfähigkeit führen», erzählt Pasqualina Perrig-Chiello.
Mit Hilfe von Langzeitstudien konnte diese Annahme in der Folge stark relativiert werden. Die US-Psychologin und Resilienzforscherin Emmy Werner zeigte anhand
einer Langzeitstudie, wie ein Drittel der Kinder aus schwierigsten Familienverhältnissen aus ihrer Stichprobe sich in der Folge gut entwickelte. Dies dank der Tatsache, dass sie früh alternative Bindungen aufbauen konnten –zu Grosseltern, Tanten oder Kindergartenlehrpersonen.
Fundament für Freundschaft und Partnerschaft
Langzeitstudien der Bindungsforscher Grossmann und Grossmann von der Universität Regensdorf beleuchteten den Zusammenhang zwischen Bindungserfahrungen in der Kindheit und der Entwicklung im Erwachsenenalter. Sicher gebundene Kinder, mit positiven Erfahrungen zu ihren Bezugspersonen, entwickelten mentale Modelle, die es ihnen in der Folge ermöglichten, verlässliche, vertrauensvolle Beziehungen einzugehen. Dies im Gegensatz zu unsicher Gebundenen, die diesbezüglich erhebliche Mühe hatten. Bereits in den ersten Lebensjahren wird also das Fundament für Freundschaften, Partnerschaften und den rücksichtsvollen sozialen Umgang mit anderen gelegt. Stärke und Nachhaltigkeit von mentalen Modellen hängt gemäss der Psychologin davon ab, wie negativ diese Prägung sei. «Negative mentale Modelle wirken sich stärker aus als positive. Denn wir Menschen reagieren bei negativen Einflüssen emotional besonders verletzlich.» Positive Modelle hingegen bilden zwar eine gute Basis für die Entwicklung, sind aber keine Garantie hierfür.
Nicht nur eine Frage der Gene
Die mentalen Modelle werden gemäss Pasqualina PerrigChiello von den engsten Bezugspersonen wie Mutter und Vater übernommen. Dazu gehören auch Grosseltern, die zumeist ebenfalls eine enge Beziehung zu ihren Grosskindern haben, und ihnen Bindungsmuster und Werthaltungen weitergeben.
Aus der Forschung wisse man ferner, dass, so Pasqualina Perrig-Chiello, Wohlbefinden, Gesundheit und die Lebenserwartung nur zu rund 40 Prozent auf die genetische Ausstattung frühkindlicher Erfahrungen zurückzuführen sind. Der Rest sei auf den Lebensstil und das soziale Umfeld bezogen, in erster Linie aber auf Charakterstärken. «Wir sind kein Spielball des Schicksals. Der Mensch ist mehrheitlich selbst der Gestalter seiner Entwicklung», ist Pasqualina Perrig-Chiello überzeugt.
Selbsterkenntnis ist entscheidend
In der Praxis trifft die Entwicklungspsychologin regelmässig auf Menschen, die in der Opferrolle verharren und sich nur schwer davon lösen können oder wollen. Grundvoraussetzung für Veränderung sei die Selbsterkenntnis – sie ist entscheidend, um die Eigenanteile zu erkennen und sich von dysfunktionalen Mustern zu befreien. «Als Psychologin ist es mein Ziel, den Betroffenen zu zeigen, welches andere Verhalten ebenfalls möglich ist und dass sie nicht die Sklaven der Vergangenheit sein müssen», betont Pasqualina Perrig-Chiello. Vielmehr gelte es, vorwärtszuschauen und sich neu zu erfinden – wenn nötig mit externer Unterstützung.
Basierend auf der Positiven Psychologie geht es der Professorin um die Entwicklung von Charakterstärken auf der mentalen, emotionalen, zwischenmenschlichen und kognitiven Ebene. «Die Betroffenen können ihre eigenen Stärken wie zum Beispiel Dankbarkeit, Hoffnung, Neugier, Spiritualität, den Sinn für das Schöne oder die Vergebung erkennen und entwickeln», erklärt Pasqualina Perrig-Chiello. Besonders die Fähigkeit, zu vergeben und sich mit der Vergangenheit zu versöhnen, sei entscheidend für das Seelenheil und die Seelenruhe.
Transgenerationaler Ansatz
Von einem energetischen Herkunftscode in Zusammenhang mit Prägungen und Mustern, die Menschen von ihren Vorfahren übernommen haben, spricht Rosa Rechtsteiner, Pädagogin und Kinesiologin aus Kreuzlingen. Sie hat vor mehr als 25 Jahren eine systemische Methode entwickelt, die unter dem Namen Rosa Rechtsteiner Methode etabliert ist und seit 2002 auch gelehrt wird.
Ihr transgenerationaler Ansatz geht davon aus, dass die Menschen sich als soziale Wesen unbewusst an dem orientieren, was ihnen ihre Familie und Ahnen vorgelebt haben. «Oft übernehmen wir Werte, Ideen, Verhaltensregeln, die unsere Vorfahren über Generationen hinweg gelebt haben», sagt Rosa Rechtsteiner. Die Familie sei wie eine Frequenz, die alte Muster, Werte, Emotionen und Traumatisierungen von Generation zu Generation weiter-
gebe. Das Unterbewusstsein halte an dieser vorgegebenen und vorgelebten Struktur fest – mit Folgen für die persönliche Identität und Entwicklung eines Menschen.
«Ich darf nicht glücklich sein»
Doch der energetische Einfluss der Sippe, wie es Rosa Rechtsteiner erklärt, gehe noch weiter: Gewisse Rollen, Hierarchien, Eigenschaften und Aufgaben seien zum Teil nur für bestimmte Familienmitglieder bestimmt. Das heisst: Der älteste Sohn einer Familie übernimmt als Nachfolger seines Vaters die Sippenleitung, niemals der jüngste Sohn.
Oder gewisse Krankheiten, unter denen etwa die Mutter litt, würden unbewusst von der Tochter weitergelebt –genauso wie Lebenseinstellungen und selbstauferlegte Begrenzungen im Sinne von: Ich darf nicht glücklich sein oder ich bin nicht gut genug. «Solche Phänomene zeigen sich im Leben, wenn man zum Beispiel immer wieder an Grenzen kommt, die unüberwindbar scheinen, oder wenn man das Gefühl hat, dem eigenen Glück im Wege zu stehen.»
Nicht so frei, wie wir denken
Welche Rolle spielt dabei laut Rosa Rechtsteiner der eigene Wille? «Unser vermeintlich freier Wille ist nicht so frei, wie viele denken.» Erst durch das Auflösen von alten Mustern, Traumatisierungen könne der freie Wille wirklich gelebt werden. Rosa Rechtsteiner arbeitet mit einem
Genogramms bzw. Ahnenstammbaum – mit dem Ziel, die komplexen Strukturen der Herkunftsfamilie transparent zu machen.
Der Weg in die «Freiheit», in eine eigene Identität und Mitte, sei eine Bewusstseinsarbeit, bei der Thema für Thema behandelt werden. Nur so lasse sich der Einfluss der Sippe überwinden. «Der Mensch kommt zur Erkenntnis, dass er anders sein darf als die Sippe», erklärt Rosa Rechtsteiner. In ihrer Therapie schliesse sie stets auch die Kinder der Klientinnen und Klienten mit ein, um zu verhindern, dass Muster, Ängste oder Traumatisierungen der Vorfahren an die nächste Generation weitergegeben würden. Durch die systemische Auflösung von alten Mustern verändere sich übrigens auch etwas bei den noch lebenden Vorfahren, ist Rosa Rechtsteiner überzeugt.
Wie Sie sich aus alten Mustern lösen und zum eigenen Leben finden, Rosa Rechtsteiner, September 2015, Patmos Verlag, 176 Seiten, EAN 9783843606868
Grosselternsein als Chance
Grosseltern können die Kindheit und somit das ganze Leben ihrer Enkel nachhaltig positiv prägen. Damit der Balanceakt zwischen Nähe und Distanz zwischen drei Generationen gelingt, braucht es Toleranz und Respekt.
Therese Krähenbühl-Müller
Es ist ein schönes Bild, wenn Enkel ihren Grosseltern freudestrahlend in die Arme fallen, wenn diese sie von der Kita oder dem Kindergarten abholen oder wenn sie ausgelassen zusammen auf dem Spielplatz herumtollen oder Enkel eifrig beim Fussballspiel von ihrer Oma und ihrem Opa angefeuert werden. Grosseltern, die Energie und Lust haben, Zeit mit ihren Enkeln zu verbringen, entlasten nicht nur ihre Kinder, sondern können auch eine weitere Generation begleiten und prägen. Was in der Theorie sehr schön klingt, kann in der Praxis einige Tücken mit sich bringen. Um die gute Beziehung zwischen den Generationen zu erhalten, macht es also Sinn, die gegenseitigen Erwartungen zu klären, wenn sich Nachwuchs ankündigt.
Mittelwege finden
Nur weil man vielleicht schon pensioniert ist, somit etwas mehr Zeit hat und auch körperlich noch fit ist, heisst das nicht per se, dass man auch den Wunsch hegt, regelmässig die Enkel zu hüten. Vielleicht kann es auch sein, dass sich Menschen, die lange im Berufsleben gestanden und viel geleistet haben, sich etwas Ruhe wünschen und gerne reisen und nicht verpflichtend jede Woche die Enkel betreuen möchten. Das ist legitim und kann so kommuniziert werden.
Vielleicht sollte man sich aber bei allem Freiheitsdrang auch bewusst machen, dass man älter wird und die Enkel nur eine kurze Zeit klein sind. Sind sie gross, ist die Chance verpasst. Es gibt ja aber auch einen Mittelweg zwischen zwei Tage die Woche fix verpflichtend zu babysitten und die Enkel gar nie zu betreuen. Frühzeitiges Planen und Vereinbaren von Terminen kann Konflikten vorbeugen.
Die Enkel sind nur kurze Zeit klein. Es lohnt sich, diese Phase gemeinsam zu geniessen.
Grenzen respektieren
Nicht nur die Frage wann, sondern auch wie auf die Enkel aufgepasst wird, ist nicht immer ganz einfach. Manchmal gehen die Vorstellungen rund um Ernährung, Schlaf und Gestaltung der Tage der Kinder weit auseinander. Was bei der Grosselterngeneration als völlig normal galt, wird von den Eltern als unpassend angeschaut. Auch hier gilt es wieder, klare Abmachungen zu treffen und gerade auch auf der Seite der Grosseltern zu akzeptieren, dass Erziehung heute teilweise anders gestaltet wird.
«
Kinder brauchen nicht viel, um glücklich zu sein.
Oft reicht es einfach, ihnen Zeit und ein offenes Ohr zu schenken. »
Gemeinsame Zeit zu verbringen ist für Kinder und Grosseltern beglückend, für die Eltern entlastend.
Das Thema Grenzen und Grenzüberschreitung ist auch in diesem Fall gross und bietet Konfliktpotential. Auf beiden Seiten ist darum Rücksichtnahme und Toleranz gefordert. Es ist gerade das Privileg der Grosseltern, ab und zu eine Fünfe gerade sein zu lassen, wo Eltern konsequent sein wollen. Gegenseitiges Verständnis und Toleranz sind der Schlüssel zu einer harmonischen Beziehung. Denn sind diese nicht vorhanden, können auch die Enkel zwischen den Spannungen leiden und so macht die Hilfe nur wenig Sinn.
Weite Bandbreite der Hilfe
Vielleicht müssen es auch nicht immer fixe und ganze Tage sein, welche die Grosseltern zusammen mit ihren Enkeln verbringen. Oft gibt es Eltern schon etwas Luft, wenn jemand mit ihren Kindern für eine oder zwei Stunden im Park spazieren oder mit ihnen auf den Spielplatz geht. Manchmal reicht auch schon das Anwesendsein, etwas mit den Kindern zu spielen oder zu basteln, wenn die Eltern sogar im Haus sind. Die Bandbreite für mögliche Hilfestellungen ist weit. Gerade die jüngere Generation sollte sich bewusst machen, dass ihre Eltern nicht verpflichtet sind, die Enkel zu hüten. So wie auch Grosseltern es akzeptieren müssen, wenn ihre Kinder es bevorzugen, die Enkel lieber institutionalisiert in einer Kita oder von Tageseltern betreuen zu lassen. Denn Enkel sind wiederum nicht dazu da, die Leere der Grosseltern im Alter auszufüllen oder ihnen zu helfen Dinge
auszubügeln oder ein schlechtes Gewissen für Versäumnisse bei den eigenen Kindern auszugleichen. Jede Generation hat ihre eigene Geschichte und Herausforderungen und es gilt, neue Chancen zu nutzen und nicht dem Vergangenen nachzuhängen.
Fähigkeiten statt Geld vererben
Es ist also sinnvoll, wenn man sich als Grosseltern auch einmal überlegt, was man denn der nächsten Generation weitergeben möchte. Der amerikanische Prediger Billy Graham sagte einst zu diesem Thema: «Das grösste Vermächtnis, das jemand seinen Grosskindern weitergeben kann, sind nicht Geld oder materielle Dinge, die jemand in seinem Leben angehäuft hat, sondern das Vermächtnis von Charakter und Glauben.» Dabei soll es sicher nicht darum gehen, festgefahrene Glaubenssätze an die nächste Generation weiterzugeben. Vielmehr ist es eine Chance, kleine Menschen mit Geduld und Liebe und vielleicht auch dem Erzählen von Geschichten und gemeinsamen Erlebnissen zu prägen und ihnen eine Erinnerung für die Tage zu hinterlassen, wenn man selbst nicht mehr lebt.
Dazu kann es auch gehören, dass man den Kindern gewisse Dinge beibringt, für welche die Eltern vielleicht etwas weniger Zeit haben oder sie schlicht auch nicht beherrschen. Gerade die ältere Generation hat oft noch etwas intensiver Handarbeits- und Werkunterricht ge-