Thomas Wälti
Klettern
Thomas Wälti
Klettern
Davos | Surselva | Vals
Engadin | Bergell
Thomas Wälti
Churer Rheintal I Rätikon I Davos I Surselva
Vals I Engadin I Bergell
Die Angaben in diesem Buch wurden mit grösstmöglicher Sorgfalt und nach bestem Wissen und Gewissen des Autors zusammengestellt. Eine Gewähr für deren Richtigkeit wird jedoch nicht gegeben. Die Begehung der vorgestellten Routen und Touren erfolgt stets auf eigenes Risiko. Fehlermeldungen und Ergänzungen bitte an: Weber Verlag AG, Gwattstrasse 144, 3645 Thun/Gwatt, sac@weberverlag.ch
Aktualitäten zum Kletterführer Graubünden und allgemeine Kletternews zum Kanton findet man unter «Links» am Ende des Buches.
Naturverträglichkeitsprüfung: Sämtliche Klettergebiete und Routen wurden den kantonalen Behörden zur Prüfung vorgelegt (Sommer 2012).
Alle Rechte vorbehalten, einschliesslich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe.
© 2024 Weber Verlag AG, CH-3645 Thun/Gwatt 1. Auflage 2013, inhaltlich unveränderter Nachdruck 2024
Satz und Umbruch: Judith Wälti, Schaffhausen Foto Umschlag: Thomas Wälti in Galadriel, 5. Kirchlispitze, Rätikon, © Robert Bösch
Weber Verlag Umschlag: Shana Hirschi
Die Weber Verlag AG wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2025 unterstützt.
ISBN 978-3-85902-502-8 www.weberverlag.ch
Vor einiger Zeit bekam ich ein kleines Büchlein zugeschickt. Es enthielt Topos vom Klettergarten Seehorn oberhalb von Davos. Geschrieben hatte es der Bergführer Stephan Welz, der das kleine Gebiet saniert hatte. Er fragte an, ob der SAC-Verlag Interesse hätte, die Topos zu publizieren. Ich fuhr von Genf ins Prättigau und traf Stephan Welz und weitere Bergführer und Erschliesser für ein Gespräch. Wir kamen überein, einen Sportkletterführer für den ganzen Kanton Graubünden zu verfassen. Eine Liste von Klettergebieten wurde erstellt, ein Konzept war in Arbeit, Stephan Welz hätte der federführende Autor werden sollen. Doch es kam anders. Bei einem Arbeitsunfall verletzte er sich schwer. Mit schlimmen Folgen: Stephan Welz kann nicht mehr seinen geliebten Bergführerberuf ausüben, er ist seither an den Rollstuhl gefesselt! Dieses Kletterbuch ist Stephan Welz gewidmet. Nach reifer Überlegung hat Thomas Wälti eingewilligt, für seinen Kollegen einzuspringen. Der erfahrene Autor unseres Verlags hat mit Hilfe von Bergführerkollegen und Erschliessern ganz Graubünden durchgearbeitet, hat recherchiert, gezeichnet, fotografiert und geschrieben. Das Werk wurde fast zur Familienproduktion. Die Grafikerin ist Judith Wälti, Schwester des Autors und selbst eine engagierte Kletterin.
Man ahnt kaum, wie viel Wissen und Können, welch enormer Aufwand in solchen Publikationen stecken. Im Namen des SAC und seines Verlages danke ich Thomas Wälti für diese erste Ausgabe des Bündner Sportkletterführers.
Ich wünsche Ihnen allen erlebnisreiche und unfallfreie Klettertage.
Meyrin, Januar 2013
Hans Bräm
Präsident der SAC-Verlagskommission
Das Projekt zu einem Kletterführer für den ganzen Kanton Graubünden stammt aus dem Jahr 2006 vom Davoser Bergführer Stephan Welz. Mir schien dazumal der Aufwand viel zu gross und das Buchprojekt als kaum realisierbar. Einige Jahre später hatte ich aber bei Besuchen von Bündner Klettergebieten oft Daten und Informationen gesammelt. Die Autoren der lokalen Gebietsführer Mario Luginbühl, Michael Illien und Urs Ettlin unterstützten mich und gaben mir die Erlaubnis viele ihrer Vorlagen zu verarbeiten. 2008 verunglückte Stephan Welz bei Felsräumungsarbeiten schwer und ist seither an den Rollstuhl gebunden. Dies gab mir aber auch den entscheidenden Anstoss, sein Projekt ernsthaft anzugehen. Der Vertrag mit dem SAC wurde unterzeichnet und nach fünf Jahre dauernden Recherche-, Zeichnungs- und Layoutarbeit liegt nun die farbige Bestandesaufnahme der Bündner Klettereien vor und man kann mit Sicherheit sagen: “Graubünden hat auch vertikal viel zu bieten!” 1995 schrieb ich den SAC Kletterführer zu den Churfirsten. Dabei stellte ich an mich den radikalen Anspruch alles selber abzuklettern. Dies war zwar ein riesiger Aufwand, brachte aber als sehr befriedigendes Ergebnis perfekte Detailtopos hervor. Für das eng beschränkte Teilgebiet der Churfirsten war dieses Vorgehen möglich, für den ganzen Kanton GR aber kaum machbar. Es hätte einige Jahrzehnte gebraucht bis das Buch fertig geworden wäre. Ich hoffe nun, dass trotz vielen verarbeiteten Fremdinformationen der Führer möglichst wenig Fehler aufweist und in den Händen der Kletterer trotz knappen aber hoffentlich klaren Informationen wenig Fragen offen lässt. Es ist das Buchkonzept, besonders die Klettergärten des Kantons gut vorzustellen. Einerseits fehlte im Klettergartenbereich für Graubünden ein solches Buch und andererseits sehe ich hier das grösste Bedürfnis nach Informationen. Viele bevorzugen heute diese “gemütliche Variante” der gut abgesicherten und leicht erreichbaren Einseillängenrouten und durch die Entstehung künstlicher Kletterwände und Kletterhallen wurde das Klettern zu einem Breitensport. Diesem gestiegenen Bedürfnis soll der Kletterführer gerecht werden. Die grösstenteils sehr dünne Besiedlung Graubündens und die oft nicht kletterfreundliche Felsqualität, den legendär brüchigen Bündnerschiefer kennt jeder, liessen aber vergleichsweise wenig Klettergebiete entstehen. Abseits der grossen und traditionellen Felszentren im Rätikon und im Bergell waren besonders Kletterer in den Talschaften des Churer Rheintals, der Surselva, des Valsertals, des Oberengadins und der Landschaft Davos aktiv und erschlossen verschiedene neue Klettergebiete. Noch liegt überall in Graubünden Felspotential brach. Vieles liegt aber einfach hoch oben. Man muss etwas weiter laufen, die Augen offenhalten und den Einrichtungsaufwand nicht scheuen. In Zukunft wird eine Zweitauflage dieses Führers wohl doch zwei Bände haben! Ich wünsche allen viel Spass im Fels der Ferienecke der Schweiz.
Thomas Wälti
In der RhB, an einem furchtbar heissen Sommertag 2012
Mit der zunehmenden Anzahl Personen, die in ihrer Freizeit klettern oder andere Outdoorsportarten betreiben, steigt der Druck auf die Natur und gleichzeitig die Verantwortung jedes Einzelnen. Bei der umwelt- und naturverträglichen Gestaltung des Bergsports gilt es deshalb, neben dem Verhalten während der Bergtour auch die An- und Rückreise zu berücksichtigen.
Naturverträglichkeit von Kletterrouten
Der Schweizer Alpen-Club SAC engagiert sich für einen naturverträglichen Bergsport. Sämtliche in den SAC-Führern beschriebenen Routen werden vor der Publikation auf Naturverträglichkeit geprüft. In den SAC-Kletterführern werden nur Routen beschrieben, bei denen zur Zeit der Veröffentlichung kein Konflikt mit dem Schutz der Natur besteht. Bestehende saisonale Einschränkungen des Kletterns (Rechtsbeschlüsse, Vereinbarungen mit dem SAC) werden in den Topos angegeben.
Da in den Gemeinden oder Kantonen prinzipiell zu jeder Zeit neue Klettereinschränkungen in Kraft treten können, empfiehlt es sich, sich aktuell auf www.klettergebiete.ch, dem Kletterportal des SAC, und vor Ort zu informieren. Um www.klettergebiete.ch sowie die Führerliteratur à jour zu halten, sammelt der SAC neue Lenkungsmassnahmen und Einschränkungen (natur@sac-cas.ch).
Anreise
Beim Bergsport wird sehr viel Zeit und Energie für die An- und Rückreise aufgewendet. Wer die „Reise zum Berg“ umweltfreundlich gestaltet, schneidet punkto Ökobilanz bedeutend besser ab. Nützliche Links für die Planung sind am Schluss dieses Kapitels unter „Weiterführende Informationen“ aufgelistet.
Öffentliche Verkehrsmittel und kombinierte Mobilität
Die Wahl des Verkehrsmittels beeinflusst entscheidend, wie viel Energie für den zurückgelegten Weg verbraucht wird. Eine umweltfreundliche Variante ist die Reise mit dem öffentlichen Verkehr. Wenn das Tourenziel nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist, lassen sich die letzten Kilometer zum Ausgangspunkt mit dem Bike, Alpentaxi oder Mobility-Auto überbrücken. Wer auf das Auto nicht verzichten kann, ist in Fahrgemeinschaften oder Kleinbussen umweltfreundlicher unterwegs. Dennoch: Ein voll ausgelasteter Personenwagen verbraucht pro Person rund doppelt so viel Energie wie ein durchschnittlich ausgelasteter Zug.
Nahe gelegene Tourenziele und Mehrtagestouren Wer verantwortungsbewusst in die Berge geht, achtet auf ein vernünftiges Verhältnis von Reisedistanz zu Aufenthaltsdauer. Massgebend sind dabei die Fragen nach attraktiven Tourenzielen in der Nähe und ob sich mehrere Touren in einem Gebiet kombinieren lassen. Insbesondere bei weiter entfernten Tourenzielen sind Mehrtagesunternehmungen mit Übernachtung vor Ort nachhaltiger als Tagesausflüge. Sie tragen zur Förderung der Bergregionen bei und lassen ausserdem mehr Zeit für Erholung.
Schutz des Felslebensraums
Felsen sind wichtige Rückzugsgebiete für Pflanzen und Tiere. Sie sind in tieferen Lagen oft umgeben von Wäldern mit grosser Artenvielfalt und wegen ihrer Unzugänglichkeit über lange Zeit vom Menschen weitgehend unberührt geblieben. Beim Klettern trägt man eine besondere Verantwortung, dass dieser wertvolle Lebensraum mit seinen Tier- und Pflanzenarten erhalten bleibt.
Klettereinschränkungen beachten
Durch immer intensivere Freizeitnutzung geraten die sensiblen Felslebensräume zunehmend unter Druck. Pflanzen und Tiere, welche auf Felsen als Lebens- oder Rückzugsraum angewiesen sind, können durch Kletteraktivitäten übermässig gestört werden. Besonders schutzbedürftig sind Reptilien (alle Arten sind national geschützt!) und felsbrütende Vögel wie Uhu oder Wanderfalke. Zum Schutz der Natur kann das Klettern via Vereinbarungen oder basierend auf der Wald-, Naturschutz- oder Jagdgesetzgebung rechtlich eingeschränkt sein.
Campieren und Biwakieren
Das Campieren (d.h. das Übernachten in einem Zelt ausserhalb von offiziellen Campingplätzen) und das Biwakieren (d.h. das Übernachten unter freiem Himmel ohne Zelt) in der Natur können bei Wildtieren Störungen verursachen. In den eidgenössischen Jagdbanngebieten (Wildschutzgebieten) sowie in vielen Naturschutzgebieten ist das Campieren daher verboten. Je nach Kanton und Gemeinde können weitere Einschränkungen gelten. Ein Notbiwak ist grundsätzlich erlaubt, ein geplantes Biwak wird in der Regel geduldet – ausser in Schutzgebieten, in denen dies explizit verboten ist. Die SAC-Broschüre „Campieren und biwakieren in den Schweizer Bergen – mit Rücksicht auf die Natur“ hilft bei der Planung und kann auf der Homepage des SAC heruntergeladen werden.
Abfälle nehmen wir wieder mit und entsorgen sie angemessen, denn das Verrotten in der Natur dauert sehr lange. Liegengelassener Abfall schmälert das Naturerlebnis und kann Wildtiere verletzen.
Abfälle
Verrottungsdauer
Bananenschale 3 Monate
Taschentuch 3 Monate
Zigarettenstummel 1 bis 2 Jahre
Kaugummi 5 Jahre
Alu-Dose 100 Jahre
PET-Flasche 100 bis 1000 Jahre
Glas(-flasche) 4000 Jahre
Natürliche Bedürfnisse
In stark frequentierten Kletter- und Berggebieten werden die Hinterlassenschaften nach dem Verrichten der Notdurft zunehmend zum Problem. Es empfiehlt sich, möglichst vor der Tour das stille Örtchen aufzusuchen. Im Fall der Fälle: Mindestens 15 Meter Abstand zu Kletterfelsen und Gewässern einhalten, die Exkremente etwa 10 bis 15 Zentimeter tief vergraben oder wenigstens mit Steinen bedecken, Klopapier möglichst zusammen mit den anderen Abfällen wieder ins Tal nehmen. Sofern keine Wald- bzw. Flurbrandgefahr besteht, kann das Papier auch vor Ort verbrannt werden.
Weiterführende Informationen
www.sac-cas.ch
Weiterführende Informationen, Planungshilfen und Materialien des Schweizer Alpen-Club SAC.
www.klettergebiete.ch
Kartenportal des Schweizer Alpen-Club SAC zu den Klettergebieten der Schweiz mit vielen nützlichen Informationen wie z.B. Anreise, Topos, Zustiege sowie die geltenden Klettereinschränkungen.
map.bafu.admin.ch I www.wildruhezonen.ch
Kartenportale des Bundes mit Übersicht zu Schutzgebieten, sowie den Wildschutzgebieten und Wildruhezonen der Schweiz.
www.sac-cas.ch/unterwegs.html
Informationen zu Schweizer Berghütten, umweltfreundlicher Anreise, naturverträglichem unterwegs-Sein und vielem mehr.
www.sbb.ch
Webportal der SBB mit sämtlichen Informationen zum Bahnverkehr und Online-Fahrplan für den öffentlichen Verkehr.
www.busalpin.ch
Busangebot für bisher schlecht oder nicht ausreichend mit dem öffentlichen Verkehr erschlossene touristische Ausflugsziele im Schweizer Berggebiet. Die Verbindungen von Busalpin sind z.T. in der Fahrplanauskunft der SBB enthalten.
www.alpentaxi.ch
Schnell und ökologisch in die Berge: Mehr als 250 Adressen von Taxibetreibern und kleinen Seilbahnen in den Schweizer Alpen als ideale Ergänzung zum Netz des öffentlichen Verkehrs.
www.mobility.ch
Carsharing: Schweizweit stehen 2600 Fahrzeuge an 1300 Standorten rund um die Uhr und in Selbstbedienung zur Verfügung. „Click&Drive“ ermöglicht zudem die Automiete ohne Mitgliedschaft.
10 Tipps zum naturverträglichen Klettern
Die „10 Tipps zum naturverträglichen Klettern“ zeigen, wie wir uns umwelt- und naturverträglich verhalten und Konflikte vermeiden. Wenn wir beim Klettern Rücksicht auf die Natur nehmen, braucht es weniger Verbote und Einschränkungen und die Felsen bleiben offen für echte Naturerlebnisse.
1. Aktuelle Einschränkungen beachten: Informationen findest du im Internet auf www. klettergebiete.ch und www.wildruhezonen.ch sowie auf Infotafeln im Klettergebiet und in Kletterführern.
2. Umweltverträglich anreisen: Benutze wenn möglich öffentliche Verkehrsmittel. Falls du für die Anreise auf ein Auto angewiesen bist, beteilige dich an Fahrgemeinschaften.
3. An Fahrverbote halten und nur zugelassene Parkplätze nutzen: Halte dich an Fahrverbote und vermeide wildes Parkieren. Wildes Parkieren ist ein Ärgernis für Anlieger, Landwirte und Grundeigentümer und kann die Vegetation schädigen.
4. Bestehende Wege benutzen: Benutze eingerichtete oder markierte Zu- und Abstiegswege, so schonst du Vegetation und Boden und vermeidest die Störung von Wildtieren. Respektiere Privatland.
5. Pflanzenbewuchs und Nistplätze schonen: Benutze vorhandene Umlenkstellen und steige nicht auf empfindliche Felsköpfe aus. Meide stark bewachsene Felsen, entferne keine Pflanzen aus Felsritzen, störe Nistplätze von Vögeln nicht.
6. Klettergebiet sauber halten: Nimm Abfälle mit. Halte für die Notdurft mindestens 15 Meter Abstand zu Kletterfelsen und Gewässern, grabe ein Loch oder bedecke die Exkremente mit Steinen.
7. Lärm vermeiden: Verhalte dich leise und vermeide Störungen in der Nacht. Denn Musik und lautes Rufen stören nicht nur andere Seilschaften, sondern auch die Wildtiere.
8. Feuer nur an eingerichteten Feuerstellen: Benutze bestehende Feuerstellen. Jede neue Feuerstelle zerstört Vegetation und Boden für Jahre.
9. Engagement vor Ort: Engagiere dich mit den lokalen Klettergemeinschaften für die Pflege und den Erhalt deiner Klettergebiete. Lerne deine Felsen als Lebensraum von Tieren und Pflanzen kennen, schätzen und schützen.
10. Sanierungen und Erschliessungen abstimmen: Sprich dich bei Sanierungen wenn möglich vorgängig mit den Erschliessern oder mit der Fachgruppe "Sanieren und Erschliessen" des SAC Zentralverbands ab. Nimm vor Neuerschliessungen Kontakt mit dem Grundeigentümer und der Gemeinde auf. Überlege dir, ob eine intensivere Nutzung des neu erschlossenen Gebietes Probleme mit dem Naturschutz nach sich ziehen könnte.
Unterwegs in Kletterrouten trifft man immer wieder auf Pflanzen, die hoch über dem Boden, mitten in steilen Felswänden in kleinsten Ritzen und Spalten wurzeln. Solche aussergewöhnlichen Standorte zum Wachsen sind nur für Felsspezialisten möglich. Die Pflanzen in Felsspalten begnügen sich mit kleinsten Mengen an Feinerde und ertragen sowohl Trockenheit wie auch grosse Temperaturschwankungen. Weil an steilen Felswänden kaum Schnee haften bleibt, sind sie auch im Winter ungeschützt Frost und Wind ausgesetzt. Unter solchen Bedingungen sind Frosttoleranz, Verdunstungsschutz und Wasserspeicherfähigkeiten überlebenswichtig. Viele typische Felsspaltenarten sind sukkulent. Sie können in ihren fleischigen Blättern Wasser speichern und wochenlang ohne Wasserzufuhr überleben, wie zum Beispiel Wulfens Hauswurz (Sempervivum wulfenii), Aurikel (Primula auricula) oder Rote Felsenprimel (Primula hirsuta). Polsterpflanzen wie die Kiesel-Polsternelke (Silene excapa) oder die ZwergMiere (Minuartia sedoides) bieten dem Wind wenig Angriffsfläche. Die dicht beblätterten Triebe verhindern, dass der Wind eindringt, und sie schaffen so im Innern ein eigenes, wärmeres Mikroklima. Der Temperaturunterschied zwischen Luft und Polsterinnerem kann dabei mehrere Grade betragen. Die Blätter und Triebe wachsen nur nach aussen und schliessen die abgestorbenen Pflanzenteile vom Vorjahr im Polsterinnern ein. So kann die Pflanze beinahe ohne Materialverlust die Nährstoffe für ihr weiteres Wachstum nutzen. Der Innenraum ist Nährstoff- und Wasserspeicher und wird von zahlreichen Bodenlebewesen besiedelt. Oft haben Polsterpflanzen nur eine zentrale Pfahlwurzel, die je nach Bedingungen mehr als einen Meter lang werden kann. Diese Pflanzen wachsen sehr langsam und können Jahrzehnte alt werden.
An Felsen wechseln die Standortsbedingungen schon auf kleinstem Raum. Je nach Exposition und Steilheit sind Sonneneinstrahlung, Windstärke oder Verfügbarkeit von Wasser völlig unterschiedlich. Von der Sonne aufgewärmter Fels ist auch in der Nacht noch wärmer als die Luft. Pflanzen profitieren vor allem an südseitigen Felsen von dieser Wärmegunst. An senkrechten Südwänden ist die Sonneneinstrahlung im Frühling und im Herbst stärker als im Hochsommer. Die Vegetationszeit für Alpenpflanzen dauert deshalb nicht etwa am Boden, sondern in solchen Südwänden am längsten. Dieses günstige Mikroklima ermöglicht vielen Arten, bereits früh im Jahr zu blühen und ihre Entwicklung vor der Trockenheit und Hitze im Sommer abzuschliessen. Die Samen von Felspflanzen gelangen mit Hilfe von Wasser,