Eine klEine EntdEckungsrEise
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Auf dem Münstermarkt
An einem sonnigen Samstag im Juni besuchen Luca und Mira mit ihrem Grossvater den Münstermarkt.
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Das Jüngste Gericht
Der Grossvater trifft einen alten Bekannten. Unterdessen schauen sich Mira und Luca die Sandsteinfiguren über dem Hauptportal des Münsters an.
«Die Leute sind ja ganz nackt», wundert sich Mira.
«Und warum tragen die Frau und der Mann eine goldene Kette um den Hals?», fragt Luca.
«Wann kommt der Grossvater? Der könnte es uns erklären.»
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Die klugen Jungfrauen
Mira und Luca zeigen auf die Figuren links am Hauptportal. «Was ist mit diesen Frauen?», fragt Luca. Der Grossvater ist endlich wieder zurück. «Sie sind zu einer Hochzeit eingeladen, wie auch die Frauen auf der rechten Seite», erklärt er. «Die drei Frauen hier links halten ein Öllämpchen in der Hand. Darin leuchtet ein helles Lichtlein. Sie freuen sich, dass sie zum Fest gehen dürfen.»
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Die törichten Jungfrauen
«Seht ihr, wie enttäuscht und missmutig die drei Frauen hier rechts vom Eingang aussehen?», fragt der Grossvater.
«Ja, warum das?», erwidert Mira. «Das Öl ist ihnen ausgegangen. Sie können nicht an die Hochzeit gehen, sondern müssen draussen bleiben. Enttäuscht kehren sie ihr Lämpchen nach unten.»
Mira findet das ungerecht: «Die mit dem Lichtlein könnten ihnen doch etwas vom eigenen Öl geben.»
«Vielleicht würde es dann eben nicht für alle reichen», meint Luca. «Hätten sie rechtzeitig vorgesorgt», sagt der Grossvater, «dann wären auch sie für diesen wichtigen Moment bereit gewesen und müssten sich nicht über sich selber ärgern. Du musst im richtigen Moment bereit sein, dann packst du die Chancen, die dir das Leben bietet.»
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Die Entdeckungsreise beginnt
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«Kommt, wir gehen in die Kirche hinein», schlägt der Grossvater vor. Doch Mira findet es jetzt gerade spannender, auf den Turm zu steigen. Damit ist der Grossvater auch einverstanden. «Wir fragen den Sigrist.» «Wer ist das?», will Luca wissen.
«Er hat alle Schlüssel und schaut, dass im Münster alles klappt. Bei kirchlichen Feiern trägt er einen rot-schwarzen Mantel. Daran erkennt man ihn. Rot und Schwarz sind die Farben der Stadt Bern.»
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Auf den Turm hinauf
Der Sigrist zeigt Mira und Luca die Tür zur Wendeltreppe. Da steigen sie hinauf, Stufe um Stufe. Unterwegs blicken sie zwischen den Pfeilern hindurch auf die Bäume unten auf der Münsterplattform und sogar die Häuser ganz unten im Mattequartier an der Aare können sie erkennen.
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Die Glockenstube
Mira und Luca kommen an der ersten Glockenstube vorbei. An den Balken ist eine riesige Glocke aufgehängt. Unten schaut der schwere Klöppel heraus. «Die Glocke heisst Susanna», sagt der Grossvater. Luca und Mira müssen schmunzeln. «Die hat man früher von Hand geläutet. Ein rechter Brocken! Ungefähr zehn Tonnen wiegt sie», erklärt der Grossvater. «Als ich jung war, habe ich selber mitgeholfen. Zu acht haben wir die Glocke in Gang gebracht.»
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Besuch bei der Turmwartin
Auf der Galerie oben weitet sich der Blick. In der Ferne sieht man die Berner Alpen. «Jetzt begrüssen wir die Turmwartin», sagt der Grossvater und klopft an die Tür ihres Büros. Die Turmwartin öffnet und freut sich über den Besuch. Früher hat das damalige Turmwartpaar sogar hier gewohnt. Wie man sich da wohl in der Nacht fühlte?, fragen sich Mira und Luca. Und während eines Gewitters? Da könnte es einem doch leicht etwas unheimlich werden.
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Ganz oben
Mira und Luca schauen über die Brüstung nach unten auf den Münsterplatz. Da wird ihnen fast schwindlig. Winzig klein wirken die Leute, die über den Platz gehen. «Wie hoch ist der Turm?», fragt Mira. «Beim Aufstieg habe ich 344 Stufen gezählt.» «Perfekt! Du hast richtig gezählt!», lobt der Grossvater. «Hier auf der oberen Galerie sind wir 64 Meter über dem Boden. Die Spitze des Turms ist genau 100 Meter und 60 Zentimeter über dem Erdboden.»
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Im Innern der Kirche
Wieder unten angekommen, möchte Mira nun doch einmal das Innere der Kirche sehen. Und so gehen alle drei von der Treppe direkt ins Mittelschiff hinein. Alles ist gross und feierlich. Sogar die Touristen werden ganz still. «Und wenn hier Gottesdienst ist, ist es noch stiller», sagt der Grossvater. «Bald beginnt der Gottesdienst. Wenn ihr mögt, gehen wir hin.» «Oh ja, gerne», sagt Mira. «Ich weiss auch, dass man da stillsitzen muss.»
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Zeichen im Stein
«Schau mal, an diesem Pfeiler hier hat’s ja sogar Zeichen in einem Stein», sagt Mira. «Ja, es gibt im ganzen Münster 399 solche Zeichen. Bauarbeiter haben sie eingeritzt», erklärt der Grossvater, «damit man sieht, welcher Steinmetz die betreffende Mauer gebaut hat. Eine Art Unterschrift oder, wie heute üblich, das Copyright-Zeichen.»
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Das Abendmahl
Jetzt beginnt der Gottesdienst. Die Pfarrerin leitet die Feier. Der Kinder- und Jugendchor singt. Die vielen jungen Stimmen klingen hell und klar.
Die Pfarrerin erzählt, wie Jesus sich ein letztes Mal mit den Jüngern zum Essen trifft. Da kann man nicht anders, als zuzuhören.
Als die Pfarrerin am grossen Abendmahltisch steht, flüstert Luca Mira ins Ohr: «Die schwarze Marmortischplatte haben die Berner den Lausannern aus der Kathedrale gestohlen.» «Psst, psst, Luca! Still jetzt, nicht schwatzen!», mahnt der Grossvater.
«Das hast du uns ja selber erzählt», wehrt sich Luca. «Schau, wie die Pfarrerin das Brot bricht», sagt der Grossvater. «Jede und jeder von uns bekommt ein Stücklein davon zu essen. Damit wir uns erinnern: Gott schenkt uns, was wir zum Leben brauchen.»
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Das Hostienmühlefenster
«Das mit der Tischplatte ist einfach mega», findet Luca. Und auch der Traubensaft hat ihm gut geschmeckt. «Was dieses Essen und Trinken aber mit Gott zu tun haben soll, habe ich nicht ganz begriffen», sagt er. «Fragen wir einmal die Frau Pfarrerin», schlägt der Grossvater vor.
Die Pfarrerin führt Mira und Luca nach vorne in den Chor: «Seht ihr das grosse Fenster da, das erste links?» Luca und Mira staunen. Riesengross ist das Fenster, und die Farben leuchten. «Das ist das Hostienmühlefenster. Die Farben leuchten nicht aus sich selber», erklärt die Pfarrerin. «Erst das Licht von aussen bringt sie zum Leuchten. Am frühen Morgen solltet ihr das sehen! Wenn die Sonne aufgeht, erwacht eine ganz besondere Stimmung hier drinnen.»
Die Bilder im Fenster sind klein und weit weg, und so kann man die Figuren kaum erkennen. Zum Glück hat der Grossvater sein Handy dabei. «Setzt euch vis-à-vis vom Fenster hin», sagt die Pfarrerin zu Luca und Mira. «So könnt ihr die Bilder heranzoomen.»
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Gott und das Volk
Auf dem vergrösserten Bild oben im Hostienmühlefenster ist ein Mann zu sehen, der die Weltkugel, eine Kugel mit einem Kreuz, in seiner linken Hand hält. Mira und Luca fragen sich, wer der Mann sein könnte. «Ich denke, es kann nur Gott sein, der die Welt in seiner Hand hält», meint Mira. «Und unten siehst du, wie Brot herabregnet. Das ist das Himmelsbrot.»
«Komisch, dieser Mann mit der Kugel und dem Kreuz», findet Luca. «Wir sind heute offener, wir denken, Gott hat etwas von einem Mann und von einer Frau. Aber eigentlich ist er ganz anders, als wir uns dies vorstellen», gibt die Pfarrerin zu bedenken. Mira will es genau wissen: «Und was bedeutet das Kreuz auf der Kugel?»
«Es erinnert an Jesus und seine Liebe zu uns Menschen», antwortet die Pfarrerin.
«Ich finde, es sieht cool aus, wie Gott hier grüsst», sagt Luca und zeigt auf die beiden hochgehaltenen Finger der rechten Hand. «Ja, es ist ein Gruss, und zwar ein ganz besonderer», meint die Pfarrerin. «Die Art, wie Gott hier seine Finger hält, ist ein Segenszeichen. Gott wünscht uns Menschen ein durch und durch gutes Leben. Er zeigt sich grosszügig und beschenkt uns reich – und wir sind frei, wie wir darauf reagieren wollen.»
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Mose vor dem Felsen
«Und das hier ist wohl Mose?», fragt Luca. «Mit dem Stab klopft er Wasser aus dem Felsen.»
«Du kennst die Geschichte? Super!», freut sich die Pfarrerin. «Ja, die Menschen in der Wüste hatten grossen Durst. Und seht ihr rechts den Mann mit der Hacke? Es ist ein Prophet. Er schaut, dass der Wasserstrom nicht einfach im Wüstensand versickert, sondern weiter fliesst und den Weg zu uns Menschen findet. Drei Männer aus dem Volk schauen ihm staunend zu.»
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