Laudatio+Alfred+Richli

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"Bäärnerplatte Dichterwii" Vernissage des berndeutschen Romans von Hans Stalder 25. Oktober 2012 im Zunfthaus zun Metzgern Thun Laudatio Verehrte Verehrerinnen und Verehrer der neusten Schweizer Literatur, im Besonderen Liebhaberinnen und Liebhaber der Dichtersprache Berns, Freundinnen und Freunde des Schriftstellers Hans Stalder und natürlich nicht als letzter gemeint, Du selbst, Hans, der Du uns Deine "Bäärnerplatte" mit "Dichterwii" präsentierst, um derentwillen wir hier im Zunfthaus zun Metzgern zusammen gekommen sind. Eine Entschuldigung als Vorbemerkung: Wir haben es mit einem berndeutschen Roman zu tun. Nun ist aber mein Respekt vor dieser so melodiösen wie anschmiegsamen Mundart so hoch, dass ich es nicht wage, sie nachäffend in meinen Mund zu nehmen; Ihnen meinen Zürcherdialekt zuzumuten, verbietet ohnedies die Höflichkeit - so dass ich Sie eben bitten muss, meine Schulsprache anzuhören. Ich darf Ihnen ein Buch vorstellen, das eine Rarität ist und Ihnen, sobald Sie es selber in Besitz genommen haben, als Kostbarkeit erscheinen wird. Wenn wir uns den Umschlag anschauen und die hübsche Schäferszene betrachten, sind wir sogleich in die Zeit versetzt, in der die Handlung spielt, nämlich ins ausgehende achtzehnte Jahrhundert, genauer in jenes Ancien Regime, das in den Wirren der Revolution zu einem bösen Ende kam. Wir finden uns demnach in der Welt wieder, die Rudolfvon Tavel so eindrücklich geschildert hat. In der Tat, man könnte das Buch zunächst für die Entdeckung eines bisher verschollenen Werkes des Altmeisters halten, wenn es da nicht einige wesentliche Unterschiede gäbe. Sind bei Tavel die Hauptpersonen durchwegs Vertreter des regimentfähigen Standes, so sind es bei Hans Stalder drei Burschen aus dem ländlichen Emmental, von Beruf alle Köche und damit einem zwar raffinierten, aber doch letztlich dienenden Stand zuzuordnen. Sie werden also die Welt und die Menschen nicht von oben, sondern eher von unten betrachten. Hans Stalders demokratische Gesinnung sympathisiert eben mit dem Volk. Für Kontakt mit dem Patriziat ist jedoch durchaus Platz; ja der Gegensatz der beiden Schichten bestimmt einen markanten Teil der Handlung. Da haben wir also die drei Helden wie im Märchen. Allein, in diesem sind jeweils zwei nur gerade Zubehör, zudem Versager, die den Dritten und Jüngsten umso stärker glänzen lassen. Hans Stalder gibt jedem im Trio ein eigenes Gewicht und seine Chance. Allerdings erlebt nur der Chef de cuisine Johann Jakob Leuebärger eine Liebesgeschichte; Christian Erb, der vom Kleeblatt am besten 1


Französisch kann, begnügt sich mit einer Katze als Freundin, und Hans Rüegsegger (wenn das keine echten Berner sind!) ist eine Art Pferdeflüsterer, der mit seinen geheimen Mittelchen jedes Reittier kuriert. Sie spüren, wie der Autor im Hintergrund rur Harmonie sorgt. Freilich, auch die Berner müssen merken, dass die Welt im Umbruch ist. Wir sind im Februar 1798. Der Winter ist hart, der Schnee liegt hoch, der Bevölkerung gehen allmählich die Lebensmittel aus. Und zu allem Unheil sind die Franzosen einmarschiert. Bern ist bedroht. Doch: "D Höger im Ämmital gse so no sanfter uus als i de waarme Jahreszit". Die drei Burschen haben ihren Marschbefehlt erhalten und werden von ihren Familien unter Tränen verabschiedet. Doch "der Johann, der Christian u der Hans hei nid im Sinn ghaa, mit Gwehr u Kanone uf d Franzoose loos z gah." Sie werden um das leibliche Wohl des Generals Carl Ludwig von Erlach besorgt sein. Es ist schon so, es herrscht Krieg und es wird Tote geben, angefangen beim General von Erlach. Aber wir sind bei unserem Dichter sicher, dass er seinen Emmentaler Köchen nichts geschehen lässt. Ehe er von seinen eigenen Leuten erschlagen wird, hat jedoch der Berner Kommandant noch den Aufstieg der drei zu den Küchengewaltigen des Stabs gemacht, und zwar dank des ihm über alles mundenden Gerichts einer mit Weisswein getränkten Bernerplatte. (Das genaue Rezept mit Suurchabis und Saucisson vaudois ist bei Stalder nachzulesen.) Nach der rur die Berner katastrophalen Schlacht am Grauholz tritt dann der französische General Schauenburg in die Fussstapfen von Erlachs, nimmt das Gespann Hans Jakob, Christian und Hans in seine Dienste und ruhrt sie während seines ganzen Schweizerfeldzugs in seinem Schlepptau. Zuvor aber, als die Berner noch gemeint hatten, sie wären den Franzosen überlegen und sie würden diesen schon "ds Mösch putze", wurde an einem Urlaubssonntag beim Tanz rur den Berner Stadtadel, in den sich die drei Köche unerlaubterweise gemischt hatten, die Liebesgeschichte Johann Jakobs mit der Patriziertochter Antoinette eingefädelt. Die Entwicklung einer eigentlich verbotenen Liebe durchzieht den ganzen Roman mit zarten rosa und grau Tönen und ist ein Kabinettsstück rur sich. Ich verrate Ihnen natürlich nicht, wie alles ausgeht. Dieses Vergnügen ist den Leserinnen und Lesern, den Hörerinnen und Hörern vorbehalten. Sie wissen einfach, dass gegen ein gutes Ende die Unüberbrückbarkeit der ständischen Schranken steht - die Literaturgeschichte kennt manch tragischen Ausgang - anderseits der menschenfreundliche Autor zur Versöhnung neigt. Sind Sie zur Schweizerreise einer Feldküche bereit? Die drei Köche folgen getreulich, wenn auch gezwungen, Schauenburgs Armee, und die weicht nicht von den Schauplätzen der Gefechte, welche die widerborstigen Eidgenossen den Franzosen und ihren schweizerischen Statthaltern boten. Da erlaubt sich Hans Stalder, der genau recherchiert hat, keine poetischen Ausflüge. Man lese im Geschichtsbuch nach. 2


Ein Ort freilich wird festlich herausgehoben. Es ist kein anderer als Thun, das ja Hauptstadt des neu gegründeten Kantons Oberland geworden war - wenigstens rur die kurze Zeit, welche die Helvetische Republik gedauert hat. Dort, genau genommen im Zunfthaus zun Metzgern, wird zu Ehren der neuen helvetischen Regierung ein Fest mit "Bäärnerplatte" gegeben. Sie wissen jetzt auch, warum die Buchtaufe hier stattfindet. Der letzte Etappenort ist jedoch Schaffhausen, mal s Chläggi mit der WeinbauGemeinde Wilchingen, mal die Munotstadt. Nach all den kleinen und grossen inzwischen errungenen Siegen ruhen die Franzosen aus, denn die Schaffhauser entpuppen sich als wenig aufmüpfig, ja sogar als gute Gastgeber. Die drei Köche sind unterbeschäftigt; aber Johann Jakob lernt immerhin, dass man hier dem "Zibelechueche" "Bölletünne" sagt. Und wieder steigt ein Fest, und diesmal mit dem Schaffhauser Obersten Schwarz als Festredner! Wie er den Klettgauer Wein zu preisen versteht, wie er sich gar in dichterischen Versen ergeht, da fällt auch das Wort vom "Dichterwii", das hinter der "Bäärnerplatte" den zweiten Teil des Romantitels bildet. Hier, das sei eingestanden, hat dichterische Freiheit gewaltet. "Dichterwii" wird allerdings in Wilchingen gekeltert, aber in die Franzosenzeit reicht das edle Produkt nicht zurück. Das ist eine Marke aus unserer Zeit. Der Winzer sitzt übrigens fröhlich unter Ihnen und heisst Hans Ritzmann. Mit der Wein-Etikette ehrt er - nein, nicht sich selbst, obwohl auch er ein Schriftsteller ist - ; er zielt damit auf eine Gruppe von Schaffhauser Dichtem, die alle aus Wilchingen kommen, vor allem auf Albert Bächtold, der es mit seiner vielbändigen Autobiographie - Sie verzeihen meinen Lokalpatriotismus - allein gegen die grossen Berner aufnimmt. Aber halt! Bern, Thun, Schaffhausen und im Speziellen Wilchingen, sind das nur Stationen von General Schauenburg, Johann Jakob, Christian und Hans? Sind es nicht zugleich drei bemerkenswerte Orte, an denen unser Hans Stalder gewohnt hat oder noch wohnt und denen er sich verbunden weiss? Ein kleiner schelmischer Zug unseres spielenden Romanciers. Im scheinbar gemütlichen Schaffhausen folgen jedoch dramatische Tage. Nicht nur, dass die Franzosen dort ihre einzige militärische Schlappe einstecken müssen, und zwar gegen die Oesterreicher , auch unsere drei Küchenhelden werden dort in die politische Handlung einbezogen. Ja, sie werden ohne Vorwarnung arretiert, wobei Oberst Schwarz, der Festredner von Wilchingen, eine Intrigantenrolle spielt, was jedoch letztlich den drei des Feldzugs müden Emmentaler Köchen zu Gute kommt. Es winkt jedenfalls die Gelegenheit, die Stelle in fremden Diensten zu quittieren. Aber, ich sage es noch einmal, wie sich der Knoten knüpft und wie er sich wieder auflöst, müssen, dürfen Sie schon selber lesen. Sie werden ohnehin den Eindruck haben, Sie wüssten jetzt über die Handlung einigermassen Bescheid. Weit gefehlt! Mehr als ein paar Stellen, an denen Ihre Neugier ansetzen kann, konnte ich Ihnen nicht bieten. Und Hans Stalder wäre nicht der farbige Erzähler, der er ist, wenn er sich gewissermassen einem Fahrplan ausliefern würde. Zudem steckt seine Kraft in den einzelnen Szenen; da 3


erstehen Bilder, die man nicht mehr vergisst. Und sei es das von der Schlafkammer, die den Köchen "im oberschte Schtock vo der Metzgere" z Thun zugewiesen wird. "Es isch kes groosses Zimmer, aber rur drei Nächt geits. Es hät ömel es Wäschbecki mit Wasser une Nachttopf dinne. Ufjedem Nachttischli e Cherze." So knapp, so einleuchtend. Da staunt man auch über die psychologischen Feinheiten in der Charakterisierung seiner Gestalten. Ich nenne nur noch einmal die anmutige Antoinette, die, ihrer patrizischen Sitten ungeachtet, ein ganz natürliches Mädchen ist, das in Johann Jakob den braven Mann zu schätzen weiss. Dabei haben wir vom Allerbesten noch nicht gesprochen, nämlich von Hans Stalders Sprache, seiner schnörkellosen wie makellosen Berner Mundart. Ihr fehlt jeder barocke Zug, der bei manchem Dialektautor üblich ist, er tut sich auch nicht gross mit alten Ausdrücken, die längst nicht mehr in Gebrauch sind. Sein Berndeutsch ist schlicht, genau und doch warm, mit einer der Geschichte angemessenen Prise Französisch. Kurz, er schreibt wie er spricht, ein von Tavel von hier und heute. Deshalb lohnt es sich, nach der Lektüre auch noch die Diskette anzuhören, die den ganzen Roman wiedergibt. Da vernehmen Sie seine von jeder Künstelei freie, Vertrauen erweckende Stimme. Da schliessen Sie garantiert Johann Jakob und Antoinette, Christian und Hans in ihr Herz. Aber Sie müssen gar nicht so lange warten. Denn meine Rede war ja nichts anderes als eine Vorbereitung auf seinen Auftritt. So gelange ich zu meiner Quintessenz, zum Ergebnis eines geniessenden Lesers, der sich zugleich einen Freund des Autors nennen darf: Die Bernerplatte mundet vortrefflich und der Dichterwein beschwingt, ohne in den Kopf zu steigen. Hans Stalder ist ein lesenswertes, hörenswertes, ein liebenswertes Werk gelungen.

Ich danke rur Ihre Geduld. Alfred Richli, 16.117 Oktober 2012

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