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Auf Sardinien kennt man das Geheimins eines langen und gesunden Lebens

Sardinien – die Insel der Hundertjährigen

Nirgendwo leben im Verhältnis zur Einwohnerzahl so viele Menschen, die hundert Jahre oder älter sind: 14 Bergdörfer im Osten der Insel Sardinien zählen 31 über Hundertjährige pro 100 000 Einwohner. In der Schweiz sind es immerhin rund 18.

Text Artur K. Vogel

Die Provinz Ogliastra auf der Mittelmeerinsel Sardinien scheint ein ganz besonderes Biotop zu sein: Nirgendwo auf der Welt leben verhältnismässig mehr über hundert Jahre alte Menschen. Und während in fast allen Industrieländern Frauen im Schnitt einige Jahre älter werden als Männer, ist hier die Lebenserwartung beider Geschlechter gleich hoch.

Die Region gehört damit zu weltweit fünf sogenannten blauen Zonen, in denen Menschen signifikant älter werden als anderswo:

• Auf der griechischen Insel Ikaria wird jede und jeder Dritte mehr als 90 Jahre alt. Zurückgeführt wird dies auf saubere Luft, milde Temperaturen und ein raues Gelände, die zu einem aktiven Lebensstil animieren.

Auch Stressfreiheit, gesunde «mediterrane» Ernährung und Rotwein werden zitiert. • In der Stadt Loma Linda im US-Bundesstaat Kalifornien werden die

Menschen im Schnitt zehn Jahre älter als im US-amerikanischen Mittel. Mögliche Erklärung: Fast die

Hälfte der rund 20 000 Einwohner gehört der Gemeinschaft der Sieben-Tage-Adventisten an und konsumiert weder Fleisch noch Alkohol oder Tabak. • Nirgendwo werden Frauen älter als auf der japanischen Halbinsel Okinawa. Das wird vor allem der ballaststoffreichen, kalorienarmen Nahrung mit Hülsenfrüchten, Gemüse,

Tofu und Fisch, aber sehr wenig

Fleisch zugeschrieben. • Gesunde Ernährung, einen starken Zusammenhalt in Familie und

Freundeskreis und ein ausgeprägter Lebensmut werden als mögliche

Faktoren für die lange Lebenserwartung auf der Halbinsel Nicoya in

Costa Rica genannt.

Doch was führt zur Langlebigkeit in den sardischen Bergen? Das grösste Dorf der Region, Villagrande Strisaili mit rund 3500 Einwohnern, wovon ein gutes Dutzend über hundert Jahre alt, ist seit mehr als zwanzig Jahren ein eigentliches Versuchslabor für die Altersforschung. Biologinnen, Demografen, Genetikerinnen, Endokrinologen und Ernährungswissenschaftlerinnen versuchen, der Langlebigkeit auf den Grund zu gehen. Oft wird die sogenannte «mediterrane Diät» ins Spiel gebracht, wie sie etwa im griechischen Ikaria oder in der süditalienischen Region Cilento vorkommt, wo ebenfalls überdurchschnittlich viele hochbetagte Menschen leben. Doch daran allein kann es in Sardinien nicht liegen. Denn die sardischen Bergler essen zwar viel (biologisches) Gemüse, Früchte, Hülsenfrüchte, Nüsse und Kräuter und verwenden Olivenöl, das in der Gegend hergestellt wird. Ziegenmilch wird ebenfalls regelmässig getrunken oder zu Käse verarbeitet. Aber man isst hier auch viel Fleisch, vor allem Lamm und Schwein, was nicht der mediterranen Ernährung entspricht.

Die meisten führen hier bis ins hohe Alter ein aktives Leben, steigen jeden Tag mehrere hundert Höhenmeter zu ihren kleinen Feldern und Hainen hoch, bleiben ihre Leben lang in der Region und leben vergleichsweise stressfrei und traditionell inmitten ihrer Kinder und Kindeskinder.

Rotwein und gute Gene

Im Dorf Talana mit rund 1000 Einwohnern, das auf einem Hügelkamm mitten in den Bergen liegt, sitzen ein paar Männer im Café und diskutieren. Wie alt sie sind, lässt sich kaum schätzen. Sie könnten siebzig sein, aber auch neunzig oder hundert. Jeder hat ein Glas Rotwein vor sich, und alle sind überzeugt, dass der lokale Cannonau gegen alle möglichen Gebresten hilft. An der klaren Bergluft liege es auch, dass man hier so alt werde, meint einer, und am reinen Grundwasser und der frischen Ziegenmilch.

Neben all diesen Gründen muss man vielleicht auch in der Genetik nachforschen: Sardinien wurde vor etwa 8000 Jahren besiedelt. Danach gab es im Lauf der Jahrhunderte und Jahrtausende nur wenig Zuwanderung. In Talana zum Beispiel können drei Viertel der Menschen ihre Abstammung auf dieselben 16 Personen zurückführen. Es gibt deshalb hier einen unverfälschten Genpool. Und falls es tatsächlich – nicht alle Forschenden sind sich darin einig – so etwas wie ein Langlebigkeitsgen geben sollte, dann wäre es hier wohl zu finden.

Vielleicht wird man in Villagrande Strisaili, Talana und den anderen Dörfern in den Bergen der Provinz Ogliastra eines Tages das Geheimnis der Langlebigkeit definitiv enträtseln. Eine heilsame ▲ Hülsenfrüchte gehören genau so wie gutes Olivenöl, Gemüse, Obst oder Nüsse zur sogenannten mediterranen Diät.

▲ Kurze Produktionswege wie für den sardischen Käse und weitere heimische tierische und pflanzliche Produkte spielen eine grosse Rolle.

▲ Frische Milch von einheimischen Ziegen gilt als Lebenselixier.

Kombination aus Ernährung, Lebensstil, Aktivität und Sozialleben, unterstützt durch eine vorteilhafte Genetik, spielt offensichtlich eine Rolle. Doch bis heute ist es unmöglich, exakt zu definieren, weshalb so viele Menschen mehr als hundert Jahre alt werden.

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