Wege und Geschichte Les chemins et l’histoire Strade e storia
Wege und Herbergen Chemins et auberges
Vie e ospitalità
TITELBILD
Die Druckgrafik von 1827 zeigt verschiedene Verkehrswege über den San Bernardino. Bei der Strasse im Vordergrund handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um ein fahrbares Strässchen, das 1770/71 errichtet und alsbald vor allem von Säumern benutzt wurde (IVS GR 19.4). Im Hintergrund ist die Kunststrasse zu sehen, die zwischen 1818 und 1823 gebaut wurde und die Route durchgehend befahrbar machte (IVS GR 19.10.1 und GR 19.10.2). Mit dieser Strasse entstand auch das Hospiz auf der Passhöhe (IVS GR 19.10). Das Gasthaus überdauerte die Jahrhunderte und steht bis heute nahe des Laghetto Moesola. Die Figuren im Bild verweisen auf die unterschiedlichen Nutzungen: Während sie auf dem Strässchen im Vordergrund zu Fuss unterwegs sind, reist im Mittelgrund eine Kutsche auf der Strasse, das Ganze vor dem schneebedeckten Bergmassiv im Hintergrund.
Rudolf Bodmer nach Johann Jakob Meyer, Die oberste Passhöhe des St. Bernhardin, Tafel 20 aus: Voyage pittoresque dans le canton des Grisons, 1827, handkolorierte Aquatinta. (Zentralbibliothek Zürich, Feh D 162 / Public Domain Mark)
Zitat auf der Rückseite
Johann Gottfried Ebel (1764–1830) veröffentlichte 1793 die Erstausgabe des mehrfach aufgelegten
IMPRESSUM
Wege und Geschichte
Zeitschrift von ViaStoria – Stiftung für Verkehrsge
schichte
Les chemins et l’histoire
Publication de ViaStoria – Fondation pour l’histoire du trafic
Strade e storia
Rivista di ViaStoria – Fondazione per la storia del traffico
Ausgabe 02/2024 | Dezember 2024
Auflage: 3000
Die nächste Ausgabe von «Wege und Geschichte» erscheint im Juni 2025. Sie ist dem Thema Strassen und Stauseen gewidmet.
ISSN 1660-1122
Nachdruck nur mit Bewilligung von ViaStoria
Reiseführers Anleitung auf die nützlichste und genussvollste Art in der Schweitz zu reisen. Der promovierte Mediziner wurde in PreussischSchle sien (heute Sulechów, Polen) geboren und hielt sich zwischen 1790 und 1792 erstmals in der Schweiz auf. 1801 erhielt er dann das helvetische Bürgerrecht. Sein Reisehandbuch zur Schweiz soll gar Friedrich Schillers Willhelm Tell beeinflusst haben. Das Zitat auf der Rückseite entstammt dem vierten Abschnitt «Kosten in der Schweitz zu reisen, und sich aufzuhalten».
(Christoph Mörgeli: Ebel, Johann Gottfried, in: Historisches Lexikon der Schweiz, Version vom 18. Dezember 2019. Online: https://hlsdhsdss.ch/ de/articles/011761/2019 1218/)
Herausgeber
ViaStoria
Stiftung für Verkehrsgeschichte
Redaktion
Isabelle Fehlmann
Kontakt: redaktion@viastoria.ch
Verlag
Weber Verlag AG
Gwattstrasse 144
CH3645 Thun/Gwatt Übersetzungen
Giorgio Bellini, PierreG. Martin
Adresse
ViaStoria, Stiftung für Verkehrsgeschichte
Hanspeter Schneider
Matten 390 CH3472 Wynigen
www.viastoria.ch, stiftung@viastoria.ch
Druck
Haller + Jenzer AG
Buchmattstrasse 11
CH3400 Burgdorf
VORWORT
Liebe Leserin, lieber Leser
Es freut mich sehr, dass sich die vorliegende Ausgabe von Wege und Geschichte den historischen Wegen und Herbergen widmet. Historische Verkehrswege und Gasthäuser sind eindrückliche Beispiele dafür, wie Reisen einst funktionierte und wie sich dabei die Architektur entwickelte. So waren sowohl die Wege als auch die damit verknüpften Unterkünfte regelrechte Dreh und Angelpunkte des gesellschaftlichen Lebens. Und die Geschichte zeigt exemplarisch, wie tief Hotels von den Wegen geprägt werden, selbst wenn sie, wie das Waldhaus Sils, vermeintlich «abseits» liegen. Unsere Hotels sind aber nicht nur steinerne Zeugen vergangener Zeiten, sondern auch Orte, an denen die Geschichte weiterlebt. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre, in der Sie neue Einsichten in die Bedeutung unserer historischen Bauwerke und ihrer Umgebung erhalten. Lassen Sie sich von den erlebbaren Zeitreisen und der Atmosphäre dieser besonderen Orte inspirieren.
Chère lectrice, cher lecteur
Je suis très heureux que le présent numéro des Chemins et l’histoire soit consacré aux chemins et auberges historiques. Ceuxci illustrent exemplairement la manière dont on voyageait autrefois et l’évolution de l’architecture liée à cette activité. Les routes aussi bien que les hébergements qui les jouxtaient étaient de véritables points de rencontre de la vie sociale. Et l’histoire montre bien à quel point les hôtels sont marqués par les chemins, même quand ils sont sis « à l’écart », tel le Waldhaus de Sils. Cependant nos hôtels sont non seulement des témoins matériels du passé, mais aussi des lieux où l’histoire continue de vivre. Je vous souhaite une lecture stimulante, qui vous donnera de nouvelles perspectives sur la valeur de nos bâtiments historiques et de leur environnement. Laissezvous inspirer par l’atmosphère de ces endroits particuliers et par les voyages sensibles qu’ils vous feront faire dans le temps.
Care lettrici, cari lettori, sono lieto che questo numero di Strade e storia sia dedicato ai percorsi e agli alloggi storici. Le vie di comunicazione storiche e gli edifici dedicati all’ospitalità sono esempi significativi di come avveniva un tempo il viaggio e di come si è sviluppata l’architettura in questo contesto. Sia le vie di comunicazione che gli alloggi ad esse associati erano veri e propri centri di vita sociale. E la storia è un esempio perfetto di come gli hotel siano profondamente caratterizzati dai percorsi, anche se apparentemente «fuori dai sentieri battuti», come il Waldhaus Sils. Tuttavia, i nostri hotel non sono solo testimonianze di tempi passati, ma anche luoghi in cui la storia continua a vivere.
Vi auguro una piacevole lettura di questo fascicolo, che vi permetterà di conoscere meglio il significato dei nostri edifici storici e dei loro dintorni. Lasciatevi ispirare dal viaggio nel tempo e dall’atmosfera di questi luoghi speciali.
Christof Steiner
Präsident Swiss Historic Hotels
Président de Swiss Historic Hotels
Presidente di Swiss Historic Hotels
INHALT
4 Verkehrswege und Gasthäuser
Roland Flückiger-Seiler
10 Champexlac : Construire le pittoresque
Noémie Carraux
15 Waldhaus Sils. Wie Wege ein Grandhotel prägen, das nicht «am Weg» liegt
Urs Kienberger
20 Fionnay et les premiers hôtels du Val de Bagnes (18901914)
Julie Lapointe Guigoz
24 Johann de Gravas Klostergründung in Santa Maria und das Hostienmirakel von St. Johann / Müstair. Kleine Hospizund Literaturhistorie
Robin Rehm
30 Esordi e sviluppo del turismo in Ticino
Maria Mazza
34 Kulturhotel Regina Mürren
Gisela Vollmer
40 SacHütten – Bauen im Hochgebirge
Isabelle Fehlmann
45 Rubrique: Projets de restauration des objets IVS: Les chemins creux du far West du canton de Genève
Sandro Benedetti
48 ASTRA: Vernetzt – historische Wege prägen unser Kulturerbe. Europäische Tage des Denkmals 2024
Ulrike Marx
50 Publikationshinweise
51 Der Förderverein ViaStoria Vorschau
VERKEHRSWEGE UND GASTHÄUSER
Roland Flückiger-Seiler
Verkehrswege und Gasthäuser waren seit langer Zeit voneinander abhängig. War jemand auf einem Weg zu Fuss oder mit einem Lasttier unterwegs, musste irgendwo übernachtet werden. Im aufkommenden Massentourismus des späten 19. Jahrhunderts wurden vielerorts aus den einfachen Gasthäusern imposante Hotels, die entweder in den bekannten Tourismus orten oder an Seeufern, später oft auch auf Berggipfeln, entstanden. Solche Häuser werden heute von der Vereinigung Swiss Historic Hotels als Unterkünfte für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Swiss Historic Hotels
Die Rettung historischer Hotels begann am Brienzersee, als man in der Regel noch von «alten Häusern aus der Zeit des Historismus» sprach, die man erneuern sollte. Kurz vor 1980 suchte aber der Präsident der Burgergemeinde Bern nach Möglichkeiten einer Rettungsaktion für das Hotel Giessbach, das in Gefahr war, abgerissen zu werden, um einem zeitgemässen «JumboChalet» Platz zu machen. Der angefragte Franz Weber fand eine passende Lösung mit der Gründung einer Stiftung, was die Rettung des 1875 vom Berner Architekten Horace Eduard Davinet erbauten Hotels ermöglichte. Den im lokalen Umfeld vorerst angefeindeten Initianten gelang es in der Folge, grosse Unterstützung für ihr Anliegen zu gewinnen. Die Erhaltung historischer Hotels ging in Lu
zern weiter. Dort konnte sich die 1992 gegründete Arbeitsgruppe «Tourismus und Denkmalpflege» erstmals in Szene setzen, als im März 1994 bekannt wurde, dass in der Tourismusstadt beim Grand Hotel Schweizerhof ein Abbruch der beiden angebauten Säle geplant war. Nach einer Verhärtung der Fronten läutete die Eigentümerfamilie 1995 selbst eine Wende zum Guten ein. Danach entstand mit grosser finanzieller Unterstützung von HotellerieSuisse 2004 die Marketinggruppe Swiss Historic Hotels, die sich nach anfänglichen Schwierigkeiten prächtig entwickelt hat. Alle Mitglieder verfügen über einen Hotelbetrieb, dessen Gebäude mit seiner Umgebung sowie mit den Räumen und dessen Mobiliar auf einem historischen Original aufbauen. Zudem bewirken sie mit einer guten Betriebsleitung eine hohe Erlebnisqualität. Jeder Betrieb wird
1 Das 1875 eröffnete Hotel Schreiber auf dem Gipfel der Rigi entstand nach Plänen des damals in Interlaken tätigen Hotelarchitekten Horace Eduard Davinet. Gleichzeitig entwarf er das Hotel Sonnenberg auf Seelisberg und das Hotel Giessbach am Brienzersee. Das Rigi Hotel wurde in den 1950er-Jahren abgebrochen. (ETH Bibliothek Zürich, Bildarchiv)
nach seiner Bewerbung von zwei Fachleuten für die Denkmalpflege und die Gastronomie überprüft und aufgenommen, wenn der Vorstand seine Zustimmung gibt. Damit garantiert die Organisation, dass sich ihre Mitgliederhotels in diesen Bereichen auf hohem Niveau bewegen. Im folgenden Beitrag werden drei historische Betriebe aus drei bedeutenden Zeitepochen in ihrem Umfeld dargestellt.
Susten als Warenlager in der Frühzeit
Auf dem heutigen Schweizer Gebiet und dessen Umgebung gehörten zur Römerzeit der Grosse St. Bernhard zwischen dem Aostatal und dem Genfersee, der Septimer vom Comersee über Chur zum Bodensee sowie der Brenner von Bozen nach Innsbruck zu den bedeutenden Alpenübergängen. Mit dem Zerfall des Römerreichs, den Verschlechterungen des Klimas sowie in der Zeit der Völkerwanderungen brachen die grossräumigen Verflechtungen über das Gebirge ab, auch die Bevölkerung ging dort zurück. Erst im Hochmittelalter erholte sich das Transportwesen wieder. Damals bildeten sich neue Siedlungen sowie eine Wirtschaft und eine Sozialstruktur, die das alpine Gebiet vielerorts bis in die heutige Zeit prägen. Der Transit von Gütern nahm wieder zu und erforderte an diesen Routen sogenannte Susten als Unterkunft für Säumer und Tiere sowie als sicheres Warenlager. Im Hochmittelalter entstanden zudem zahlreiche Marktorte und Städte, teils durch lokale Mächte (Grafen, kirchliche und lokale Herrscher), die wiederum den überregionalen Verkehr förderten. Zu dieser Zeit verteilte sich der Verkehr dezentral auf zahlreiche Übergänge im Alpenraum. Zu den bedeutenden Passrouten gehörten in den Bündner Alpen beispielsweise der San Bernardino und der Splügenpass. Diese beiden Wege vereinigten sich
im Dorf Splügen am nördlichen Ende des gleichnamigen Passes (Abb. 2).
Alte Herberge Weiss Kreuz in Splügen Ein im späten 14. Jahrhundert erbautes Gasthaus im dortigen Dorf stand als einfache Unterkunft für die Säumer und als Sust für ihre Waren zur Verfügung. In seinem langen Leben wurden die Holzteile des Gebäudes bei einem Dorfbrand 1716 stark beeinträchtigt. Nach dem Wiederaufbau nächtigte unter anderem Johann Wolfgang von Goethe auf seiner zweiten Italienreise 1788 in diesem Haus. In den 1820erJahren erstellte der um 1803 neu gegründete Kanton Graubünden die «Kommerzialstrassen» zur Verbesserung der Erreichbarkeit seiner Dörfer und Täler. Durch den Neubau dieser Transitrouten verlor die Herberge an Bedeutung, da der alte Dorfkern nun von den Kutschen umfahren wurde. Mit dem Rückgang der Gästezahl begann ein permanenter Niedergang, sodass das Gebäude bald nur noch als Bauernhaus genutzt wurde. Dies änderte sich 1997 mit der Übernahme durch Hans Rudolf Luzi. Er machte es sich zum Ziel, die alte Herberge sorgfältig zu restaurieren. Dabei stand der Erhalt der historischen Bausubstanz im Vordergrund. Dies ermöglichte ihm, das Haus 2000 als Hotel Alte Herberge Weiss Kreuz wieder zu eröffnen (Abb. 3). Seither ermöglicht es seinen Gästen einen Einblick in eine längst vergangene Zeitepoche. Nur das Notwendigste, wie neue Nasszellen, wurde in heutiger Form eingefügt. Der grosse Speisesaal mit neuzeitlichem Mobiliar befindet sich im früheren Heuboden des angebauten Stalls, als Hoteleingang dient die ehemalige offene Einfahrt ins Haus. Das Hotel Alte Herberge Weiss Kreuz verkörpert ein wertvolles Zusammenspiel von Alt und Neu, bei dem sich die neuzeitlichen Materialien mit der langen Geschichte gut vereinen.
2 Das Dorf Splügen in einer Ansicht im späten 19. Jahrhundert des Fotografen Rudolf Zinggeler. (Sammlung Roland Flückiger)
Vom Luxus- zum Massentourismus in der Belle Époque
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Reisen immer ausgeprägter. Es war nicht mehr durch das Vermögen oder die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaftsschicht ermöglicht. Die ersten organisierten Gruppenreisen in den 1860erJahren leiteten eine vorher nicht gekannte soziale Breitenentwicklung des Reisens ein. Ihr Erfinder war der Engländer Thomas Cook, der 1856 erstmals eine Reisegruppe von London auf den Kontinent an die Pariser Weltausstellung führte und 1863 die erste persönlich geführte Reise durch die Schweiz organisierte. Damit öffnete sich einer breiten Bevölkerungsschicht die Möglichkeit einer Bildungs und Erlebnistour. Cooks perfekte Gruppenreisen verwandelten das frühere Abenteuer in ein Präparat, das jedes Risiko ausschloss. Auch einen grossen Einfluss hatten die teils spektakulären Aufenthalte gekrönter Häupter in der Schweiz, da sie weite Bevölkerungskreise zum Reisen anspornten. Zu den bekanntesten gehörte der Aufenthalt der englischen Königin Victoria im Sommer 1868 in Luzern. Die bereits seit den 1820erJahren funktionierende Dampfschifffahrt auf den Schweizer Seen und die ersten Eisenbahnen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts standen zudem als neue Infrastruktur für die touristische Entwicklung zur Verfügung. Da sich die herkömmlichen Bahnsysteme nicht für die Erklimmung der Berge eigneten, entstanden im späten 19. Jahrhundert verschiedene Projekte für den Bergbahnbau. 1859 schrieb sogar der Bundesrat eine internationale Ideenkonkurrenz dafür aus. Die Erfindung des Zahnradsystems durch Niklaus Riggenbach ermöglichte ihm 1871 die Eröffnung der ersten europäischen Zahnradbahn von Vitznau nach RigiStaffel. Mehrere Gipfel erhielten in den 1890erJahren eine Eisenbahn, wobei die Konzentration auf die grossen Tourismusregionen der Belle Époque auffällt. Mit dem 1896 begonnenen ambitionierten Bau einer Bahn auf den Gipfel der Jungfrau, der 1912 mit der Eröffnung der höchsten Bahnstation Europas auf dem Jungfraujoch beendet wurde, fand der Bergbahnbau in der Schweiz vor dem Ersten Weltkrieg seinen Höhepunkt und zugleich Abschluss.
Dank der maschinellen Herstellung von Drahtseilen seit den 1860erJahren konnten neben der Zahnradbahn grosse Höhenunterschiede an Berghängen überwunden werden. Der Bau von Standseilbahnen fand im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts grosse Verbreitung. Diese dienten zuerst vor allem der Erschliessung von Hotels an schöner Aussichtslage, später erreichten sie auch Berggipfel. Die Mehrzahl konzentrierte sich auf die Regionen des Genfersees, des Berner Oberlands und des Vierwaldstättersees.
Sogar auf den Gipfel des Matterhorns wurde in den 1890erJahren eine Bergbahn geplant und auch
konzessioniert. Der Bau scheiterte aber am Widerstand der dortigen Bergführer und des Landschaftsschutzes. Fast auf jedem von Eisenbahnen erschlossenen Gipfel entstand eine Hotelanlage.
Hotel Schreiber von Architekt Davinet auf Rigi-Kulm
Die Gastwirtschaft auf dem Gipfel des seit langer Zeit bestiegenen Berges am Vierwaldstättersee war gewissermassen die Geburtsstunde der alpinen Hotellerie. Der Gipfel wurde bereits sehr früh in allen Reiseführern ausführlich beschrieben und in den höchsten Tönen gelobt, wodurch das reisende Volk den Berg in Scharen zu stürmen begann. Das erste Gasthaus entstand dort auf Initiative eines Bergführers bereits 1816 und es erhielt mehrere Nachfolger. In den 1870erJahren entstand das imposante Gipfelhotel nach Plänen des aus Frankreich stammenden, in Bern eingebürgerten Architekten Horace Eduard Davinet (Abb. 1 und 4). Dieser architektonisch bedeutende Hotelbau wurde zusammen mit der Einweihung der zweiten Bahnlinie von Arth am Zugersee nach RigiKulm 1875 eröffnet. Es war eines der mächtigsten Hotels, das in der Schweiz jemals auf einem Berggipfel stand. In der sechsstöckigen Anlage in neobarocker Erscheinung mit einer bewegten Fassaden und Dachlandschaft konnten in zwei Zimmerflügeln über 250 Gäste logiert
3 Das Hotel Alte Herberge Weiss Kreuz in Splügen in einer aktuellen Ansicht. (Foto: Roland Flückiger)
4 Das Hotel auf Rigi-Kulm besass kleine Gästezimmer, angeordnet um eine repräsentative Hotelhalle, wie eine zeitgenössische Postkarte darstellt.
(Sammlung Roland Flückiger)
AUF DEN SPUREN DER ARBEITSTIERE
Eine gemeinsame Geschichte vom ausgehenden 18. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts
Hans-Ulrich Schiedt
Die Arbeitstiere – in unseren Breitengraden Pferde, Esel, Maultiere, Hunde und Rinder – waren im langen 19. Jahrhundert auf dem Land und in den grösser werdenden Städten allgegenwärtig. Sie waren grundlegende Phänomene des sozialen Lebens. Sie hinterliessen Spuren in der Gesellschaft und ihren Archiven und in der von und mit ihnen geschaffenen Welt. Aus ihren produktiven Potenzialen und aus den Bedingungen ihrer Reproduktion ergaben sich bestimmte Lebensformen, Wirtschaftsweisen und Raumordnungen.
Das facettenreiche gemeinsame Leben der Menschen und ihrer Arbeitstiere und der mit ihnen geteilte Raum sind bis anhin erst in Ansätzen als eine gemeinsame Geschichte wahrgenommen worden. Der Autor folgt den sozial, agrar, wirtschafts, verkehrs und kulturgeschichtlichen Fährten. Auf diesen treffen wir nicht nur Tiere und Menschen an, sondern mit den menschtierlichen Gespannen jene Form der Kooperation, in der das Handeln und das Wirken beider zu einem vielfach evidenten Dritten wurden. Die damit verbundenen Fragen nach Vernunft, Intelligenz, Willen und nach Handlungs und Wirkmacht der Tiere sind nicht neu. Sie haben die sich mit Tieren befassenden Akteurinnen und Akteure seit je umgetrieben. Die Spuren führen weg vom gewöhnlich unterstellten NaturKultur oder vom SubjektObjektGegensatz und weg von den Prämissen der sogenannten anthropologischen Differenz, in eine Welt, in der Menschen und Tiere nahe miteinander verbunden waren und mehr voneinander wussten.
ALTE TALWEGE IM UNTERENGADIN
Armon Planta, Tumasch Planta
«Wege sind Nabelstränge, die Kulturräume verbinden und den materiellen und ideellen Austausch ermöglichen.» So lautete ein zentrales Leitmotiv von Armon Plantas Erforschung der prä/historischen Pfade und Wege in Graubünden und in den Grenzgebieten Österreichs und Italiens in den 1970er und 1980erJahren. Als er 1976 den ersten Bericht zu den römischen Strassen am Julierpass veröffentlichte, war die Akzeptanz in archäologischen Fachkreisen nicht nur positiv, von einem «Laien» liess man sich ungern belehren. Unbeirrt, mit Herzblut und ausgestattet mit dem creppun (romanisch Dickschädel) der Engadinerinnen und Engadiner führte er seine Arbeit, unterstützt durch Jürg Rageth vom Archäologischen Dienst Graubünden, bis zu seinem Tod im Jahr 1986 weiter.
Die Anerkennung für seine Leistungen wurde ihm 1986 mit dem von der Universität Bern verliehenen Dr.h.c. zuteil. Das Hauptvermächtnis seiner Tätigkeit bilden die drei zwischen 1985 und 1987 erschienenen Bände Verkehrswege im alten Rätien. Leider war es Armon Planta nicht mehr vergönnt, alle Erkenntnisse zu den von ihm begangenen Gebieten zu veröffentlichen. Sein Erbe trat sein Sohn Tumasch an, der seit früher Kindheit an den Unternehmungen des bab beteiligt und mit dem gleichen feu sacré und der gleichen Hartnäckigkeit als Wegforscher tätig war. Fussend auf den Unterlagen des Vaters und auf eigenen Forschungen erschien 1990 der vierte Band der Verkehrswege im alten Rätien. Liegen blieb indes ein «Berg» an unedierten Notizen, Karteneinträgen und Skizzen zum Unterengadin, dem Heimattal Armon Plantas. Nun hat Tumasch dem letzten Wunsch seines Vaters Folge geleistet und dessen Lebenswerk, wiederum ergänzt um eigene Untersuchungen, mit der vorliegenden Publikation zum Abschluss gebracht.
Auszug aus dem Vorwort von Mathias Seifert und Thomas Reitmaier, Archäologischer Dienst Graubünden
Hans-Ulrich Schiedt:
Auf den Spuren der Arbeitstiere. Eine gemeinsame Geschichte vom ausgehenden 18. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, Zürich: Chronos Verlag, 2024.
ISBN 9783034017640
Armon Planta, Tumasch Planta: Alte Talwege im Unterengadin, Archäologischer Dienst Graubünden (Hrsg.), Chur: Somedia Buchverlag, 2022.
ISBN 9783907095607
Grimselhospiz (1960 m), Postkarte, um 1945. (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, PK_013925 / Public Domain Mark)
DER FÖRDERVEREIN VIASTORIA
Der Förderverein ViaStoria
– fördert die Forschung zu historischen Verkehrswegen
– unterstützt die Herausgabe von «Wege und Geschichte»
Der Vorstand des Fördervereins setzt sich wie folgt zusammen
– Barbara Kasseroler, Präsidentin
– Claude Cartier, Veranstaltungen
– Beat Binder, Projektkoordinator
– Hugo Barmettler, Sekretär
Daniel von Burg übernimmt die Nachfolge der langjährigen Kassiererin Karin Zech.
Die Stiftung ViaStoria ist durch Hanspeter Schneider als Beisitzer vertreten.
Das aktuelle Vereinsjahr zum Thema «Wege und Herbergen» wurde mit der zweitägigen Herbstwanderung vom 21./22. September im BlenioTal abgeschlossen. Das neue Vereinsjahr 2025 steht unter dem Motto «Strassen und Stauseen». Dr. Sebastian De Pretto (Universität Bern) wird das Vereinsjahr am 24. Januar im Hotel Astoria in Olten mit einem Vortrag zum Jahresmotto eröffnen.
Die Veranstaltungen und das Wanderangebot finden sich unter www.viastoriafoerderverein.ch
Aktuell
Exkursionen und Präsentationen
Mitgliederbereich
Vereinsinterna, vom Förderverein mitfinanzierte Studien und Referate, vergünstigte KulturwegePublikationen des WeberVerlags
VORSCHAU: WEGE UND GESCHICHTE
01/2025:
STRASSEN UND STAUSEEN
Stauseen gehören seit dem 20. Jahrhundert zum Landschaftsbild der Schweiz, die bergige Topografie ist ideal für deren Anlage. Zumeist schwindelerregend hohe Staumauern wurden hochgezogen, um ausgewählte Fliessgewässer zurückzuhalten. Die neu entstandenen Seen veränderten ihre Umgebung nachhaltig, Naturraum und ganze Dörfer verschwanden unter dem Wasser. Die lokale räumliche Ordnung musste neu organisiert werden, wozu auch die Verkehrsinfrastruktur gehörte. Bau und Unterhalt von Stauseen bedingten gute Strassen, aber auch ansässige Ortschaften bedurften
teilweise einer neuen Erschliessung. Nicht selten führte die Entstehung eines Stausees gar zu besseren Anbindungen, welche die Kraftwerkbetreiber finanziell unterstützten. Während der erste Staudamm schon im 17. Jahrhundert errichtet wurde, bildeten die 1950er bis 70erJahre die intensivste Bauphase von Speicherseen, als der grösste Teil der inländischen Stromproduktion aus Wasserkraft stammte. Das nächste Wege und Geschichte widmet sich den vielfältigen (Verkehrs) Geschichten der Schweizer Stauseen. Redaktionsschluss: 1.3.2025
Vorschläge für Heftbeiträge sind sehr willkommen! Bitte richten Sie diese bis einen Monat vor Redaktionsschluss an redaktion@viastoria.ch
«Der Preis der Zimmer ist nach den Stockwerken und ihrer Lage verschieden. Wenn man nicht an die Tafel geht, sondern auf seinem Zimmer so wie an der Gasttafel speist, so muss man zwey Gulden, auch noch mehr geben. In den Wirthshäusern der kleinen Städte und der Dörfer, wo auf der Reise die Kutscher futtern und einkehren, muss man eben so viel und oft noch weit mehr zahlen, als in den vornehmsten; und da begegnet es, dass man bisweilen sehr übersetzt wird. Wer auf einem hohen Fuss reist, in einem hohen, stolzen Ton viel befiehlt, verlangt, und viel Unruhe macht, dem wird dann in den besten Hotels nach einem andern als erwähnten Preise seine Rechnung geschrieben.»
Johann Gottfried Ebel: Anleitung auf die nützlichste und genussvollste Art in der Schweitz zu reisen, Zürich: bey Orell, Gessner, Füssli & Compagnie, 1793, S. 22–23.
« Le prix des chambres diffère suivant les étages et leur situation. Veut-on prendre ses repas dans sa chambre et se faire servir comme on l’est à la table d’hôte, il en coûte deux florins et quelquefois davantage. Dans les auberges des petites villes et des villages, où vos cochers sont habitués de raffraichir et de loger, on paye tout autant et souvent davantage que dans les plus fameuses ; et c’est-là qu’il arrive quelquefois d’être rudement étrillé. Ceux qui voyagent sur un grand pied, qui, d’un ton haut et fier, commandent et exigent beaucoup de choses, et causent plus d’embarras que d’autres, ne doivent pas s’attendre, même dans les meilleurs hôtels, qu’on y réglera leurs comptes suivant les taxes que je viens de mentionner. »
Johann Gottfried Ebel: Instructions Pour Un Voyageur Qui Se Propose De Parcourir
La Suisse De La Maniere La Plus Utile Et La Plus Propre à lui procurer toutes les jouissances Dont Cette Contrée Abonde, Bâle, J.J. Tourneisen, 1795, p. 29-30 (traducteur anonyme)
«Il prezzo delle camere varia a seconda dei piani a cui sono situate e della loro posizione. Se non si sceglie un tavolo proprio ma si cena in camera o al tavolo degli ospiti, si pagano due fiorini o anche di più. Nelle locande delle piccole città e dei villaggi, dove i cocchieri cenano e si fermano durante i viaggi, si deve pagare altrettanto, e spesso anche di più, che in quelle più blasonate; e lì capita che a volte si venga anche raggirati. Chi si atteggia in modo altezzoso, comanda e pretende molto con tono forte e autoritario, creando molto disturbo, viene poi fatturato nei migliori alberghi a un prezzo diverso da quello indicato.»
Johann Gottfried Ebel: Anleitung auf die nützlichste und genussvollste Art in der Schweitz zu reisen, Zurigo: bey Orell, Gessner, Füssli & Compagnie, 1793, pp. 22-23.