4 minute read

Kabarett Sauvignon

Jeder Schluck Biowein ein «Ja!» zur Natur. Biologischer Anbau, das ist schonender Umgang mit Wasser und Boden. Sogar die Trauben werden mit Schonbezügen ausgestattet.

Die önologische Schmunzelgeschichte No 10

BIOWEIN WAS SONST?

Text ________ Thomas C. Breuer

Vor nicht allzu langer Zeit wurde ein Teil des südlichen Burgbergs im sächsischen Meissen von der Landesstiftung Natur und Umwelt als Anbaufläche reaktiviert. Warum? Ganz einfach: Der Weinberg in seiner Eigenschaft als Natur- und Kulturerbe fungiert klag- und selbstlos als Lebensraum für mannigfaltige Geschöpfe und vielerlei Gepflanz. Bekanntlich ist in Steillagen die Bewirtschaftung nur möglich, wenn die Weinberge terrassiert und durch Trockenmauern gesichert werden. Darin herrscht ein optimales Mikroklima für Flora und Fauna: Während sich die Steine im Aussenbereich morgens rasch erwärmen, bleibt es im Inneren angenehm kühl. Weil Weinberge zudem die Südlage bevorzugen, bieten sie wärmeliebenden Tieren, Rentnern und Pflanzen Zuflucht. Biotope sind top, ihr Artenreichtum ist phänomenal. So blüht im Wingert der Weisse Mauerpfeffer, der den Larven des Apollofalters als Futterpflanze dient, Schmetterlingen allgemein, mit ihren überbordend poetischen Namen: SauerampferfeuchthaldenGoldfalter oder Brauner Trockenrasen-Dickkopf. Hier fliegt der TrockenhaubenTagtraumfalter, dort das Landkärtchen. Im vollendeten Butterfly-Stil umschwirren sie Wilde Tulpen, Weinbergpfirsiche, Traubenhyazinthen, den Nickenden Milchstern, den Weinberg-Lauch sowie Wildkräuter wie Majoran, Dummerjan und Schlendrian. Etwas behäbiger brummt die Natternkopf-Mauerbiene heran, gefolgt von der Pillenwespe. Mäusebussarde finden reichlich Nahrung, und auf den Mauern kringeln sich Schlingnattern, über die Steine wieseln Mauereidechsen, Spiegeleidechsen und Scheusalamander. Die Trockenmauer bietet eine letzte Heimstätte für die Zauneidechse, denn machen wir uns nichts vor: Hier tummelt sich die Creme de la Creme der Roten Liste, u. a. auch die Gottesanbeterin, die Rotflügelige Ödlandschrecke oder der ZweiundzwanzigpunktMarienkäfer. Schon deshalb ist jeder Schluck Biowein ein «Ja!» zur Natur. Biologischer Anbau, das ist schonender Umgang mit Wasser und Boden. Sogar die Trauben werden mit Schonbezügen ausgestattet. Biologisch bedeutet auch: keine Schädlingsbekämpfungsmittel aus dem Ausland gegen Pilzerkrankungen, Finger weg vor allem von Budapestiziden. Überhaupt von allem, was derzeit aus Ungarn kommt. Spitzenweingüter statt Spritzenweingüter. Keine Gentechnik. Gen hat mit genial nichts am Hut. Biowein ist porentief rein, das ist Purismus pur. Oder vielleicht doch Puritanismus? Blühende grüne Untersaaten und blühender Unsinn bei den Weinbeschreibungen, da unterscheiden sich Biowinzer nicht von den traditionell wirtschaftenden Kollegen: «Diesen Tropfen zeichnet eine leicht süssliche Note aus, die an ein Leberwurst-Brioche erinnert.» Hey, die Leberwurst – das Schwein hat der Winzer persönlich gekannt. Rosalie. Am Schluss haben sie sich geduzt. Das hat ihn total berührt. Bioreben – Förderung der Artenvielfalt, Bekämpfung der Winzereinfalt. Sogar WeinFunktionäre sind bekannt für ihren Einfaltsreichtum. Biowein unterliegt strengen Kontrollen, Alkoholkontrollen z. B. – die Trauben werden dann schon mal rechts rausgewunken. Hey, die Traube ist auch bloss ein Mensch. Natürlich kommen nur natürliche Traubenabwehrsysteme

zum Einsatz. Das Prinzip: Nützlinge bekämpfen Nichtsnutzlinge, Raubmilben vertilgen Spinnmilben. Ökowinzer setzen auf den Kreislauf der Natur, d. h. legale Beschäftigung von Schmetterlingen, Vögeln und Käfern auf Niedriglohn-Niveau. Die Ökos können nämlich zwischen den Rebzeilen lesen. Gut, Biowein hat seinen Preis. Billigwein im Vergleich? Die Kosten für Glas, Korken oder Schraubverschluss, Etiketten, Verpackung, Transport und Steuern – die summieren sich derart, dass man bei einer Flasche für CHF 2,99 den Wein praktisch gratis dazu kriegt. Okay, hat auch etwas für sich. Jedenfalls setzen sich bei Biowinzers alle abends immer um den runden Tisch, in dem Fall natürlich ein Authentisch, in der Mitte ein paar Flaschen «Füdlisthaler Wurzelstrunk» aus dem Thurgau – und alle saufen regional und verzehren dazu selbstgegessenes Brot. Worüber wir noch gar nicht gesprochen haben: Winzerinnen und Winzerer leben ein gefährliches Leben im Weinberg und haben täglich mit Angriffen von Tieren, mit Giftanschlägen und neuen EU-Verordnungen zu kämpfen. Besonders gefährlich ist das Wildschwein, das sich im Weingarten immer häufiger als Wildsau aufführt. Sus scrofa attackiert Menschen gleich welchen Geschlechts oder Glaubens, der ökumenische Fussabdruck ist verheerend. Wenn das Weibchen, die Bache, angreift, weil sie ihre Frischlinge bedroht sieht, kann alles rasch bachab gehen. Keiler hingegen versuchen, unsereins umzuschmeissen, um uns dann mit den scharfen Eckzähnen im Gebrech (oder Gewaff) säuberlich aufzutrennen. Das kann unangenehm werden. Ihren schlechten Ruf haben sie hauptsächlich der Tatsache zu verdanken, dass sie in Sachen Ordnungssinn echte low performer sind und sich zunehmend verhaltensauffällig benehmen, wobei sie sich als echte Allrounder erweisen: Den Weinberg graben sie ebenso beherzt um wie das Maisfeld, hinzu kommen regelmässige Verstösse gegen das Grunzgesetz. Nicht zu unterschätzen sind freilaufende Lamas, die im Oberwallis und in Graubünden eigentlich als Erntehelfer in unwegsamem Gelände vorgesehen waren. Einige Exemplare konnten ihren Gehegen entkommen und haben sich in Gottes freier Natur vermehrt vermehrt. Mit der Wildcard kommen sie praktisch überall rein, spucken Trauben an, urinieren auf Rebstöcke und beeinflussen dergestalt die Qualität. Zeit, dem Spuck ein Ende zu bereiten. Im Aargau ist schonender Umgang mit Wasser und Boden die Regel. Die Trauben sind einfach glücklich, wenn sie den Rebstock verlassen. Der Kanton setzt ausserdem auf Rückverfolgbarkeit der Trauben, d.h. sie werden gechipt. Selbst im Norden Deutschlands, im Weinbaugebiet Ostholstein, Heimat des Vorzeigegrünen Robert Habeck, ist der biologische Anbau gang und gäbe. Im Klartext auch hier die schonende Handhabung, selbst wenn das Wasser dank seiner Häufigkeit nicht zimperlich mit dem Boden umgeht. Spitzenweingüter statt Spritzenweingüter. Natürliche Dünger sind Kompost, Hefe, Trester. Als Winterbegrünung nimmt man eine Gras-KleeMischung. Vorteil: Diese zieht massenhaft Wühlmäuse an, eine willkommene Ergänzung für den Speisezettel, eine Delikatesse mit Grünkohl. Das Gute: Der Bio-Alkohol im Körper ist immer biologisch abbaubar, also keine Weinkrämpfe am nächsten Morgen. Jetzt aber «nicht lang schnacken, Kopf in’n Nacken!» Dem ist nichts hinzuzufügen.

Thomas C. Breuer

Der deutsche Schriftsteller und Kabarettist Thomas C. Breuer tritt seit 1977 auf Bühnen in Deutschland, Nordamerika und der Schweiz auf und arbeitet auch für verschiedene TVProgramme, sowie WDR, SWR und SRF. Er hat über 30 Bücher publiziert, darunter «Kabarett Sauvignon» (Lindemanns Bibliothek) und wurde 2014 mit dem Salzburger Stier ausgezeichnet. Seine Wortspiele sind einzigartig und äusserst humorvoll und die Schweiz kommt darin nicht selten vor.

TC-WORLD.COM

This article is from: