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Interview Gabriel Felbermayr
Der Ökonom und neue Wifo-Leiter Gabriel Felbermayr im Gespräch mit
dem Börsianer über die
österreichische Konjunktur, die Effizienz der CoronaHilfen, ein Gastarbeitermodell 2.0, eine Reform des Pensionssystems und den Abbau der Staatsschulden.
INTERVIEW ROBERT WINTER
VITA GABRIEL FELBERMAYR
Leiter Wifo
Der 1976 in Steyr in Oberösterreich geborene, international anerkannte Experte ist am 1. Oktober 2021 Christoph Badelt als Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) nachgefolgt. Der Weltenbummler liebt Musik und Bergsteigen, fungierte ab März 2019 als Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft IFW Kiel und hat eine Professur für Volkswirtschaftslehre an der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel.
Argusaugen. Die Industrie hat ein Problem. Die Auftragslage ist gut, der Output aber nicht mehr wirklich da. „Es gibt ein großes Delta, das man so kaum sieht“, meint Felbermayr.
„MAN MUSS BISHER UNGEDACHTES ZU DENKEN BEGINNEN“
Die österreichische Konjunktur erholt sich seit geraumer Zeit. Wie lauten Ihre Schätzungen für die BIP-Entwicklung für das Gesamtjahr
2021 und für die Zeit danach? – Gabriel Felbermayr: Für das Gesamtjahr 2021 weisen die Prognosen auf ein Wachstum von vier Prozent hin. Für 2022 wird mit plus fünf Prozent gerechnet. Die Zahlen sind aber zu relativieren. Die Wachstumsstatistik ist verzerrt, weil vom tiefen Niveau des Vorjahres ausgegangen wird. In Wahrheit wird das Wachstum im nächsten Jahr von Quartal zu Quartal nur noch einen halben Prozentpunkt betragen. Man darf jetzt nicht so tun, als wäre man in einer neuen Wachstumsphase. Jetzt ist die Wachstumskurve steil, im Zeitverlauf wird sie flacher werden.
Welche Risiken drohen? - Die Risiken sind erheblich. Die vierte Corona-Welle birgt Gefahren. Österreichs Industrie hat angezogen, ist aber mit dem Risiko konfrontiert, dass ein sporadisches Auftreten von Infektionsherden in China oder in anderen Regionen dazu führt, dass die Logistikketten wieder ins Stocken geraten. Dieses Problem war auch zu Sommerbeginn ersichtlich. Ein großer chinesischer Hafen hat wegen weniger Infektionsfälle nur mit stark verminderter Kapazität gearbeitet. Sechs Wochen später war bestelltes Material nicht verfügbar. Das ist für die Industrie ein Problem. Normalerweise springt die Industrieproduktion zwei bis drei Monate nach den Auftragseingängen an. Die Auftragslage war im Sommer sehr gut und entwickelt sich weiter positiv. Gleichzeitig wächst der Output der Industrie nicht mehr wirklich. Es gibt ein großes Delta, das man sonst kaum sieht. Für Deutschland rechnet das IFW Kiel damit, dass der rückläufige Output im laufenden Jahr fünf Prozent der Industrieproduktion kostet.
„Design der Förderungen hat die Bildung neuer Zombieunternehmen verhindert.“
GABRIEL FELBERMAYR
Haben die in Österreich verteilten CoronaHilfen die gewünschten Effekte ausgelöst? Wurde durch die Unterstützungen die Anzahl der sogenannten Zombieunternehmen
größer? - Untersuchungen und Befragungen des Wifo geben erste Hinweise darauf, dass die Corona-Hilfen in Österreich weitgehend die gewünschten Effekte hatten. Es wurden Unternehmen unterstützt, die in normalen Zeiten am Markt bestanden hätten. Ihre Produktionspotenziale wurden am Leben erhalten. Insolvenzen konnten aufgeschoben werden. Allerdings hat das Design der Förderungen – also Zuschüsse und Verlustabgeltungen statt rückzahlbarer Kredite – auch dazu beigetragen, die Bildung neuer Zombieunternehmen zu verhindern. Der Anteil von Zombieunternehmen ist nicht statisch, sondern zumeist an ökonomische Krisen gekoppelt. Die Effizienz der Unternehmensfinanzierung ist dann auch dafür verantwortlich, ob Zombieunternehmen das Produktivitätswachstum in Österreich zurückhalten können.
Welche Strukturreformen sind in Österreich generell notwendig, welche Schritte kann die Politik setzen? - Im öffentlichen Sektor gibt es vielfältigen strukturellen Reformbedarf. Der Föderalismus muss effizienter aufgestellt werden, mit einer möglichst weitreichenden Entflechtung
Neu denken. In für Österreich wichtigen Branchen wie dem Gastgewerbe und in weiten Teilen des Tourismus ist Teleworking nicht möglich. Arbeitskräfte sind knapp. Hier brauche es neue Geschäftsmodelle, sagt Felbermayr.
„Branchen wie Tourismus, Bau oder Einzelhandel werden sich neue Geschäftsmodelle überlegen müssen.“
GABRIEL FELBERMAYR
der Aufgabenverantwortlichkeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sowie mit einer Stärkung der Abgabenautonomie von Ländern und Gemeinden. Auch die seit langem anstehende Förderreform sowie eine effizientere Ausgestaltung von Bildungs- und Gesundheitssystem müssen wir endlich in Angriff nehmen.
Wie sieht es mit den Pensionen aus? - Die Bemühungen zur Hebung des effektiven Pensionsantrittsalters müssen verstärkt werden. Nur so können langfristig die Budgetspielräume geschaffen werden, die benötigt werden, um die stark gestiegene Verschuldung abzubauen, Zukunftsinvestitionen zu finanzieren und die Abgabenquote zu senken. Nicht zuletzt brauchen wir eine fundamentale Abgabenstrukturreform, die Arbeit deutlich entlastet und im Gegenzug Emissionen und Umweltverbrauch schrittweise spürbar verteuert.
Der österreichische Arbeitsmarkt hat sich in den vergangenen Monaten erholt. Ist das
Schlimmste schon überstanden? - Branchen, in denen Arbeitskräfte knapp werden oder in denen man bisher auf Arbeitskräfte aus Osteuropa zurückgegriffen hat, werden sich für Bereiche, in denen viele ausländische Arbeitskräfte beschäftigt sind, neue Geschäftsmodelle überlegen müssen. Auch in Osteuropa ist die Demografie teilweise sehr schlecht, weshalb sich dieser Pool an Arbeitskräften erschöpft. Das gilt etwa für den Tourismus, den Bau oder den Einzelhandel. Also für Bereiche, in denen Teleworking nicht möglich ist.
Haben Sie konkrete Ideen? – Man wird sich überlegen müssen, wie man die Attraktivität nicht nur für Spitzenmanager oder Forscherinnen, sondern auch für Arbeitskräfte in anderen Bereichen erhöhen kann. Man braucht ein Gastarbeitermodell 2.0. Österreich weist im Vergleich zu anderen Staaten ein gutes Lohnniveau auf, ist aber mittlerweile auch ein teures Land geworden. Man muss vielleicht auch noch stärker mit Steuervorteilen arbeiten.
Kann der enge Arbeitsmarkt zu einer
Wachstumsbremse werden? - Im Wifo- Konjunkturtest klagen mittlerweile mehr Unternehmen über Schwierigkeiten, Arbeitskräfte zu finden, als über die vieldiskutierten Lieferengpässe. In zahlreichen Branchen liegt die Beschäftigung bereits über dem Vorkrisenniveau, aber nicht unbedingt die Arbeitszeit. Zudem beobachten wir auch eine Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit. Derzeit kommt nur ein Drittel des Beschäftigungszuwachses aus der Arbeitslosigkeit. Wenn es an Arbeitskräften mangelt, drückt das ganz klar die Wachstumschancen. Die Demografie und das langfristige Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft hängen sehr eng zusammen. Alternde Gesellschaften sind zudem weniger innovativ – hinsichtlich der Entwicklung, aber auch der Nachfrage neuer Produkte und Dienstleistungen. Auch das schwächt das Wachstumspotenzial.
Wie kann das österreichische Pensionssys-
tem reformiert werden? - Es ist absehbar, dass bei den Pensionen der Bedarf rasch und stark steigen wird, sobald die Generation der Babyboomer in Rente geht. Bis dahin ist nicht mehr viel Zeit. Private Vorsorge findet zwar statt. Aber auf wenig renditeträchtige Weise. Viele Menschen horten Cash. Wer sein Vermögen im Alter von 50 in Bargeld hält, hat im Alter von 70 Jahren nur noch die Hälfte an Kaufkraft. Man muss bisher Ungedachtes zu denken beginnen.
Zum Beispiel? - Österreich hat eine hohe Bonität. Die Frage lautet, ob man die hohe Bonität nicht zur Vermögensbildung einsetzen kann, indem man einen Staatsfonds gründet, der eine Art öffentlicher Investmentbanker ist. Dabei wird billig Geld aufgenommen - derzeit haben wir Negativzinsen - und das Geld mit hoher Streuung und professionell gemanagt in Aktien investiert. Der Staat ist groß genug, um eine höhere Volatilität auszusitzen. Dabei müsste man jedoch über die Governance sehr scharf nachdenken, um die Sicherheit hochzuhalten. Das Ifo-Institut hat für Deutschland unter Einsatz realistischer Parameter eine Berechnung angestellt. Dabei kam heraus, dass nach dem Vollausbau eines solchen Systems monatliche Zusatzrenten von 300 bis 400 Euro zu lukrieren wären. Man muss auch überlegen, ob Österreicher selbst Beiträge leisten können oder nur der Staat.
Die Corona-Pandemie hat zu einem deutlichen Anstieg der Staatsausgaben geführt. Wie ist ein Abbau der Schulden möglich?
- Die Notenbanken haben sich ab 2010 und in der Corona-Krise neu organisiert. Laut dem Vertrag von Maastricht darf die Gesamtverschuldung maximal 60 Prozent des BIPs betragen. Diese Quote wurde ausgehebelt. In Summe erreichen die Aufkaufpläne von Wertpapieren im Jahr 2020 und 2021 ungefähr 20 Prozent des europäischen BIPs. Für 2021 beträgt die realisierte oder geplante Neuverschuldung ungefähr 16 Prozent des BIPs. Die EZB kauft mehr Staatsanleihen auf, als die Länder emittieren können. Im Lehrbuch würde man das als Monetarisierung der Staatsschulden bezeichnen. Das ist laut den europäischen Verträgen verboten und mit der Unabhängigkeit der Notenbank nicht vereinbar.
Warum geht das durch? - Staaten wie etwa Italien oder Griechenland werden solvent und liquide gehalten. Jetzt ist die Verzinsung für zehnjährige italienische Staatsanleihen niedriger als für zehnjährige US-Bonds. Das würde nahelegen, dass Italien eine höhere Bonität hat als die USA. Ich glaube nicht, dass Steuererhöhungen in großem Stil kommen werden oder kommen müssen. Dank der EZB sind die Staaten gut mit Geld versorgt. Das bedeutet aber nicht, dass die Bürger nicht doch die Zeche zahlen.
Über höhere Steuern? - Über höhere Preise. Das zeigt sich bereits jetzt. Die Erzeugerpreise verzeichneten im Juni in Deutschland einen Zuwachs von etwas mehr als acht Prozent. Der Anstieg geht zwar nicht eins zu eins in die Verbraucherpreise über. Aber wenn die Rohstoffkosten und die Herstellkosten von unterschiedlichen Waren steigen, werden die Preise für viele Güter anziehen. Wenn die jährliche Inflation von 1,5 auf 2,5 Prozent anzieht, steigt der Preisindex in zehn Jahren zusätzlich um fast zwölf Prozentpunkte. Das hat auch Auswirkungen auf die Staatschulden. Wenn die Staatsverschuldung 80 oder 90 Prozent des BIPs beträgt, ist nur durch diesen Effekt in zehn Jahren eine deutliche Reduktion der Schulden die Folge. Wenn das BIP nominal auch um zwei Prozentpunkte jährlich wächst, erfolgt wieder eine Stabilisierung der Staatsschulden auf 60 oder 70 Prozent. Inflation und ein nicht allzu schlappes Wirtschaftswachstum können also Abhilfe schaffen. n
Geldfluss. Dank der EZB sind die Staaten gut mit Geld versorgt. Dies schließe Steuererhöhungen im großen Still aus, sagt Felbermayr.
ACHTSAMES UND NACHHALTIGES WIRTSCHAFTEN
MAG. MICHEL HALLER
Vorstandsvorsitzender Hypo Vorarlberg
Mag. Michel Haller, Vorstandsvorsitzender der Hypo Vorarlberg, über Verantwortung und die Möglichkeiten eines Finanzinstituts zu einer nachhaltig lebenswerten Zukunft beizutragen.
Was bedeutet Nachhaltigkeit für die Hypo
Vorarlberg? – Die Hypo Vorarlberg ist sich ihrer Verantwortung bewusst und leistet sowohl bei Umwelt- und Klimaschutz, aber auch im Kerngeschäft sowie nachhaltiger Produktentwicklung auf vielen Ebenen einen positiven Beitrag. Als achtsame Beraterbank ist Nachhaltigkeit aber nicht erst kürzlich ein wichtiges Thema für die Hypo Vorarlberg geworden. Achtsames Wirtschaften gehört zum Wesen unserer Bank. Neben dem Fokus auf wirtschaftliche Stabilität ist für uns vor allem die Art und Weise, wie Geschäfte gemacht werden von Bedeutung.
Welche Maßnahmen haben Sie als Bank
konkret gesetzt? – Wir sind Gründungsmitglied beim Klimaneutralitätsbündnis 2025 – eine wichtige Initiative der heimischen Wirtschaft für den Klimaschutz. Seit 2016 ist der gesamte Hypo Vorarlberg Konzern gemäß den Kriterien des Bündnisses klimaneutral, d.h. der nicht reduzierbare CO2-Ausstoß wird jährlich durch Investitionen in globale Nachhaltigkeitsprojekte kompensiert. Künftig ist eine noch stärkere Verankerung von Nachhaltigkeit im Kerngeschäft geplant, d.h. unser Angebot an nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen wird entsprechend ausgebaut. In der Vermögensverwaltung beispielsweise berücksichtigen wir bei der Titelselektion auch Nachhaltigkeitsrisiken. Inzwischen dürfen auch alle Hypo Vorarlberg-Fonds das yourSRI-Transparenz-Siegel (SRI = Socially Responsible Investment) führen.
Wie beurteilen Sie die Rolle von Banken
beim Thema Green Finance? – Banken haben durch ihre Investitionen oder die Entscheidung, an wen sie Kredite vergeben, auch großen Einfluss auf die Lenkung von Kapitalströmen bzw. eine nachhaltige Entwicklung. Deshalb hat die Hypo Vorarlberg schon seit längerer Zeit ethische und nachhaltige Kriterien im Anlage- und Finanzierungsgeschäft definiert. Es gilt nicht mehr nur auf die wirtschaftlichen Erfolgszahlen zu achten, sondern auch zu beurteilen, ob Unternehmen zum Beispiel besonders klimaschonend produzieren.
Welche Entwicklungen erwarten Sie in der
Zukunft? – Die Nachfrage nach Anlageprodukten, die ESG-Faktoren (Umwelt, Gesellschaft, gute Unternehmensführung) berücksichtigen, hat in den letzten Jahren zugenommen. Die EU-Taxonomie schafft erstmals eine gemeinsame Sprache zum Thema Nachhaltigkeit. Bislang konnte jeder Anbieter selbst definieren, was er unter einem nachhaltigen Produkt versteht. Manche haben den Begriff weiter, manche enger ausgelegt. Auf Seite von Kunden und Anlegern hat das zu Verunsicherung geführt, denn nicht überall, wo Nachhaltigkeit draufsteht, ist auch tatsächlich Nachhaltigkeit drin. Die EU-Taxonomie wird das ändern: Was ökologisch nachhaltig ist, wird an sehr konkreten Kriterien festgemacht. Man könnte also fast sagen: Wo künftig Taxonomie draufsteht, ist auch wirklich Nachhaltigkeit drin.
www.hypovbg.at