2 minute read

MARTIN KWAUKA

Next Article
PETER FELSBACH

PETER FELSBACH

GRÜNER ETIKETTENSCHWINDEL MIT TEUREN SPÄTFOLGEN

VITA MARTIN KWAUKA

Finanzjournalist

Nachhaltige Geldanlagen sind derzeit Absatzschlager, konventionelle bleiben als Ladenhüter liegen. Kein Wunder, dass manche Anbieter sich gerne ein grünes Mäntelchen umhängen und – Stichwort Greenwashing – kaum veränderte Produkte als nachhaltig bewerben. Das könnte sich spätestens im Jahr 2022 rächen.

„Diffuse Regeln sorgen für Unsicherheit.“

Der leidenschaftliche Weinbauer (61) ist seit 23 Jahren Finanz- und Wirtschaftsjournalist. Zu den wichtigsten Stationen des gebürtigen Deutschen zählen die langjährige Chefredaktion des Magazins „Format“ und das seit 2015 von ihm organisierte Finanzjournalistenforum. Sein Steckenpferd ist die Altersvorsorge. Sich selbst beschreibt der studierte Agrarökonom als chronisch neugierig.

Was grüne Investments sind und was nicht, ist nur ansatzweise definiert. So sind bei der Taxonomieregel der EU bisher nur zwei von sechs Umweltkriterien genauer definiert. Bei den ebenfalls zentralen Taxonomiepunkten Soziales und gute Unternehmensführung fehlen bis jetzt sogar sämtliche Details. So kann sich jeder sein eigenes Süppchen kochen und weitgehend selbst definieren, was unter Nachhaltigkeit verstanden wird. Die aktuelle Rechtslage entspricht Verkehrsregeln, die in Ortschaften kein fixes Tempolimit vorgeben, sondern nur die Autofahrer verpflichten, „mit angepasster Geschwindigkeit“ unterwegs zu sein. Der eine Fahrer ist dann auch mal innerorts mit 80 Stundenkilometern unterwegs, der andere tuckert übervorsichtig mit 40 dahin.

Für diffuse Regeln sorgt auch die EUOffenlegungsverordnung. Hier müssen Investmentprodukte von den Anbietern selbst in drei Klassen eingestuft werden: konventionell, hellgrün, im Artikel 8 geregelt und als härteste Kategorie dunkelgrün gemäß Artikel 9. In der Praxis sind vor allem in der hellgrünen Kategorie die Produkte so unterschiedlich wie Kraut und Rüben. Ein Beispiel, wie der Begriff ESG als Abkürzung für die Kriterien ökologisch, sozial und gute Unternehmensführung strapaziert wird: Im konventionellen MSCI-World-Aktienindex sind 1.557 Titel enthalten. Beim Index MSCI World ESG Leaders werden durch den Nachhaltigkeitsfilter rund die Hälfte aussortiert, es bleiben 724. Auch der leicht verwechselbare MSCI World ESG Screened trägt die Nachhaltigkeitsplakette ESG. Der MSCI World ESG Screened unterscheidet sich aber nur mikroskopisch vom kompletten MSCI World: Von 1.557 Unternehmen wurden bloß 82 Titel entfernt. Trotzdem trägt der darauf basierende Indexfonds von iShares die Artikel-8-Plakette.

Auch bei der Einteilung der Fonds gemäß Offenlegungsverordnung in den jeweiligen Fonds-Domizilen zeigt sich das Pi-mal-Daumen-Verfahren: Laut einer Auswertung von Morningstar Asset Flows entfallen im EU-Schnitt 31 Prozent des Publikumfonds-Volumens auf Artikel-8-Produkte, also die hellgrüne Variante. Mit der Einstufung als dunkelgrüne Fonds gemäß Artikel 9 sind die Anbieter viel vorsichtiger, weil hier eine gewisse Messbarkeit verlangt wird. Dementsprechend sind nur drei Prozent so streng klassifiziert. Österreichische Fonds liegen mit 29 Prozent laut Artikel 8 und fünf Prozent laut Artikel 9 in etwa im Schnitt. Deutsche Fonds sind mit 23 beziehungsweise null Prozent Marktanteil zurückhaltender, möglicherweise aus Sorge um einen Rüffel der strengen Finanzmarktaufsicht Bafin. Die durchaus vergleichbaren Luxemburger Produkte vergeben doppelt so oft das Prädikat hellgrün an sich selbst. Der Verdacht: Das Marketing hat öfter das Greenwashing-Programm angeworfen. Das Problem: Wer seine Produkte zu unverfroren grün färbt, könnte Ärger von Investoren bekommen, ja sogar Schadenersatzprozesse sind denkbar. Das gilt noch mehr für die Berater, gleich ob sie für Banken, Lebensversicherungen oder Wertpapierfirmen tätig sind. Ab 2. August 2022 müssen nämlich alle Kunden aktiv befragt werden, ob sie auf Nachhaltigkeit Wert legen. Wenn dann der Kunde mit Ja antwortet, dürfen ihm nur noch entsprechende Produkte angeboten werden. Spätestens im nächsten Börsencrash werden dann clevere Anleger versuchen, auf Rückabwicklung der verlustreichen Positionen zu klagen mit dem Argument, ihnen wäre ein pseudogrünes Produkt angedreht worden. Das heißt: Die EU und die nationalen Regulierungsbehörden müssen dringend ihre Hausaufgaben machen und endlich für klare und detaillierte Regeln sorgen. Erst dann wird nachvollziehbar, wer grüner wäscht, als erlaubt ist. n

MARTIN KWAUKA

This article is from: