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Interview Michael Braungart

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Chemische Formeln.

Michael Braungart erklärt im Hilton den Klimawandel mittels Formeln.

VITA MICHAEL BRAUNGART

Professor für Öko-Design Universität Lüneburg und Rotterdam

Michael Braungart (63) hat das Cradle-to-CradlePrinzip erfunden, dessen Ziel eine durchgängige Kreislaufwirtschaft ist. Das dazugehörige Buch rangiert unter den bahnbrechendsten Wissenschaftsbüchern, direkt neben Charles Darwins „Entstehung der Arten“. Mit vier Stunden Schlaf kommt der ÖkoPionier aus, Urlaub ist für ihn eine Art Abfall. Er forschte unter anderem in Delft, München, Wien, Pittsburgh, Charlottesville, Weimar und Rotterdam. Aktuell leitet er auch das Hamburger Umweltinstitut.

Europa hat sich die Klimaziele zu niedrig gesteckt. Warum sich der Mensch als Chance begreifen muss, weshalb der Filter in den Kopf statt in die Kläranlage gehört und was die Finanzbranche zum Spurwechsel beitragen kann

– darüber sprach der Börsianer

mit dem Öko-Pionier Michael Braungart.

INTERVIEW DOMINIK HOJAS, ANTONIA HOTTER

KLIMANEUTRALITÄT IST DAS FALSCHE ZIEL

Wenn es so etwas wie den Stereotyp eines Universitätsprofessors gibt, verkörpert ihn Michael Braungart perfekt. Im Anzug und mit Turnschuhen sitzt der Chemiker auf seinem Stuhl, fährt sich durch die zerwühlten Haare und rückt sein rundes Brillenmodell zurecht. Der geborene Deutsche wirkt in Wien wie ein Einheimischer. Mit Bedacht sagt er „Plastiksackerl“ statt „Plastiktüte“ und beherrscht den Wiener Schmäh, als wäre Wienerisch seine Muttersprache: „In Deutschland denken die Leute, Wissenschaft muss langweilig sein“, stellt er fest. Ein Element in ihm widerstrebt der wissenschaftlichen Geradlinigkeit. Braungart hat in den USA das Cradle-toCradle-Prinzip entwickelt, dessen Ziel eine durchgängige Kreislaufwirtschaft ist. Das dazugehörige Buch rangiert neben Charles Darwins „Entstehung der Arten“ unter den bahnbrechendsten Wissenschaftsbüchern. Manchmal ruft Steven Spielberg ihn an und fragt, wie es so geht und ob er ihm dieses Prinzip genauer erklären könne. In Boston hat der Universitätsprofessor die Tochter des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping unterrichtet. Braungart ist ein Weltbürger. Dem Pathetischen, das der Weltuntergangsdiskussion innewohnt, kann er nichts abgewinnen. Er will die Menschheit als Chance begreifen. Um über Innovation, Nachhaltigkeit und neue Geschäftsmodelle zu sprechen, traf der Börsianer den Chemiker im Hotel Hilton am Donauufer in Wien.

Herr Braungart, Europa hat sich zur Klimaneutralität bis 2050 verpflichtet. Stimmt

das Ziel? – Ich finde das ziemlich dumm. Klimaneutral kann nur sein, wer nicht existiert. Die Neutralität der Republik Österreich verstehe ich, aber Klimaneutralität ist Unsinn. Ich komme auch nicht nach Hause und erzähle meinen Kindern, dass ich heute kinderneutral bin. Für meine Kinder will ich doch gut sein. Kein Baum dieser Welt ist klimaneutral – ein Baum ist gut fürs Klima. Warum sollte ich dümmer sein als ein Baum?

Klimaneutralität ist also das falsche Wort. Wir müssen trotzdem weniger CO2 emit-

tieren. – Nein, wir müssen nicht nur weniger CO2 emittieren, wir müssen es wie Bäume aus der Atmosphäre zurückholen. Klimaneutralität ist nicht nur das falsche Wort. Es ist das falsche Prinzip! Jetzt taut das Grönlandeis auf. Jetzt verschwinden die Gletscher. Jetzt taut der Permafrostboden in Sibirien auf. Jetzt!

Sollen wir in Panik verfallen und mit Greta

Thunberg „Our house is on fire“ schreien? – Diese Reaktion mag subjektiv nachvollziehbar sein, aber damit erreicht man letztlich das Gegenteil. Wenn Menschen Panik haben, sind sie nie fortschrittlich. Dann wählen sie FPÖ oder AFD.

Auf Demonstrationen von Fridays for Fu-

ture findet man Sie also nicht. – Nein. Mir macht das wirklich Sorgen. Ich habe Angst, dass sich diese Bewegung so weitreichend radikalisiert, dass es zu Massenselbstmorden von jungen Leuten kommt, die sagen: Am besten tue ich dem Planeten, wenn ich gar nicht da bin. Das wäre wirklich verheerend.

Es ist doch gut, dass junge Leute sich empören. Das zeigt, dass ihnen das Klima wichtig ist. – Zumindest wirkt es entlastend. Gerade im deutschsprachigen Raum meint

Kontrovers. Traurig stimmt Michael Braungart im Gespräch mit „Börsianer“-Chefredakteur Dominik Hojas, dass es immer noch kein Biosiegel für Fäkalien gibt.

„Echte Innovation ist nicht nachhaltig.“

MICHAEL BRAUNGART

man, wenn man drüber geredet hat, hätte man schon was erreicht.

Sie waren auch engagiert, als Sie jung wa-

ren. – Ich habe bei Greenpeace protestiert und das Abwasserrohr der Lenzing AG zugemacht. Es hat über hundert Kilometer gestunken. Damals dachte ich, dass Lenzing auswandern würde. Heute stellt das Unternehmen die intelligentesten Viskose- und Zellulosefasern her, die man mit Farbstoffen versehen kann.

Wir brauchen neue Geschäftsmodelle: Das

ist Ihr Credo? – Als 18-Jähriger habe ich einen Fernseher auseinandergebaut und die Leute gefragt, ob sie fernsehen möchten oder 4.360 Chemikalien haben wollen. Dann wurde ich vom Wettbewerb „Jugend forscht“ ausgeschlossen mit der Begründung, ich sei ein Ökokommunist. Damals war Eigentum Religion. Heute sind die meisten Produkte Dienstleistungen.

Halten Sie sich für einen Ökokommunisten?

– Überhaupt nicht, ich nehme die Marktwirtschaft doch nur ernst. Ich sage: Derjenige, der den Gewinn hat, muss auch das Risiko tragen. Im Moment wird der Gewinn privatisiert und das Risiko vergesellschaftet – so wie bei Monsanto.

Sie haben die Tochter von Xi Jinping unterrichtet. Wie sehen die Chinesen das Kli-

mathema? – China hat die Kreislaufwirtschaft verstanden. Dort bin ich der große Held. Nach Karl Marx ist Cradle to Cradle in China das häufigste Druckerzeugnis aus dem Ausland.

Müssen wir uns auch beim Klimathema

von den Chinesen fürchten? – Überhaupt nicht. Die hatten nie eine Weltuntergangsdiskussion. Wir haben die schon jahrzehntelang. Daraus stammt unser Know-how. Wir liefern den Chinesen die Blaupause, damit es dort in großen Mengen umgesetzt werden kann.

#CO2

SO ENTFERNT MAN CO2

Wie kann man Kohlendioxid (CO2) eigentlich entfernen? Weil CO2 im Gegensatz zu Sauerstoff (O2) und Stickstoff (N2) aus drei Atomen besteht, ist es schwerer und kann mit einem Molekularsieb aus der Atmosphäre gefiltert werden. Eine andere Möglichkeit, um CO2 zurückzuholen, lautet, es bei minus 78,5 Grad Celsius auszufrieren. Es chemisch zu binden wäre die dritte Option. Michael Braungart forscht in Patagonien mit Porsche daran, das zurückgeholte CO2 zu Treibstoff zu machen.

Nachhaltigkeit ist der Imperativ unserer Zeit.

Zu Recht? – Echte Innovation ist nicht nachhaltig. Meine größten Feinde sind die Nachhaltigkeitsbeauftragten in den Unternehmen. Sie optimieren nur das Bestehende. Die Nachhaltigkeit macht den Kunden zum Feind, indem sie sagt: Wenn du’s gar nicht kaufst, ist das noch besser. Ich sage: Lasst uns doch überlegen, wo wir in zehn Jahren sein wollen. Da ist die Finanzwirtschaft wirklich wichtig. Sie könnte sagen: Wir wollen, dass in zehn Jahren nur noch Plastik aus Kohlendioxid aus der Atmosphäre hergestellt wird, deshalb investieren wir darein.

Weshalb Nachhaltigkeit schlecht sein soll,

verstehe ich nicht. – Ich will, dass in tausend Jahren noch Eichen, Buchen und Birken herumstehen. Aber ich möchte in tausend Jahren nicht den gleichen Schreibtischstuhl verwenden. Darum geht’s: dass die Weltuntergangsdiskussion zu Innovation wird. Es ist die einzige Chance, die Europa hat. In allen anderen Bereichen sind wir 15 bis 20 Jahre hinter der Weltspitze. Wir haben den Anschluss verpasst.

Wo steht Österreich? – Es ist das führende Land im Biolandbau. Aber es gibt immer noch kein Biosiegel, das es erlaubt, dass

„Weniger schlecht ist noch nicht gut.“ „Lasst uns den Menschen feiern!“

MICHAEL BRAUNGART MICHAEL BRAUNGART

meine eigenen Fäkalien wieder eingesetzt werden dürfen. Total traurig. Man muss jeden Tag zwei Gramm Phosphat aufnehmen und zwei Gramm Phosphat abgeben, sonst hätte man keine Zähne und keine Knochen und könnte keine Energie speichern.

Ist Cradle to Cradle die Lösung? – Cradle to Cradle ist eine Selbstverständlichkeit. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das Abfall macht. Es ist noch kein Schutz, mit der Bahn zu fahren statt mit dem Auto, sondern nur weniger Zerstörung. Weniger schlecht ist noch nicht gut.

Das Image der Finanzbrache ist nicht das beste. Besteht jetzt die Möglichkeit, das zu ändern, indem die Finanzbrache die grüne

Wende finanziert? – Es geht gerade darum, den Impact zu feiern. Warum soll ich das Gutmenschentum Greenpeace überlassen? Mit Geld kann ich Dinge ändern. Offen gesagt: Wenn wir das nicht tun, werden wir irgendwann für die Reparatur der Zerstörung so viel Geld ausgeben, dass uns das Geld fehlt, um Dinge zu ändern.

In der Klimadiskussion geht es hauptsächlich um CO2. Sie forschen zu vielen Inhaltsstoffen. – Ja, entsorgen Sie Ihren Laserdrucker. Ich habe das erlebt bei einem 44-jährigen Mann, der an einem Schlaganfall gestorben ist. Der Familienvater hatte sich zu Hause seinen Arbeitsplatz eingerichtet. Im ganzen Körper habe ich diesen Laserdrucker-Feinstaub gefunden. Das ist vollkommen unnötig. Ein

© BÖRSIANER

Tintendrucker braucht weniger Energie und gibt keine Giftstoffe ab.

Wie gehen Sie eigentlich durch die Welt?

Sie können kein Hypochonder sein. – Aber nein. Mein Lebensmotto ist „Durchaus entschieden, aber nicht konsequent“. Es lohnt sich allerdings, keinen Aperol Spritz zu trinken, weil die darin enthaltenen Farbstoffe E110 und das E124 stark krebserregend sind.

Haben Sie noch ein Lebensziel? – Ich möchte schon noch einen Nobelpreis kriegen.

Sie waren bisher der Einzige, der auf einer Nobelpreisverleihung einen Vortrag ge-

halten hat und keinen Nobelpreis hatte. – (lacht) Ich habe gesagt: Freunde, ich bin hier zehn Jahre zu früh.

Stoßen Sie auf den Nobelpreis dann mit

Champagner oder Prosecco an? – Champagner verursacht in der Produktion dreimal weniger CO2-Emissionen. Wer seinen Carbon-Footprint um das Dreifache senken will, muss also nur Champagner trinken.

Das ist jetzt sarkastisch gemeint. – Damit will ich sagen, dass viele Dinge, mit denen wir zu tun haben, ein Alibi sind. Das Big Picture muss stimmen. Dann kann man sich auch Abweichungen erlauben.

Was soll von Ihrer Errungenschaft für die

Nachwelt übrig bleiben? – Cradle to Cradle ist das einzige Konzept, das die Menschheit als Chance und nicht als Belastung begreift. Alle anderen versuchen nur, den menschlichen Impact zu minimieren. Ich sage: Lasst uns den Menschen feiern. Lasst uns doch sagen: Schön, dass du da bist! Wenn Menschen sich geschätzt fühlen, sind sie nicht raffgierig und feindselig. Dann verstehen auch diese Börsianer, dass ihre Raffgier nur eine arme Ersatzbefriedigung ist.

Gier will ich mir nicht nachsagen lassen.

– (lacht) Investoren wollen die höchste Rendite haben. Geld ist immer nur ein Ersatz für Zuneigung, für Sicherheit, für Selbstbewusstsein. Es ist ein Versuch wie beim „Jedermann“, die Angst zu betäuben. Eigentlich sind Menschen – egal ob sie reich oder arm sind – großzügig und freundlich, wenn sie keine Angst haben. Darum sage ich den Investoren: Habt keine Angst! Ihr könnt mit eurem Geld dafür sorgen, dass sich die Welt ändert.

Geht das auch mit einer hohen Rendi-

te? – Cradle to Cradle setzt sich durch, weil es profitabel ist. Ich stecke die Intelligenz in die Gestaltung des Produkts und nicht in teure Kläranlagen, um aufzuräumen. Der Filter ist im Kopf, beim Designen. n

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