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Irgendwann muss man einfach anfangen
Fliegender Wechsel. Die Amtsübergabe von Gernot Blümel an den jetzigen Finanzminister Magnus Brunner erfolgte Anfang Dezember 2021.
Wertpapiere, Börsengänge, Steuern und Bürokratie: Die Finanzminister der vergangenen zehn Jahre haben viel angekündigt – aber kaum etwas umgesetzt. Auf Magnus Brunner, den Neuen in der Himmelpfortgasse, wartet viel Arbeit.
ANDREAS TREICHL
FRANZ SCHELLHORN
Muss ein Finanzminister Bilanzen lesen können? Die Frage und die Diskussion darüber, ob ein Ressortchef ein ausgewiesener Fachmann auf dem jeweiligen Gebiet sein muss oder politische Erfahrung mehr wiegt als Spezialwissen, ist so alt wie die Politik selbst. Am heftigsten entzündet sich die Debatte beim Finanzminister, schließlich gilt er als mächtigstes Mitglied einer Regierungsmannschaft, stärker noch als der Bundeskanzler. Angesichts der wichtigen und vielfältigen Aufgaben sollte ein gewisses Verständnis für Steuer- und Finanzsysteme sowie Unternehmensführung daher kein Nachteil sein.
Magnus Brunner, der Neue in der Himmelpfortgasse, bringt Erfahrung aus beiden Welten ein: Der Jurist mit einem Post Graduate am renommierten King’s College in London hatte verschiedene Funktionen in der Vorarlberger Landespolitik inne und war auch in der E-Wirtschaft bei Illwerke und OeMAG) tätig. Aber wie sah es mit seinen Vorgängern aus? Eine Bilanz über die vergangenen zehn Jahre heimischer Finanzpolitik mit den Ministern Maria Fekter, Michael Spindelegger, Hans Jörg Schelling, Hartwig Löger, Eduard Müller in der Expertenregierung und Gernot Blümel fällt sehr durchwachsen aus, wenn man sich in der Wirtschaft umhört. Mit einem Wort: Brunner kann es nur besser machen.
Es geht allerdings gar nicht so sehr um einzelne Personen, es ist die hierzulande allgemein distanzierte, um nicht zu sagen negative Grundeinstellung zu Börse, Aktien, schlicht allem, was einen funktionierenden Kapitalmarkt ausmacht und ihn fördert. „Der Kapitalmarkt hat historisch gesehen bei keiner politischen Gruppe einen Stellenwert gehabt, der Begriff ist ideologisch besetzt“, lautet die Diagnose von Andreas Treichl. Der Banker, der viele Jahre Boss der Erste Group Bank AG war – „ich habe in dieser Zeit neun Finanzminister erlebt“ – und von 2015 bis 2020 Obmann der Bundessparte Banken und Versicherungen in der Wirtschaftskammer Österreich, holt aus: „Politiker aller Couleur bringen bei uns den Kapitalmarkt mit Spekulation in Verbindung und tun Aktienkäufe als unseriös ab.“ Die Menschen glaubten das, was gerade in Zeiten einer deutlich steigenden Inflation zur Vernichtung von Milliarden auf Sparbüchern führe, die besser in Unternehmen investiert wären.
Ideologischer Aufschrei
Wie sehr Treichl den Punkt trifft, zeigt der Aufschrei, der Brunner entgegenschlug, als er jüngst die Wiedereinführung der Behaltefrist für die Steuerbefreiung auf Gewinne beim Verkauf von Wertpapieren ankündigte. Die ÖVP bediene damit nur die Reichsten der Reichen und verhöhne die arbeitende Bevölkerung, konterte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch umgehend. In dieselbe Kerbe schlugen Arbeiterkammer und Gewerkschaft. Attac forderte gar, Kapitalerträge gleich zu besteuern wie Arbeitseinkommen, also gemäß der jüngsten ökosozialen Steuerreform mit mindestens 40 Prozent.
Der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer, Agenda-Austria-Boss Franz Schellhorn und Heinrich Schaller, Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich AG, geben Brunner Schützenhilfe. „Die Behaltefrist wäre enorm wichtig, um die Menschen zum Kauf von Aktien zu bewegen, statt dem Geld dabei zuzusehen, wie es auf dem Sparbuch täglich an Wert verliert“, meint Schellhorn. Für Schaller zählt, dass das Kapital, das in Wertpapiere investiert wird, ja schon versteuert worden sei. Er plädiert für eine Behaltefrist von drei bis fünf Jahren.
Georg Pölzl, Vorstandschef der Österreichischen Post AG, fordert Steuerfreiheit auch auf Dividenden für Mitarbeiteraktien. Das würde das Bewusstsein für Wertpapiere als Alternative zum Sparbuch ebenso heben wie die seit langem geforderte Verbreitung des Finanzwissens.
Die Behaltefrist – ein Lieblingsthema und Reibebaum schlechthin. Maria Fekter, die erste und bisher einzige Frau an der Spitze des Finanzministeriums, hätte als Unternehmerin - ihr Kieswerk brachte ihr den Spitznamen „Schottermitzi“ ein - eigentlich die Bedeutung des Kapitalmarkts auch zur Finanzierung der Unternehmen erkennen müssen. Sie schaffte indes 2012 die einjährige Behaltefrist ab. Fekter hatte andere Prioritäten: Mit dem bis dato größten Konsolidierungspaket der Zweiten Republik mit Einführung der Schuldenbremse - wer erinnert sich noch daran? - musste sie die Scherben, die die Finanz- und Wirtschaftskrise auch hierzulande hinterlassen hatte, aufkehren. In der Schuldenkrise machte Fekter ihrem Ruf, kein Fettnäpfchen auszulassen, einmal mehr alle Ehre: Ihr Spruch bei einer EU-Krisensitzung 2011, „die Zeit, die wir uns gegeben haben, ist shortly – shortly, without von delay“, wurde nicht nur zum Spruch des Jahres, Fekter wurde „Mrs. Shortly“.
Schelling als Reibebaum
Während die „Entfesselung der Wirtschaft“, die Fekters Nachfolger Michael Spindelegger im Wahlkampf 2013 postulierte, ins Leere lief und der auch ÖVPintern heftig kritisierte Politiker als Finanzminister keine tiefen Spuren hinterließ, sorgte sein Nachfolger Hans Jörg Schelling gleich mehrfach für Kontroversen. Vom einstigen Kika/Leiner- und XXXLutz-Topmanager erwartete sich die Wirtschafts- und Bankenszene viel Verständnis. Mitnichten: Unter Schelling wurde die Kapitalertragsteuer (KESt) auf Gewinne von Kapitalerträgen von 25 auf 27,5 Prozent angehoben, während sie auf Sparbucherträge unangetastet blieb – ein schwerer Schlag gegen die Stärkung des heimischen Kapitalmarkts. Mit der Einführung der Registrierkassenpflicht im Zuge der unter Schelling durchgezogenen Steuerreform 2015/16 machte sich der wortgewaltige und umtriebige Minister auch bei Handel und Gewerbe keine Freunde, Zuhören war nicht seine Stärke. Positiv war die von ihm verhandelte Lösung mit den Heta-Gläubigern.
Hartwig Löger schaffte dann ein Kunststück, das Schellhorn ein seltenes Lob entringt: „Seit 1974 konnte der Staat erst zweimal – 2018 und 2019 – einen Überschuss erzielen. Der Bundeshaushalt war 2019 erstmals seit 1954 im Plus“, meint Schellhorn, um allerdings gleich nachzusetzen: Nicht die nunmehrigen Krisenjahre - mit den von Unternehmen und Banken begrüßten Hilfsmilliarden – seien problematisch, sondern die Boomjahre: Auch da sei das Geld mit beiden Händen ausgegeben worden, statt Schulden zurückzuführen, kritisiert Schellhorn. Schweden habe mit der ungefähr gleich hohen Steuerquote nur halb so hohe Staatsschulden. Auch wenn das im Regierungsprogramm verankerte Ziel einer Senkung der Abgabenquote auf 40 Prozent erreicht werde: „Österreich ist ein Höchststeuerland, wir haben nach wie vor kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem“, betont Neumayer.
Selbstredend hat die Pandemie die Pläne im Regierungsprogramm 2020/24 schwer durchkreuzt. Wobei die Punkte den Kapitalmarkt betreffend ohnedies dürftig und sehr vage formuliert ausfallen - ob es um die Behaltefrist beim Ver-
„Wir müssen rasch wieder zum Normalbetrieb.“
GEORG PÖLZL
Wir wollen eine Pionierrolle einnehmen
Sehr geehrter Herr Dr. Strobl, das Thema Nachhaltigkeit hat spätestens im vergangenen Jahr Einzug in die Finanzbranche gehalten. Wie ist die RBI in diesem Bereich aufgestellt?
Wir beschä igen uns in der RBI schon sehr lange intensiv mit dem ema Nachhaltigkeit. Ich darf als Beispiel Wolfgang Pinner, unseren Head of Corporate Responsibility bei Rai eisen Capital Management, nennen. Wolfgang Pinners Expertise zum ema Sustainable and Responsible Investments ist sehr umfassend, sie geht bis in das Jahr 2001 zurück. Er hat wesentlich am Auf- und Ausbau der Nachhaltigkeitskompetenz von Rai eisen Capital Management mitgewirkt. Sein Engagement für nachhaltiges Investment ist beeindruckend und vorbildlich. Als Bank ist es unsere Aufgabe, unsere Kunden bei ihrer Transformation in eine nachhaltige Zukun zu unterstützen. Dabei geht es sowohl um Finanzierungslösungen wie grüne Anleihen, Darlehen oder Schuldscheine als auch um Beratungsleistungen. In beiden Bereichen konnten wir uns frühzeitig positionieren und damit unsere Kunden entsprechend gut servicieren.
Wir haben verstanden. #responsiblebanking
Die RBI ist stark in Zentral- und Osteuropa (CEE) positioniert. Welche Rolle spielt dort das Thema ESG?
Viele Staaten Zentral- und Osteuropas sind EUMitglieder. Dort hat das ema daher die gleiche Bedeutung wie in Westeuropa.
Aber auch in den NichtEU-Ländern gewinnt ESG an Bedeutung. Um ein konkretes Beispiel zu geben: Von 100 Euro, die bei der Rai eisen Capital Management in Österreich neu veranlagt werden, ießen 91 Euro in nachhaltige Fonds, in CEE sind es 86 Euro. Eine Zahl, die sich monatlich verändert, aber doch die wachsende Relevanz von Nachhaltigkeit beim Veranlagen sehr deutlich macht. Wir haben als RBI vor gut 30 Jahren bei der Transformation der Planwirtscha en Zentral- und Osteuropas in Marktwirtscha en eine führende Rolle gespielt.
Es muss unser Anspruch sein, diese Pionierrolle bei der Transformation der Region in nachhaltigere Volkswirtscha en einzunehmen. Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viel Know-how im Bereich von grünen Finanzprodukten aufgebaut, das wir nun in die Region tragen. Die größte Hebelwirkung Die größte Hebelwirkung einer Bank liegt zwar im einer Bank liegt zwar im Kerngeschä , also bei der Kerngeschä , also bei der Vergabe von Krediten Vergabe von Krediten und der Veranlagung von und der Veranlagung von Geldern. Aber natürlich Geldern. Aber natürlich haben wir uns bei unsehaben wir uns bei unserem eigenen Energieverrem eigenen Energieverbrauch hohe Ziele gesetzt. brauch hohe Ziele gesetzt. Wir be nden uns bereits Wir be nden uns bereits auf einem sehr guten Weg auf einem sehr guten Weg und sind laut der Nonund sind laut der NonPro t-Organisation CDP Pro t-Organisation CDP das beste Unternehmen im das beste Unternehmen im Finanzsektor in Österreich. Finanzsektor in Österreich.
Auf diesem Erfolg wollen Auf diesem Erfolg wollen wir uns nicht ausruhen, wir uns nicht ausruhen, sondern unseren CO2 -sondern unseren CO Ausstoß weiter signi kant reduzieren. Dazu haben wir eine ganze Reihe an Maßnahmen erarbeitet wie Energieeinsparungen durch LED-Leuchtmittel oder eine adaptierte Kühlung bzw. Heizung.
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Kontrovers.
Hans Jörg Schelling galt in Bankerkreisen als schlechter Zuhörer. In seine Amtsperiode fällt die Erhöhung der KESt auf Gewinne von Kapitalerträgen auf 27,5 Prozent und die HetaLösung.
kauf von Wertpapieren, die Erleichterung von Börsengängen (Prospektpflicht!), die Förderung des Finanzwissens, die Reduktion des Gold-Platings bei der Umsetzung von EU-Vorgaben oder die Schaffung größerer Anreize für privates Risikokapital geht oder auch um Green Bonds sowie staatliche Incentives für nachhaltiges Investieren. Gernot Blümel musste vor allem gegen die pandemiebedingte Krise steuern und Hilfspakete schnüren, was ihm durch die Bank zugutegehalten wird. Auch hat er den ersten Schritt zur Finanzbildungsinitiative gesetzt.
Zurück zum Normalbetrieb
Dennoch müsse die Budgetkonsolidierung sobald wie möglich oberste Priorität haben, „wir müssen rasch wieder zurück zum Normalbetrieb“, bringt es Pölzl auf den Punkt. Schaller warnt allerdings davor, dass die Unterstützungsprogramme zu abrupt eingestellt werden. Zur Erinnerung: Die Staatsschuldenquote, das ist die Verschuldung gemessen am Bruttoinlandsprodukt, die vom Höchststand im Jahr 2015 von 84,9 Prozent bis 2019 auf 70,5 Prozent gedrückt werden konnte, lag 2020 wieder bei 83,9 Prozent.
Schon jetzt müsse der Finanzminister – „eigentlich die gesamte Regierung“, so Treichl – wichtige Weichen für die Zukunft stellen. Das betrifft eine „entschlossene Pensionsreform, die den Namen verdient“, meint Schellhorn, genauso wie die Senkung der Lohnnebenkosten und Lohnsteuer - ebenfalls ein Dauerbrenner im Forderungskatalog der Wirtschaft. Die aktuelle ökosoziale Steuerreform gehe in die richtige Richtung, mit der Senkung der Tarifstufen und der CO2-Bepreisung. Schellhorn hätte sich jedoch eine klare Trennung der beiden gewünscht, auch im Sinne der Transparenz. Für Pölzl wäre begleitend eine mittel- bis langfristige Energiestrategie wichtig, denn „die hohen Energiepreise und die damit zusammenhängende stark steigende Inflation sind große Herausforderungen“. Eine weitere sei die Digitalisierung, für die es eine Bildungsoffensive von der Grundschule bis zur Universität brauche.
„Österreich hat ein Ausgabenproblem.“
CHRISTOPH NEUMAYER
Was bleibt von der kalten Progression?
Dass die Industriellenvereinigung die Senkung der Körperschaftsteuer auf 23 Prozent begrüßt, überrascht nicht. Das stärke den Wirtschaftsstandort und die Wettbewerbsfähigkeit, meint Neumayer. „Wir bewegen uns da in Richtung EUSchnitt.“ Eine Senkung auf 21 Prozent wäre ihm noch lieber gewesen. „Von einer wirklichen Steuerreform kann erst gesprochen werden, wenn die kalte Progression abgeschafft wurde“, erinnert Schellhorn an einen weiteren Dauerbrenner im Forderungskatalog. Angekündigt von Schelling, Löger und Blümel sei bisher aber nichts geschehen. Brunner argumentiert nun, dass das Volumen der Steuerreform höher sei, als die Abschaffung der kalten Progression gebracht hätte. Hätte es über die Jahre mehr Druck vonseiten der Ökonomen und Wirtschaftsführer gebraucht, damit sie bei der Politik Gehör finden? Die Industrie mache sich seit Jahren für die Stärkung des Kapitalmarkts und die steuerliche Entlastung des Faktors Arbeit stark, sagt Neumayer.
Auch wenn die Vorgaben des Regierungsprogramms alle umgesetzt würden, „was ich mir nicht erwarte“ – Treichl geht das nicht weit genug. Das Fehlen einer starken Kapitalmarktstruktur sei kein österreichisches, „das ist ein europäisches Thema“. Während die europäische Wirtschaft zu 75 Prozent von Banken finanziert werde und nur zu 25 Prozent über den Kapitalmarkt, sei es in den USA genau umgekehrt. Der Wandel der Wirtschaft von der Old Economy zu Hightech und Digitalisierung und die strengere Regulierung lasse den Banken aber weniger Finanzierungsmöglichkeiten. Da müsse der Kapitalmarkt her. „Eine 50:50-Verteilung wäre schon ideal.“ Um das zu erreichen, bedürfe es freilich enormer Anstrengungen, „denn für einen europäischen Kapitalmarkt brauchen wir nicht nur eine Finanzmarktunion, sondern auch eine Datenunion bis zu einem gemeinsamen Insolvenzrecht“. Das Verständnis dafür könne nur eine entsprechende Finanzbildung schaffen. Womit wir wieder beim Regierungsprogramm wären. „Irgendwann muss man einfach anfangen“, so Treichl. n