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Normalität im Anflug
NORMALITÄT Ausblick. Nach dem BörsenFabeljahr 2021 und zwei Jahren CoronaPandemie sollte 2022 etwas ruhiger werden. Spielverderber sind geopolitische Risiken und immer wieder aufflammende Lieferkettenprobleme.
Geopolitische Risiken, Inflationsentwicklung und Lieferketten stehen auf der Watchlist von Raiffeisen-KAG-Chefinvestorin Ingrid Szeiler, Erste-GroupBank-AG-Chefanalyst Fritz Mostböck und 3-Banken-Geschäftsführer Alois Wögerbauer. Der Börsianer hat mit den drei Marktkennern in einem virtuellen RoundTable-Gespräch ihren Investment- und Marktausblick für 2022 diskutiert und sich Tipps fürs Investieren geholt.
TEXT INGRID KRAWARIK
Das Börsenjahr 2022 hat weltweit mit Verlusten begonnen. An den Aktienmärkten gab es starke Gewinnmitnahmen, vor allem bei Technologiewerten. Grund dafür sind Lieferkettenprobleme, aber auch die Aussicht auf Zinserhöhungen in den USA. Der ATX-Index hält sich im Vergleich mit anderen Börsen gut. Worauf müssen Investoren also heuer achten? Der Börsianer hat mit drei Experten bei einem virtuellen Round Table über den Ausblick für 2022 diskutiert.
Die Inflationsdynamik ist derzeit das be-
herrschende Thema. Ist es ein Problem für die Märkte, wenn die Inflation höher aus-
fällt als in den letzten zehn Jahren? – Alois Wögerbauer: Wenn man 30, 40, 50 Jahre zurückschaut, laufen Aktienmärkte in Deflationsphasen dramatisch schlecht, nicht sonderlich gut bei Phasen von einem Prozent oder über fünf Prozent, weil es dann zu Margen- und Lohndruck kommt. Aktienmärkte laufen gut, wenn sich die Inflationsrate zwischen zwei und vier Prozent einpendelt. Dieses Szenario halte ich für die kommenden Jahre für realistisch. Den Peak der jetzigen Inflation werden wir im zweiten Quartal 2022 erreichen.
Das klingt positiv. – Ingrid Szeiler: Na ja, die derzeitigen sieben Prozent Inflation in den USA und fünf Prozent in Europa sind nicht positiv und auch nicht tragbar, die EZB ist mit ihrer Inflationsschätzung bis 2024 von 1,8 Prozent gezwungen optimistisch. Dass wir strukturell in den kommenden zehn Jahren eine höhere Inflationsrate haben werden als in den vergangenen zehn Jahren, halte ich für gut. Fritz Mostböck: Die EZB und die Notenbanken haben sich lange eine höhere Inflation gewünscht, jetzt ist sie da, und plötzlich haben alle ein Problem. Sie ist nämlich anders da, als man sich das gewünscht hätte, in einer Pandemie mit erratischem Wachstum zum großen Teil von erhöhten Rohstoffpreisen gesteuert. Das wollte man so nicht. Inflation ist für börsennotierte Unternehmen positiv, weil diese auf lange Sicht weitergegeben wird und daher auch Umsätze und Erträge steigen werden. Auch für Banken und Versicherungen ist sie nicht schlecht, weil man sich steigende Zinsen vor Augen führt. So kommen wir langsam zur Normalität zurück. Die Warteposition der EZB in Bezug auf Zinserhöhungen verstehe ich da nicht, wenn man den Euroraum ganzheitlich betrachtet. Da gibt es auch im EZB-Direktorium starke Unstimmigkeiten.
Alois Wögerbauer: Ich habe schwere Zweifel, dass wir die jetzige Inflation mit einer Zinserhöhung bekämpfen könnten. Wird dann das Gas billiger und die Chipfabrik in Asien schneller gebaut? Ich sehe aktuell keinen Nachteil für Unternehmen in der Eurozone, im Gegenteil, derzeit bauen europäische Aktien eine hochattraktive Risikoprämie auf, ich würde den Weg der EZB nicht verteufeln.
Die Preiserhöhungen sind auch durch die Lieferkettenprobleme entstanden. Wird es durch die verstärkte Regionalisierung eine
„Ich bin für den ATX 2022 klar optimistisch.“
nachhaltige Veränderung bei Lieferketten geben? – Fritz Mostböck: Die Abhängigkeit von Asien ist so weit fortgeschritten, dass sich das kurzfristig nicht lösen lässt. Ich kenne Automobilhersteller, die derzeit keine Autos bauen, in denen man Handys induktiv aufladen kann, weil der Chip fehlt, die müssen auf USB-Kabel zurückgebaut werden. Man kann nicht plötzlich Greenfield-Operations in der Chip- und Kabelproduktion aufstellen.
Ingrid Szeiler: Infineon hat eine Chipfabrik gebaut, von der Planung zur Produktion vergehen drei Jahre. Wenn die Pandemie abebbt und sich die Lage normalisiert, auch durchs Nachholen des Wirtschaftswachstums, wird auch der Druck auf die Lieferketten nachlassen und der Bedarf zu regionalisieren wieder verschwinden.
Alois Wögerbauer: Kurzfristig lässt sich wenig machen. Wenn wir 2030 auf die Pandemie zurückschauen, werden zwei Dinge bleiben: der Schub in der Digitalisierung und, dass wir in diesen Quartalen den Höhepunkt der Globalisierung überschritten haben. Der Autobauer merkt, so ein Chip kostet fünf Euro, und wegen so etwas steht sein Werk still, das könnte die Rückkehr zu mehr Regionalität unterstützen. Außerdem war die Globalisierung der größte Inflationshemmer, ein bisschen weniger, und wir werden eine strukturelle höhere Inflation haben.
Gibt es nicht auch einen Schub Richtung nachhaltiges Investieren? Wird dieses Thema die Kapitalmärkte 2022 beschäftigen?
– Fritz Mostböck: Das ist ein großes Thema, vor allem ESG, weil die Differenzierung erst beginnt. Zur Zeit der Finanzkrise 2008 gab es weltweit drei Prozent nachhaltige Assets under Management, jetzt werden 30 bis 35 Prozent unter nachhaltigen Gesichtspunkten verwaltet. Nur muss man sich aktuell anschauen, ob diese 30 bis 35 Prozent überhaupt nachhaltig sind.
Ist ESG oder auch Nachhaltigkeit nicht ein sehr politisches Thema geworden, be-
FRITZ MOSTBÖCK
sonders im Hinblick auf die Taxonomie,
Schlagwort Atomenergie? – Ingrid Szeiler: Eigentlich sollte die Taxonomie Anlegern Orientierung geben, welche Wirtschaftstätigkeiten den globalen Umweltzielen dienen, mit Atomenergie konterkariert man das natürlich.
Fritz Mostböck: Und die Entsorgung von Brennstäben kann langfristig nicht nachhaltig sein!
Ingrid Szeiler: Wer Atomkraft fördert, wird nichts in umweltfreundlichere Alternativen investieren. Das kommt erschwerend hinzu. Ich vergleiche das gerne mit E-Mobilität: Bei E-Autos hat sich so lange nichts getan, bis die gesetzlichen Forderungen da waren. Ähnlich ist es bei der Atomkraft, die EU nimmt sich damit die Glaubwürdigkeit des Green Deal.
Alois Wögerbauer: Das Thema ist mühsam. Am Ende des Tages wird jede Gesellschaft für sich ihren eigenen Nachhaltigkeitsgrundsatz definieren müssen und nicht auf Brüssel hören. Ebenfalls mühsam ist, dass die Begriffe in Medien und bei Kundenterminen vermischt werden. Ein ESG-Ansatz ist was Gutes, aber ein völlig anderes Thema als ein Öko-Fonds. Und das aufzulösen ist schwierig.
Zuletzt haben wieder verstärkt geopolitische Risiken mehr Aufmerksamkeit bekommen, wie etwa Russland und Ukraine oder auch China. Sehen Sie eine Gefahr für die Märkte? – Ingrid Szeiler: Wesentlich ist, wie sich die Lage in Russland, Kasachstan und der Ukraine entwickelt, weil das Auswirkun-
„Inflation ist anders da, als man sie sich gewünscht hat.“
gen auf den Öl- und Gaspreis hat, der Gaspreis hat sich zwischenzeitlich mehr als vervierfacht. Und das schlägt sich wieder auf die Inflation. Auch das Thema USA gegen China würde ich nicht unterschätzen, falls Handelskonflikte erneut aufflammen, könnte China gewisse Waren zurückhalten, die Lieferketten unterbrechen, das würde wieder einen Rückstau für die Industrieproduktion bedeuten.
Alois Wögerbauer: Meine größte Sorge ist China, ich bin auch chinesischen Aktien gegenüber sehr skeptisch. Das Land fährt eine Zero-Covid-Politik. Die wird dazu führen, dass Lieferketten immer wieder unter Druck kommen, weil ein Hafen oder eine Stadt geschlossen wird, und das zieht Kollateralschäden nach sich. Eine Eskalation zwischen China und Taiwan möchte ich mir nicht vorstellen.
Fritz Mostböck: Es wird immer wieder von einer großen Kriegsgefahr in Europa wegen Russland und Ukraine gesprochen, so drastisch würde ich das nicht sehen. Russland ist nicht in der komfortabelsten Situation, das weiß Putin auch. So eine Krise hätte natürlich Einfluss auf die Kapitalmärkte.
Bleibt uns noch der erfreulichere Blick auf die Börsen. Der ATX-Index war 2021 mit rund 39 Prozent Top-Performer, geht sich 2022 ein ähnlich gutes Ergebnis aus? Alois Wögerbauer: Ich bin klar optimistisch, obwohl man den ATX natürlich nicht aus dem Rest der Welt rauslösen kann. Wenn man von Growth und Value spricht, dann ist Österreich bis auf die
INGRID SZEILER
AT&S AG eine klassische Value-Börse, und dadurch spürt Österreich den globalen Trendwechsel von Growth Richtung Value, das hat man über das ganze Jahr 2021 gesehen. Und die Gewinnsaison verspricht erfreulich zu werden. Die Banken, Versicherungen und die Industrie zeigen gute Ergebnisse, Österreich wird vom Value-Trend weiter profitieren. Es ist ein Gemisch aus Comeback, günstiger Bewertung und Dividendenrendite von 3,5 Prozent.
Ingrid Szeiler: Ich würde auch die Nähe zu Osteuropa als positiv sehen für 2022. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Österreich wieder Outperformer sein wird. Viele der Argumente sprechen für Europa versus USA, das haben wir allerdings schon viele Jahre gesagt, innerhalb Europas sehe ich den österreichischen Markt als Profiteur. Zinsanhebungen sind gut für Banken und Versicherungen, vom hohen Ölpreis werden Ölaktien profitieren.
Fritz Mostböck: Von den 20 Werten im ATX sind 70 Prozent durch CEE dominiert. Das bleibt einer der wesentlichsten Treiber für die Wiener Börse. Wenn alle diese Werte ausschließlich auf Österreich fokussiert wären, würde die Wiener Börse ganz anders aussehen. Von den Top Picks würde ich erwähnen: Andritz, VIG, Österreichische Post und Strabag. Andritz ist ein globaler Marktnischenplayer in seiner spezifischen Industrie, die Post ist in Osteuropa aktiv und ein infrastrukturrelevanter defensiver Wert, Strabag und VIG sind eine reine Wette auf Osteuropa. Und die Banken wie Erste Group und RBI profitieren von Osteuropa, weil die Zinsen in NichtEuro-Ländern deutlich höher sind. Bei der Performance sehr ich eher einen Pfad Richtung Normalität, ich halte zehn bis 15 Prozent für realistisch.
Alois Wögerbauer: Es gibt so viele Geschäftsmodelle, die mich langfristig überzeugen, wie Wienerberger, Palfinger oder die AT&S und viele andere, es gibt ein breites Universum an österreichischen Titeln. Ich bin auch für die Banken besonders, aber auch für die breite Industrie optimistisch, global betrachtet ist die Konsensschätzung bei acht Prozent Gewinnwachstum, für Österreich würde ich es ähnlich sehen. Wenn das Gewinnwachstum das Performancewachstum widerspiegelt, wäre ich bei einer hohen einstelligen Ertragserwartung.
Ingrid Szeiler: Wir sind eine Spur optimistischer beim Gewinnwachstum, das sehen wir in Europa und in Österreich um die zwölf Prozent und erwarten eine Performance in der Höhe des Gewinnwachstums. Ich würde es niedrig zweistellig nennen. n
%MEINE RENDITE
Inflation, geopolitische Risiken und mögliche Zinserhöhungen sollten 2022 im Auge behalten werden, diese könnten sich auf Wirtschaft und Aktienmärkte korrigierend auswirken. Die hohen Kursgewinne aus dem Vorjahr werden nicht wiederholt, Value-Titel sind gefragt. n