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Von Licht und Schatten

Hausaufgaben. Die allgemeine Impfpflicht hinsichtlich Corona war bisher der letzte große Schrei der aktuellen Regierung um Bundeskanzler Karl Nehammer.

„Polarisierung soll parteiübergreifend hinweg bekämpft werden.“

ANDREAS BRANDSTETTER

Gut gemeint ist nicht unbedingt gut gemacht. Experten stufen Österreichs Corona-Politik als suboptimal ein. Der Börsianer skizziert, woran es hakt und wie es mit Wirtschaft und Börse weitergeht.

TEXT ROBERT WINTER

Manche Politiker haben sich bei der Bekämpfung der CoronaPandemie nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Und viele Probleme sind hausgemacht. „Die bisherige Corona-Politik der Regierung hat auf die Wirtschaft wie in jedem anderen Land der Welt großen Einfluss. In einer Krise, die so noch nie da war, wurden die traditionellen strukturellen Schwächen und Abhängigkeiten unseres Landes transparent“, sagt Andreas Brandstetter, Vorstandschef der Uniqa Insurance Group AG, der wie auch andere Wirtschaftsbosse mit Mut zur Meinung punktet. Zu einem dieser traditionellen Hemmschuhe zählt der in Österreich stark ausgeprägte Föderalismus. Eine Reform dessen wird seit den 1970er-Jahren diskutiert. Passiert ist nichts. Das hat sich seit Beginn der Corona-Pandemie gerächt. Liegen doch die Meinungen der heimischen Landeskaiserinnen und -kaiser auch in Sachen Pandemiebekämpfung bisher weit auseinander, was überregionale Entscheidungen blockiert.

Uniqa-Boss Brandstetter ortet drei wesentliche politische Fehler: „Erstens das kurzfristige Schielen auf die Meinung bestimmter Wählergruppen. Zweitens, als dessen Konsequenz, teilweise zögerliche Maßnahmen und drittens eine teilweise schwabbelige Kommunikation.“ In diesem Punkt schoss Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz im Juni 2021 mit dem Sager „die Pandemie ist für alle vorbei, die geimpft sind“ den Vogel ab. Dass dieser Ausspruch von Herrn Kurz gelinde gesagt gewagt war, hat sich eindrücklich bestätigt.

Vom Quatschen ins Tun

Harald Mahrer, Chef der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), platzte Anfang Dezember 2021 der Kragen. Gegenüber der Tageszeitung „Die Presse“ ließ er der Regierung ausrichten: „Es ist Zeit, dass die Politik vom Quatschen ins Tun kommt.“ Gegenüber dem Börsianer legt Mahrer nach: „Unsere Unternehmen brauchen vor allem eines: Berechenbarkeit - und keine unberechenbare Corona-Politik. Das bedeutet, man muss den Betrieben die Möglichkeit und die Sicherheit geben, planen zu können. Gerade die international tätigen Unternehmen aus Österreich haben es in ihren jeweiligen Niederlassungen mit unterschiedlichen Formen des Pandemiemanagements zu tun. Dabei zeigt sich: Der Lockdown-Reflex wie bei uns ist in anderen Ländern geringer ausgeprägt.“ Bereits im Herbst stellte Wienerberger-AG-Boss Heimo Scheuch der Politik kein gutes Zeugnis aus. Im November betonte er, dass die Notwendigkeit, sich impfen zu lassen, nicht ausreichend kommuniziert wurde und dass Maßnahmen zu wenig klar ausfielen und zu spät gesetzt wurden. Was vielen Beobachtern auch heute noch aufstößt, brachte der Rechnungshof in einem Rohbericht vom

Bilanz. Die Lockdowns in Österreich haben in der Gastronomie und im Handel für viel Unsicherheit gesorgt. Mit der 2GEintrittsregelung sollen weitere Schließungen verhindert werden.

#PROGNOSE

AUSTRO-KONJUNKTUR: WIRTSCHAFTSPROGNOSEN WEISEN AUF AUFSCHWUNG HIN

Institut

Oesterreichische Nationalbank OeNB* Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung Wifo* Institut für Höhere Studien IHS*

Bank Austria*

Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD*

Prognose Entwicklung reales BIP in % 2022 2023

4,3% 5,2%

4,2% 2,6% 2,5%

2,6%

4,5% 3,0%

4,6% 2,5%

EUKommission**

Internationaler Währungsfonds IWF*** 4,9% 1,9%

4,4% 2,1%

*PER DEZEMBER 2021; **PER NOVEMBER 2021; ***PER JÄNNER 2022

September 2021 auf den Punkt. Damals war von schlechter Datenlage, überfordertem Contact-Tracing und Kommunikationsstörungen die Rede. Diese Kritikpunkte lösen angesichts mangelhafter Testkapazitäten in manchen Bundesländern oder tagelang nicht reportierter Fallzahlen zu Neuinfektionen in der dritten Jännerwoche des laufenden Jahres ein Deja-vu-Erlebnis aus. Dass die Politik extrem viel Geld in die Hand nahm, um die Wirtschaft zu stützen, war notwendig und sinnvoll. WKO-Präsident Mahrer: „Österreich hat mit Beginn der Covid-Krise rasch reagiert und umfangreiche Hilfsmaßnahmen implementiert, um Unternehmen und Bevölkerung zu unterstützen. Damit konnten die allerschlimmsten Verwerfungen verhindert werden, speziell im ersten Krisenjahr 2020. Wir setzen uns seither permanent dafür ein, dass die diversen Wirtschaftshilfen laufend an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden, sodass sie die von der Pandemie massiv betroffenen Betriebe tatsächlich effektiv unterstützen.“ Dass manche Hilfeleistungen das Ziel verfehlten, hat der wirtschaftsliberale Thinktank Agenda Austria festgestellt. Haben doch geförderte Unternehmen teils Rekordgewinne erzielt. Ursache dafür ist laut Agenda Austria, dass es die Regierung in der Pandemie nicht geschafft hat, die Hilfsmaßnahmen ordentlich aufzustellen. Dabei hätte ein Blick über den Tellerrand gereicht, um Überförderungen zu verringern. Werden doch etwa in Deutschland Kurzarbeitszahlungen beim Umsatzersatz gegengerechnet.

Ausblick. Laut den jüngsten Prognosen führender Wirtschaftsforschungsinstitute und internationaler Organisationen kann das reale BIP in Österreich im laufenden Jahr zwischen 4,2 und 5,2 Prozent wachsen. Für das nächste Jahr liegen die Schätzungen bei einem Wachstum zwischen 1,9 und drei Prozent.

Einige Gänge hochschalten

Stellt sich die Frage, welche politischen Schritte die Lage verbessern können.

„Betriebe können sicher offen halten, das haben sie bewiesen.“

HARALD MAHRER

„Omikron ist für ATX nicht so wichtig.“

PETER BREZINSCHEK

„Lieferengpässe wiegen schwerer als Omikron.“

STEFAN BRUCKBAUER

Uniqa-Boss Brandstetter: „Es gilt, aus den Fehlern zu lernen und – trotz Corona – bei den dringend notwendigen Reformen von privater Pensionsvorsorge sowie Kapitalmarkt, Gesundheitssystem, Pflege und Bildung ein paar Gänge raufzuschalten. Die Polarisierung in unserer Gesellschaft soll parteiübergreifend hinweg bekämpft werden. Es gilt, eine klare, gemeinsame Vision für ein modernes, kompetitives Österreich in Europa und der Welt zu entwickeln.“ Dass die heimische Wirtschaft mit den Umständen gut zurechtkommt, betont WKO-Chef Mahrer: „Unsere Unternehmen haben - dies zeigt gerade Omikron - das höchste Interesse an wirksamen Sicherheitsmaßnahmen, allein schon, damit ihnen nicht ganze Teile der Belegschaft ausfallen. Vor diesem Hintergrund ist klar: Die Betriebe können sicher offen halten, das haben sie bewiesen. Die Politik sollte dies endlich lobend anerkennen. Der zuletzt eingeschlagene maßvolle Weg in den Maßnahmen sollte beibehalten werden, denn wir werden noch eine Zeitlang mit Corona leben und wirtschaften müssen.“

Laut Mahrer hat sich die Wirtschaftskammer schon sehr früh und auch im Sozialpartner-Verbund dafür ausgesprochen, diverse Anreize zur Erhöhung der Impfquote zu setzen. Mahrer: „Die Impfung ist nach wie vor das wesentlichste Werkzeug in der Pandemiebekämpfung. Insgesamt gilt es, den Blick nach vorne zu richten. Mit der Umsetzung der Steuerreform kommt es zu wichtigen Impulsen für einen nachhaltigen Aufschwung. Noch offene Punkte etwa in Hinblick auf den Kapitalmarkt gilt es zügig anzugehen. Da macht der neue Finanzminister positive Ansagen.“ 2020 fiel der Corona-bedingte konjunkturelle Rückschlag heftig aus. Geht es nach der Meinung von Experten, wird der Aufschwung trotz der Verbreitung der Omikron-Variante weitergehen. RBI-Chefanalyst Peter Brezinschek: „Bis Mitte Dezember war Österreich gut unterwegs. Ich rechne wegen des Lockdowns für Ungeimpfte mit Streuverlusten. Der direkte Vergleich mit der Schweiz zeigt Unterschiede auf. In der Eidgenossenschaft wurde 2020 zwar auch ein Lockdown beschlossen. Danach agierte die Politik freizügiger, was die wirtschaftlichen Folgen reduzierte.“ Nachdem Omikron bisher weniger Hospitalisierungen und Todesfälle brachte, wird das Wachstum der österreichischen Wirtschaft laut Brezinschek weitergehen: „Ende des ersten Quartals wird sich eine deutliche Dynamisierung einstellen. Das reale BIP kann 2022 zwischen 3,5 und 4,5 Prozent zulegen. Unsicherheiten gehen weiterhin von der Lieferkettenproblematik, der Entwicklung der Energiepreise und der Höhe der Frachtkosten aus.“

In die gleiche Kerbe schlägt Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Unicredit Bank Austria AG: „Wir haben die Prognose für das österreichische BIPWachstum 2022 nach Beginn der Ausbreitung der Omikron-Variante um 0,5 Prozent auf 4,5 Prozent nach unten korrigiert. Die Industrie leidet nach wie vor unter Lieferengpässen. Diese wiegen schwerer als die Omikron-Welle. Wegen der geringen Impfquote steht Österreich im internationalen Vergleich nicht so komfortabel da. Wenn eine weitere Virusvariante auftaucht, muss man die aktuellen Schätzungen überdenken.“ Bezüglich der weiteren Börsenentwicklung gibt der Volkswirt Entwarnung. Bruckbauer: „Selbst nach Lockdowns folgte eine rasche Erholung. In der Eurozone werden die Zinsen wie 2019 bei null Prozent liegen. In den USA können vier Zinsschritte kommen. Aber der Leitzins wird das Niveau von 2019 mit 1,75 Prozent nicht erreichen.“ Optimistisch gibt sich auch RBI-Experte Brezinschek: „Omikron ist nicht so wichtig. Beim ATX (Seite 34) ist im laufenden Jahr eine hohe einstellige bis niedrige zweistellige Performance drin.“ n

1,8

Milliarden pro Woche hat laut Daten der Oesterreichischen Nationalbank der erste Lockdown die heimische Wirtschaft pro Woche gekostet. Im zweiten Lockdown war es mit 860 Millionen Euro pro Woche nur noch rund die Hälfte, im dritten und vierten beliefen sich die Verluste in der Wirtschaftsleistung pro Woche dann auf 840 Millionen sowie 750 Millionen Euro. Ein fünfter Lockdown könnte über 700 Millionen Euro pro Woche kosten.

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