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1. Teil: Marktumfeld
DENN SIE WISSEN, WAS SIE TUN
Notenbanken leiten die Zinswende ein, um auf die hohe Inflation zu reagieren. Doch was, wenn demnächst eine Stagflation droht?
TEXT RAJA KORINEK
Zinsschritte. Auch in der Federal Reserve, der USNotenbank, wird über Zinsen und Inflation diskutiert.
Nun also doch. Während in England und Norwegen die Leitzinsen bereits im Vorjahr angehoben wurden, hat die US-Notenbank Fed auf ihrer Sitzung vom 16. März 2022 eben solch einen Schritt gesetzt. Die Bandbreite für den Leitzins wurde auf 0,25 bis 0,5 Prozent angehoben. Fed-Chef Jerome Powell schloss heuer weitere sechs Anhebungen in diesem Tempo nicht aus.
Auch in der Eurozone wird die Wende zügiger eingeleitet, als noch vor kurzem erwartet wurde. EZB-Präsidentin Christine Lagarde meinte während der jüngsten Sitzung, das Volumen des Anleihekaufprogramms APP, Abkürzung für Asset Purchase Programme, werde bereits Ende Juni auf 20 Milliarden Euro reduziert und könnte im dritten Quartal 2022 beendet werden. Der Weg für die erste Zinsanhebung wäre im Verlauf der zweiten Jahreshälfte 2022 damit frei, meint Peter Brezinschek, Chefanalyst bei Raiffeisen Research. Er sagt, „hier wäre der Einlagesatz, der aufgrund großzügiger Liquidität den Geldmarkt dominiert, mit aktuell -0,5 Prozent als Erster für eine Anhebung zu nennen“.
Inflation steigt weltweit
Mit dem allmählichen Ende der lockeren Geldpolitik reagieren die Währungshüter auf die weltweit steigenden Inflationsraten. In der Eurozone erreichte sie im Februar mit 5,8 Prozent auf Jahresbasis den Höchststand seit Gründung der Gemeinschaftswährung. „Die EZB hat das Thema Inflation lange Zeit unterschätzt, weshalb die mittelfristigen Erwartungen in der Eurozone mit 2,3 Prozent klar über dem Inflationsziel liegen“, konstatiert Brezinschek.
Brezinschek meint auch, die steigenden Preise hätten sich bereits vor der Ukraine-Krise auf dauerhafte Konsumgüter und Dienstleistungen inklusive Wohnen ausgeweitet. Er verweist zudem auf die Lohnsteigerungen. Sie seien nicht bloß in den Tariflöhnen ablesbar, „sondern aufgrund von Arbeitskräftemangel in vielen Branchen höher als vor der Pandemie“. Nun heizt auch noch die Ukraine-Krise die Energiepreise und damit die Inflation weiter an. Für 2022 seien laut Brezinschek harmonisierte Verbraucherpreise in der Eurozone und in Österreich deshalb von über sechs Prozent im Jahresschnitt realistisch. Auch 2023 dürfte die Teuerungsrate eher eine Drei als eine Zwei vor dem Komma haben.
Und wie sieht es jenseits des Atlantiks aus? Bei der Berenberg Bank rechnet man heuer insgesamt mit 6,8 Prozent, eine Prognose, die durchwegs realistisch erscheint. Allein im Februar erreichte in den USA die Teuerung 7,9 Prozent, den höchsten Stand seit 1982. Auch damals waren die Entwicklungen im Übrigen sehr ähnlich: 1973 und 1979 gab es ebenso politisch ausgelöste Angebotsschocks am Ölmarkt. Die – damals auf arabische Staaten begrenzte – Opec drosselte die Produktion. Danach führte die iranische Revolution zu einer Einschränkung der Ölexporte, wobei steigende Energiepreise die Inflation kräftig anheizten und das globale Wachstum zugleich drosselten. Eine Stagflation war die Folge.
Kommt die Stagflation?
Ob solch ein Szenario wieder denkbar wäre? In Europa, das wirtschaftlich näher an Russland angebunden ist, wollen es Experten nicht ausschließen. Gergely Majoros, Mitglied des Investmentkomi-
tees bei Carmignac, meint, aus rein wirtschaftlicher Sicht stelle die Ukraine-Krise bereits eine stagflationäre Gefahr dar. „Wenn sie lange andauert oder sich weiter verschlimmert, wird sie die Preise für Energie und Lebensmittel weiter in die Höhe treiben, was eine Rezession in Europa wahrscheinlicher machen wird.“ Auch bei der EZB behält man die Entwicklung gut im Auge. Präsidentin Christine Lagarde meinte deshalb auch, man sei bereit, alles Erforderliche einzuleiten, um Preis- und Finanzstabilität im Euroraum sicherzustellen. Gut möglich, dass im Ernstfall das APP verlängert wird.
Die USA dürften von einer möglichen Stagflation hingegen weniger betroffen sein, das Land verfügt schließlich über große Öl- und Gasreserven. Bei Carmignac hat man dennoch die Konjunkturprognosen für beide Regionen gesenkt. Für die Eurozone wurde das Wachstum heuer auf 2,3 Prozent herabgesetzt, für die USA auf drei Prozent.
Solche Entwicklungen gehen auch an den Bondmärkten nicht spurlos vorbei. Vor allem jene Anleihen, die einst noch als sicherer Hafen in turbulenten Zeiten galten, geraten zunehmend ins Hintertreffen. Sie sind äußerst gering verzinst und verlieren in einem Umfeld rasch steigender Inflationsraten besonders an realem Wert. Iain Stealey, internationaler Chefanlagestratege im Global Fixed Income Team bei JP Morgan Asset Management, rechnet mit weiteren Kursverlusten bei Staatsanleihen in den Industriestaaten.
Aufgrund der Unsicherheit rund um die Konjunktur- und Inflationsentwicklung haben die Risiken für Unternehmensanleihen ebenfalls zugenommen, ergänzt Raiffeisen-Experte Brezinschek. „Mit den Korrekturen auf den Aktienmärkten sind vor allem bonitätsschwache Hochzinsanleihen unter Druck geraten.“ Doch auch die besten Bonitätskategorien bei Investmentgradeanleihen gerieten unter Verkaufsdruck, weshalb deren Renditen den Negativbereich verlassen haben. Mit rund 1,5 Prozent liegt die durchschnittliche Rendite aber noch immer unter dem EZBInflationsziel, so Brezinschek. „Investments in Unternehmensanleihen sind noch einige Zeit nicht lukrativ.“
Russland belastet die Schwellenländer
Und wie sieht es bei Emerging Market Bonds aus? Die Ukraine-Krise lastete unter anderem auf wichtigen Benchmarks wie den JPMorgan GBI-EM Index, der in Staatsanleihen in Lokalwährungen inklusive Russland investiert, sowie den JP Morgan Emerging Markets Bond Index Global Diversified, der Hartwährungspapiere abdeckt. Bei JP Morgan reagiert man bereits. Neue Russlandbonds werden nicht aufgenommen. Die Entfernung bestehender Anleihen aus den Indizes werde gerade geprüft. Auch viele Vermögensverwalter reduzieren bereits schrittweise ihre Russland-Investments in den Portfolios, wie eine Rundfrage des Börsianer ergab.
Doch anderswo gibt es in den Schwellenländern durchaus Chancen. Vor allem jene in Lokalwährungen sollte man derzeit nutzen, meint Bernd Meyer, Chefanlagestratege bei der Berenberg Bank. Einige Regionen, etwa in Lateinamerika, profitieren von steigenden Rohstoffnotierungen. Mexiko und Brasilien haben den Leitzins kräftig angehoben – zuletzt auf sechs respektive 10,75 Prozent, ein Umstand, der auch die jeweiligen Länderwährungen zuletzt beflügelt hat. Und Asien sticht mit einem wachsenden Binnenmarkt hervor.
% MEINE RENDITE
Immer mehr Notenbanken läuten mittlerweile die Zinswende ein. Zuletzt erhöhte die US-Notenbank die Leitzinsen, wobei weitere sechs Anhebungen heuer erwartet werden. Auch in der Eurozone ist ein deutlicher Schwenk zu erkennen. Das hat negative Folgen für die Bondmärkte, die von geopolitischen Turbulenzen in der Ukraine angefacht werden. Experten erklären, worauf es jetzt ankommt. n