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Die wahren Verantwortlichen
HOHE INFLATION
Duo. Frankreichs Staatspräsident Francois Mitterrand und Deutschlands Bundeskanzler Helmut Kohl verband eine Freundschaft.
DIE WAHREN VERANTWORTLICHEN
Die Inflation im Euroraum steigt rasant. Die Verantwortlichen um Notenbankchefin Christine Lagrade schieben die Entwicklung auf steigende Energiepreise und die Auswirkungen der Pandemie. In Wahrheit aber haben sie selbst zur galoppierenden Geldentwertung beigetragen.
TEXT OLIVER STOCK
Ein Deal, dazu ein Vertrag, der das Papier nicht wert ist, auf dem er steht, und Politiker, die sich scheuen, unpopuläre Entscheidungen zu treffen – das sind die Gründe für die galoppierende Inflation. Diese Geburtsfehler des Euro, verbunden mit den Auswirkungen der weltweiten Pandemie und einem Krieg, der die Energiepreise explodieren lässt, ist der Cocktail, der die Inflation gedeihen lässt. Trippelschritte der Europäischen Zentralbank (EZB), die die Zinsen nun erhöhen will, um die Inflation einzudämmen, werden nicht ausreichen, um sie zu stoppen.
Männerfreundschaft
Der Deal war einer, den die Väter des Euro, der französische Staatspräsident Francois Mitterand und der deutsche Kanzler Helmut Kohl, in einer Art Männerfreundschaft einfädelten. Das ging so: Die Hüterin des Euro, die EZB, sitzt in Frankfurt und ist auf dem Papier unabhängig. Das setzte Kohl durch. Aber ihr Chef oder ihre Chefin durfte schon damals kein Deutscher oder keine Deutsche sein. Das ist bis heute nicht anders, und das setzte Mitterand durch. Denn die Deutschen, das wusste der französische Staatspräsident, haben eine Abneigung gegen Inflation, obwohl sie es ist, die das Schuldenmachen erleichtert, was jeder Politiker braucht, der dank seiner Wohltaten gewählt werden will. Mitterands Kalkül ging auf. Kohls Hoffnung, durch die formale Unabhängigkeit und den Sitz in Deutschland genug für eine EZB getan zu haben, die die Geldwertstabilität als oberstes Ziel verfolgen sollte, erfüllte sich dagegen nicht.
Stattdessen geriet die EZB zwischen die Mühlen der Politik der Nationalstaaten: Hier die Länder vornehmlich im Süden Europas, die es gewohnt waren, ihre Schulden wegzuinflationieren, und da die Länder, vor allem im Norden, die bemüht waren, Haushalte so weit im Griff zu haben, dass Schulden finanzierbar blieben. Weil klar war, dass beide Systeme nicht unter einen Hut beziehungsweise in eine Währung passten, erfanden die Mitgliedsstaaten des Euro die EU-Konvergenzkriterien und schrieben sie 1992 in den Maastricht-Vertrag. Der besagt unter anderem, dass der staatliche Schuldenstand nicht mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen darf. Dieses Kriterium wird seit dem Inkrafttreten ständig gebrochen.
Ein unterschiedlicher Umgang mit Schulden führt in einem gemeinsamen Währungsraum zu Spannungen, weil irgendwann die Reichen für die Armen aufkommen müssen. Die Schuldenkrise im Euroraum war geboren, aus der die Länder aus eigener Kraft nicht mehr herausfanden, weswegen der damalige italienische EZB-Präsident Mario Draghi im Jahr 2012 sein berühmtes „What ever it takes“ schmallippig verkündete. Es bedeutete in letzter Konsequenz, dass die EZB so lange Euroscheine drucken werde, bis alle in der Lage wären, ihre Schulden im Griff zu haben. Das „What ever it takes“, zu dem sich Draghi der Eurorettung wegen bekannte, war damals die Erlösung. Aus heutiger Sicht ist es der Ursprung einer galoppierenden Inflation.
Denn die Geldmenge in Europa erhöhte sich sprunghaft. Sie hat sich seit der Schuldenkrise auf rund 8,8 Billionen Euro versiebenfacht. Nur ein kleiner Teil davon ist aufgrund des Wirtschaftswachstums im Euroraum gerechtfertigt. Der Rest kommt aus der Notenpresse und hat zu einer Inflation bei den meisten Anlageklassen geführt: erst bei den Immobilien, dann bei den Aktien und zuletzt auch bei den Rohstoffen. Die Nachfrage stieg sprunghaft, das viele Geld musste irgendwohin. Als jedoch mit der Pandemie die Angebote drastisch knapper wurden, stiegen die Verbraucherpreise und mit einem Mal wurde die Inflation sichtbar.
Was dann passierte, hätte eine auf Preisstabilität verpflichtete EZB niemals entscheiden dürfen: Aus dem „ZweiProzent-Inflationsziel“ machte die EZB
Ratlos. EZB-Präsidentin Christine Lagarde muss die Inflation in den Griff bekommen. Zaghafte Zinserhöhungen sind ihre Antwort. 8,7
Prozent betrug laut Statistik Austria die Inflation in Österreich im Juni 2022. Das Wifo rechnet in seiner Inflationsprognose vom Juni für 2022 mit 7,8 Prozent Inflation, für 2023 mit 5,3 Prozent, das IHS mit 7,4 und 4,7 Prozent.
erst einen „Zielkorridor“ von zwei Prozent und dann ein „Symmetrisches Inflationsziel“ von zwei Prozent, was am Ende so viel heißt wie: Es genügt ein paar Jahre unter zwei Prozent zu sein, dann sind ein paar Jahre drüber nicht so schlimm. Dass Inflation zu exponentiellem Wachstum neigt und wie ein durchgehendes Pferd vom gemächlichen Schritt plötzlich in den Galopp verfallen kann, war den EZBEntscheidern zunächst um Draghi und dann um seine französische Nachfolgerin Christine Lagarde egal.
Zweiter Verrat
Der zweite Verrat an der Preisstabilität folgte auf dem Fuße: Als die EU unter Führung ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen den Green Deal ausrief und damit dem Ziel der Klimaneutralität oberste Priorität einräumte, beschloss der EZBRat im Juli 2021, sich bei seinen Entscheidungen ebenfalls von Klimaschutzzielen treiben zu lassen. Dass damit ihr einziger Auftrag, nämlich Geldwertstabilität zu garantieren, unter die Räder kam, nahm die EZB hin.
Seitdem sind milliardenschwere Corona-Wiederaufbau-Programme auf den Weg gebracht worden. Das Hochfahren der Militärausgaben und eine Subvention der Energiepreise, führen zu weiteren milliardenschweren Belastungen, die so lange finanzierbar sind, wie die EZB die Zinsen niedrig hält – aber damit der Inflation freien Lauf gewährt. Die überschaubaren Zinsschritte, die Lagarde jetzt angekündigt hat, sind der Kompromiss in einem Dilemma, wo es in Wahrheit immer nur zwei schlechte Lösungen gibt.
Inflationsraten wie sie der Euroraum und auch die USA jetzt erleben, gab es zuletzt Ende der Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Der damalige USPräsident Jimmy Carter setzte als seine letzte Reserve den knallharten Ökonomen Paul Volcker an die Spitze der Zentralbank. Dieser erhöhte als eine seiner ersten Amtshandlungen die Zinsen drastisch auf bis zu 20 Prozent. Die Inflation, die damals bis zu 15 Prozent betragen hatte, brach sofort in sich zusammen. Die USA allerdings schlitterten in eine Rezession, die am Ende auch Jimmy Charter hinwegfegte. Zu diesem Schritt kann sich in Europa bislang noch niemand entschließen.
% MEINE RENDITE
Die Inflation galoppiert. Die EZB kann sie nicht eindämmen, weil eine massive Zinserhöhung einige Euroländer in die Pleite treiben würde. Der Euro wird deswegen weiter an Wert verlieren und damit Konflikte unter den Euro-Mitgliedstaaten auslösen. n