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MARTIN KWAUKA

DIE GANZ GROSSE GIESSKANNE

Als Ausgleich für die hohe Inflation öffnet der Finanzminister die Schleusen. Schon jetzt sind 32,7 Milliarden Euro budgetiert. Und es werden weitere Milliarden nachgeschossen, wenn sich die Umfragewerte der ÖVP bis zur Nationalratswahl im Jahr 2024 nicht bessern.

„Ist es wirklich die Aufgabe des Staates, jedem Bürger die Wohlstandsverluste auszugleichen?“

VITA MARTIN KWAUKA

Finanzjournalist

Der leidenschaftliche Weinbauer (61) ist seit 23 Jahren Finanz- und Wirtschaftsjournalist. Zu den wichtigsten Stationen des gebürtigen Deutschen zählen die langjährige Chefredaktion des Magazins „Format“ und das seit 2015 von ihm organisierte Finanzjournalistenforum. Sein Steckenpferd ist die Altersvorsorge. Sich selbst beschreibt der studierte Agrarökonom als chronisch neugierig.

Jahrzehntelang sank die Zinslast der Republik. Musste der Finanzminister Mitte der 1990er noch durchschnittlich 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Zinsen zahlen, sind es heuer nur noch 0,8 Prozent. Bei einem BIP von geschätzten 434 Milliarden Euro im Jahr 2022 entspricht das allein heuer einer Zinsersparnis von rund zwölf Milliarden Euro. Wo sind die vielen Milliarden geblieben? Wurden sie verwendet, um Schulden abzubauen oder die Firma Österreich durch zielgerichtete Investitionen zukunftsfit zu machen? Zum Beispiel, um die Energiewende rechtzeitig vorzubereiten und Österreich unabhängiger von importierter Energie zu machen?

Nein. Die Zinsersparnis – in den vergangenen Jahren insgesamt weit über 100 Milliarden Euro – wurde einfach für Wahlgeschenke aller Art verfrühstückt. Stattdessen stiegen die Staatschulden von 68 Prozent im Jahr 1995 auf heuer 81 Prozent. Nur kurz galt das Mantra des Nulldefizits. Seit Corona werden die Schleusen wieder geöffnet. Und seitdem die Inflation in die Höhe schnellt, gibt es kein Halten mehr. Im ersten und zweiten Maßnahmenpaket zum Ausgleich der Teuerung werden vier Milliarden Euro ausgeschüttet. Doch das war nur der erste Schritt zum Warmlaufen. Im dritten Entlastungspaket sind es bereits 28,6 Milliarden. Insgesamt kommt eine Analyse des Budgetdiensts des Parlaments auf ein Gesamtvolumen von 32,7 Milliarden Inflationsausgleich bis zum Jahr 2026. Das Motto lautet: Der Papa Staat wird’s schon richten, das gehört zu seinen Pflichten. Niemand wagt klar zu sagen, dass der Ukraine-Krieg auch bei uns zu Wohlstandsverlusten führt. Glaubt die Politik wirklich, dass das niemand versteht?

Klar ist, dass der Staat denjenigen unter die Arme greifen muss, für die die Verteuerung von Einkauf und Heizen ein echtes Problem ist. Niemand soll frieren, weil die Preise für Gas, Strom und Co explodieren. Natürlich ist es auch für alle anderen angenehm, Geld vom Staat zu bekommen. Es stellt sich trotzdem die Frage an die zugegebenermaßen materiell eher bessergestellten Leser des Börsianer: Wer ist nicht in der Lage, die steigenden Preise ohne staatliche Unterstützung wegzustecken? Und: Ist es wirklich die Aufgabe des Staates, jedem Bürger die Wohlstandsverluste auszugleichen und die Kosten dafür künftigen Generationen anzulasten?

Natürlich ist es einfacher, die Staatsschulden für ein kurzfristiges Schmerzensgeld für alle kräftig zu erhöhen. Schließlich stehen wichtige Wahlen vor der Tür: Heuer ist es noch die Landtagswahl in Tirol, im kommenden Jahr folgen Niederösterreich, Kärnten und Salzburg. Besonders die ÖVP hat viel zu verlieren. Die zahlreichen ParteifinanzierungsAffären drücken die Umfragewerte der Partei in gefährliche Regionen. Jetzt ist Feuer am Dach der ÖVP. Der Finanzminister muss als Brandmeister ausrücken und jedem Wähler ordentlich Geld zustecken.

Und da das Gedächtnis der Wähler für Wohltaten notorisch schwach entwickelt ist, werden bald weitere Milliarden fließen. Zum Jahreswechsel muss den Pensionisten nicht nur die Inflation ausgeglichen werden, sondern traditionellerweise noch etwas mehr. Die vielen vorerst nur heuer budgetierten Einmalzahlungen vom Klima- bis zum Antiteuerungsbonus werden sicher auch im Jahr 2023 zum Thema. Und klar ist, dass der Finanzminister seine Spendierhosen sicher nicht vor der nächsten Nationalratswahl im Jahr 2024 auszieht. Die zusätzlichen Schuldenberge müssen zudem noch deutlich teurer finanziert werden.

Zuletzt konnte sich die Republik zweieinhalb Jahre lang zu Negativrenditen verschulden. Aktuell kosten zehnjährige Staatsanleihen schon über zwei Prozent Zinsen. Und die nächste teure Krise kommt bestimmt. Soll dann wieder alles auf Pump finanziert werden? n

MARTIN KWAUKA

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