Börsianer 50. Ausgabe, Q3 2022

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DIE GANZ GROSSE GIESSKANNE Als Ausgleich für die hohe Inflation öffnet der Finanzminister die Schleusen. Schon jetzt sind 32,7 Milliarden Euro budgetiert. Und es werden weitere Milliarden nachgeschossen, wenn sich die Umfragewerte der ÖVP bis zur Nationalratswahl im Jahr 2024 nicht bessern.

J

ahrzehntelang sank die Zinslast der Republik. Musste der Finanzminister Mitte der 1990er noch

durchschnittlich 3,5 Prozent des Brutto­ inlandsprodukts (BIP) für die Zinsen zahlen, sind es heuer nur noch 0,8 Pro-

Der leidenschaftliche Weinbauer (61) ist seit 23 Jahren Finanz- und Wirtschaftsjournalist. Zu den wichtigsten Stationen­des gebürtigen Deutschen zählen die lang­ jährige Chefredaktion des Magazins „Format“ und das seit 2015 von ihm organisierte Finanzjournalistenforum. Sein Steckenpferd ist die Altersvorsorge. Sich selbst beschreibt der studierte Agrarökonom als chronisch neugierig.

zensgeld für alle kräftig zu erhöhen.

„­Ist es wirklich die Aufgabe des Staates, jedem Bürger die Wohlstandsverluste

zent. Bei einem BIP von geschätzten 434

auszugleichen?“

Milliarden Euro im Jahr 2022 entspricht

MARTIN KWAUKA

das allein heuer einer Zinsersparnis von

VITA MARTIN KWAUKA Finanzjournalist

rund zwölf Milliarden Euro. Wo sind

Schließlich stehen wichtige Wahlen vor der Tür: Heuer ist es noch die Landtagswahl in Tirol, im kommenden Jahr folgen Niederösterreich, Kärnten und Salzburg. Besonders die ÖVP hat viel zu verlieren. Die zahlreichen ParteifinanzierungsAffären drücken die Umfragewerte der Partei in gefährliche Regionen. Jetzt ist Feuer am Dach der ÖVP. Der Finanzmi-

die vielen Milliarden geblieben? Wur-

Milliarden Inflationsausgleich bis zum

nister muss als Brandmeister ausrücken

den sie verwendet, um Schulden abzu-

Jahr 2026. Das Motto lautet: Der Papa

und jedem Wähler ordentlich Geld zu-

bauen oder die Firma Österreich durch

Staat wird’s schon richten, das gehört

stecken.

zielgerichtete Investitionen zukunftsfit

zu seinen Pflichten. Niemand wagt klar

Und da das Gedächtnis der Wähler

zu machen? Zum Beispiel, um die Ener-

zu sagen, dass der Ukraine-Krieg auch

für Wohltaten notorisch schwach ent-

giewende rechtzeitig vorzubereiten und

bei uns zu Wohlstandsverlusten führt.

wickelt ist, werden bald weitere Milli-

Österreich unabhängiger von importier-

Glaubt die Politik wirklich, dass das nie-

arden fließen. Zum Jahreswechsel muss

ter Energie zu machen?

mand versteht?

den Pensionisten nicht nur die Infla­tion

Nein. Die Zinsersparnis – in den ver-

Klar ist, dass der Staat denjenigen

ausgeglichen werden, sondern traditio-

gangenen Jahren insgesamt weit über

unter die Arme greifen muss, für die die

nellerweise noch etwas mehr. Die vielen

100 Milliarden Euro – wurde einfach für

Verteuerung von Einkauf und Heizen ein

vorerst nur heuer budgetierten Einmal-

Wahlgeschenke aller Art verfrühstückt.

echtes Problem ist. Niemand soll frieren,

zahlungen vom Klima- bis zum Anti­

Stattdessen stiegen die Staatschulden

weil die Preise für Gas, Strom und Co ex-

teuerungsbonus werden sicher auch im

von 68 Prozent im Jahr 1995 auf heu-

plodieren. Natürlich ist es auch für alle

Jahr 2023 zum Thema. Und klar ist, dass

er 81 Prozent. Nur kurz galt das Mantra

anderen angenehm, Geld vom Staat zu

der Finanzminister seine Spendierho-

des Nulldefizits. Seit Corona werden die

bekommen. Es stellt sich trotzdem die

sen sicher nicht vor der nächsten Na-

Schleusen wieder geöffnet. Und seitdem

Frage an die zugegebenermaßen ma-

tionalratswahl im Jahr 2024 auszieht.

die Inflation in die Höhe schnellt, gibt es

teriell eher bessergestellten Leser des

Die zusätzlichen Schuldenberge müs-

kein Halten mehr. Im ersten und zwei-

Börsianer: Wer ist nicht in der Lage, die

sen zudem noch deutlich teurer finan-

ten Maßnahmenpaket zum Ausgleich

steigenden Preise ohne staatliche Un-

ziert werden.

der Teuerung werden vier Milliarden

terstützung wegzustecken? Und: Ist es

Zuletzt konnte sich die Republik

Euro ausgeschüttet. Doch das war nur

wirklich die Aufgabe des Staates, jedem

zweieinhalb Jahre lang zu Negativrendi-

der erste Schritt zum Warmlaufen. Im

Bürger die Wohlstandsverluste auszu-

ten verschulden. Aktuell kosten zehn-

dritten Entlastungspaket sind es bereits

gleichen und die Kosten dafür künftigen

jährige Staatsanleihen schon über zwei

28,6 Milliarden. Insgesamt kommt eine

Generationen anzulasten?

Prozent Zinsen. Und die nächste teure

Analyse des Budgetdiensts des Parla-

Natürlich ist es einfacher, die Staats-

Krise kommt bestimmt. Soll dann wie-

ments auf ein Gesamtvolumen von 32,7

schulden für ein kurzfristiges Schmer-

der alles auf Pump finanziert werden? n

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