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SO DENKT DIE POLITIK

DER ARBEITSMARKT

Der heimische Arbeitsmarkt droht zur Wachstumsbremse für viele Unternehmen zu werden. Der Börsianer hat bei den heimischen Parlamentsparteien nachgefragt, welche Maßnahmen und Hilfen es in der aktuellen Situation braucht.

TEXT JAKOB DUMFARTH

In dem Börsianer exklusiv vorliegenden Daten ermittelte das Magazin Anfang Juni 2022 die Anzahl der offenen Stellen von allen 38 im ATX-Prime an der Wiener Börse gelisteten Konzernen (Seite 76). Insgesamt wurde ein Arbeitskräftebedarf von circa 8.600 offenen Stellen ersichtlich. Besonders betroffen ist die Baubranche, gefolgt von Industrieunternehmen. Die Agenda Austria berechnete in ganz Österreich 200.000 fehlende Kräfte. Laut dieser Erhebung leiden der Tourismus und die Dienstleister besonders. Zur gleichen Zeit gibt es aktuell die niedrigsten Arbeitslosenzahlen seit 2012 und einen Allzeitbeschäftigungsrekord. Ursachen für den Fachkräftemangel sieht die ÖVP im demografischen Wandel, die SPÖ im Versäumnis, ausreichend Lehrlinge auszubilden, und in der Bevorzugung billiger Arbeitskräfte aus dem Ausland, die FPÖ in der von der Politik befeuerten Abwertung der Lehre, die Grünen meinen, das AMS habe zu sehr auf Vermittlung anstelle von Qualifizierung gesetzt, und die Neos sehen das Problem in der frühen Pensionierung sowie im Fehlen einer gezielten Zuwanderungspolitik.

Wie möchten Sie den Arbeitskräftemangel in

Österreich auflösen? – Die Arbeitsmarktsituation ist eine der größten Herausforderungen. Durch Änderungen im Ausländerbeschäftigungsgesetz und Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz wird der Zugang zum Arbeitsmarkt für Arbeitskräfte aus Drittstaaten erleichtert sowie das Zulassungsverfahren durch Digitalisierung vereinfacht und beschleunigt.

Erfüllt die Rot-Weiß-Rot-Karte ihren Zweck? – Die Rot-Weiß-Rot-Card ist ein wichtiger Schritt zur Attraktivierung des Standortes Österreich. Dieses Instrument hilft uns dabei, die richtigen Leute mit den benötigten Qualifikationen zu finden. Eine Weiterentwicklung RotWeiß-Rot-Karte bringt eine Beschleunigung und Flexibilisierung der Verfahren und mehr Service für die Unternehmen.

Was sollen die Unternehmen in dieser Situ-

ation der Fachkräfte-Knappheit machen? – Die schnellste Maßnahme ist eine Aufstockung der Saisonkontingente. Das betrifft auch die Drittstaatkontingente, die dringend erhöht werden müssen. Lösungsansätze gegen Fachkräftemangel sind Qualifizierung, Mitarbeiterbindung, Aktivierung des Arbeitskräftepotenzials und die internationale Mobilität von Fachpersonal. Gut ausgebildetes Personal ist der Schlüssel für die Zukunft. Und die Mitarbeiterzufriedenheit hat einen hohen Stellenwert!

Peter Haubner Wirtschaftssprecher ÖVP Christoph Matznetter Wirtschaftssprecher SPÖ

Wie möchten Sie den Arbeitskräftemangel

in Österreich auflösen? – Es müssen neue Anreize für Lehrlinge, Eltern, aber auch Betriebe geschaffen werden, um alle von einer Lehrausbildung zu überzeugen. Das Motto „Karriere mit Lehre“ muss wieder mit Leben gefüllt werden. Niemand versteht, warum die Kosten für einen Berufsschulbesuch nicht vom Staat übernommen werden wie bei berufsbildenden höheren Schulen auch.

Erfüllt die Rot-Weiß-Rot-Karte ihren Zweck? – Menschen aus Drittstaaten zu holen, um sie auszubeuten und heimische Arbeitskräfte noch weiter unter Druck zu bringen, ist nicht der richtige Weg. Die Rot-Weiß-Rot-Karte soll ein Instrument sein, um Spezialisten nach Österreich zu holen, die dringend gebraucht werden. Zur Bekämpfung des Fachkräftemangels müssen andere Wege gefunden werden.

Was sollen die Unternehmen in dieser Situation der Fachkräfte-Knappheit machen? –

Wir brauchen eine zweite Säule, die Umqualifizierung und Weiterbildung forciert. Dazu zählt die Bildungskarenz für Arbeiter unter Fortzahlung des Entgelts, um Hilfsarbeiter zu angelernten Fachkräften auszubilden. Viele Unternehmen setzen bereits erfolgreich auf EmployerBranding-Maßnahmen. Ich lege jedem Unternehmer ans Herz, seine Beschäftigten so zu behandeln, wie er selbst im Arbeitsleben gern behandelt würde.

WIRD ZUR WACHSTUMSBREMSE

Erwin Angerer Wirtschaftssprecher FPÖ Markus Koza Arbeits- und Sozialsprecher GRÜNE Gerald Loacker Wirtschaftssprecher NEOS

Wie möchten Sie den Arbeitskräftemangel

in Österreich auflösen? – Es muss erstrebenswert sein, sich zu einem Facharbeiter ausbilden zu lassen. Dazu braucht es im Lehrlingsbereich unterschiedliche Maßnahmen wie etwa die Abschaffung von Prüfungs- und Kursgebühren. Zudem sprechen wir uns für eine Lehrabschlussprämie in der Höhe von 10.000 Euro aus – davon 5.000 Euro in bar und 5.000 Euro in Form eines Bildungsschecks zur persönlichen Weiterbildung.

Erfüllt die Rot-Weiß-Rot-Karte ihren

Zweck? – Fachkräften aus Drittstaaten einen deutlich leichteren Zugang zu unserem Arbeitsmarkt zu ermöglichen ist der vollkommen falsche Weg. ÖVP und Grüne gefährden mit diesem verstärkten Schaffen von Abhängigkeiten gegenüber dem Ausland massiv unseren Wirtschaftsstandort. Was Österreich wirklich benötigt, wäre endlich eine solide Lehrlings- und Facharbeiteroffensive.

Was sollen die Unternehmen in dieser Situation der Fachkräfte-Knappheit ma-

chen? – Mit der verstärkten Ausbildung von Lehrlingen in heimischen Betrieben kann ein erster Schritt gegen den Facharbeitermangel getan werden. Zudem ist die Politik gefordert, die notwendigen Rahmenbedingungen sicherzustellen und die Facharbeit durch Senkung der Lohnnebenkosten aufzuwerten – Leistung muss sich wieder lohnen!

Wie möchten Sie den Arbeitskräftemangel in

Österreich auflösen? – Durch den Ausbau der Kinderbetreuung und Pflege würden mehr gut ausgebildete Frauen die Chance bekommen, Teilzeit „aufzustocken“. Ein erleichterter Zugang zum Arbeitsmarkt würde Asylwerber eine Arbeit oder Lehre ermöglichen. Das AMS müsste noch mehr auf finanziell besser abgesicherte, nachhaltige Qualifizierung, Weiterbildung und berufliche Umorientierung setzen.

Erfüllt die Rot-Weiß-Rot-Karte ihren

Zweck? – Die Rot-Weiß-Rot-Karte wird gerade dahingehend verbessert, den Arbeitsmarktzugang für Drittstaatsangehörige zu erleichtern und Lohndumping zu verhindern. Saisoniers können künftig schneller Stammsaisoniers werden und erhalten in der Folge einen leichteren Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte. Arbeitgeber werden sich künftig mehr um Arbeitnehmer bemühen müssen.

Was sollen die Unternehmen in dieser Situation der Fachkräfte-Knappheit machen? –

Arbeits- und Einkommensbedingungen verbessern, in betriebliche Qualifikation investieren, Diversity leben, Lehrlinge ausbilden, ein attraktives Arbeitsumfeld mit planbaren, kürzeren und familienfreundlichen Arbeitszeiten anbieten, das insbesondere Frauen fördert und selbstbestimmtes Arbeiten erlaubt. Derartige Betriebe haben wenig Probleme, Facharbeiter zu bekommen

Wie möchten Sie den Arbeitskräfteman-

gel in Österreich auflösen? – Österreich braucht gezielte Zuwanderungspolitik mit starkem Fokus auf die qualifizierte Fachkräftezuwanderung. Auch bei Saisoniers muss die Republik großzügigere Kontingente bieten. Die Kinderbetreuung muss ausgebaut werden, um das Elternsein und die Arbeit besser unter einen Hut bringen zu können.

Erfüllt die Rot-Weiß-Rot-Karte ihren

Zweck? – Solange das Verfahren auf zwei Behörden aufgeteilt ist, nämlich AMS und Bezirksverwaltungsbehörde, wird es immer langsam sein. Dass sich jetzt mit der Austrian Business Agency eine dritte Einheit der Bundesverwaltung um RotWeiß-Rot-Verfahren kümmert, ist eine veritable Verschlimmbesserung. Und die Rot-Weiß-Rot-Karte für Lehrlinge, die wir schon lange fordern, ist im Gesetzesentwurf noch nicht enthalten.

Was sollen die Unternehmen in dieser Situ-

ation der Fachkräfte-Knappheit machen? – Die Unternehmen müssen so viel ausbilden wie nur möglich. Wer eine Fachkraft braucht, wird wohl drei Lehrlinge ausbilden müssen. Außerdem ist die Regierung gefordert: Bei einer Rekordabgabenquote von 44 Prozent, die im Wesentlichen von den Unternehmen und ihren Beschäftigten getragen wird, kosten die Mitarbeiter zu viel, verdienen aber zu wenig, weil der Staat zu viel wegschneidet.

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