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ES GIBT EIN HÖHERES MASS AN AGGRESSION“
MICHAEL STRUGL
Stratege. Der gebürtige Steyrer hat eine Karriere als oberösterreichischer Landeshauptmann-Stellvertreter gemacht, bevor er 2019 in den VerbundKonzern wechselte. Seit 2021 führt er den Energieversorger an.
Der Kurssturz der Verbund-AG-Aktie nach der Forderung von Bundeskanzler Karl Nehammer, Übergewinne abzuschöpfen, hat den Kapitalmarkt kräftig aufgewirbelt. Durch Gewinnabschöpfung und Sonderdividende ist die Verbund AG doppelt gefordert, sagt Verbund-AG-Vorstandschef Michael Strugl im Interview.
TEXT HEDI SCHNEID FOTOS STEFAN BURGHART
Die Energiekrise hat auch das Leben von Michael Strugl verändert: Es gibt Drohungen gegen ihn. Sorge macht dem Vorstandschef der Verbund AG, dass die Verwerfungen in Wirtschaft und Politik die extremen Ränder der Gesellschaft stärken und die Mitte verliert. Die von der EU geplante und von Österreich beschlossene Gewinnabschöpfung verunsichere Investoren und könnte die geplanten Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien beeinträchtigen. Aber auch die Rezession könne die notwendige Energiewende nicht stoppen. Die Verbund AG sei dafür gerüstet. Der Börsianer hat Michael Strugl in seinem Büro Am Hof im ersten Bezirk in Wien getroffen.
Wie sehen Sie die Aussage Nehammers retro-
spektiv? - Michael Strugl: Grundsätzlich behagt so ein Eingriff in die Erlösströme eines Unternehmens Investoren nicht besonders. Das merken auch wir. Mittlerweile gibt es EU-weit den Plan, Gewinne abzuschöpfen. Das hat auch bei uns den Kurs unter Druck gebracht. Das schmerzt.
Als ehemaliger Politiker sind Sie einiges gewöhnt, was Kritik betrifft. Gab oder gibt es
Drohungen gegen Sie persönlich? - Ja, die gibt es. Der Grund: Die Hemmschwellen sind niedriger, und es gibt ein höheres Maß an Aggression.
Hat dieses Jahr Ihr persönliches Leben ver-
ändert? - Es ist ein sehr turbulentes Jahr, und die Situation wird sich nicht so schnell ändern. Die Menschen sind von den Verwerfungen auf den Märkten massiv betroffen, ebenso die Unternehmen. Ich verstehe, dass es sehr intensive Diskussionen gibt und Aggressionen hochkommen. Da spielen auch die sozialen Medien eine Rolle. Diese Entwicklung – Energiekrise, Inflation und zuvor die Pandemie – stärkt die radikalen Ränder der Gesellschaft, während die gesellschaftliche Mitte verliert. Das muss uns Sorge machen. Wie kann man da entgegenhalten? - Man muss die Fakten sehen: Da die Verbund AG mehrheitlich im öffentlichen Eigentum steht, kommen die Gewinne und die Dividende der öffentlichen Hand zugute, um die Folgen der Verwerfungen abzufedern. Es braucht daher in der Politik ein sehr kluges und umsichtiges Vorgehen. Die privaten Aktionäre profitieren, weil sie in dieses Unternehmen Vertrauen gesetzt haben.
Der Verbund hat eine Sonderdividende beschlossen. Wie hoch ist diese Beruhigungspille für den Staat, wie viel schütten Sie
insgesamt aus? - Wir erwarten für 2022 ein bereinigtes Konzernergebnis zwischen 1,45 und 1,8 Milliarden Euro. Als Ausschüttungsrange haben wir 45 bis 55 Prozent definiert. Mit der Sonderdividende von 400 Millionen kommen etwa 1,2 Milliarden Euro heraus.
Der Kapitalmarkt goutiert solche Sonderausschüttungen meist nicht. Was sagen Sie
Eingriff. Michael Strugl kritisiert im Gespräch mit „Börsianer“-Redakteurin Hedi Schneid, dass die EU nicht an der Ursache ansetzt: „Man muss beim Preis und bei der Menge ansetzen und beides deckeln, dafür braucht es eine europäisch koordinierte Herangehensweise.“
den Investoren, vor allem den institutionel-
len? - Ich hatte nicht das Gefühl, dass der Markt die Ankündigung unserer Dividende nicht begrüßt. Im Gegenteil: Danach hat sich der Kurs relativ schnell erholt. Allein die Republik bekommt über eine Milliarde Euro, wenn ich zur Sonderdividende die Steuern dazuzähle.
Um die Abschöpfung von Übergewinnen der Energiekonzerne ist in ganz Europa eine heftige Diskussion entbrannt. Als ehemaliger Politiker haben Sie vielleicht Verständnis für die Wünsche. Aber solche massiven Eingriffe in den Markt schädigen doch die
Souveränität der Konzerne? - Alle Regierungen in Europa sind durch die Energiekrise unter Druck. Die österreichische Regierung hat mehrere Pakete für Haushalte wie auch für Gewerbe und Industrie entweder schon auf den Weg gebracht oder angekündigt. Da stellt sich natürlich die Frage der Refinanzierung. Sehr kritisch sehe ich, dass man sich auf europäischer Ebene nicht auf einen temporären Eingriff einigen konnte. Als kleinster gemeinsamer Nenner ist die Gewinnabschöpfung herausgekommen, statt bei der Ursache anzusetzen und dafür zu sorgen, dass die hohen Preise erst gar nicht entstehen. Man muss beim Preis und bei der Menge ansetzen und beides deckeln. Vor allem braucht es eine europäisch koordinierte Herangehensweise.
Was bedeutet das für die Wirtschaft? - Auch bei einer Abschöpfung wird die Industrie die hohen Strompreise weiterzahlen müssen, und dann kann sie nur hoffen, dass das Geld über Umwege wieder zurückkommt. Es wird einen komplizierten Umverteilungsprozess geben.
Die Wien Energie AG ist wegen der Absicherungsgeschäfte im Stromgeschäft heftig ins Schleudern gekommen. Warum war
das beim Verbund kein Thema? - Wenn man Absicherungsgeschäfte an der Börse macht, muss man entsprechende Sicherheiten hinterlegen. Steigt der Wert eines Kontrakts, muss man noch mehr hinterlegen, wie das bei Wien Energie der Fall gewesen ist. Die Unternehmen sind also in ihrer Liquidität gefordert. Wir haben vorgesorgt, indem wir zum einen weniger Absicherungsgeschäfte über die Börse gemacht haben, wir haben das mit Beginn des Ukraine-Krieges reduziert. Stattdessen machen wir mehr bilaterale Handelsgeschäfte. Da sind in der Regel keine Marginzahlungen notwendig, allerdings gibt es ein Counterpart-Risiko. Und wir haben zum anderen mehr Liquidität vorgehalten durch zusätzliche Linien. Jedes Unternehmen macht sein Risikomanagement maßgeschneidert. Unser gutes Rating hilft uns beim Zugang zu neuen Kreditlinien.
Ist der mehrheitliche Staatsbesitz ein Korsett? Die Voestalpine AG hat den Verkauf der letzten Staatsaktie gefeiert. Wünschen
Sie sich eine geringere Staatsbeteiligung? – Da geht’s nicht darum, was sich der Michael Strugl wünscht (lacht). Es ist ein Unterschied zwischen einem Stahlwerk und einem systemrelevanten Energiekonzern. Es gibt gute Gründe, warum die gesamte Energiewirtschaft, zumindest die großen Versorger, mehrheitlich in staatlicher Hand sind. Der Staat hat großes Interesse an einer gesicherten Energieversorgung. Unsere Eigentümerstruktur, die Kombination von öffentlichen und privaten Aktionären, funktioniert sehr gut.
Der Verbund plant bis 2024 Investitionen von drei Milliarden Euro. Fehlt durch die Sonderdividende und die Gewinnabschöpfung nun Geld für wichtige Zukunftspro-
jekte? - Die Ausschüttungen sind weniger das Problem, die können wir selbst gestalten. Auch die Investitionen planen wir selbst. Was wir nicht in der Hand haben, sind Eingriffe mittels Abschöpfung. Wir wissen nicht, wie sie aussieht und wie lange sie geplant ist. Das sind die Unbekannten in der Gleichung. Das könnte schon Auswirkungen haben auf die Investitionen. Was sind die Investitionsschwerpunkte? - Kraftwerke, Leitungen, Speicher - alles brauchen wir für die Energiewende. Jede Kilowattstunde, die wir in Österreich und in Europa selbst erzeugen, wird uns helfen, den Umstieg zu schaffen. In den Stromnetzausbau sollen bis 2030 3,5 Milliarden Euro fließen. Speicher brauchen wir für die Versorgungssicherheit. Die Investition in den Ausbau erneuerbarer Energien muss aber attraktiv bleiben. Das sollte die Politik tunlichst berücksichtigen.
Die Verbund AG hat das Ziel, ein grüner Konzern zu werden. Wenn man sich den Aktienkurs ansieht, könnte man meinen, die Aktionäre zweifeln daran. Nach der Erholung des Kurses bis auf 114 Euro Ende August geht es wieder stark nach unten. Warum? - Verbund ist heute schon zu 97 Prozent ein Erzeuger erneuerbarer Energie, wir produzieren grünen Strom auf einer kompetitiven Kostenbasis. Ich bin überzeugt, Verbund ist langfristig ein interessantes Investment, weil wir sehr früh eine nachhaltige Strategie eingeschlagen haben. Die Nachfrage nach nachhaltigen Investments steigt, ESG ist der große Trend am Kapitalmarkt, der Druck durch den Klimawandel ist riesig. Dass derzeit alle Versorger unter Druck
MICHAEL STRUGL
sind, liegt wie gesagt an der Unsicherheit durch die regulatorischen Eingriffe. Das verunsichert die Investoren, wobei das Zinsumfeld noch dazukommt.
Wie werden sich die Finanzmärkte weiterentwickeln? Die Bandbreite der Expertenmeinungen ist groß. - Wir wissen nicht, wie es mit dem Krieg, der Energiekriese und der Wirtschaft, Stichwort Rezession, weitergeht. Die Unsicherheit wird uns noch eine gewisse Zeit begleiten. Unbestritten ist, dass die Dekarbonisierung, die notwendig ist, um die Erderwärmung zu begrenzen, nicht abgesagt werden kann. Verbund ist dafür sehr gut aufgestellt, unsere Strategie ist richtig. n
Geldanlegen gehört zum guten Ton.
Zuversicht 2023
Die letzten Monate haben uns wieder einmal vor Augen geführt, wie dominierend einzelne Themen für den Kapitalmarkt sein können. Die US-Midterm-Wahlen liegen hinter uns – im Übrigen ein weiteres Schulbeispiel zum Thema Prognose/Irrtum hinsichtlich eines Wahlausgangs – und waren am Kapitalmarkt eher als Non-Event einzuordnen. Ganz anders die Inflationsentwicklung in den USA: Nachdem die InvestorInnen Monat um Monat enttäuscht wurden, gibt es endlich ein erstes Durchatmen auf Basis der Oktoberzahlen. Das Kursfeuerwerk, vor allem im zuvor massiv gebeutelten Technologiesektor, war das bis dato größte auf Basis einer Inflationszahl. Wir werden im Winter sehen, ob es tatsächlich der Beginn des allseits prognostizierten Trends zur Normalisierung war. Apropos Winter: Volle Gaslager in Deutschland, vor europäischen Häfen wartende LNG-Tanker und fallende Gas- und Strompreise sind Balsam für die Nervenkostüme der PolitikerInnen, BürgerInnen und UnternehmerInnen. Wiegen wir uns zu früh in Sicherheit oder hat auch beim Energiethema die (positive) Trendwende gestartet? Die Aktienmärkte jedenfalls scheinen Morgenluft zu wittern und signalisieren auch, dass eine milde Rezession im kommenden Jahr eingepreist ist. Ohne weitere aberwitzige geopolitische Situationen sehen wir das Motto für 2023 am Horizont: Zuversicht!
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