8 minute read
USA VS, EUROPA DAS MATCH UM DIE
Energiewende
Wer macht das Rennen um die Klimavorherrschaft?
Welche Rolle spielen dabei IRA und Green Deal? Wohin zieht es die Unternehmen?
Rivalen? EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (rechts) ist um eine gemeinsame Linie mit US-Präsident Joe Biden (links) bemüht. Die USA pumpen über den Inflation Reduction Act insgesamt 370 Milliarden US-Dollar in Technologien für den Klimaschutz und subventionieren damit die eigene Wirtschaft. Die EU plant mit eigenen Maßnahmen dagegenzuhalten.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres nennt die Berichte des Weltklimarats IPCC einen Atlas des menschlichen Leidens. Das in Paris 2015 beschlossene 1,5-Grad-Ziel würde dem im März 2023 veröffentlichten Bericht zufolge bereits zwischen 2030 und 2035 übertroffen. Erhöhen wir beim Klimaschutz nicht das Tempo, landet die Welt bis 2100 bei einer Erhitzung von 3,2 Grad. Das Szenario des IPCC beschreibt eine Erderhitzungsspirale, die für Milliarden von Menschen zu Hungersnöten sowie Chaos und Kriegen führen könnte. „Wenn wir jetzt handeln, können wir immer noch eine lebenswerte, nachhaltige Zukunft für alle sicherstellen“, so der IPCC-Vorsitzende Hoesung
Lee. Demnach müssen auch die internationalen Kapitalströme zielgerichteter werden.
Oft wird debattiert, wer für die derzeitige Situation die Hauptverantwortung trägt. China stößt momentan die meisten Treibhausgase (THG) aus. Blickt man auf die historischen Emissionen seit der Industrialisierung, dann sind allerdings die USA, gefolgt von Europa, die mit Abstand größten Klimaschädlinge. Die gute Nachricht: Auf beiden Seiten des Atlantiks läuft die grüne Transformation an und legt an Tempo zu.
IRA gegen Green Deal
Für den Klimaschutz war der 16. August 2022 zweifelsfrei ein guter Tag. US-Präsident Joe Biden unterzeichnete mit dem Inflation Reduction Act (IRA) ein gewaltiges 738 Milliarden schweres Subventionsprogramm für die US-Wirtschaft, von dem mit rund 370 Milliarden USDollar über die kommenden zehn Jahr mehr als die Hälfte in erneuerbare Energien und Maßnahmen gegen den Klimawandel fließen. Der Haken dabei: Die USA begünstigen mit diesem Programm amerikanische Firmen und Erzeugnisse.
Die Europäische Union fiel daraufhin erst einmal in Schockstarre. Den USA gestand man bislang zu, in Sachen Digitalisierung die Nase vorn zu haben. Aber bei grünen Technologien, dem zweiten großen Transformationsthema unserer Zeit, glaubte man auf dem alten Kontinent, die Ruder in der Hand zu haben. Der berechtigte Vorwurf: Die USA würden den Markt verzerren. Bald fand die EU aber aus der Schmolllaune: Europa wird mit einem eigenen Subventionspaket gegensteuern. So gab sich EUKommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einem Treffen mit US-Präsident Biden im März 2023 versöhnlich: „Für uns ist es wichtig, dass wir auf beiden Seiten des Atlantiks wissen, welche Anreize gewährt werden, um sicherzustellen, dass wir die Entwicklung der sauberen Technologien mit vereinten Kräften vorantreiben. Das ist für die Verwirklichung einer Kreislaufwirtschaft, einer klimaneutralen Wirtschaft von entscheidender Bedeutung.“ Von dem Treffen brachte von der Leyen eine Einigung über den Zugang von Elektrofahrzeugen zum amerikanischen Markt und eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit beim Thema kritische Rohstoffe, die in der EU beschafft oder verarbeitet werden, mit.
Es zieht viele in die USA
In der Unternehmenswelt herrscht großteils noch Unsicherheit, was die Auswirkungen des amerikanischen IRA und die Kraft der EU-Gegenmaßnahmen anbelangt.
Oliver Blume, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, bringt die Meinung vieler Europäer auf den Punkt. „Aktuell werden wir bei den Standortkosten in Europa benachteiligt. Wir sind an einem Punkt, wo Politiker genauer hinsehen müssen, insbesondere wenn es um Energiepreise geht. Das Gleiche gilt für Subventionen. In Europa existiert eine Vielzahl an verschiedenen Fördermaßnahmen mit unterschiedlichen Bedingungen in jedem Land.“ Die Volkswagen AG selbst lässt sich gerade den Aufbau eines Werks für E-Autos in South Carolina, USA, mit rund 1,3 Milliarden USDollar subventionieren.
„Der IRA wird viele Investitionen nach Amerika ziehen. Darum ist es wichtig, dass auch Europa ein attraktives Investitionsprogramm einführt“, sagt Björn Rosengren, CEO des global tätigen Schweizer Automatisierungstechnikkonzerns ABB. Das eigene E-Mobility-Geschäft profitiere bereits von Investitionsprogrammen, die in die USamerikanische Ladestationinfrastruktur fließen, so Rosengren. Anfang April 2023 kündigte ABB an, 170 Millionen US-Dollar in ein neues Werk in Wisconsin zu stecken. Der IRA ist dabei explizit ein Grund für dieses Investment.
Ein Engagement in den USA ist für global agierende Konzerne derzeit reizvoll. So sieht es auch der in Oberöster- reich ansässige Technologiepartner der Luftfahrt, die FACC AG. Deren CEO Robert Machtlinger sagt: „Vor allem im Bereich grüner Wasserstoff ziehen die USA gerade sehr viele Investments an.“ Die Förderungen, die in den USA anhand von Steuererleichterungen, sogenannten Tax Credits, erteilt werden, liegen mit drei US-Dollar pro Kilogramm teilweise unter den Erzeugerpreisen. Im Bereich grüner Wasserstoff verliert Europa derzeit definitiv an Boden.
Der deutsche Ökonom Marcel Fratscher glaubt, dass Europa ganz gut gegenhalten wird. „Wir werden nicht die Produktion, sondern Forschung und Entwicklung fördern müssen, um hier wettbewerbsfähig zu sein. Wichtig ist, dass wir einen gesamteuropäischen Ansatz verfolgen“, sagt Fratscher im Rahmen des Finanzmarkt-Forums der Oberbank AG zum Börsianer Grün
Schneller Umstieg auf Erneuerbare Europa ist durch den IRA unter Druck geraten. Zu diesem Schluss kommt auch eine aktuelle Studie des Beratungsunternehmens Boston Consulting. Strom ist demnach in Europa schlichtweg zu teuer. Um den Vergleich zu veranschaulichen: Die Erzeugungskosten von konventionellem Stahl liegen zwölf Prozent über jenen in den USA, bei grünem Stahl beträgt der Nachteil sogar 30 Prozent. Das Studienergebnis ist klar: Um der Kostenfalle zu entgehen, muss der Übergang in klimaneutrale Technologien beschleunigt werden. Denn Wind- und Sonnenkraft kommt auf beiden Seiten des Atlantiks in etwa gleich teuer und sind noch dazu in der Erzeugung die günstigsten Energiequellen. Unternehmen, die früh genug auf klimaneutrale Technologien setzen, könnten Pioniergewinne erzielen.
In Europa ist die Botschaft aus Amerika angekommen. Im Februar 2023 legte die EU-Kommission dem Europaparlament den Grünen Industrieplan (Green Deal Industrial Plan) vor. Er soll insbesondere die CO2-neutrale Industrie stärken und den raschen Übergang zur Klimaneutralität unterstützen. Der Plan baut auf früheren Initiativen auf, wobei er die laufenden Programme des europäischen Green Deal und von Repower-EU ergänzt. Er stützt sich auf vier Säulen: ein günstiges Regelungsumfeld für die CO2neutrale sogenannte Netto-Null-Indus- trie, einen schnelleren Zugang zu Finanzmitteln, die richtigen Kompetenzen für Arbeitskräfte und ein offener Handel für widerstandsfähige Lieferketten. Als tragende Säule dafür gilt das Netto-Null-Industrie-Gesetz, das seit Mitte März vorliegt und bessere Bedingungen und mehr Investitionen für saubere Technologien in Europa schaffen soll. „Europa will bei der Cleantech-Revolution eine Führungsrolle übernehmen“, sagt Ursula von der Leyen. Insgesamt sollen 380 Milliarden Euro, also umgerechnet etwa 400 Milliarden US-Dollar, bereitgestellt werden.
Doch hier kommt der springende Punkt: Während der IRA in den USA bereits in ein Gesetz gegossen ist, das Expertenmeinungen zufolge auch einen Regierungswechsel nach den kommenden Wahlen überdauern würde, muss in Europa die Kommissionspräsidentin von der Leyen erst einmal Ankündigungspolitik betreiben. Die Absegnung der Pläne durch das Parlament und vor allem durch den Rat der Mitgliedsstaaten steht noch aus. Und da braut sich noch einiges zusammen: etwa die Finanzierung. Reichen die Mittel aus den Corona-Töpfen aus, oder braucht es doch eine gemeinsa- me Schuldenaufnahme in Form von Eurobonds? Die Meinungen der Mitgliedsländer gehen hier weit auseinander. So steigt der österreichische Finanzminister Magnus Brunner auf die Bremse: „Die Antwort auf jede europäische Frage kann nicht der Ruf nach neuen Schulden sein.“ Brunner glaubt, dass Bürokratie, Regularien und Genehmigungsprozesse erst einmal vereinfacht gehören.
Streitthema Technologieneutralität
„Wenn die USA etwas machen, dann eben richtig. In Europa verstricken wir uns in Bürokratie“, sagt ein Unternehmensmanager hinter vorgehaltener Hand. Denn nicht nur das Wieviel, sondern auch das Wie ist in Europa ein Politikum. Tech- gehend die Technologie vor, die für die grüne Transformation eingesetzt werden soll. Beispiele hierfür sind die Zulassung unterschiedlicher Arten der Kohlenstoffabscheidung, also Carbon Capture, in der Industrie, oder die Frage, ob auch CO2armer türkiser Wasserstoff neben dem CO2-neutralen grünen Wasserstoff gefördert werden soll.
Während der IRA in den USA zu einer gewissen Euphorie in der Cleantech-Branche führte, ist eine solche in Europa bislang ausgeblieben. Allerdings rechnet Alexander Weiss, er verantwortet einen Umweltfonds bei der Erste Asset Management, damit, dass die EU-Maßnahmen auch der europäischen Branche Schwung geben werden.
Prinzipiell rechnen Analysten damit, dass die Notwendigkeit der grünen Transformation Cleantechs sowohl in Europa als auch in den USA zugutekommen wird. Globale Vergleiche zeigen, dass Europa insbesondere im Produktionsbereich bei der Anmeldung von Patenten neuartiger Technologien führend ist. Bei der Windkraft kommen die bedeutenden Player am Weltmarkt noch immer aus Europa – beispielsweise der Turbinenhersteller Vestas Wind Systems oder der Windkraftanlagenbauer Nordex SE aus Hamburg. Insbesondere im Solarbereich haben die USA mittlerweile stark aufgeholt. Mit beispielsweise First Solar oder Enphase Energy stellen sie am Weltmarkt führende Player im So- nen Technologien in seine Landesgrenzen gezogen hat. Auch China hat unlängst ein 280 Milliarden US-Dollar schweres Subventionspaket für Cleantechs beschlossen. Wir haben uns hier das Heft aus der Hand nehmen lassen und viele Arbeitsplätze nach Asien verloren“, sagt Philipp Godron von der deutschen Denkfabrik und Lobbyorganisation Agora Energiewende. Jetzt will die EU auch wieder Produktionskapazitäten nach Europa zurückholen. Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler meint: „Es ist wichtig, dass Europa eine gemeinsame Antwort auf die Wettbewerbspläne der USA und von China findet.“ Das soll auch durch eine umfassende Lockerung der Fördermöglichkeiten geschehen. Die großen Volkswirtschaften wie Deutschland, Italien oder Spanien harren hier schon in den Startlöchern. In Österreich und der Schweiz, wo es noch wenig Produktionsstätten im Bereich der Erneuerbaren gibt, darf man gespannt sein, wann die ersten Maschinenbauer umsatteln.
Derzeit ist die Abhängigkeit von China enorm. Bei Komponenten für manche E-Autos beträgt die Abhängigkeit von der chinesischen Lieferkette derzeit rund 99 Prozent. Anders als die USA wird die EU aber keineswegs auf den weiterhin wichtigen Handelspartner China verzichten. Das belegt auch der Besuch von Kommissionspräsidentin von Ursula von der Leyen bei Chinas Staatschef Xi Jinping im April 2023.
Fachkräfte fehlen überall Gegenüber Nordamerika hat Europa den großen Vorteil, dass der Pro-KopfEnergieverbrauch hier nur etwa halb so groß ist wie in den USA und Kanada, erklärt die Geschäftsführerin des Dachverbands Erneuerbare Energie Österreich (EEÖ), Martina Prechtl-Grundnig. Dass das Energiesparen eher in der europäischen als in der nordamerikanischen DNA zu finden ist, ist sicher ein volkswirtschaftlicher Vorteil.
Weniger optimistisch blickt Europa auf seine Bevölkerungspyramide, die längst mehr einer Urnenform gleicht. Die demografische Entwicklung zeigt, es fehlt an Jungen, die in den Arbeitsmarkt strömen. Die Digitalisierung kann hier helfen, doch scheint es so, als wären die Effekte der Automatisierung – Stichwort: Uns geht die Arbeit aus – doch etwas überschätzt worden, wie etwa Gabriel Felbermayr, Chef des in Wien ansässigen Wifo-Instituts, bei einer Diskussionsveranstaltung erklärt.
Eberhard Hübbe, Managing Director und Partner bei Deutschlands zweitgrößtem Personaldienstleister Kienbaum, sieht die Herausforderungen des Fachkräftemangels in Europa nicht nur aufgrund der demografischen Entwicklung größer. „In den USA herrscht bei Arbeitnehmern immer schon mehr Flexibilität und Mobilität. Wir merken bei unserer Arbeit, dass viele Junge nicht davon abhängig sind, eine Stelle anzu- nehmen. Etwa ein Fünftel der Unterzeichner von Arbeitsverträgen tritt den Job nicht an.“ Hübbe ortet speziell beim Thema Digitalisierung einen immer höher werdenden Bedarf. Das betont auch der Hamburger Windanlagenbauer Nordex SE. Moderne Anlagen seien massiv komplexer geworden in Bezug auf die IT-Infrastruktur, so dessen CEO Jose Luis Blanco. Ein Patentrezept gegen diese Symptome am Arbeitsmarkt gibt es nicht. Nur eines scheint sicher. Ohne Zuwanderung wird es in Europa nicht gehen. Und hier fehlt es an Konzepten.
Die Herausforderungen der Transformation für die Wirtschaft sind angesichts der sich schließenden Zeitspanne, noch wirkungsvolle Maßnahmen gegen die Erderhitzung setzen zu können, gewaltig. Ob nun chinesische, USamerikanische, europäische oder andere Unternehmen beim Match um die besten Ideen als Sieger hervorgehen werden, ist offen. Wird der Wettstreit engagiert geführt, profitiert jedenfalls die ganze Menschheit.
% MEINE GRÜNE RENDITE
Um die eigene Industrie bei der Transformation in eine CO2-freie Zukunft zu unterstützen, werden in Europa wie in den USA enorme Geldsummen bereitgestellt. Für Unternehmen dies- und jenseits des Atlantiks ist in diesem Innovationswettstreit ausreichend Potenzial vorhanden. n
„Wir sehen Nachhaltigkeit als klare Chance und Auftrag der nachkommenden Generationen, nicht nur als Notwendigkeit zur Erfüllung der Regulatorik.“
Philipp Hämmerle, Vorstandsmitglied Hypo Vorarlberg