2 minute read
BÜROKRATIEMONSTER
Brüssel hat ein kompliziertes Regelwerk für nachhaltige Finanzprodukte erstellt. Doch der Praxistest zeigt: Die Kunden werden mit tatkräftiger Unterstützung vieler Berater dazu verleitet, keine Nachhaltigkeitspräferenz anzukreuzen. Das Resultat: viel Aufwand, wenig Wirkung.
Die EU gibt sich viel Mühe im Ausarbeiten von Regeln. Das gilt ganz besonders für das Thema Nachhaltigkeit. Schließlich soll Europa der Vorreiter sein im Kampf gegen die Klimakrise. Um solch hehre Ziele auch im Bereich der nachhaltigen Investments zu erreichen, wurde schließlich ein mehr als umfangreiches Regelwerk geschaffen – das immer noch nicht vollständig ist, es fehlen konkrete Ausführungsbestimmungen. Schon seit Sommer 2022 gelten einschneidende Änderungen bei Mifid für Wertpapiere und IDD für Lebensversicherungen. Jeder Kunde muss seitdem von den Beratern mit der Gretchenfrage konfrontiert werden: „Wie hältst du es mit der Nachhaltigkeit?“ Falls jetzt ein Kunde kurzerhand antwortet: „Ja, ich bin dafür“, muss der Berater rasch abbremsen. Schließlich gilt es, dem Kunden gleich drei technische EU-Kategorien zu erläutern und mehrere Fachbegriffe wie Taxonomie oder Offenlegungsverordnung schmackhaft zu machen. Alles Begriffe, von denen der Kunde vorher noch nichts gehört hat und wohl auch niemals hören wollte. Wenn ein Kunde nicht aufgibt, hat er nach rund einer Stunde Schulung durch den Berater ein gewisses Grundwissen darüber, was sich Brüssel zum Thema Nachhaltigkeit überlegt hat. Dann kann der Klient noch entscheiden, zu wie viel Prozent er denn zum Beispiel Taxonomie-gemäß investie- ren will. Aber Achtung, wer hier tatsächlich einen ordentlichen Wert angibt oder gar sagt: „Natürlich alles“, für den scheiden praktisch alle Fonds aus. Und die paar Produkte, die womöglich übrig bleiben, ergeben ein hochkonzentriertes Portfolio, das waffenscheinpflichtige Schwankungen erwarten lässt. Im Regelfall wird der Kunde aber bei den umfangreichen Verästelungen der Gretchenfrage ohnehin vorher das Handtuch schmeißen. Mit freundlicher Unterstützung der Finanzberater wird dann angekreuzt, dass der Kunde ohnehin keine Nachhaltigkeitspräferenz hat. Das ist für den Berater optimal, weil er sich die Mühe sparen kann, ungewohnte neue Produkte herauszusuchen. Bei „Nein“ kann er die gewohnten Klassiker anbieten, mit denen er gut vertraut ist. Das Ende vom Lied: Ob das Produkt nachhaltig ist oder nicht, wen kümmert es? Brüssel hat viel Papier erzeugt und wenig für die Umwelt erreicht. Dabei hätte es ein einfaches Verfahren gegeben: Man
VITA MARTIN KWAUKA FINANZJOURNALIST
Der leidenschaftliche Weinbauer (64) ist seit 29 Jahren Finanz- und Wirtschaftsjournalist. Zu den wichtigsten Stationen des gebürtigen Deutschen zählen die langjährige Chefredaktion des Magazins „Format“ und das seit 2015 von ihm organsierte Finanzjournalistenforum. Sein Steckenpferd ist die Altersvorsorge. Sich selbst beschreibt der studierte Agrarökonom als chronisch neugierig.
hätte die Kunden nur fragen müssen, ob sie nachhaltig so verstehen, dass sie in ein mit einem externen Nachhaltigkeitssiegel ausgezeichnetes Produkt investieren wollen. Das ist erstens sinnvoller als die aktuellen Selbsteinschätzungen der Produktproduzenten. Und auch einem Kunden, der sich nicht mit Details beschäftigen will, kann man relativ schnell erklären, was ein FNG-Siegel oder ein Umweltzeichen ist. Damit es keinen Wildwuchs an Pseudoplaketten gibt, könnte die EU ja die seriösen zertifizieren.
Obwohl nach fast einem Jahr klar ist, dass das komplizierte Regelwerk der EU in der Praxis gescheitert ist, gibt es keine Bemühungen, Mifid oder IDD zu reformieren. Die Finanzbranche trägt allerdings auch wenig dazu bei, das Bürokratiemonster zu zähmen. In vielen Häusern geben die Juristen den Ton an und versuchen, so wenig wie möglich zu versprechen. Da gibt es grün deklarierte Produkte, die nur einen winzigen Prozentsatz gemäß der Offenlegungsverordnung investieren. Vom Fondsmanagement hört man dann, dass laut internen Zahlen aber ein viel höherer Prozentsatz erreicht werden würde. Aber den darf das Fondsmanagement aus Vorsicht nicht kommunizieren.
Aus lauter Angst, wegen Greenwashings an den Pranger gestellt zu werden, betreibt man Greywashing: Alles liegt im Nebel, aber wir sind nicht klagbar. n