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DAS NEUE DENKEN IST SCHON DA

Wie bekommen wir die Transformation der Wirtschaft hin?

Es gilt das industriegesellschaftliche Denken zu überwinden

Der Börsianer Grün trifft den Ökonomen Jeremy Rifkin zum Online-Interview. Im Arbeitszimmer seines Washingtoner Büros erklärt er, was Adam und Eva mit der Klimakrise zu tun haben, warum die USA jetzt loslegen und wie wir investieren sollten.

Herr Rifkin, Sie kennen den aktuellen Bericht des Weltklimarats IPCC. Machen wir so weiter, erhitzt sich die Erde durchschnittlich um 3,2 Grad. Wie erhöhen wir das Tempo der Transformation?Jeremy Rifkin: Die Technologie ist da, der Markt ist da, die Erzählungen sind da, die Visionen sind da. Aber wir skalieren nicht.

Die EU hat den Green Deal. Auch in Asien bewegt sich einiges, und die USA investieren über den Inflation Reduction Act (IRA) jetzt in den Wandel. Wie beurteilen Sie das? – Europa und China sind dabei, ihre Pläne zu erweitern, und die USA fangen an, richtig loszulegen. Wir könnten also schnell aufholen, denn das Gute an Amerika ist, dass hier jeder gern Risiken eingeht. Wir sind eine Nation von Einwanderern, und die Menschen nehmen ihren letzten USDollar und riskieren ihn für etwas, was manchmal sehr waghalsig ist. Bevor wir darüber sprechen, wie es mit ESG weitergeht, möchte ich philosophisch werden.

Aber gerne doch. – Wir kommen zu der Erkenntnis, dass dieser Planet viel mächti- ger ist, als wir je gedacht haben. Wir haben bei der Klimakrise keinen Leitfaden. Wir Menschen haben Angst, weil unsere Spezies viel kleiner und unbedeutender im großen Plan der Dinge ist. Das ist ein gewaltiger Bewusstseinswandel im Westen, denn im ersten pseudohistorischen Dokument, der Bibel, sagt Gott im Buch Genesis zu Adam und Eva: „Ich werde dir die Herrschaft über meine Schöpfung auf dem Planeten geben.“ Diese erste Verheißung in verschiedenen Redewendungen führte uns bis zum Zeitalter des Fortschritts und der Industrialisierung.

Eine Grundthese Ihres aktuellen Buches „Zeitalter der Resilienz“ lautet, dass die Menschheit den Geist der Industrialisierung loswerden muss. Um zu überleben, müssen wir resilient gegenüber der Natur sein, anstatt sie beherrschen zu wollen.Die Ironie ist, dass wir versuchen, diese Krise mit all den narrativen Annahmen und Weltanschauungen zu bekämpfen, die sie hervorgebracht haben. Deshalb funktioniert das nicht. Ich sage der Uno, der OECD und dem IWF, dass das nicht ausreichen wird. Wir brauchen ein völlig neues Konzept dafür, was wir als Menschen sind, welches Verhältnis wir zur Natur haben, wie wir die Wirtschaft organisieren, wie wir mit den Generationen umgehen, die noch nicht hier sind. Das ist es, was das Zeitalter der Resilienz ausmacht.

So ein Wandel fällt schwer, wenn unser ganzes Wirtschaftssystem auf dieser industriegesellschaftlichen Logik aufgebaut ist. - Dieses neue Denken ist nicht Science-Fiction. Als Romano Prodi Präsident der Europäischen Kommission war, kam er zu mir nach Washington. Als wir begannen, uns mit der Frage zu befassen, wie wir zu einem völlig neuen Narrativ, einer dritten industriellen Revolution, kommen könnten, stellten wir die Frage, wie die großen wirtschaftlichen Paradigmenwechsel in der Geschichte vonstattengingen.

Und welche Eckpunkte fanden Sie heraus?Dass es in der Geschichte sechs, sieben, acht große wirtschaftliche Paradigmenwechsel gegeben hat. Jeder von ihnen hat denselben gemeinsamen Nenner - einen neuen Ansatz für die Kommunikation und die Mobilitätslogistik, eine neue Energiequelle und eine neue Art, die Wasserversorgung zu organisieren. Und genau darum geht es jetzt auch.

Durch diese Paradigmenwechsel sind die ersten Aktiengesellschaften entstanden, um diese Infrastruktur zu finanzieren. - Ja, genau. Das Telefon und später das Radio und das Fernsehen wurden die Kommunikationsmittel der zweiten industriellen Revolution. Die neue Energiequelle war billiges texanisches Öl, wir waren nicht mehr primär auf Kohle angewiesen. Und dann war die neue Mobilität durch den

Verbrennungsmotor. Das hat uns dann vom städtischen zum vorstädtischen Leben in der ganzen Welt gebracht, weil wir Autobahnen und Straßensysteme hatten. Es führte zur Globalisierung. Diese zweite industrielle Revolution erreichte im Juli 2008 ihren Höhepunkt. Das Rohöl erreichte mit 147 US-Dollar pro Barrel einen Rekordpreis.

Sie behaupten, die Weltwirtschaftskrise ab 2008 hing mit dem Preis fossiler Energien zusammen? - Alles hängt von fossilen Brennstoffen ab. Die Vorstellung, dass der Finanzkollaps auf die Subprime-Hypotheken zurückzuführen ist, greift zu kurz. Das war nur ein Nachbeben, weil es ein Ponzi-Schema ist. Das eigentliche Problem ist, dass bei einem Ölpreis von über 80 US-Dollar pro Barrel alle anderen Preise in die Höhe gehen. Es geht nicht nur um den Treibstoff für das Auto und die Heizung für Ihr Haus. Es geht um Lebensmittelkonserven und pharmazeutische Produkte, Kosmetika, synthetische Kleidung, Bauwesen. Das alles wird aus fossilen Brennstoffen hergestellt.

Schaut man auf die Entwicklung der Gaspreise, gibt es doch Parallelen. - Die russische Invasion in der Ukraine zeigt: Die Gaspreise steigen, und alle anderen Preise steigen auch. Ich glaube, dass niemand in der Geschäftswelt, außer den Unternehmen für fossile Brennstoffe, glaubt, dass wir uns noch im Zeitalter des Fortschritts und in einer Aufwärtskurve befinden. Wir erleben den Untergang der fossilen Brennstoffindustrie. Sogar die Internationale Energieagentur, die mich jahrelang bekämpft hat, sagt, dass wir den Höhepunkt bei den fossilen Brennstoffen um 2028 erreichen werden.

Frankreich sieht das anders und investiert in Atomkraft. - Das ist Geldverschwendung, das wird sich nie amortisieren. Seit 2019 sind die Kosten für Solar- und Windenergie unter alle anderen Energien massiv gesunken, weit unter die Kernenergie. Was die 30-jährige Amortisations- zeit angeht, liegen sie weit unter Kohle, Öl und Erdgas, und die Fixkosten sinken weiter. Es handelt sich um eine exponentielle Kurve wie bei Computerchips. Die Grenzkosten der neuen Energien sind nahe bei null. Sonne und Wind haben noch nie eine Rechnung geschickt. Kohle, Öl, Gas und Uran sind enorm teuer in der Gewinnung, Erkundung, Förderung, Aufbereitung und Weiterleitung.

Sie sagen: Auf jedes Dach gehört Solar­ oder Windkraft. Das klingt gut, nur haben wir die Netze dafür nicht. - Wir müssen überall Hochspannungsgleichstrom-Leitungen errichten, damit die Solar- und Windenergie in den ländlichen Gebieten und die Mikronetze, wenn sie einen Überschuss haben, auf diese Leitungen übertragen werden können, die große Landmassen überqueren können. In zehn Jahren werden sie auch Ozeane überqueren können. Die größten Kabelfirmen beginnen bereits damit, die Infrastruktur zu verlegen. Es bewegt sich etwas, auch in Europa und sicher auch in China.

Was kostet das? - Wir arbeiten mit dem Mehrheitsführer im Senat, Charles Schumer, zusammen, der führend in der Demokratischen Partei der USA ist. Unser Bericht ist Teil des „Build Back Better“Infrastrukturplans und wurde in das Gesetz aufgenommen. Es sieht einen 16 Billionen US-Dollar schweren 20-JahresPlan vor. Der größte Teil davon wird vom privaten Sektor finanziert.

Und woher kommt das Geld? - Wissen Sie, was mir die CEOs von Banken sagen? Sie sagen: „Wo zum Teufel sind die Projekte?“ Wir haben all dieses Geld in Federal Reserve Notes und US Treasuries und keinen Zinssatz, wir haben keine größeren Projekte. Wir müssen das skalieren. Stadtverwaltungen und Regionalregierungen müssen zusammenzuarbeiten und eine Infrastruktur schaffen, wie wir es bei der ersten und zweiten industriellen Revolution getan haben. Das Geld ist da, die großen Pools sind die Pensionsfonds und Versicherungen. Die Pensionsfonds umfassen 40 Billionen US-Dollar.

Die Regierung Biden hat ein Gesetz verabschiedet, gegen das die Republikaner jetzt kämpfen. Sie wollen ESG loswerden. - Die Gewerkschaften spielen hier eine wichtige Rolle. Der Gouverneur von Kalifornien hat ein Gesetz erlassen, das besagt, dass man sein Geld nicht in etwas investieren sollte, das nicht in seinem langfristigen Interesse als Arbeitnehmer liegt. Wenn wir also in ein Unternehmen investieren, das den Klimawandel in Kalifornien verursacht und uns Überschwemmungen, Dürren und extreme Wetterlagen beschert, dann ist das verrückt. Wir sollten das nicht tun. Wir sollten so investieren, dass unsere allgemeinen Interessen auf lange Sicht geschützt werden.

% MEINE GRÜNE RENDITE

Die technischen Lösungen für eine Eindämmung der Erderhitzung sind da. Auch die Finanzmittel. Für die Umsetzung braucht es laut Jeremy Rifkin ein auf Resilienz basiertes Denken. n

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