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WOLKEN ÜBER DER ENERGIEWENDE
Einmal sind es fehlende Flächen, dann Vögel. Einmal sind es Schwammerl, dann die Sichtbarkeitsverordnung. Oder es wird Braunkohle der Atomkraft vorgezogen und massenhaft „Geisterstrom“ aus Windkraft produziert. Die Energiewende, das größte Umbauprojekt von Europas Volkswirtschaften seit dem Zweiten Weltkrieg, kommt nur schleppend voran. Egal ob in Deutschland, der Schweiz oder Österreich. Die Widerstände sind fast immer gleich: Die Bevölkerung will zwar erneuerbare Energien, doch möglichst keine Veränderungen.
Der Börsianer Grün hat schräge Beispiele aus den drei Ländern gesammelt, die aufzeigen, welch zum Teil absurde Regelungen und Ideen den grünen Umbau bremsen und die Energiewende in die Länge ziehen.
Technologie überholt
Auf dem Scheltenpass im Schweizer Kanton Solothurn soll ein kleiner Windpark entstehen. Gerade einmal vier Windräder sind dort geplant. Vor Jahren schon haben die Betreiber die Planungen und die Windmessungen abgeschlossen. Die Initiatoren des Windparks hatten aus Effizienzgründen aber auf den Ausgang eines Verfahrens für die Genehmigung eines ihrer anderen Windprojekte, Grenchenberg, abgewartet, um mehr Klarheit über die Detailplanung für den Scheltenpass zu haben. Doch das Verfahren dauert so lange, dass die vorgesehenen Turbinen nun nicht mehr lieferbar sind. Die Herstellerfirma produziert das Modell nicht mehr. Also müssen neue Turbinen bestellt werden, und damit muss auch die Windmessung auf dem Pass nochmals durchgeführt wer- den. Erst dann geht das Projekt Scheltenpass in den Bewilligungsprozess. Und wenn alles gutgeht, kann 2026 mit dem Bau begonnen werden.
Dieses Schicksal kennen auch Österreichs Energie-Versorger. „Acht bis zehn Jahre dauert es, bis Großwindanlagen genehmigt werden. Am Ende kann es sein, dass so viel Zeit verstrichen ist, dass es die Anlage, die wir ursprünglich eingereicht haben, am Markt gar nicht mehr gibt und wir ein Änderungsverfahren einleiten müssen“, erklärt Michael Strugl, Chef des größtes Stromerzeugers Österreichs, der Verbund AG.
Wanderfalken verhindern Ausbau
Vogelschutz ist bei jedem Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen ein wichtiges Thema. Bis die Gerichte entscheiden, ob der jeweilige Wind-
Der Umbau des europäischen Energiesystems verläuft zu langsam Warum absurde Vorschriften und paradoxe Entscheidungen bremsen Es benötigt neuen Realismus in der Bevölkerung und der Politik park bestimmte Vogelarten gefährdet, vergeht allerdings meist sehr viel Zeit. So auch im geplanten Windpark Grenchenberg in der Schweiz. Das Bundesgericht hatte nach langer Prüfung entschieden, dass in Grenchenberg nur vier statt der geplanten sechs Windturbinen errichtet werden dürfen. Sonst wären die Brutplätze der Wanderfalken gestört gewesen. Windräder müssen von diesen Nestern einen Abstand von einem Kilometer haben. Natur- und Vogelschutz müssen sein, doch müssen auch die Verfahren so lange dauern? Die Schweiz hat so wie auch Österreich inzwischen reagiert und ein Bewilligungsbeschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht. „Der Grundsatz ist natürlich klar, dass bislang offensichtlich die gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen und instrumentellen Rahmenbedingungen nicht hinreichend waren, um eine richtige Energiewende voranzutreiben“, bekräftigt Almut Kirchner, Direktorin der Basler Prognos AG.
Schwammerlschutz verzögert
Auch Österreichs Betreiber von Windkraftanlagen können ein Lied von überlangen Verfahren singen. Zehn Jahre dauerte es von der Planung bis zum kürzlich gefällten Umweltverträglichkeitsprüfungs-Bescheid für den Windpark Wild in Niederösterreich. Dort planen EVN Naturkraft, Tochter der niederösterreichischen EVN AG, und die WEB AG, zehn Windturbinen zu errichten. Geprüft werden musste dort nicht nur die Auswirkung auf Vögel, sondern sogar jene auf das Wachstum der Schwammerl und den Wald. Dabei hat dort der Borkenkäfer die Fichten bereits großräumig vernichtet. Die Betreiber rechnen auch jetzt nicht damit, das Projekt sofort umsetzen zu können. Neue Einsprüche sind zu erwarten.
Möglichst unsichtbare Windräder
Eine besondere Bremse für den Ausbau der erneuerbaren Energie hat das Bundesland Kärnten aufzuweisen: die Sichtbarkeitsverordnung. Demnach dürfen Windräder im Umkreis von 25 Kilometern nur auf fünf Prozent des Dauersiedlungsgebiets sichtbar sein. Das führte nicht nur dazu, dass es in Kärnten kaum Windenergie gibt, sondern auch dazu, dass eine der wenigen Anlagen an der Grenze zur Steiermark niedriger als geplant gebaut werden musste und damit um ein Drittel weniger Strom produziert als angestrebt. Viele Österreicher und Österreicherinnen sind zwar für erneu- erbare Energien, jedoch gegen eine Veränderung des Landschaftsbildes. „Die Energiewende wird man sehen“, betont Verbund-Chef Michael Strugl.
Länder verweigern Flächen
Ein besonders gravierendes Problem, das die Energiewende verzögert, liegt in Österreich in der mangelhaften Kooperation zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. So ist auf Bundesebene klar, dass bis 2030 insgesamt 27 Terawattstunden an erneuerbarer Energie neu ans Netz gehen müssen. Doch die Bundesländer sind mit der Widmung von Flächen für Wind- und Sonnenenergieanlagen weit im Rückstand. Nur drei von neun Bundesländern haben sogenannte Zonierungen, also ausgewiesene Gebiete für den Ausbau. 120 Windräder pro Jahr sollten errichtet werden, um das Ausbauziel bis 2030 zu erreichen. Doch heuer dürften etwa ein Drittel weniger und 2024 nur die Hälfte der geplanten Anlagen gebaut werden. „Ohne verfügbare Flächen gibt es kein Projekt und ohne Projekt keinen Erneuerbarenausbau“, stellt Verbund-AG-Chef Michael Strugl fest. So hat etwa Oberösterreich 27 Flächen ausgewiesen, aber gleichzeitig fast all diese Gebiete als Ausschlusszonen festgelegt. Was also?
All das gilt nicht nur für Windräder, auch Photovoltaikfreiflächenanlagen und Stromnetze haben in Österreich und der Schweiz mit denselben Widerständen zu kämpfen. In Deutschland ist zumindest der Wind- und Solarausbau rascher vorangekommen. Bei Wind so rasch, dass der Strom an manchen Tagen gar nicht abtransportiert werden kann beziehungsweise gar nicht gebraucht wird.
Deutscher „Geisterstrom“
Aus der Abstellkammer für Absurditäten in Deutschland kommt eine Regelung, die unter dem Namen „Geisterstrom“ den Sinn der Energiewende infrage stellt. Das Wort geistert seit bald einem Jahrzehnt durch die Windkraftdebatte, und die FDP hat es jetzt angesichts der Ausbaupläne für die Windkraft, die Kanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck versprechen, wieder hervorgeholt. So behauptet FDP-Energieexperte Michael Kruse, dass „hunderte Millionen Euro für Geisterstrom ausgegeben“ werden, der nicht durch die Netze passt, nicht gebraucht wird oder ins Ausland fließt. Und sein Parteikollege, Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki, fügt hinzu: Wer massiv zusätzlich Windkrafträder durchpeitsche, „aber keine Speicher hat, der löst keine Probleme, der verschlimmert die bestehenden“. Was meinen die beiden?
Die Betreiber der Stromnetze haben einen technischeren Begriff für „Geisterstrom“. Sie sprechen von „Einspeisemanagement“ und meinen damit das zwangsweise Abschalten der Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien. Es wird notwendig, wenn einzelne Abschnitte eines Übertragungsnetzes überlastet sind und keinen Strom mehr abtransportieren können. Konkret bedeutet dies, dass Windkraftanlagen aus dem Wind gedreht oder Wechselrichter bei Solaranlagen ausgeschaltet werden. Die so nicht produzierte Energie trägt in der Fachsprache den hübschen Namen „Ausfallarbeit“. Der Name macht klar, wo das nächste Problem entsteht: Arbeit muss schließlich bezahlt werden. Für ihre Ausfallarbeit, also die zwangsweise nicht produzierte Energiemen- ge, erhalten die Anlagenbetreiber eine finanzielle Entschädigung in der Höhe, die bei einem normalen Netzbetrieb bezahlt worden wäre. Es fließt also Geld in Deutschland, obwohl kein Strom fließt. Geisterstrom ist kein schlechtes Wort für dieses Phänomen.
Dicke Luft wegen mehr Kohle
Auch ideologische Standpunkte können die Energiewende bremsen. Der deutsche Bundestag hatte am 11. November 2022 einen eindeutigen Beschluss gefasst: Die AKWs Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland dürfen nur bis zum 15. April 2023 am Netz bleiben. Voraussetzung fürs Abschalten und dafür, dass auch Gaskraftwerke nicht mehr in vollem Maß genutzt werden müssen, war eine andere Entscheidung, welche die Ampelregierung bereits im Oktober des vergangenen Jahres gefällt hatte, nämlich insgesamt zwölf Kohlekraftwerke zusätzlich aus der eisernen Reserve ans deutsche Stromnetz gehen zu lassen. Für Steinkohlekraftwerke gilt das beschlossene Comeback derzeit maximal bis Ende März 2024. Für Braunkohle soll die Rückkehr an den Markt zunächst bis zum 30. Juni 2023 befristet werden.
% MEINE GRÜNE RENDITE
Der Wille zur Energiewende ist da – bei der Politik, der Wirtschaft und der Bevölkerung. Doch die Umsetzung braucht mehr Tempo. Beschleunigte Genehmigungen, bessere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern beziehungsweise Kantonen ist dringend gefragt. Und dann natürlich der Realismus in der Bevölkerung. Die Energiewende wird man in der Landschaft sehen. Nichts bleibt, wie es ist. n