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VOM SAULUS ZUM PAULUS

Der gebürtige Steirer (58) lenkt seit Herbst 2021 die Geschicke der OMV AG. Der Vater zweier Kinder ist gern Familienmensch. Stern promovierte 1995 an der Montanuniversität Leoben und führte von 2018 bis 2021 den Chemiekonzern Borealis AG.

Woher nachhaltige Energie in Zukunft kommt

Wie man ein Geschäftsmodell transformiert

Warum Geduld kein guter Ratgeber ist

INTERVIEW INGRID KRAWARIK, DOMINIK HOJAS FOTOS DIETER BRASCH

Alfred Stern steht gern am Bug des Schiffes OMV AG, das er seit September 2021 steuert. Fragen über seinen Vorgänger Rainer Seele oder bisherige Strategien der OMV AG beantwortet er nicht. Viel lieber legt er seine Vision für das Unternehmen dar: vom Saulus zum Paulus, von Öl und Gas zu mehr Chemie und Kreislaufwirtschaft.

Herr Stern, ist das Geschäft der OMV gar nicht so böse, wie es immer dargestellt wird? – Alfred Stern: Wir müssen uns mit der Realität abfinden, dass unsere Energieversorgung heute zu einem sehr großen Teil von fossilen Energieträgern abhängig ist. Und diese Energie den Leuten zur Verfügung zu stellen ist auch unser Geschäft. Wir betreiben außerdem die einzige Raffinerie in Österreich, die Leute möchten mit Autos fahren und diese gerne betanken, das ist doch verständlich. Aber das Gute an der Transformationsstrategie der OMV ist, dass wir heute mit Nachdruck in neue Geschäftsbereiche investieren, dass wir die Lösungen und Produkte, die wir heute anbieten, morgen in einer nachhaltigeren Weise unseren Kunden anbieten können.

Den Klimaschützern geht das alles nicht schnell genug, da kommen auch immer wieder Greenwashing­Vorwürfe. Wie gehen Sie damit um? – Uns laufend daran zu erinnern, dass die OMV ihr Geschäftsmodell transformieren muss, ist verlorene Liebesmüh. Nachhaltigkeit steht im Zentrum unserer industriellen Transformation. Ich bin der Meinung, dass wir neue Partnerschaften brauchen, und zwar zwischen Industrie, Politik und der Zivilgesellschaft, also NGOs, bei denen es um die Umsetzung geht. Der größte Kritikpunkt liegt in der Geschwindigkeit. Die Leute wollen das schneller umsetzen, weil der Klimawandel sehr schnell fortschreitet.

Sie appellieren also letztendlich an die Geduld? – Nein, an die Geduld zu appellieren ist ein ganz schlechtes Konzept, weil das zur Passivität verleitet. Wir sollten nicht geduldig sein, wir haben keinen Grund dafür. Aber wir müssen die Transformation industriell umsetzen können und gleichzeitig die Versorgungssicherheit sicherstellen, es muss leistbar bleiben und es muss nachhaltig werden. Wohlstandsverzicht wird nicht funktionieren.

Was braucht es, um die breite Bevölkerung zu überzeugen? – Wer ist die breite Bevölkerung? Den Betrieb unserer Raffinerie oder die Energieversorgung einzustellen ist nicht das, was die Mehrheit der Bevölkerung von uns möchte.

Sie sind also gar kein Klimasünder? – Die Wohlstandsentwicklung der Gesellschaft war und ist sehr stark mit dem Energieverbrauch verbunden. In Zukunft müssen wir Energie auf eine nachhaltigere Weise anbieten. Bei der OMV haben wir unserer Strategie die Kreislaufwirtschaft zugrunde gelegt. Das bedeutet, dass wir etwa bei Kraftstoffen pflanzliche Öle oder gebrauchte Öle wie Kochfett in Kraftstoff umwandeln. Wir haben letztes Jahr ein paar Tausend Tonnen nachhaltiges Flugbenzin an die Austrian Airlines verkauft, das bedeutet eine Einsparung von 80 Prozent CO2. Leider sind die Mengen noch klein. Die Raffinerie in Schwechat verarbeitet knapp zehn Millionen Tonnen.

Wie viel Geld steckt die OMV AG in die Transformation ihres Geschäftsmodells? – Wir investieren bis 2030 jährlich 1,5 Milliarden Euro in die nachhaltige Transformation.

Wer zahlt die Transformation? – Wir haben in den letzten Jahren auf Kredit gelebt und für sogenannte Externalitäten wie den CO2-Ausstoß nicht gezahlt. In meiner Kindheit gab es noch viele wilde Mülldeponien. Heute findet keiner was dran, dass man für die Müllabfuhr zahlt. Genauso ist das mit dem CO2-Ausstoß, das muss durch regulatorisches Rahmenwerk markttauglich gemacht werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir auf Dauer in einer Subventionsökonomie leben. Anschubfinanzierungen durch Subventionen sind essenziell. Wir bringen jetzt neue Technologien, die mit Technologien konkurrieren, die seit 70, 80 Jahren optimiert wurden. Dass das im ersten Ansatz nicht wettbewerbsfähig ist, ist klar.

Beim Thema Energie steht Europa im Wettbewerb mit den USA. Wer wird das Klimaspiel gewinnen? – Energie ist ein Treiber für Wohlstand, fürs Bruttosozialprodukt und Wachstum. Bei leistbarer Energie sind wir weltweit im Nachteil. Insofern ist die Strategie Europas, auf Dekarbonisierung zu setzen – eine zukunftsträchtige Technologie, aus der lassen sich Wettbewerbsvorteile herausholen. Allerdings bietet der Inflation Reduction Act (IRA) in den USA ein doch sehr attraktives Umfeld, das wir in Europa so nicht haben.

Überlegen Sie, Ihre Produktion in den USA deshalb auszubauen? – Im Bereich Chemie wollen wir uns geografisch ausbreiten, da waren Nordamerika und Asien zwei Wachstumsmärkte, die wir gezielt adressiert haben. Durch den IRA sind die USA noch einmal interessanter geworden. In Europa sind die Gaspreise wieder gefallen, sind aber immer noch fünfmal so hoch wie in den USA.

Die Amerikaner haben die günstigeren Preise. Haben die Amerikaner auch langfristiger die besseren Technologien? Bremst sich Europa durch die Bürokratisierung selbst aus? –Wir haben Schwierigkeiten bei der OMV, das ganze EU-Regulatorium abzuarbeiten. Ich kann mir nicht vorstellen, wie mittelständische Betriebe das machen sollen. Standards sind dennoch wichtig.

Wo übertreibt es die EU dann? – Mittlerweile gibt es tausende Seiten von Regularien, die man alle beherrschen und im Unternehmen umsetzen muss. Manchmal gibt es auch Widersprüche. Der Net Zero Industry Act zum Beispiel unterstützt Carbon Capture und Storage als Net-Zero-Technologie, in Österreich ist das jedoch verboten. Zur Solidaritätsabgabe: Zusätzliche Steuern reduzieren die Preise am Markt nicht. Wir haben eine An- gebotskrise, die Nachfrage übersteigt das Angebot. Wenn Sie das Angebot erhöhen wollen, müssen Sie Investitionen anregen und nicht durch ein instabiles Steuerumfeld Investitionen abwürgen.

Sie sprechen da Rumänien an, wo es für die OMV um Milliardeninvestitionen geht, die jetzt von Steuern und Sonderabgaben gefährdet werden. – Ich habe jetzt ganz Europa angesprochen. Dort ist in den letzten 15 Jahren keine nennenswerte Raffineriekapazität aufgebaut worden, im Gegenteil, sie wurde zurückgenommen. Wir haben uns darauf verlassen, dass wir billigen Treibstoff nach Europa importieren, und zwar zu einem großen Anteil aus Russland. Die russischen Produkte wollen wir nicht mehr, die hohen Treibstoffpreise aber auch nicht, und das versuchen wir dadurch zu bekämpfen, dass wir zusätzliche Steuern auf den Bereich einführen.

Die OMV hätte doch eine Antwort darauf, Sie haben ein Projekt in Rumänien, das die Versorgungssicherheit in Europa deutlich verbessern könnte. Investieren Sie die Milliarden oder nicht? – Zu dieser Entscheidung werden wir im Sommer kommen. Was jetzt in den letzten Wochen in Rumänien passiert ist, hat ein zusätzliches Risiko aufgezeigt, das wir in die Berechnung unserer Entscheidungsgrundlagen leider einfließen lassen werden.

Können Sie den Impact des Projekts für Europa erklären? – Es ist das größte Gasentwicklungsprojekt Europas und würde Rumänien als Gasselbstversorger und Europas größten Gasproduzenten positionieren. Das wären 50 Milliarden Kubikmeter.

Wie viel russisches Gas fließt aktuell noch jährlich aus Russland nach Europa? – Das schwankt, aber insgesamt verbrauchen wir etwa acht Milliarden Kubikmeter Gas in Österreich.

Würden Sie die Transformation der OMV von Öl und Gas auf die sehr energieintensive Chemie als nachhaltig bezeichnen? – Alles Leben ist Chemie, das habe ich noch in der Schule gelernt. In einer nachhaltigeren Welt wird mehr Chemie notwendig sein. Elektroautos brauchen Leichtbaumaterialien, um Gewicht wegen der Batterie zu reduzieren. Das ist ein großes Anwendungsgebiet für uns. Im Energiebereich sind wir bei der Borealis Weltmarktführer im Bereich der Draht- und Kabelummantelungen für Hochspannungskabeln, die Offshorewindparks mit dem Land verbinden. Wir produzieren Ummantelungen für Photovoltaikprodukte und schließen mit der Re-Oil-Anlage den Kreislauf.

Gibt es schon Meilensteine, auf die Sie stolz sind? – Dass wir die Strategie genehmigt, vorgestellt und einen klaren Weg nach vorn haben, um bis 2050 ein Net-

Sorgen. Die Belegschaft der OMV AG macht sich Sorgen, ob sie morgen wegen der Transformation noch einen Job hat. „Dialog ist hier wichtig“, sagt Alfred Stern.

Zero-Unternehmen zu werden, das ist ein Riesenerfolg und ist auch von Investoren weltweit anerkannt worden. In allen drei Geschäftsbereichen, also Energie, Fuels und Feedstock sowie Chemicals und Materials kommt aktuell der Großteil der Resultate noch aus dem traditionellen Bereich. Aber in allen Bereichen haben wir Transformationstreiber drinnen, die Wachstumsgeschäft sein werden.

Können Sie uns Beispiele geben? - Im Energiebereich haben wir 2022 die erste erfolgreiche Geothermietestbohrung gemacht und mit der Wien Energie ein Joint Venture gegründet, um die Fernwärme bis 2040 klimaneutral zu machen. Wir bauen unsere Re-Oil-Anlage in Schwechat, die Ende des Jahres noch in Betrieb gehen wird, mit der wir dann 16.000 Tonnen Kunststoffmüll in Rohstoffe zurückverwandeln können. Und das Dritte sind Sustainable Aviation Fuels. Heuer geht unsere Co-Processing-Anlage in Betrieb, mit der wir aus Biomasse 160.000 Tonnen nachhaltigen Kraftstoff produzieren.

Transformation heißt auch, auf bisherige Produkte zu verzichten. Was wird die OMV AG bis 2030 nicht mehr anbieten? – Wir werden ungefähr 2,6 Millionen Tonnen an fossilen Rohstoffen aus unserer Produktion entfernen und durch 1,5 Millionen Tonnen nachhaltige Rohstoffe ersetzen. Wir müssen CO2-Emissionen redu- zieren, müssen aber auch dabei Geld verdienen können. Wenn wir alles umstellen und uns das Geld ausgeht, ist das auch nicht nachhaltig. Im Chemiebereich wollen wir bis 2030 etwa 40 Prozent unserer Chemikalien in Europa aus nachhaltigen Rohstoffen fertigen.

Wie nehmen Sie die Belegschaft mit in diesem Prozess? Old und New Economy unter einen Hut zu bringen stelle ich mir schwierig vor. – Nein, das ist nicht einfach. Dialog ist hier ganz wichtig. Die Leute machen sich Sorgen, ob sie morgen noch einen Job haben, und fragen, wie der aussehen wird. Wir begleiten dies mit diversen Maßnahmen und haben dafür eine Transformation Academy gestartet.

Haben Sie den gesamten Vorstand hinter sich? Das war in der Vergangenheit nicht immer so. – Der Vorstand steht hinter der

Strategie. Das sind kompetente Leute, die wegen ihrer Erfahrung in den Fachbereichen ausgesucht wurden und die auch zur OMV gekommen sind, weil sie die Transformationsstory richtig finden.

Wie sieht es mit dem Eigenbedarf an Energie aus? Wann wird dieser zu 100 Prozent nachhaltig sein? – Der Bedarf ist enorm. Wir produzieren derzeit zehn bis 15 Prozent unseres Bedarfs im Weinviertel über Photovoltaik. Wir steigern diesen Anteil bis 2030 auf deutlich über 30 Prozent und reduzieren so unsere Scope-2-Emissionen.

Sehen Sie für Carbon­Capture eine Zukunft? – Wir werden nicht darum herumkommen. In Österreich ist es leider verboten, wir werden aber mit Aker gemeinsam das Poseidon-Projekt in Norwegen bearbeiten, um dort ein Carbon-Capture-undStorage-Projekt zu entwickeln.

Werden Sie Teil der EVN Klimainitiative.

Wann wird Ihr Wasserstoffprojekt praxistauglich werden? – Das sollte heuer noch in der Raffinerie in Betrieb gehen, produziert aber in erster Linie grünen Wasserstoffbedarf für die Raffinerie. Alle wollen grünen Wasserstoff, für das brauchen Sie grünen Strom und die Elektrolyseure und dann das Wasser. Das müssen Sie alles bauen. Europa wird einen Großteil des Wasserstoffs importieren müssen, Herstellung und Logistik sind dafür noch nicht aufgebaut. Da müssen wir in Jahrzehnten denken.

% MEINE GRÜNE RENDITE

Die Zukunft wirtschaftlich und nachhaltig zu transformieren ist für die OMV AG ein Spagat. Das Ziel könne nicht einfach ein „low-cost producer“ sein. Wer nur Mindestanforderungen erfüllt, ist von Investorenseite nicht mehr investitionsfähig, sagt OMV-Boss Alfred Stern. n bis 2034*

*Die EVN hat fünf konkrete Ziele zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen mit der Science Based Targest Initiative akkordiert. Erreichen werden wir diese Ziele dank unserer Investitionen in erneuerbare Energie und leistungsstarke Netze.

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