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GUTES RISIKOMANAGEMENT IST CHEFSACHE
Wie geht die Schweizer Finanzmarktaufsicht mit Klimarisiken um?
Versicherungen und Anlegerschutz in den Fokus nehmen
Marlene Amstad, die Präsidentin der Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma, hat derzeit besonders viel mit schlecht geführten Großbanken zu tun. Die Schwierigkeiten der Credit Suisse Group AG beschäftigten ganz Europa. Für den Börsianer Grün fand sie dennoch Zeit für ein Gespräch. Denn um die nächste Ecke lauern schon die Gefahren des Klimawandels, die für die Versicherungswirtschaft ein noch kaum fassbares Großrisiko darstellen.
Frau Amstad. Sie standen am Wochenende vom 18. zum 19. März 2023 im Epizentrum eines beispiellosen Bankenbebens in der Schweiz. Erzählen Sie! – Marlene Amstad: Das Wochenende war sehr intensiv. Aber intensiv war die Zeit schon lange davor. Das Wichtigste ist, dass wir eine Lösung mit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS gefunden haben, die für Stabilität sorgt, für die Kundinnen und Kunden und für den Finanzplatz. Es ist die beste Lösung aus allen Optionen, die uns zu Verfügung standen.
SIGMA-STUDIE VON SWISS RE
Naturkatastrophen häufen sich, und die Schäden nehmen laufend zu. Nach einer Auswertung von Swiss Re beliefen sich die ökonomischen Schäden durch Naturkatastrophen im Jahr 2022 auf 275 Milliarden US-Dollar, wovon 125 Milliarden US-Dollar versichert waren. Das ist der vierthöchste Wert in der Messreihe von Sigma, einer Swiss-Re-Publikation, die diese globale Schadensstatistik jährlich aktualisiert. Seit 1992 nehmen diese Schäden um durchschnittlich fünf Prozent bis sieben Prozent pro Jahr zu. Naturkatastrophenbedingte Schadenleistungen von über 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr sind in der weltweiten Versicherungsindustrie inzwischen Standard.
Eine Studie der Swiss Re hat unlängst aufgezeigt, wie sich nicht nur Finanzkrisen, sondern auch Klimakrisen zu häufen beginnen. Wie geht die Finanzmarktaufsicht um mit diesem Risiko? – Die Häufung von Klimakatastrophen ist eine Tatsache. Egal ob man sie an der Anzahl der Ereignisse oder an der Höhe der Schäden misst. Wir müssen in diesem Zusammenhang die Stabilität der von uns beaufsichtigten Finanzinstitute überwachen. Es geht also um die Frage, ob die Solvabilität der Versicherungsfirmen für höhere Schadenleistungen ausreicht.
Tut sie das? – Für Klimarisiken allgemein gibt es keine Blaupause. Ganz im Unterschied zur großen Finanzkrise 2008, wo es möglich war, den internationalen Kapitalregulierungsstandard für Banken von Basel II auf Basel III anzupassen. In der Prävention gegen die finanziellen Folgen einer Klimakrise für die Versicherungswirtschaft gibt es keinen solchen Standard. Darum bestehen weltweit so viele Diskussionsforen zu diesem Thema. Man muss zuerst verstehen lernen, wie ein angemessener Umgang mit diesen Risiken aussehen sollte. Diese Ausgangslage stellt alle Aufsichtsbehörden vor Herausforderungen.
Die Banken hatten sich vor der Finanzkrise 2008 heftig gegen eine Verschärfung des internationalen Basler Kapitalstandards gewehrt. Läuft es bei den Versicherungen jetzt ähnlich ab? – Ja und nein. Natürlich wollen auch die Versicherungen ihre Kosten möglichst gering halten, um wirtschaftlich gut dazustehen. Die Kosten der Regulierung waren vor einigen Jahren noch ein zentrales Argument im Lobbying der Assekuranz wie der Banken. Inzwischen sieht man in der Branche aber den sorgfältigen und proaktiven Umgang mit dem Thema Nachhaltigkeit auch als Wettbewerbsvorteil.
Liest man aber Ihren aktuellen Jahresbericht, muss man zu anderen Schlüssen kommen. Sie ziehen eine ernüchternde Bilanz bezüglich der Offenlegung der Klimarisiken in der Assekuranz. – Wir haben Offenlegungspflichten erst bei den großen Versicherungsunternehmen eingeführt, und es ist klar, dass wir uns auf einer Reise befinden. Es war nicht davon auszugehen, dass unsere Erwartungen schon bei der ersten Überprüfung dieser Transparenzvorgaben vollständig erfüllt würden. Wir lernen bei dem Thema alle dazu. Es gibt ja zum Beispiel noch keinen abschließenden Konsens darüber, welcher von den vielen Nachhaltigkeitsindikatoren seinen Zweck am besten erfüllt. Auch vor diesem Hintergrund haben wir den Assekuranzfirmen im Hinblick auf die nächste Offenlegungspe- riode kommuniziert, dass sie die individuellen Klimarisiken in ihren Unternehmen stärker herausstreichen sollen.
Trotz hoher Kosten. „Assekuranzen sehen den sorgfältigen und proaktiven Umgang mit dem Thema Nachhaltigkeit mittlerweile als Wettbewerbsvorteil“, sagt Marlene Amstad.
Börsennotierte Firmen haben einen starken Anreiz, Risiken kleinzureden. Reichen Transparenzauflagen dagegen aus? – Das Aufsichtsrecht gibt vor, dass Risiken angemessen erfasst und gemanagt werden müssen. Unsere Rolle ist es, das Aufsichtsrecht durchzusetzen. Die Verantwortung für ein angemessenes Risikomanagement liegt aber grundsätzlich immer bei den Unternehmen selbst. Gerade bei börsenkotierten Firmen sieht man immer wieder, wie stark der Markt reagiert, wenn nur schon der Verdacht aufkommt, dass Risiken schlecht gemanagt werden. Für ein gutes Risikomanagement braucht es also einen direkten, spürbaren Einfluss der Führungsorgane der Unternehmen. Das kann man nicht mit Aufsichtstätigkeit ersetzen.
Angesichts der erwähnten SwissReStudie, die aufzeigt, dass die klimabedingten Schäden seit 30 Jahren um durchschnittlich fünf bis sieben Prozent pro Jahr zunehmen, muss man sich aber doch fragen, ob die Assekuranz überhaupt noch ausreichend solvent ist. – Die Finma legte bei den Modellen zur Berechnung der Kapitalanforderungen in den letzten Jahren regelmäßig einen besonderen Fokus auf die Prüfung von Naturkatastrophen-Modellen. Also bei den Modellen, die besonders exponiert sind bezüglich klimatischer Veränderungen. Zudem beteiligt sich die Finma im Rahmen des sogenannten NGFS, des globalen Networks for Greening the Financial System, an der Entwicklung von spezifischen Szenarien für diese Risiken und verwendet diese auch in der Aufsicht. Nach diesem Muster sollen alle Risikoszenarien erfasst und in der Aufsicht integriert werden.
Gibt es auch ein Szenario, in dem eine Finanzkrise mit einer Klimakrise zusammenfällt? – Wenn man ein Szenario nicht ausschließen kann, dann sollte man sich darauf vorbereiten. Was Sie beschreiben, ist ein klassisches Risiko mit einer kleinen Wahrscheinlichkeit, aber einem sehr hohen Schadenpotenzial für die einzelnen Institute und den Gesamtmarkt. Solche Risiken haben wir als Aufsichtsbehörde ganz besonders im Auge, denn wir müssen dafür sorgen, dass die von uns beaufsichtigten Institute diese Risiken angemessen berücksichtigen.
Zu Ihren Kernaufgaben gehört auch der Anlegerschutz. Ihre Devise lautet auch bei Nachhaltigkeitsprodukten: Es muss drin sein, was draufsteht. Tönt einfach. Ist es das auch? – Nein, es ist nicht immer so einfach. Wir mussten auch schon einschreiten, weil Anbieter diese Vorgabe nicht eingehalten haben. Am Ende geht vieles davon auf das Prinzip zurück: Man darf die Anleger nicht täuschen.
Aber dann kommen die Juristen und sagen, es liege keine offensichtliche Täuschung vor. Was machen Sie dann? – Greenwashing ist ein großer Graubereich, und derzeit ist unser Handlungsspielraum effektiv begrenzt. Wir sehen insbesondere Bedarf für zusätzliche verbindliche Regeln an drei Stellen. Erstens muss der Anleger am Verkaufspunkt mit seinen Wünschen und Erwartungen in geeigneter Weise abgeholt werden. Wie groß ist sein Appetit auf nachhaltige Anlagen? Was sind seine Nachhaltigkeitspräferenzen?
Zweitens braucht es mehr Transparenz vor dem Verkauf von als nachhaltig verkauften Finanzprodukten. Was steht auf dem Label, und was ist im Produkt enthalten? Die Kundschaft braucht Klarheit, um bewusst entscheiden zu können. Und schließlich verlangen wir mehr Transparenz nach dem Verkauf. Hat ein Finanzprodukt effektiv den positiven Einfluss auf das Gedeihen des Regenwaldes, den es verspricht?
Aber müsste der Gesetzgeber nicht auch konkreter bestimmen, wo Greenwashing beginnt, damit die Aufsicht eine stärkere Handhabe gegen fehlbare Anbieter bekommt? – Die größte Rechtssicherheit hat man immer mit einem Gesetz und klaren Definitionen. Gegenwärtig besteht in der Schweiz eine Selbstregulierung. Wenn wir eine noch wirksamere Greenwashing-Bekämpfung haben möchten, wäre eine gesetzliche Verankerung der Regeln gegen Greenwashing auch hierzulande nötig.
Sie hatten dem Schweizer Finanzplatz auf der Jahresmedienkonferenz der Finma genau vor einem Jahr Stabilität diagnostiziert. Wie lautet Ihre Diagnose jetzt? – Der Schweizer Finanzplatz ist und bleibt sta- bil. Das haben wir auch und gerade an dem Wochenende vom 18. und 19. März bewiesen. Wir hatten eine akute, sehr ernsthafte Situation bei der Credit Suisse. Die Behörden haben sie gemeinsam mit den Banken und so bereinigt, dass am Montagmorgen alle Zahlungen friktionslos abgewickelt werden konnten, alle Bankomaten funktionierten und alle Zugang zu ihren Bankkonten hatten. So haben wir die Stabilität des Finanzplatzes in der Schweiz und international gewahrt.
% MEINE GRÜNE RENDITE
Klimarisiken beschäftigen die Aufsichtsbehörden zunehmend. Die Finma arbeitet intensiv an spezifischen Szenarien, welche die Risiken der Erderwärmung berechnen. Eine gesetzliche Verankerung von Regeln gegen Greenwashing ist aus Sicht der Finma denkbar. n