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ABLASSHANDEL GEGEN KLIMAWANDEL

Ergibt der Freikauf mit CO2­Zertifikaten ökologisch Sinn?

So funktionieren der Emissionshandel und die Preisgestaltung

Konzerne warnen vor einem Ungleichgewicht

Bis 2050 soll Europa klimaneutral sein. Viele EU-Staaten wie Deutschland oder Österreich planen sogar, schon 2040 beziehungsweise 2045 keine Treibhausgase mehr in die Luft zu blasen oder diese durch Klimaschutzprojekte zu kompensieren. Auch Unternehmen bekennen sich zu teilweise ehrgeizigen Zielen. Der Climate-Pledge-Initiative von Amazon, die 2040 die Klimaneutralität anpeilt, haben sich weltweit mehr als 250 Unternehmen angeschlossen. Andere verschreiben sich dem wissenschaftsbasierten SBTI-Corporate-Net-Zero-Standard. Hier unterstützen große Umweltorganisationen die Unternehmen, bis 2030 ihre CO2-Emissionen zu halbieren und noch vor 2050 klimaneutral zu sein. Bei ge- meinsamen Vorhaben treten aber auch Rückschläge ein. „Die Möglichkeiten, im Schulterschluss mit der Versicherungsindustrie weltweit Dekarbonisierungsziele zu verfolgen, ohne materielle Kartellrechtsrisiken einzugehen, sind begrenzt“, begründet Joachim Wenning, CEO der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft AG, wieso sein Unternehmen die Net-Zero Insurance Alliance verlässt. Die gesetzten Klimaziele wolle man selbstverständlich weiterverfolgen. Ähnliches hat die Zurich Insurance Group AG vor, die ebenso die Branchen-Klimaallianz verlässt.

Emissionen. Um Klimaneutralität zu erreichen, muss in letzter Konsequenz auf Klimazertifikate zurückgegriffen werden. Über diese vielfach kritisierte Methode werden etwa Aufforstungen in Regenwäldern finanziert.

Halten die Klimaziele? Vielfach fehlt der Glaube, dass sie erreicht und nicht aufgeweicht werden. In Deutschland befürchtet man bereits, das Etappen- ziel, die CO2-Emissionen bis 2030 auf 55 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, nicht zu erreichen. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Das Glück oder vielleicht auch das Problem ist, dass viele Wege zur Klimaneutralität führen.

Weg 1: CO2­Emissionshandel der Uno

Die Idee beruht auf dem Kyoto-Protokoll von 1997, die Treibhausgas-Emissionen der Industrieländer von 2008 bis 2012 im Schnitt um 5,2 Prozent zu senken. Dabei reduziert man Emissionen dort, wo das am billigsten machbar ist, und lässt sich diese Ziele für den eigenen Staat anrechnen. Um anfängliche Doppelzählungen bei den zwischenstaatlichen CO2-Kompensationen zu vermeiden, werden seit 2020 Emissionsminderungen in einem anderen Land nur noch angerechnet, wenn der fremde Staat diese aus seiner Emissionsbilanz herausrechnet.

Weg 2: EU­Emissionshandel ETS

Ähnlich funktioniert der EU-Emissionshandelssystem ETS. „Egal welcher Betrieb Emissionen reduziert, Hauptsache, in Summe werden die vereinbarten Reduktionen erzielt“, erklärt Karl Schellmann, Klimaschutz- und Energie-Experte des WWF. Aktuell benötigen Industrie, Kraftwerke und der Luftverkehr CO2-Zertifikate. Ab 2027 wird es eigene EU-Emissionshandelssysteme für Gebäude und den Verkehr geben. 2022 lagen die Einnahmen Österreichs aus den Versteigerungen von CO2-Zertifikaten bei 381,7 Millionen Euro, wobei die öffentlichen Ausgaben für den Klimaschutz deutlich höher ausfielen. Wenn die Kosten für CO2-Zertifikate die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens so stark gefährden, dass eine Verlagerung der Standorte und Emissionen ins Ausland, genannt Carbon Leakage, droht, werden ihm Gratiszertifikate zugeteilt. Reichen die nicht aus, lassen sich von Unternehmen weitere ersteigern, die nicht alle zugeteilten Zertifikate benötigen. Die Gesamtmenge an CO2Zertifikaten wird jährlich reduziert. Die Gratisrechte für die Industrie laufen bis 2034 komplett aus. Der Durchschnittspreis 2022 hat sich mit 80,32 Euro je emittierte Tonne gegenüber dem Pandemiejahr 2020 mehr als verdreifacht.

Um EU-Unternehmen nicht schlechterzustellen, wird ab 2027 auf EU-Importe bestimmter Produkte aus Drittstaaten ein „Klimazoll“ eingeführt, der sich am Preis für EU-Emissionszertifikate orientiert. „Damit verteuert sich etwa die Produktion von Ammoniak und Wasserstoff ohne Kostenausgleich für Exporte. Und für Chemieprodukte wie Amine oder stickstoffhaltige Kunststoffe gibt es gar keine CO2-Abgabe für Importe. Während die EU vornehmlich auf zusätzliche Belastungen setzt, setzen die USA auf Anreize. Das verschärft das Ungleichgewicht zusätzlich“, warnt Jan Hempker, Sprecher der deutschen BASF SE.

Weg 3: nationaler Emissionshandel

Deutschland kassierte 2022 nicht nur

6,8 Milliarden Euro aus dem europäischen ETS-System, sondern weitere 6,4 Milliarden Euro aus seinem nationalen Emissionshandelssystem für Verkehr und Wärme. Das deutsche System setzt bei Gaslieferanten, Mineralölkonzernen und Kohlelieferanten an. Diese müssen Verschmutzungsrechte erwerben, die sie nicht nur an Betriebe, sondern auch an die Bürger über die Brennstoffe für Häuser und Verkehr weiterreichen. Unternehmen, die schon in das europäische ETS-System einzahlen, können diese EU-Kosten gegenrechnen.

Gratiszertifikate. Wenn Unternehmen eine Verlagerung der Standorte ins Ausland drohte, gab es kostenlose Zertifikate.

#ETS-HANDEL

ZOCKEN MIT ZERTIFIKATEN

Bis zur vollständigen Klimaneutralität regelt also der Markt den Preis für CO2-Zertifikate. An diesem können auch Privatanleger partizipieren. „Aus der Preisentwicklung der CO2Emissionszertifikate könnten sich interessante Anlagechancen für Anleger ergeben“, meint Heiko Geiger von Vontobel, „grundsätzlich kann in die Emissionsrechte mittels der an Terminbörsen gehandelten Terminkontrakte investiert werden. Um Privatanlegern die Partizipation an dieser Preisentwicklung zu ermöglichen, haben wir verschiedene Zertifikate auf den ICE ECX EUA Future im Angebot, der die Preisentwicklung der CO2-Emissionszertifikate abbildet.“ Im Portfoliokontext seien solche Produkte eine gute Möglichkeit der Diversifikation, so Geiger, „da CO2-Zertifikate sich nicht im Gleichschritt mit Aktien oder Obligationen entwickeln. Man muss jedoch risikofreudig sein. Die Pandemie hat gezeigt, dass abrupt weniger CO2-Zertifikate nachgefragt wurden. Darüber hinaus sollten Anleger auch über profunde Kenntnisse der Terminmärkte verfügen, um den Rollmechanismus und dessen Risiken zu verstehen, und sie sollten das Emittentenrisiko abschätzen können.“

Weg 4: freiwilliger Zertifikatehandel Daneben gibt es noch den freiwilligen Handel mit Emissionszertifikaten, den WWF-Klimaexperte Karl Schellmann als modernen Ablasshandel bezeichnet: „Hier werden Klimaschutzprojekte von Stellen wie dem TÜV geprüft und Emissionszertifikate ausgestellt. Diese können die Unternehmen kaufen und ohne eigene Reduktionskonzepte ihren Emissionen gegenrechnen. Es wird eine Klimaneutralität von Produkten oder Unternehmen beworben, die es so eigentlich nicht gibt.“ Zudem stehen Prüfstellen selbst unter dem Verdacht des

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