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Hoher Besuch aus Rom

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Oame Söö

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Sir Antonio Pappano kehrt mit dem Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia ins Wiener Konzerthaus zurück

VON WALTER WEIDRINGER

London und Rom: die beiden musikalischen Lebensmittelpunkte Antonio Pappanos. Er wurde 1959 im englischen Epping als Sohn italienischer Eltern geboren. Als er 13 war, zogen seine Eltern mit ihm in die USA. Dort hat er studiert und seine Karriere als Korrepetitor an der New York City Opera gestartet. Die verschiedenen Kulturen sog er in sich auf und nützte sie als Anregung für seine umfassende Musikalität: als Pianist und Liedbegleiter, als Dirigent im Orchestergraben und auf dem Konzertpodium. Deutsch, Englisch, Italienisch: Die Sprachen gehen ihm leicht und in fliegendem Wechsel von den Lippen, stilistisch ist er mit allen Wassern gewaschen.

Von alters her dominiert südlich der Alpen die Oper, nördlich davon die Symphonik. Pappano hält es umgekehrt: In London ist er seit 2002 (und nach einer letzten Vertragsverlängerung noch bis 2024) Musikdirektor des Royal Opera House, Covent Garden. In Rom dagegen fungiert er seit 2005 als Chefdirigent des Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia – einem traditionsreichen Konzertorchester, dem er in kontinuierlicher Arbeit zu neuem Glanz verholfen hat. Es gehört zu seinem Selbstverständnis, dass er diesen Klangkörper auch mit Studioproduktionen von Opern zurück auf die internationale Orchesterlandkarte gebracht hat: Man denke an die viel gerühmten Aufnahmen von Puccinis »Madama Butterfly« oder Verdis »Otello«, beide mit Jonas Kaufmann.

»Meine Verantwortung ist, das Positive und das Negative, Melos und Rhythmus, Gefühl und Intelligenz in eine Balance zu bringen«, stellte er einmal in einem Interview fest. Beim zweitägigen Konzerthaus-Gastspiel des römischen Meisterorchesters unter Leitung von Sir Antonio Pappano, der 2012 von Queen Elizabeth geadelt wurde, steht freilich großes Konzertrepertoire im Zentrum – mit einem reizvollen Schwerpunkt auf dem frühen 20. Jahrhundert. Zum Auftakt gleich mit Sergej Prokofjews »Symphonie classique«, entstanden zwischen dem Ende des Zarenreichs im März und der kommunistischen Oktoberrevolution 1917. Eine Symphonie »im Stile Haydns« wollte Prokofjew schreiben – und der Erfolg gab ihm recht bei diesem musikalischen Vexierspiel, das haydnsche Strategien in Form und Inhalt im Gewand des frühen 20. Jahrhunderts gleichsam neu erfindet. Freilich entpuppt sich dieser fiktive, moderne Haydn als authentischer Prokofjew.

Einen retrospektiven Zug besitzt auch Maurice Ravels Klavierkonzert G-Dur, das eine wundersame Hommage an Mozart und zugleich an den Jazz enthält – und sich dennoch, genau wie Prokofjews »Symphonie classique«, unverkennbar als Werk ihres Schöpfers entpuppt: ein hoch virtuoses »divertissement«, das seine Gefühlstiefe, ja emotionalen Abgrün de hinter einer quecksilbrig-heiteren Fassade versteckt. Martha Argerich, die mit diesem Werk immer wieder Furore gemacht hat, verspricht in ihrer Interpretation Brillanz und Abgeklärtheit zugleich.

Mit der 5. Symphonie von Jean Sibelius, in verschiedenen Fassungen während und nach dem Ersten Weltkrieg entstanden, bricht Pappano dann eine Lanze für einen hierzulande immer noch zu wenig gespielten und im besten Sinne eigentümlichen Komponisten. Morgenstimmung am Beginn eines Kopfsatzes, der einzigartig mit dem Scherzo amalgamiert ist, an zweiter Stelle eine lyrische Variationenfolge und schließlich ein triumphal gesteigertes Finale, dessen Hornthema Sibelius selbst mit der Majestät fliegender Schwäne verband, in dem jedoch spätere Kommentatoren den seinen Hammer schwingenden Thor zu erkennen glaubten: Alles zusammen ergibt eine packende musikalische Erzählung.

Zweimal E-Dur könnte man zum zweiten Abend anmerken – und doch ist alles anders. Ein paar Takte Einleitung nur, dann schmettert das Horn los in Arnold Schönbergs 1906 entstandener Kammersymphonie op. 9: ein elektrisierendes Signal des Aufbruchs, eine Fanfare für eine neue musikalische Epoche. Fünf Quarten werden da aufeinandergetürmt, zerren gehörig an den tonalen Fesseln und brechen mit dieser kühnen Geste einen Mahlstrom unaufhaltsamer Entwicklung vom Zaun. Schönberg betrachtete das Werk als »wirklichen Wendepunkt« in seinem Schaffen. Ein solcher Wendepunkt ereignete sich auch für Anton Bruckner bei der Uraufführung seiner Symphonie Nr. 7: Der grandiose Erfolg 1884 in Leipzig bedeutete den späten internationalen Durchbruch für den leidgeprüften Komponisten. Ein Hornthema macht auch hier den Anfang: In Quarten, Quinten und Terzen steigt es nobel auf, freilich klanglich verschmolzen mit den bald chromatisch weitersingenden Violoncelli. So beginnt ein in den Grundzügen einzigartig lyrisches Werk, das zwar in strahlendem E-Dur ausklingt, sein Zentrum jedoch im großen cis-moll-Adagio trägt. Dort führt eine bewegende Trauermusik über mehrere Anläufe zu einem grandiosen Höhepunkt, dem gleich darauf in der Coda ein schmerzlich-erhabener Nachruf auf den kurz zuvor verstorbenen Richard Wagner folgt.

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KONZERTTIPPS

Mo 23/01/23, 19.30 Uhr · Großer Saal

Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia; Martha Argerich: Klavier; Sir Antonio Pappano: Dirigent; Sergej Prokofjew: Symphonie Nr. 1 D-Dur op. 25 »Symphonie classique«; Maurice Ravel: Klavierkonzert G-Dur; Jean Sibelius: Symphonie Nr. 5 Es-Dur op. 82

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Di 24/01/23, 19.30 Uhr · Großer Saal

Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia; Sir Antonio Pappano: Dirigent

Arnold Schönberg: Kammersymphonie für 15 Solo-Instrumente op. 9

Anton Bruckner: Symphonie Nr. 7 E-Dur

Karten: konzerthaus.at/konzert/eventid/59947

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