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Resonanzen 2023
Die Welt darunter
Im Jahr nach dem festlichen Jubiläum begeben sich die »Resonanzen«, unser Festival Alter Musik, vom 21. bis zum 29. Jänner auf eine spannende Reise in die »Unterwelten«
VON PETER REICHELT
Sie liegt gerade wieder voll im Trend, die Unterwelt. Netflix & Co. brechen mit True-Crime-Serien alle Rekorde. Aktuelle Neuerscheinun gen auf dem heimischen Buchmarkt beschäftigen sich unter der Gürtel linie bzw. entlang der Spur von Mord und Totschlag mit der Bundes hauptstadt, ein Politskandal jagt den nächsten, ein Finanzskandal den anderen und der weltweite Sumpf korrupter Eliten überschwemmt die Gazetten. Letzteres erinnert uns daran, dass die Unterwelt nicht zwangsläufig im Bodensatz der Ge sellschaft steckt.
Im Gegenteil: Halbseidene bis kriminelle Machenschaften kommen auch in oberflächlich »besten Krei sen« vor. Was die Geschöpfe der Unterwelt dann aber durch die Bank am wenigsten gebrauchen können, ist Aufklärung und Transparenz.
»Mehr Licht!«
Dieser Ruf nach erhellender Vernunft warnt im Schatten ope rierende Akteur:innen vor einer drohenden Razzia. Ihr Milieu reprä sentiert den Zustand der Welt ganz am Beginn der Schöpfung, als der Geist Gottes noch unentschlossen über den Wassern schwebte und nachdachte, ob er der Wirklichkeit die Dichotomie von Oben und Unten mittels Erschaffung des Lichts nun tatsächlich unwiderruflich ein prägen sollte? Er hat es bekanntlich getan, für gut befunden, und seither bewegt sich unsere empirische Vermessung der Welt zwischen den Koordinaten von Oben und Unten, Licht und Finsternis, Gut und Böse, Geist und Körper, Vernunft und Ge fühl – nicht zufällig sagen wir von etwas (bevorzugt von bewegten Bildern oder Musik), das uns unmit telbar und heftig berührt, es gehe uns »unter die Haut«!
»Ex tenebris ad lucem«
Damit ist der Pfad umrissen, den die nächsten »Resonanzen« beschreiten: Von der magisch-mythischen Beschwörung der Finsternis durch Les Arts Florissants bis zu Concerto Copenhagens Apotheose des Lichts stößt das Festival im Labyrinth der Untertöne sieben Pforten in abgründige Gegenwelten auf.
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Lars Ulrik Mortensen dirigiert das Concerto Copenhagen
Nach einer rein musikimmanenten Auffassung des Mottos durch Dorothee Oberlinger und ihr Ensemble 1700, die sich tänzerisch-verspielt dem Thema Generalbass widmen, interpretiert Graindelavoix Antoine Brumels faszinierende Missa »Et ecce terrae motus«. Und »interpretiert« ist hier wörtlich zu verstehen! Zwar er klingen »alle Noten« des franko-flämischen Renaissance-Meisters, doch wird die original rein vokale Zwölf stimmigkeit durch neun Sänger:in nen und vier Blasinstrumente erzielt, die zwischen den einzelnen Sätzen – unterstützt von kreativem Sound Engineering – auch improvisieren. Ensembleleiter Björn Schmelzer zieht einen Vergleich zwischen Brumels exzentrischer »Erdbeben-Messe« über den Cantus firmus am Beginn der Oster-Antiphon und virtuosen Grisaille-Techniken zeitgenössischer Darstellungen der Szene am Grab des Auferstandenen (Mt 28,2).
Nicht von ungefähr schickt er da her seiner Interpretation den knapp viertelstündigen Schwarzweißfilm »Il culto delle pietre« (›Der Kult der Steine‹) voraus, mit dem Luigi Di Gianni 1967 ekstatische Heiligen verehrung in einer kleinen Gemeinde in den Abruzzen dokumentierte.
Ein visuelles Element begegnet tags darauf auch im Konzert von La fonte musica, wenn Michele Pasottis Trecento-Spezialist:innen die Welt des Mittelalters auf den Kopf stellen. Die Herrschaft des Grotesken und Obszönen im schillernden Werk Zacara da Teramos erfährt drastische Anschaulichkeit durch Projektionen von Buchmalereien der Zeit.
Das Künstler:innenkollektiv Ārt House 17 wirft bei der Veranstal tung am 27. Jänner einen schwin delerregenden Blick in den menschlichen Abgrund. Der 78. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungsla gers Auschwitz ist Anlass für einen außergewöhnlichen Gedenkabend, unter prominenter Beteiligung von Dame Emma Kirkby. Musik jüdischer Barockkomponisten schürt im Wechsel mit geschichtsträchtiger Folklore, gesprochenen Texten des Erinnerns und halbszenischen Inter ventionen einen glühenden Funken der Hoffnung.
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Ārt House 17 mit Dame Emma Kirkby
Letzte Etappe vor dem jubelnd auffahrenden römischen Finale mit Händel ist die Kanalfahrt der französischen Originalklangformation Les Épopées durch den Sünden pfuhl Venedig, genauer gesagt: die venezianische Oper des 17. Jahr hunderts, deren laszive Dekadenz den musikalischen Aperitif zum Essenskonzert bildet.
»Per aspera ad astra«
So schwierig und auch düster sich die Zeiten namentlich für Künst ler:innen wie Veranstalter:innen des Klassikbetriebs ausnehmen, so lebendig ist die Hoffnung, dass auf die anhaltende Durstrecke zuletzt als auf ein heroisches »per aspera ad astra« zurückgeblickt werden könne. Auch wenn die »Resonanzen« 2023 als Reaktion auf Pandemie und Teuerungswelle mit zwei Terminen weniger aufwar ten, sind doch Planungseifer und Innovationslust dahinter ungebro chen. Davon zeugt nicht zuletzt die umfangreiche Rahmenhandlung, die neben Vorspielkonzerten, Ba rocktanzkurs und Ausstellung, Filmund Kinderprogramm auch einen Crashkurs in Sachen Generalbass und Führungen durch die Instrumentenausstellung bietet.
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Detaillierte Informationen zum umfangreichen Programm des Festivals sowie zum Zyklus bzw. 4er-Zyklus »Resonanzen« siehe konzerthaus.at/resonanzen