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Im Porträt: Patricia Kopatchinskaja
Patricia Kopatchinskaja
Mondestrunken und teuflisch schwer: Am Ende ihrer Porträtreihe schlüpft die Geigerin in die Rolle des Pierrot lunaire und ist mit dem Violinkonzert von Arnold Schönberg zu erleben: drei Konzerte zu Ehren des Wiener Komponisten, dessen 150. Geburtstag wir 2024 feiern
VON REBECCA SCHMID
Ihr wagemutiges Musizieren ragt heraus. Mit unerschütterlicher Virtuosität, aber auch verspielten und theatralischen Interpretationen hat Patricia Kopatchinskaja sich ihren Weg an die Spitze der Violinist:innen gebahnt. Vor allem Werke des 20. Jahrhunderts machte sie sich zu eigen, etwa von Bartók, Kurtág oder Ligeti. Dabei ging es der in Chișinău geborenen Musikerin nicht um technische Perfektion, sondern darum, die Zuhörer:innen aufhorchen zu lassen und ihren Horizont zu erweitern.
»Machmal muss man die Menschen provozieren, damit sie wieder richtig zuhören. Musik soll einen bewegen und zum Nachdenken anregen. Aber viele Menschen haben die Fähigkeit verloren, für sich selber zu urteilen«, so Kopatchinskaja in einem Interview für »Musical America Worldwide«.
Im Juni stehen die Konzerte der Porträtkünstlerin im Zeichen von Arnold Schönberg, dessen 150. Geburtstag wir dieses Jahr feiern. Dabei wird sie in »Pierrot Lunaire« mit Joonas Ahonen und Mitgliedern der Wiener Symphoniker nicht nur spielen, sondern auch rezitieren. Das Werk aus der expressionistischen Periode Schönbergs, ein Zyklus nach Gedichten von Albert Giraud, ist mittlerweile zu einer Art Signatur für sie geworden.
Die Umstände dafür sind ungewöhnlich. Als Kopatchinskaja eine Sehnenscheidenentzündung im rechten Arm hatte und einen Monat lang nicht Geige spielen durfte, hat sie sich überlegt: »Möchte ich jetzt eine Depression haben, oder möchte ich etwas machen, was ich vielleicht nie gewagt hätte?« »Pierrot Lunaire« kannte sie aus ihrer Jugend, zu der Figur des Clowns hatte sie einen persönlichen Zugang gefunden: »Er ist halt ein Außenseiter, der die Welt auf seine eigene Weise betrachtet. Diese Rolle habe ich ganz natürlich eingenommen, wie wenn ich Geige spielen würde. Das war Musik – viel mehr Musik eigentlich, als wenn ich ein Instrument benutzen würde. Und ich war eben als eine Stimme Teil des Ensembles.«
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Die Familie Kopatchinskaja wanderte 1989, als Patricia 12 Jahre alt war, von Moldawien nach Österreich aus. Die Eltern waren Musiker:innen und durchgehend auf Konzerttourneen in der Sowjetunion. Der Zusammenbruch der Sowjetunion brachte auch weniger Unterstützung für die Künste mit sich – die Familie suchte nach neuen Perspektiven. »Der gesamte Ostblock wurde in Stücke gerissen«, erzählte Kopatchinskaja »Musical America«. »Wenn wir in Moldawien geblieben wären, wäre ich vielleicht nicht Musikerin geworden«.
Sie setzte ihr Studium in Wien und anschließend in Bern fort, wo sie von dem slowenischen Geiger Igor Ozim unterrichtet wurde. Mittlerweile in ihren Vierzigern, ist Kopatchinskaja an keinem bestimmten Ort, sondern in der Musik daheim. »Ich bin ein Nomade«, verriet sie der österreichischen Tageszeitung »Die Presse«. »Zu Hause bin ich in den Stücken, die ich spiele, und auf der Bühne. Auf manchen Bühnen habe ich das Gefühl, ein Hauskonzert zu geben.«
Sie versucht dabei mit Blick auf den Klimawandel, das Reisen zu reduzieren. »Der gesamte Musikbetrieb muss sich ändern«, sagte sie der Online-Zeitschrift »electrified«. »Musiker, Veranstalter, Reisebüros und andere sollten zusammenarbeiten, um die Umwelt besser zu schützen.« Mit der Camerata Bern, einem ihrer regelmäßigen künstlerischen Partner, ist sie ausschließlich per Bahn oder Bus unterwegs.
Ihre Bewunderung für die Natur hat Kopatchinskaja während ihrer Kindheit in Moldawien entwickelt. »Mein erster Lehrer war der Regen«, schreibt sie in einem Aufsatz für die Zeitschrift »The Strad«. »Ich hörte den Tropfen zu. Es waren die ersten kurzen, runden Töne in meiner kindlichen Vorstellung. Dann kam die Sonne. Die Töne wurden länger und transparenter, sie begannen in den Wolken und verschwanden in die Unendlichkeit. Der Wind lehrte mich Schwung, die Nacht Stille und danach die Plötzlichkeit des Morgens.«
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Können ist bewundernswert, aber irgendwann langweilig.
Patricia Kopatchinskaja
Patricia Kopatchinskaja entwickelte eine grenzenlose Einbildungskraft, die sie bis heute nicht loslässt– ob als Erzählerin bei »Pierrot Lunaire« oder in Schönbergs anspruchsvollem Violinkonzert op. 36. Kombiniert wird das in den USA vollendete Werk im Konzert mit Auszügen aus Prokofjews »Romeo und Julia«, einer Zusammenstellung von Aziz Shokhakimov, der erstmals im Wiener Konzerthaus dirigiert.
Dass sich das Publikum einfach passiv zurücklehnt, möchte Patricia Kopatchinskaja nicht. Um es zu involvieren, reicht künstlerische Virtuosität alleine oft nicht aus. Denn Können ist bewundernswert, aber irgendwann langweilig, sagte sie »Musical America«. Was die Menschen anregt, ist die Fantasie. Dann hören sie schon zu.
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JUBILÄUMSJAHR
Schönberg 150
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Arnold Schönberg* 13. September 1874 Wien, † 13. Juli 1951 Los Angeles (USA). Geboren in der Brigittenau, Donaustraße 5. Vorwiegend Autodidakt, zunächst tonale Schaffensperiode. 1918 Gründung des Vereins für private Musikaufführungen (Konzerte 1919/20 im Schubert-Saal des Wiener Konzerthauses). 1918 Wohnsitz in Mödling, Treffpunkt mit seinem Freundeskreis, dem u. a. Webern, Berg, Kokoschka und Loos angehörte. Mit seiner »Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen« Begründung der Schule der Wiener Musik, die nachhaltigen Einfluss auf die folgenden Komponist:innengenerationen hatte. 1933 Emigration in die USA.
Weitere Informationen zum Jubiläumsjahr »Schönberg 150« finden Sie beim Arnold Schönberg Center unter schoenberg150.at
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So & Mo, 16 & 17/06/24, 11.00 & 19.30 Uhr · Großer Saal
Wiener Symphoniker · Kopatchinskaja · Shokhakimov
Patricia Kopatchinskaja, Violine
Aziz Shokhakimov, Dirigent
Barbara Rett, Präsentation (nur am 16.06.)
Arnold Schönberg: Konzert für Violine und Orchester op. 36 · Sergej Prokofjew: Auszüge (Suiten Nr. 1 und Nr. 2 aus »Romeo und Julia« opp. 64 a und 64 b) (Zusammenstellung: Aziz Shokhakimov)
Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61009
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So, 16/06/24, 19.30 Uhr · Großer Saal
Kopatchinskaja · Ahonen · Mitglieder der Wiener Symphoniker
»Pierrot Lunaire«
Patricia Kopatchinskaja, Violine, Sprechgesang
Mitglieder der Wiener Symphoniker
Joonas Ahonen, Klavier
Arnold Schönberg: Dreimal sieben Gedichte aus Albert Girauds »Pierrot lunaire« op. 21 im Wechsel mit anderen Werken
Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61013
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