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Orchester: Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Ein Porträt des Klangkörpers, der dieses Jahr sein 75-jähriges Bestehen feiert

VON RENATE ULM

Im Mai 1949 – vier Jahre nach Kriegsende – wagte der Bayerische Rundfunk noch in der Trümmerstadt München einen künstlerischen Neuanfang mit hohen Zielen: Der Dirigent Eugen Jochum wurde vom damaligen Intendanten Rudolf von Scholtz beauftragt, ein Symphonieorchester aufzubauen. Die Idee war, nicht ein weiteres Orchester einer Rundfunkanstalt zu gründen, das nur für das Schallarchiv produziert, sondern einen künstlerisch hochwertigen Klangkörper zusammenzustellen, der auch außerhalb des Funks mit dem Publikum in Kontakt treten sollte.

Jochum fand in zwei Streichquartetten, dem Koeckert-Quartett und dem Freund-Quartett, die Basis für das Streicherensemble seines Orchesters. Da die meisten Mitglieder der Quartette aus Böhmen und Schlesien stammten, legten sie Wert auf einen warmtönenden, dabei immer kammermusikalisch-durchsichtigen Streicherklang. Auch die Solo-Bläser zählten zu den besten Künstlern, und so konnte innerhalb kürzester Zeit ein herausragender Klangkörper gebildet werden.

Eine erste Feuerprobe fand im Juli 1949 statt: Richard Strauss, dessen »Sinfonia domestica« im Konzert am 15. Juni erklingt, leitete noch kurz vor seinem Tod eine Rundfunkaufnahme mit dem Zwischenspiel aus seiner Oper »Capriccio«. Ab der Saison 1949/50 begannen die Abonnenmentkonzerte, und schon in dieser Phase wurde mit der bis heute existierenden Reihe musica viva, die Karl Amadeus Hartmann plante und gestaltete, der zeitgenössischen Musik ein Forum gegeben. Unterstützt wurde das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks dabei von dem ebenso exquisiten BR-Chor. Mit diesen beiden Ensembles konnten seither selbst schwierigste Werke des 20. und 21. Jahrhunderts auf höchstem Niveau musiziert und eingespielt werden.

Nach Jochums Weggang nach Amsterdam begann die Goldene Zeit des Orchesters mit dem Tschechen Rafael Kubelík, der den »böhmischen« Klang viele weitere Jahre pflegte und auch die bis dahin kaum bekannte tschechische Musik dem Publikum näherbrachte.

Neben Kubelíks dirigentischem Können und seiner emotionalen Musikalität beeindruckte seine politische Geradlinigkeit: Die Einladungen des tschechoslowakischen Regimes lehnte er ab, er wollte nur in einem freien Land auftreten, nicht in einer Diktatur. Erst als der Eiserne Vorhang fiel, leitete er wieder die Prager Philharmonie. Kubelík protestierte auch, als eine Novellierung des Bayerischen Rundfunkgesetzes mehr staatlichen Einfluss erlaubt hätte und wollte seinen Vertrag nicht mehr verlängern, falls dies umgesetzt würde. Die Novellierung wurde ausgesetzt und Kubelík blieb. Aus gesundheitlichen Gründen musste er nach 19 Jahren seinen Vertrag lösen, und bald folgte der Brite Sir Colin Davis als Chef. Er legte die Repertoire-Schwerpunkte auf Mozart, Berlioz und englische Komponisten und eröffnete damit ein neues Spektrum.

Einen Qualitätssprung bedeutete das Engagement des Amerikaners Lorin Maazel. Sein Charakteristikum war die phänomenale Schlagtechnik, aber auch sein Ehrgeiz. Er erwartete von sich und den Orchestermusiker:innen höchste Perfektion von der ersten Probe an, um schnell und effizient die Programme zu erarbeiten.

Diese neue Form der zeitgewinnenden Arbeit sowie die umfangreiche Reisetätigkeit spornten die Musiker:innen zu Höchstleistungen an, ebenso die zyklischen Aufführungsreihen zu Beethoven, Brahms, Bruckner, Schubert und Mahler.

Einen ganz anderen, emotionaleren Zugang hatte der fünfte Chefdirigent des Orchesters, der Lette Mariss Jansons. Ihm gelang in seinem aufbauenden und freundschaftlichen Umgang mit den Musiker:innen und in Verbindung mit seiner akribischen Werkanalyse und -ausdeutung, dass das Symphonieorchester weltweit mit den bedeutendsten Klangkörpern gleichziehen konnte. Die Erfolge waren maßstabgebend in der Geschichte des Orchesters und mit zahlreichen Preisen verbunden.

Nach Jansons’ Tod im Dezember 2019 war das Pult des Orchesters über vier Jahre lang verwaist, doch allen war bewusst, dass dann wieder ein von allen Musiker:innen gewünschter Dirigent die Chefposition einnehmen würde. Seit Herbst 2023 heißt der sechste Chefdirigent des in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag feiernden Orchesters Sir Simon Rattle, und wieder lenkt ein Brite die Geschicke von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.

Schon zu Beginn der Saison zeigte sich, dass jedes Konzert zum Ereignis werden kann, wenn musikalische und menschliche Chemie stimmen. Die neue Ära steht erst am Anfang, und die Erwartungen sind hoch. Es sieht aber schon jetzt so aus, als ob die Geschichte des 75-jährigen Orchesters auf dieser Höhe fortgesetzt wird.

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Sa, 15/06/24, 19.30 Uhr · Großer Saal

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks · Andsnes · Welser-Möst

Leif Ove Andsnes, Klavier

Franz Welser-Möst, Dirigent

Ludwig van Beethoven: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 Es-Dur op.  73 · Richard Strauss: Sinfonia domestica F-Dur op. 53 für großes Orchester

Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61007

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