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Eine Klavierstunde mit Beethoven
Daniil Trifonov spielt Beethovens erstes Klavierkonzert, das dieser einer seiner Schülerinnen gewidmet hat. Wie war der Komponist als Lehrer und welches Verhältnis hatte er zu seinen Schüler:innen?
VON MARY KIRCHDORFER
Ludwig van Beethovens Bedeutung als Komponist steht außer Zweifel. Im Wiener Konzertleben spielte er jedoch mehrere Rollen – eine davon war die des Klavierlehrers. Auch heute gibt es viele Berufsmusiker:innen, die profilierte Komponist:innen oder Interpret:innen sind, und darüber hinaus als Lehrer:innen arbeiten. Für Beethoven war das Unterrichten zwar nicht der Hauptberuf, bei seinen Schüler:innen war er aber offensichtlich sehr beliebt, mit manchen befreundet. Zu einigen unterhielt er eine besonders enge Beziehung, etwa zu Ferdinand Ries, der als Klavierschüler begann und später als Sekretär für ihn arbeitete.
Babette Odescalchi
Am 30. November 2024 führen das Orchestre symphonique de Montréal und Daniil Trifonov Beethovens Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 C-Dur op. 15 auf. Die Geschichte dieses Konzerts ist eng mit einer Schülerin Beethovens verbunden – mit Anna Louisa Barbara Odescalchi (1779–1813), geborene Gräfin Keglevics, oft als »Babette« bezeichnet. Die Gräfin lebte im heutigen Bratislava, damals Preßburg, und Beethoven wohnte 1801 in einem Palast gegenüber, um Konzerte zu geben und Babette Klavierunterricht zu erteilen. Ihre Beziehung war sicherlich eng. Im zweiten Teil seiner »Beethoveniana« (1887) zitiert Gustav Nottebohm einen Brief von Babettes Neffen, in dem er beschreibt, wie Beethoven zum Unterricht zu ihr kam: »Er hatte die Marotte – eine von den vielen – dass er [Beethoven], da er vis-à-vis von ihr wohnte, in Schlafrock, Pantoffeln und Zipfelmütze zu ihr ging und ihr Lectionen gab« – eine amüsante Anekdote, die unsere Vorstellung von Beethoven als Klavierlehrer prägt. Neben dem Konzert op. 15, der Klaviersonate op. 7 und den Sechs Variationen über ein eigenes Thema für Pianoforte in F-Dur op. 34 waren dieser Schülerin auch die 10 Variationen über »La stessa, la stessissima« WoO 73 gewidmet.
Dies spricht dafür, dass Gräfin Odescalchi eine begabte Pianistin war, die aufgrund ihres Könnens wahrscheinlich schon vor Beethoven von einem oder einer anderen pädagogisch geschickten Lehrer:in unterrichtet wurde. In der älteren Forschungsliteratur werden Beethovens Widmungen als Hinweis auf romantische Gefühle für sie gedeutet. Genauso könnte er ihr die Stücke aber auch als Zeichen des Respekts gegenüber ihrer Familie gewidmet haben.
Carl Czerny
Carl Czerny (1791–1857) war schon in jungen Jahren ein Ausnahmepianist. Er wuchs in einem musikalischen Haushalt auf, sein Vater war Musiklehrer und professioneller Oboist und Pianist. Bereits im Alter von sieben Jahren komponierte Czerny Klavierstücke, und im Alter von zehn Jahren trat er in der Wohnung Beethovens auf. Sein Vortrag der »Pathétique« beeindruckte den Komponisten so sehr, dass er ihn als Schüler aufnahm. Aus Czernys Briefwechsel mit seinem Lehrer können wir mehr über ihre Beziehung erfahren. Zum Beispiel bat Beethoven Czerny, seinen Klavierpart im Klavierquintett op. 16 in einem von Ignaz Schuppanzigh organisierten Konzert zu übernehmen. Während des Konzerts fügte Czerny seine eigenen virtuosen Ergänzungen hinzu und nahm sich einige musikalische Freiheiten heraus. Beethoven war so verärgert über das Spektakel, dass er Czerny am Veranstaltungsort öffentlich ausschimpfte. In einem Brief vom 12. Februar 1816 entschuldigte sich Beethoven für sein Verhalten und erklärte, er wolle das Stück genau so hören, wie er es geschrieben habe, so schön Czernys Interpretation auch sei. Wir nehmen an, dass Czerny Beethoven verzieh, da er nach diesem Vorfall weiterhin Unterricht bei ihm nahm. Beethoven vertraute Czernys Fähigkeiten später sogar noch mehr, wie aus dem am 21. Mai 1824 verfassten Brief hervorgeht. Darin bat er ihn, zwei Sätze seines fünften Klavierkonzerts op. 73 bei einer musikalischen Akademie aufzuführen. Aus mangelnder Zeit zur Vorbereitung entschied Czerny sich jedoch dagegen.
Beethoven sah, wie Czerny von einem zehnjährigen Jungen zu einem Berufsmusiker heranwuchs und dass sich auch ihre Lehrer-Schüler-Beziehung an diesen Übergang anpassen musste. Das Vertrauen, das sich zwischen den beiden entwickelte, führte auch dazu, dass Czerny Beethovens Neffen Carl Klavierunterricht gab. Er setzte Beethovens Vermächtnis fort, indem er viele berühmte Pianisten ausbildete, deren Wirken sich über Generationen hinweg verfolgen lässt. So zählt etwa Franz Liszt zu Czernys Schülern und unterrichtete selbst wiederum Alexander Siloti, den Lehrer Sergej Rachmaninoffs. Eine weitere Lehrer-Schüler-Linie führt von Czerny direkt zu Sergej Prokofjew.
Julie Guicciardi
Beethovens Lehrer-Schüler-Beziehung zu Julie Guicciardi (1782–1856) wurde von der Wissenschaft bereits ausführlich thematisiert. Die österreichische Gräfin war eine begabte Pianistin und wurde Beethoven von ihren Cousinen Therese und Josephine Brunsvik vorgestellt. Aufschlussreich für ihre Verbindung ist ein Brief, den Beethoven am 16. November 1801 an seinen Freund Franz Gerhard Wegeler schrieb, in dem er wahrscheinlich über Julie Guicciardi spricht. Er beschreibt darin die Veränderung seiner Stimmung in letzter Zeit: »... diese Veränderung hat ein liebes zauberisches Mädchen hervorgebracht, die mich liebt, und die ich liebe, es sind seit 2 Jahren wieder einige seelige Augenblicke, und es ist das erste Mal, daß ich fühle, daß – heirathen glücklich machen könnte, leider ist sie nicht von meinem Stande – und nun – könnte ich nun freilich nicht heirathen – ich muß mich nun noch wacker herumtummeln; hätte ich mein Gehör[-Problem] nicht, ich wäre nun schon lange die halbe Welt durchgereist ...«
Beethoven widmete Guicciardi die sogenannte Mondscheinsonate, und es wird vermutet, dass sie sich während des Unterrichts ineinander verliebten. Anton Schindler hielt sie für die »unsterbliche Geliebte«, doch nachdem sie Wenzel Robert Graf von Gallenberg geheiratet hatte, verlor Beethoven den Kontakt zu ihr.
Der Lehrer
Egal ob Beethoven seine Schüler:innen unterstützte, um ihnen Arbeit im komplexen Mäzenatensystem des Wiener Konzertlebens zu verschaffen, ihnen Klavierwerke widmete oder bei ihnen zu Hause im Schlafrock auftauchte – er hinterließ als Klavierlehrer großen Eindruck. Aus seinen eigenen Briefen und den Berichten seiner Schüler:innen geht hervor, dass er äußerst eigenwillig, wenngleich als Lehrer sehr beliebt war – auch wenn er sich gelegentlich recht leger kleidete oder sein Temperament überschäumte. Beethoven war nie verheiratet, dennoch können wir aufgrund seiner Briefe vermuten, dass er romantische Gefühle für einige seiner Klavierschülerinnen hegte, die sozialen Unterschiede jedoch zu sehr respektierte, um sie jemals auszuleben.
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Sa, 30/11/24, 19.30 Uhr · Großer Saal
Orchestre symphonique de Montréal · Trifonov · Payare
Daniil Trifonov Klavier · Rafael Payare Dirigent
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