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Gustav Mahler und der Antisemitismus

1897 wurde in Wien das Riesenrad eröffnet, die erste Frau an der Universität promoviert und die Secession gegründet. Im selben Jahr ernannte man Gustav Mahler zum Hofoperndirektor, wählte Karl Lueger zum Bürgermeister. In der Presse herrschte ein dezidiert antisemitischer Ton, mit dem auch der Komponist trotz seiner Konversion zum Katholizismus zeit seines Lebens konfrontiert war

VON FRITZ TRÜMPI

Der Wirkungsort spielte eine erhebliche Rolle. Bereits während seiner Kapellmeisterjahre in Deutschland (in Kassel etwa), dann aber erst recht in Wien war Gustav Mahler mit sich stetig steigernden antisemitischen Tiraden bei Teilen von Presse und Gesellschaft konfrontiert. Erst in New York, während seiner letzten Lebensjahre, sollten diese zu ihrem Ende gelangen, so der Mahler-Biograph Jens Malte Fischer. Allerdings nur in New York selbst, wäre dem hinzuzufügen – während sie in Wien weitergingen.

Dass Mahler 1897, kurz vor seinem Antritt als Direktor der Wiener Hofoper, zum Christentum katholischer Konfession konvertierte, war formal notwendig, doch rezeptionsbezogen weitgehend wirkungslos: Zu fortgeschritten waren antisemitische Stereotype, die ein unveränderbares »jüdisches Wesen« festschrieben. Einer der maßgeblichen Urheber und Verbreiter derselben war kein Geringerer als Richard Wagner (dessen Musik Mahler verehrte). Seinen massiv ausgeprägten Antisemitismus hatte Wagner bereits 1850 erstmals ›rassisch‹ begründet – wenn auch unter Pseudonym, während er die überarbeitete Fassung seiner Hetzschrift »Das Judenthum in der Musik« von 1869 dann unter seinem richtigen Namen herausbrachte. Dreißig Jahre später, im Wien des Fin de Siècle, gehörte »antisemitischer Wortschatz zum ›offiziellen‹ Ton« (Frank Stern/ Barbara Eichinger). Doch wie wurde dies möglich?

Ausgerechnet die allmähliche Demokratisierung des politischen Systems und eine damit zusammenhängende Verdichtung des (Parteipolitik repräsentierenden) Zeitungswesens aufgrund eines massiven Anstiegs politischer Propaganda war zu einem Gutteil dafür verantwortlich: Antisemitische Rhetorik fand in Teilen der Wiener Presse immer unverblümtere Verwendung für politische Werbezwecke. Vorreiter hierfür waren bekanntermaßen der Deutschradikale Georg von Schönerer (1842–1921) sowie, ungleich breitenwirksamer, der Christlichsoziale Karl Lueger (1844–1910). Paradoxerweise wurde dessen Wahl zum Bürgermeister Wiens von Kaiser Franz Joseph I. nach mehreren Verweigerungen schließlich im selben Jahr bestätigt, in dem auch Gustav Mahler zum Hofoperndirektor ernannt wurde: 1897.

Dass man sich in Luegers Gefolge nach dessen Amtsantritt sogleich daran machte, eine den Hoftheatern entgegengesetzte »arische« Gegenbühne zu errichten, darf als Institutionalisierung eines virulenten Antisemitismus im Kulturbereich betrachtet werden: Das Theater, aus dem sich ab 1904 die Volksoper herausbilden sollte, eröffnete im Dezember 1898 als »Kaiserjubiläum-Stadttheater« – wie in vielen anderen Städten der Monarchie – anlässlich des 50-jährigen Regierungsjubiläums von Franz Joseph I. Doch es verfügte von Beginn an über eine judenfeindliche Satzung, die der erste Direktor des Hauses, Adam Müller-Guttenbrunn, in einer »Denkschrift« zuhanden Karl Luegers von 1902 folgendermaßen kommentierte: »… es sollte eine Stätte deutscher Kunstpflege sein, sollte volksbildende Tendenzen verfolgen, und es mußte ein christliches, ein arisches Theater sein.« Gleichzeitig wurde die Hofoper von »deutschradikalen« Gruppen und deren Medien als »verjudete« Bühne diffamiert. Ein Blick in das Deutsche Volksblatt, Zentralorgan des antisemitischen Deutschradikalismus in der späten Habsburgermonarchie, kann ein detailgetreues Bild der antisemitischen Stimmungslage vermitteln, mit der sich Mahler während seiner Zeit in Wien konfrontiert sah. Schon bei seinem Antritt als Operndirektor kritisierte die Zeitung im Oktober 1897 »das fast ausschließlich von slavischen, jüdischen, italienischen und französischen Musikern bestrittene Novitätenprogramm des Herrn Mahler«. Und noch ein gutes Jahr später erinnerte das Blatt daran, dass Mahler – öfters auch als »der Jude Mahler« bezeichnet – »nach dem Tschechen Smetana und dem Russen Tscheikowsky [sic] Rezniceks ›Donna Diana‹ zur Aufführung bringen und dann seinen beiden Stammesgenossen Goldmark und Rubinstein (Dämon) das Wort ertheilen werde, und wir haben schon damals mit allem Nachdrucke gegen die Verslavisirung und Verjudung unserer Oper protestirt […].« Von dort war es zum einstrophigen Reim »Unsere Oper« vom Oktober 1899 nicht mehr weit: »Nicht lange wird’s mehr dauern,/ Wirft aus dem Opernhaus/Der ›groiße‹ Gustav Mahler/Den letzten Christen ’naus!«

Ringstraßenkorso. Druck nach einem Aquarell von Theo Zasche (1862–1922). Dargestellt sind bekannte Persönlichkeiten der Zeit, darunter Gustav Mahler (unten, 3. von rechts), hinter ihm der Sänger Leo Slezak, auf dem beliebtesten Abschnitt der Flaniermeile des Großbürgertums um die Jahrhundertwende, der Ringstraße, zwischen Oper und Schwarzenbergplatz.

Erwartbar freudig berichtete das Blatt im Jänner 1907 denn auch vom »Gerücht«, wonach »der jüdische Direktor der Hofoper, Gustav Mahler, von seinem Posten zurücktreten werde«. Wozu passte, dass die Zeitung kurze Zeit später jubelte, als Mahler bei der Wahl des Hauptdirigenten der Philharmoniker nur drei Stimmen erhalten habe (»Bravo!«). So sei ihm nun »auf die Zehen getreten worden«, so das Blatt, »und sofort spürt es ganz Israel« (in Anspielung auf kritische Presseberichte über die philharmonische Wahl, aus der Felix Mottl als Sieger hervorging – dessen Bestellung aber letzlich nicht zum Abschluss gelangte). Doch auch als Mahler bereits in New York wirkte, ging die antisemitische Hetze gegen ihn in Wien weiter – und sie zog sich bis zur Berichterstattung über sein Ableben im Mai 1911: »Er war ein von den Juden vergötterter Stammesgenosse und Liebling, der durch seine Arroganz an unserem Kunstinstitute den allgemeinen Haß der Künstlerschaft erntete. Er trug viel zur traurigen Verjudung unseres Kunstinstitutes bei.« – »Ich gehe, weil ich das Gesindel nicht mehr aushalten kann«, wird Mahler bei seinem 1907 erfolgten Weggang aus Wien von den Mahler-Forschern Gerhard Scheit und Wilhelm Svoboda zitiert. Angesichts der anhaltenden Anfeindungen wird dies umso nachvollziehbarer.

Die antisemitische Mahler-Kritik hörte nach dem Tod des Komponisten bekanntlich nicht auf, doch sie wandelte sich. War sie in Wien zu Mahlers Lebzeiten, wie im Deutschen Volksblatt deutlich wird, stark auf das Wirken als Hofoperndirektor bezogen, verschob sie sich nach und nach mehr auf den Komponisten Mahler. Einen Höhepunkt der antisemitischen Negativ-Rezeption Mahlers stellt zweifellos der Eintrag im »Lexikon der Juden in der Musik« dar. Das hetzerische Schriftwerk wurde von Mitarbeitern der Reichsmusikkammer sowie des »Amts Rosenberg« der NSDAP verfasst und erschien erstmals 1940. Von »fratzenhaften Zügen« in Mahlers Musik ist darin etwa die Rede. Und von der »typisch jüdischen Art unvereinbare Dinge unter einen Nenner« zu bringen, was insbesondere für die Symphonie Nr. 8 geltend gemacht wurde: Während der erste Teil vom altchristlichen Hymnus »Veni creator spiritus« beherrscht werde, sei der zweite Satz auf der Schlussszene des zweiten Teils von Goethes »Faust« aufgebaut, wodurch »der Eindruck besonderen Tiefsinns erweckt« werden solle, doch komme dies über eine »rein äußerliche Aneinanderreihung« nicht hinaus – »Tiefsinn« sei hier eben »nichts anderes als jüdische Spiegelfechterei«. Solche Lesarten überdauerten die Zeit des Nationalsozialismus, gerade auch in Wien. Und dies unter anderem auch bei Teilen namhafter Orchester, wovon Selbstzeugnisse von Dirigenten und Orchestermusikern berichten. Es bedurfte so hartnäckiger, aber auch impulsiver wie begeisterungsfähiger Orchesterleiter wie Rafael Kubelík oder Leonard Bernstein, die Mahlers Musik ab den 1950er- bzw. 1960erJahren nachhaltig in Wien (re-) etablierten.

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Do & Sa, 07 & 09/11/24, 19.30 Uhr · Großer Saal

So, 10/11/24, 15.30 Uhr · Großer Saal

Mahler: Symphonie Nr. 8

Wiener Symphoniker · Wiener Singverein Einstudierung: Johannes Prinz · Wiener Singakademie Einstudierung: Heinz Ferlesch · Wiener Sängerknaben Einstudierung: Erasmus Baumgartner · Elisabeth Teige Sopran · Johanni van Oostrum Sopran · Regula Mühlemann Sopran · Tanja Ariane Baumgartner Mezzosopran · Noa Beinart Alt · Benjamin Bruns Tenor · Christopher Maltman Bariton · Tareq Nazmi Bass · Philippe Jordan Dirigent

Gustav Mahler Symphonie Nr. 8 Es-Dur in zwei Sätzen für großes Orchester, acht Solisten, zwei gemischte Chöre und Knabenchor

Karten unter:

https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61721

https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61723

https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61725

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Di, 05/11/24, 19.30 Uhr · Großer Saal

Musicbanda Franui · Chor des Bayerischen Rundfunks · Arman »Wohin ich geh’?«

Das Mahler-Projekt

Howard Arman Dirigent

Karten unter: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61713

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