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Blickpunkt Brahms
Von Kammermusik bis hin zu chorsymphonischen Werken: Sieben Konzerte im Herbst bieten Einblick in das vielfältige Schaffen des Komponisten.
JOHANNES BRAHMS
VON WOLFGANG SANDBERGER
Johannes Brahms (1833–1897) ist in der Musikwelt eine feste Größe. Sieht man von der Oper ab, so hat der in Hamburg geborene Komponist in allen musikalischen Gattungen des 19. Jahrhunderts exemplarische Werke geschaffen: in der Orchestermusik, der Kammermusik, der Klaviermusik, der Oratorien- und Chormusik sowie im Lied. Einzelne Kompositionen waren schon zu Lebzeiten besonders erfolgreich. Dazu gehören so unterschiedliche Werke wie Ein deutsches Requiem op. 45 und die Ungarischen Tänze WoO 1, in ihrer ästhetischen Ausrichtung und ihrem geschärften Gattungsbewusstsein zwei polare Werke, mit denen Brahms 1868 bezeichnenderweise fast zeitgleich der Durchbruch zum anerkannten Komponisten gelungen ist.
Spätestens in den letzten beiden Jahrzehnten seines Lebens war der Wahl-Wiener eine führende Persönlichkeit der internationalen Musikszene, als Pianist, Dirigent und Komponist vielfach bewundert und verehrt. Zahlreiche Auszeichnungen und Ehrenmitgliedschaften wurden ihm verliehen. Schon 1881 notierte Clara Schumann in ihrem Tagebuch »eine große Genugthuung«, Brahms »so anerkannt zu sehen«. Brahms wurde sogar schon zu Lebzeiten auf den Komponistenolymp erhoben. Als er am 20. Oktober 1895 zur Eröffnung des Großen Saals der Tonhalle in Zürich sein Triumphlied op. 55 dirigierte, konnte er im zentralen Deckengemälde des Saales sein Konterfei entdecken, beziehungsreich Beethoven über die Schulter schauend. Gemeinsam mit Bach, Händel, Gluck, Haydn, Mozart, Beethoven und Wagner war er durch eine monumentale Ehrenpforte in den Musikhimmel gezogen – als einziger noch lebender Komponist.
Im Jahrhundert nach seinem Tod blieb Brahms eine Konstante der Musikgeschichte, so vielschichtig und ambivalent die Rezeption auch war und ist. Heute ist Brahms mit seiner Musik allgegenwärtig und zwar nicht nur in den Konzertsälen oder den Musikprogrammen des Rundfunks. Über die ›klassische‹ Musikszene hinaus ist er im medialen Zeitalter vielfach präsent: von der Spieluhr mit dem Wiegenlied »Guten Abend, gut Nacht« bis hin zur Fernsehwerbung mit Ungarischen Tänzen oder der 2. Cellosonate op. 99. Diese Popularisierung des Komponisten mag auch die Verfilmung des Romans »Lieben Sie Brahms?« von Françoise Sagan (1961, Regie: Anatole Litvak) belegen. Das musikalische Hauptmotiv dieses Films aus dem Poco Allegretto der 3. Symphonie op. 90 wurde zu einem Klassiker der Filmmusik; und das Wiegenlied lässt sich heute in über 60 Filmen nachweisen. […]
»Dauerhafte Musik« war – wie vielfach zitiert – ein Lieblingsausdruck von [Brahms]. »Er meinte damit«, wie sein Kompositionsschüler Gustav Jenner überliefert, »jene Musik, die in dem tiefen Urgrund des Geistes der Musik wurzelt und nirgends mit ihm in Widerspruch gerät, im Gegensatz zu derjenigen, welche haltlos an der Oberfläche des Nebensächlichen klebt und, mag sie noch so originell empfunden sein und reizvoll wirken, vom Strome der Zeit nur zu schnell fortgerissen wird, da sie einem tieferen Kunstbedürfnisse der Menschheit nicht zu genügen vermochte.« Der kompositorische und historische Anspruch, der hinter diesem Ideal einer »dauerhaften Musik« steht, ist enorm, verglichen mit den kunstphilosophischen und weltanschaulichen Konzepten des späten 19. Jahrhunderts allerdings eher bescheiden.
(Weiterlesen: Brahms-Handbuch, J. B. Metzler / Bärenreiter, Stuttgart 2014, Hrsg. Wolfgang Sandberger: Professor für Musikwissenschaft und Leiter des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck.)
HAYDN-VARIATIONEN (Orchestervariationen)
Brahms hielt große Stücke auf Haydns kompositorisches Denken. Das Thema seiner Variationen op. 56a (1873) entdeckte er in den Manuskripten seines Freundes Carl Ferdinand Pohl, der an einer Haydn- Biographie arbeitete. Mit seiner Komposition begründete Brahms eine neue Gattung selbstständiger Orchestervariationen, die u. a. von Antonín Dvořák, Edward Elgar, Arnold Schönberg und Benjamin Britten gepflegt und weiterentwickelt wurden.
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26/09/22, Mo, 19.30 Uhr · Großer Saal
Wiener Symphoniker · Tjeknavorian
Ines Galler-Guggenberger: Oboe, Patrick de Ritis: Fagott, Christoph Stradner: Violoncello, Emmanuel Tjeknavorian: Violine, Dirigent
Johannes Brahms: Tragische Ouverture d-moll op. 81 · Variationen über ein Thema von Joseph Haydn op. 56a; Joseph Haydn: Sinfonia concertante B-Dur Hob. I/105; Werke von Josef Strauß und Johann Strauß (Sohn)
Karten: konzerthaus.at/konzert/eventid/59747
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EIN DEUTSCHES REQUIEM für zwei Solostimmen, Chor & Orchester
Als Grundlage für das Deutsche Requiem (1854–68) verwendete Brahms die Luther-Übersetzung des Alten und Neuen Testaments. »Was den Text betrifft, will ich bekennen, dass ich recht gern auch das ›Deutsch‹ fortließe und einfach den ›Menschen‹ setzte«, meinte er. Für Brahms zählten vor allem die Leidenden, die Zuspruch brauchen.
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29 & 30/09/22, Do & Fr, 19.30 Uhr · Großer Saal
Wiener Symphoniker · Goerne · Karg · Eschenbach
Wiener Singakademie, Christiane Karg: Sopran, Matthias Goerne: Bariton, Christoph Eschenbach: Dirigent
Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem op. 45
Karten: konzerthaus.at/konzert/eventid/59751
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KLAVIERTRIO NR. 3 (Kammermusik)
Das wohl kraftvollste und energischste seiner drei Klaviertrios schrieb Brahms am Thuner See, wo er im Jahr 1886 sein Sommerquartier bezogen hatte. Clara Schumann zeigte sich von dem »wunderbar ergreifenden« Werk tief beeindruckt. Auch die Pianistin Elisabeth von Herzogenberg schrieb: »Etwas wie dieses Trio, in allen Teilen so vollendet, so leidenschaftlich und so maßvoll, so groß und so lieblich, so knapp und so beredt, ist überhaupt wohl selten geschrieben worden.«
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07/10/22, Fr, 19.30 Uhr · Mozart-Saal
Tjeknavorian · Müller-Schott · Vinnitskaya
Emmanuel Tjeknavorian: Violine, Daniel Müller-Schott: Violoncello, Anna Vinnitskaya: Klavier
Klaviertrios von Claude Debussy, Johannes Brahms und Franz Schubert
Karten: konzerthaus.at/konzert/eventid/59763
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TRAGISCHE OUVERTURE & SYMPHONIE NR. 3 (Orchesterwerke)
Bei der Komposition seiner Tragischen Ouverture, entstanden im Sommer 1880 in Bad Ischl, hatte Brahms »kein bestimmtes Trauerspiel als Sujet im Sinne«, sondern setzte stattdessen das Tragische an sich in Musik.
Seine Symphonie Nr. 3 F-Dur op. 90 komponierte Brahms im Sommer 1883 in Wiesbaden und im Rheingau. Waren die ersten zwei Symphonien in der Hauptsache dem Geist Beet hovens verpflichtet, so hatte er nunmehr auch auf symphonischem Gebiet seinen eigenen Stil entwickelt. Besonderes Augenmerk verdient in diesem Werk die feinfühlige Orchestrierung.
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12/10/22, Mi, 19.30 Uhr · Großer Saal
Wiener Philharmoniker · Welser-Möst
Franz Welser-Möst: Dirigent
Johannes Brahms: Tragische Ouverture d-moll op. 81 · Symphonie Nr. 3 F-Dur op. 90
Richard Strauss: Also sprach Zarathustra. Tondichtung frei nach Friedrich Nietzsche op. 30
Karten: konzerthaus.at/konzert/eventid/59778
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SCHUMANN-VARIATIONEN (Klaviervariationen)
Brahms »sorgte für Labung für mein Herz, er komponierte mir über das innige herrliche Thema, das ich so tief in mich aufgenommen, als ich vorm Jahre die Variationen für den geliebten Robert komponierte, auch Variationen und rührte mich tief durch seine zarte Aufmerksamkeit«, notierte Clara Schumann 1854 in ihr Tagebuch. Grundlage für die 16 Schumann-Variationen bildet das erste der Albumblätter aus Robert Schumanns Bunten Blättern op. 99.
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12/10/22, Mi, 12.30 Uhr · Schubert-Saal
E. T. A. Hoffmann: Kreisleriana I
Markus Hering liest E. T. A. Hoffmanns »Johannes Kreislers, des Kapellmeisters, musikalische Leiden (Kreisleriana I)«. Eloïse Bella Kohn spielt dazu u. a. die 16 Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 9 von Johannes Brahms
Karten: konzerthaus.at/konzert/eventid/59779
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NÄNIE & SCHICKSALSLIED (Werke für Chor und Orchester)
Die Nänie komponierte Brahms 1880/81 über die gleichnamige philosophische Elegie von Schiller. Das Werk entstand unter dem Eindruck des Todes von Anselm Feuerbach. Dem Maler war Brahms vor allem durch ein ähnliches Kunstverständnis verbunden. In seiner Komposition verwies er auf antike Sujets, die Feuerbach bevorzugte.
Von Hölderlins Schicksalslied, das die selige Heiterkeit der Götterwelt dem Leiden des menschlichen Daseins gegenüberstellt, zeigte sich Brahms »aufs Tieffste ergriffen« – seine Vertonung vollendete er 1871. Von der Hoffnungslosigkeit der letzten Strophe distanziert sich Brahms, indem er das Werk tröstlich ausklingen lässt.
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24/10/22, Mo, 19.30 Uhr · Großer Saal
Orchestre symphonique de Montréal · Payare
Wiener Singakademie, Rafael Payare: Dirigent
Johannes Brahms: Nänie op. 82 · Schicksalslied. Kantate op. 54 für gemischten Chor und Orchester; Gustav Mahler: Symphonie Nr. 5
Karten: konzerthaus.at/konzert/eventid/59807
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